08:16 KOMMUNAL

Leitfaden zur Raumplanung: In sieben Schritten zur Innenentwicklung

Geschrieben von: Stefan Gyr (stg)
Teaserbild-Quelle: Jérémie Poux, Espace Suisse

Städte und Dörfer sollen nach innen wachsen. Diese gesetzliche Vorgabe stellt kleinere Gemeinden ohne eigene Raumplaner vor grosse Herausforderungen. Um ihnen den Start zu erleichtern, hat das Institut für Raumentwicklung an der Ostschweizer Fachhochschule einen einfachen Leitfaden erstellt.

Balsthal Zentrum Verdichtung Innenentwicklung

Quelle: Jérémie Poux, Espace Suisse

Bauliche Verdichtung im Ortszentrum von Balsthal SO.

Höchstens 200 bis 300 Stunden Facharbeit beziehungsweise Kosten von weniger als 50 000 Franken: Dieser vergleichsweise bescheidene Aufwand sollte reichen, um eine Innenentwicklungsstrategie für das gesamte Gebiet einer kleinen oder mittleren Schweizer Gemeinde auszuarbeiten. Das verspricht das Institut für Raumentwicklung (Irap) an der Ostschweizer Fachhochschule (OST). Das Institut hat eine einfache Schritt-für-Schritt-Anleitung erstellt, die auf der Irap-Webseite kostenlos heruntergeladen werden kann. Sie soll vor allem den kleineren Gemeinden helfen, rasch eine Strategie für die Innenentwicklung zu erarbeiten.

95 Prozent der Schweizer Gemeinden zählen weniger als 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Meistens bedeutet das: Die Gemeinde beschäftigt keine eigene Fachperson für Raumplanung und ist auf Unterstützung durch externe Planungsbüros angewiesen. Die Folge: Viele Gemeinden haben sich «noch keinerlei Gedanken darüber gemacht, wo und wie sie eine qualitätsvolle Siedlungsverdichtung wollen», wie Irap-Professor Andreas Schneider erklärt.

Wachstum im Innern verlangt

Die Siedlungsentwicklung nach innen ist kein neues Thema, aber seit der Revision des Raumplanungsgesetzes 2014 befinden sich die Gemeinden im Zugzwang. Denn seither gilt faktisch ein Einzonungsmoratorium. Statt auf der grünen Wiese sollen die Siedlungen in ihrem Innern, in den bestehenden Bauzonen wachsen. Die Ausscheidung neuer Bauzonen wird zur Ausnahme werden. Dies stellt die Gemeinden vor viele Fragen: Wie viel Wachstum an Einwohnern und Beschäftigten haben sie zu erwarten? Wo ist Verdichtung am sinnvollsten? Wie können konkrete Projekte gestartet werden?

Die meisten Kantone verlangen von den Gemeinden, im Zuge ihrer Ortsplanungsrevision eine Innenentwicklungsstrategie auszuarbeiten. Mit dem Leitfaden des Irap können die Gemeinden in sieben Schritten ihre Strategie für eine Innenentwicklung auf die Beine stellen. Das Irap verfolgte nach eigenen Angaben das Ziel, einerseits die Bestellerkompetenz von Gemeinden ohne eigene Raumplanungsfachleute zu verbessern und andererseits Planungsbüros eine Art Schablone für eine kosteneffiziente Strategieentwicklung zur Verfügung zu stellen. 

Entlebuch Marktplatz Innenentwicklung

Quelle: Annemarie Straumann, Espace Suisse

In Entlebuch LU wird das Gebiet um den ehemaligen Marktplatz Schritt für Schritt erneuert.

Auf knapp 40 Seiten finden sich Informationen sowohl für Gemeinden als auch für Planungsbüros. Die Methodenanleitung enthält viel praktisches Erfahrungswissen, gibt Tipps und weist auf Stolpersteine hin. Für jeden der sieben Schritte schätzt das Autorenteam den zeitlichen Aufwand und die voraussichtlich anfallenden Kosten ab. In den letzten Jahren sei die Anleitung in verschiedenen Bachelor-, Master- und Weiterbildungs-Projektarbeiten getestet und verfeinert worden, erklärt das Irap. Nicht erfasst werden konnten dabei die Mitwirkung und politische Diskussion und der damit verbundene Aufwand, der stark schwanken kann.

Breite Mitwirkung

Als ersten Arbeitsschritt empfiehlt das Irap, den Mitwirkungsprozess zu planen. Jede Innenentwicklungsstrategie sei nur so gut, wie sie von den politischen Behörden, Grundeigentümern und den Stimmberechtigten verstanden und mitgetragen wird. Wie die Mitwirkung angelegt werden sollte, hänge sehr stark von der politischen Kultur der Gemeinde und dem Vertrauenskapital der Gemeindeexekutive in Planungsfragen ab.

Je grössere Zweifel es gebe, desto früher und breiter sollten die wesentlichen Anspruchsgruppen einbezogen werden. Das Mitwirkungsverfahren sollte aber auch auf die Immobilieneigentümer abgestimmt werden. Professionelle Immobilienbesitzer denken und handeln ganz anders als Eigentümer von Einfamilien- oder kleineren Mehrfamilienhäusern in potenziellen Verdichtungsgebieten.

Danach gilt es, eine realistische Prognose zur Entwicklung der Einwohner- und Beschäftigtenzahlen in den nächsten 25 bis 30 Jahren zu erstellen. Ohne realistische Wachstumsprognose sind gemäss dem Irap keine plausiblen Innenentwicklungsstrategien möglich, denn es gehe letztlich darum, die entsprechende Raumnachfrage in der Gemeinde zu decken. Dafür seien alle vorhandenen Prognosen beizuziehen und kritisch zu würdigen. Die Bevölkerungsszenarien des Bundesamts für Statistik steckten dabei den grossen Rahmen ab.

Zweifel an Richtplanprognosen

Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes wurden alle Kantone verpflichtet, in ihrem kantonalen Richtplan für die Bauzonendimensionierung das angenommene Einwohner- und Beschäftigungswachstum und dessen regionale Verteilung festzulegen. Dabei durften sie sich ohne eingehende Begründung höchstens auf das hohe Szenario des Bundesamts für Statistik stützen. Blindes Vertrauen in die fachliche Richtigkeit des kantonalen Richtplans sei aber «nicht angebracht», erklärt das Irap. Es sei sinnvoll, den Prüfbericht des Bundesamts für Raumentwicklung zu lesen, um die Qualität der Richtplanprognose einschätzen zu können. Der Bund habe zwar inzwischen fast alle Richtpläne der Kantone genehmigt, doch er habe zum Teil «erhebliche» Vorbehalte angebracht und Nachbesserungen verlangt.

Hergiswil Zentrumsüberbauung Innenentwicklung

Quelle: Dina Immobilien AG

In Hergiswil NW werden neun alte Liegenschaften im Zentrum durch eine neue Wohn- und Geschäftsüberbauung ersetzt.

Im nächsten Schritt geht es darum, das quantitative Potenzial verschiedener Teile des Baugebiets für unterschiedliche Verdichtungsarten abzuschätzen und ihre Eignung für eine qualitätsvolle Siedlungsverdichtung herauszuschälen. Dabei werden in jedem Quartier oder Strassengeviert die Soll-Dichten mit dem Bestand und den wesentlichen Einschränkungen verglichen. Am Ende soll in einer Übersichtsdarstellung für jeden Ortsteil eine Aussage über das theoretische Potenzial und die Eignung für eine Verdichtung sowie über den Realisierungszeitpunkt gemacht werden können. Die so ausgewiesenen Verdichtungspotenziale sollten insgesamt mindestens 200 Prozent der zu erwartenden Entwicklung entsprechen.

Feld des planerisch Möglichen

Darauf sollen für die Diskussion mit Politik und Bevölkerung drei bis vier grundverschiedene, aber fachlich denkbare und der Raumnachfrage entsprechende Innenentwicklungsszenarien entworfen werden. Aus dem so abgesteckten Feld der planerischen Möglichkeiten wird dann das politisch wünschbare Best-Szenario ausgewählt. Diese Weichenstellung zur künftigen Gemeindeentwicklung ist laut dem Irap eine «eminent politische Frage», die nicht auf Empfehlung des Planers schnell mal in einer halben Stunde durch den Gemeinderat gefällt werden könne

Die politische Machbarkeit, die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Interessen der Immobilieneigentümer spielten eine mindestens so wichtige Rolle wie die fachliche Richtigkeit. Deshalb wird empfohlen, das Best-Szenario in Workshops und anderen Diskussionsrunden auf seine Vor- und Nachteile hin zu überprüfen und so breit wie möglich abzustützen, bevor der Gemeinderat und die Gemeindeversammlung oder das Gemeindeparlament den politischen Entscheid treffen. Beim so ausgehandelten Ergebnis dürfte es sich oft um eine Kombination aus Elementen mehrerer Szenarien handeln.

Massnahmenplan für Umsetzung

Nach diesen Diskussionen wird die Innenentwicklungsstrategie mit Situations- und Phasenplan, Tabellen und Text fertiggestellt. Je nachdem sind noch verschiedene Überprüfungen und Detailbereinigungen notwendig. Im letzten Schritt wird ein Massnahmenplan für die Umsetzung der in den nächsten fünf bis zehn Jahren notwendigen Teilprojekte erarbeitet und auf die Ressourcen der Gemeinde abgestimmt. Dabei ist einerseits an planerische und organisatorische Massnahmen in der ganzen Gemeinde und andererseits an Vorgehenspläne für die ausgewählten Verdichtungsgebiete zu denken.

Die Herausforderung bestand gemäss dem Irap darin, ein systematisches und zugleich schlankes, auf die wesentlichsten Punkte beschränktes Vorgehen zu entwickeln, mit dem für jede kleinere Schweizer Gemeinde mit vernünftigem Aufwand eine Innenentwicklungsstrategie erarbeitet werden kann. Angelehnt an das Pareto-Prinzip, sollten dabei nicht mehr als 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Innenentwicklungsstrategie eingesetzt werden. 80 Prozent könnten damit für die konkrete Realisierung von Umsetzungsprojekten verwendet werden.

Isos und hochwertige Verdichtung sind vereinbar

Das Isos, das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung, unterstützt bei richtiger Anwendung eine hochwertige Verdichtung. Das zeigt der vom Bund veröffentlichte Bericht «Schweizer Ortsbilder erhalten – Empfehlungen zum Umgang mit schützenswerten Ortsbildern bei der Siedlungsentwicklung nach innen».

Das Isos hat in den letzten Jahren mit der Innenentwicklung und Verdichtung stark an Bedeutung gewonnen. Im Auftrag des Bundesrats haben das Bundesamt für Kultur und das Bundesamt für Raumentwicklung Empfehlungen zum Umgang mit dem Isos bei Planungen erarbeitet. Dabei wurden sie von einer breit zusammengesetzten Arbeitsgruppe unterstützt. Als Grundlage diente eine Untersuchung in den sechs Städten und Gemeinden Aarau, Bussy, Delémont, Romanshorn, Scharans und Yverdon-les-Bains. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Vereinbarkeit des Ortsbildschutzes mit dem Auftrag der Innenentwicklung.

Wie die Analyse von Praxisbeispielen zeigte, können lückenhafte planerische Verfahren, Fehler bei der Anwendung des Inventars und unsachgemässe Interessenabwägungen zu Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung und Akzeptanz des Isos führen. Richtig angewendet, stelle das Isos eine Chance für eine qualitativ hochwertige Verdichtung dar und leiste damit einen wichtigen Beitrag zu einer hohen Baukultur in der Schweiz, heisst es in einer Medienmitteilung des Bundesamts für Kultur.

Kantone, Städte und Gemeinden, die das Bundesinventar bei ihrer Interessenabwägung berücksichtigen müssen, stehen vor der Herausforderung, die Verdichtung voranzutreiben und gleichzeitig eine qualitätsvolle Entwicklung zu gewährleisten. Für Städte und Gemeinden empfiehlt es sich beispielsweise, frühzeitig eine räumliche Gesamtschau wie etwa einen kommunalen Richtplan zu erarbeiten. Darin soll abgebildet werden, wo in der Gemeinde eine Entwicklung durch Verdichtung sinnvoll ist und welche Gebiete in ihrem Charakter mehrheitlich erhalten bleiben sollen.

Die Kantone sollen gemäss den Empfehlungen den Stellenwert und die Bedeutung des Bundesinventars allen Beteiligten besser erklären: Das Isos sei keine absolute Schutzvorgabe, sondern ein Fachinventar und stelle eine von vielen Grundlagen zur Interessenabwägung dar. Der Bund wurde unter anderem beauftragt, das bestehende Beratungsangebot für die Kantone sowie für die Städte und Gemeinden zu erweitern. (stg)

Geschrieben von

Ehemaliger Redaktor Baublatt

Stefan Gyr war von April 2015 bis April 2022 als Redaktor für das Baublatt tätig. Seine Spezialgebiete waren politische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen sowie Themen der Raumentwicklung.

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