15:43 BAUPROJEKTE

Architektur im Grünen: Leben im eigenen Baumhaus

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Laura Fiorio, baumraum

Als Kinder haben sie davon geträumt, als Erwachsene erfüllen sich viele ihren Traum vom eigenen Baumhaus. Die Ideen für die Stelzen-Konstruktionen sind vielzeitig. Das Buch «Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen» stellt verschiedene Projekte vor.

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Quelle: Andreas Wenning, baumraum

Baumhaus Black Beauty auf der nselUsedom in Deutschland.

Baumhäuser sind nichts Neues in der Geschichte der Architektur. Früher war das Leben in den höheren Bereichen vor allem eine Frage der Existenz. Die Menschen suchten Schutz vor Feinden, wilden Tieren oder sonstigen Naturgefahren. Nicht in den Bäumen, aber auch erhöht auf Stelzen wurden die Pfahlhäuser im Alpenraum errichtet.

Die Schweizerischen Fundstätten aus der Jungstein- und Bronzezeit schlummern inzwischen am Seegrund von Zürich-, Boden-, Bieler- und Hallwilersee. Die prähistorischen Pfahlbausiedlungen entstanden in der Zeit von 5000 bis 500 vor Christus und wurden auf Pfeilern etwas erhöht über dem Boden errichtet, um die Bewohner vor Hochwasser zu schützen. 

Baumhaus «Black Crystal»Catskill Mountains New York State USA

Quelle: Michael O’Neal, Baumraum

Das Baumhaus «Black Crystal» in den Catskill Mountains, New York State, USA.

Orte der Musse

Im alten Ägypten und Rom gab es ebenfalls berankte Lauben und Baumhäuser, die vor allem dem Vergnügen dienten. Selbst der römische Kaiser Caligula soll bereits ein Baumhaus auf seinem Anwesen in Velitrea südöstlich von Rom besessen haben, in dem er kleine Bankette für seine Gäste abhielt. Um das Jahr 1500 erwähnen zahlreiche Quellen die Baumhäuser, die sich die italienischen Reichen und Adeligen in ihren Gärten errichten liessen. 

Auch in England kam diese Mode auf. Das wohl älteste noch erhaltene Baumhaus der Welt befindet sich bei Pitchford Hall nahe Shrewsbury, westnordwestlich von Birmingham. Es wurde 1714 erstmals erwähnt und ist in eine uralte Linde eingebaut.

Danach wird lange Zeit nicht von Baumhäusern berichtet. Erst in der Zeit der Romantik feiert das Leben in den Bäumen wieder ein Comeback. In Deutschland wurde bevorzugt auf Konstruktionen unter Linden gefeiert und getanzt. In Frankreich entstand im 19. Jahrhundert in der Nähe von Paris ein ganzes Baumhausprojekt für ein Restaurant in einem riesigen Kastanienbaum. Auch in England waren Baumhäuser ein dekorativer Bestandteil der Gartenkultur, die unter anderem als Teesalon genutzt wurden.

Doch in manchen Kulturen oder Ländern dienen die Konstruktionen in luftiger Höhe vor allem dem Schutz in kriegerischen Zeiten und vor gefährlichen Tieren. In Indonesien hat sich das Volk der Korowai weiterhin seine steinzeitlichen Lebensformen erhalten und errichtet seine Behausungen in den oberen Etagen des Regenwaldes auf Höhen zwischen fünf und zwölf Metern. 

In Nordamerika findet man viele Häuser in der freien Natur, die zwischen den Bäumen schweben. Diese Konstruktionen sind zumeist auf den Reichtum an natürlichem Baumaterial und die grosse Experimentierfreude zurückzuführen.

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Quelle: Alasdair Jardine, baumraum

Blick auf das Baumhaus Bâlvedere in Basel.

Kindheitstraum wird wahr

Beim Begriff Baumhaus denkt wahrscheinlich jedermann zuerst an einen recht rustikal zusammengezimmerten Holz­verschlag, der sich zwischen den Zweigen eines knorrigen Apfel- oder Birnbaums im Garten versteckt. Das einige Meter über dem Erdboden gelegene Reich der kleinen Abenteurer ist meist nur über eine Strick- oder angelegte Leiter zu erreichen, denn allen anderen soll der Zutritt ja verwehrt bleiben. Diese Hütten werden meist ohne grosse Vorplanung errichtet. Alle Baumaterialen, die in Keller, Werkstatt oder Garten zu finden sind, werden kreativ verbaut.

Die im Buch «Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen» vorgestellten Projekte haben ausser der bevorzugten Lage in den Baumwipfeln und dem Ausblick auf die Umgebung kaum mehr etwas mit diesem Abenteuerrefugium gemeinsam. Andreas Wenning stellt 50 besondere Projekte in der Schweiz, Europa und Übersee vor, die nicht allein ihrer besonderen Architektur wegen, sondern auch mit einem aussergewöhnlichen Ambiente punkten können. Diese werden durch verschiedene Design-Studien des deutschen Architekturbüros Baumraum ergänzt.

Der Kreativität sind inzwischen kaum mehr Grenzen gesetzt. Vom kleinen privaten Rückzugsort bis zum voll eingerichteten Feriendomizil für die ganze Familie werden rund um die Welt Projekte realisiert. Bereits seit 2003 ist das Architekturbüro Baumraum auf dem Gebiet tätig. 

Die Projekte des Bremer Architekten Andreas Wenning sowie seiner Kollegen Jan Fuchs und Louis Beck wurden in ganz Europa, Russland, Argentinien, Brasilien, China und den USA umgesetzt. Andreas Wenning gilt als absoluter Spezialist auf dem Gebiet, hält Vorträge, lehrt und ist durch zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland bekannt.

Einen Einblick in die umfangreiche Tätigkeit ermöglicht die erweiterte Auflage des Buches. Bereits beim ersten Durchblättern ist zu erkennen, wie vielfältig Form und Gestaltung ausfallen können. Der Geschmack des Erbauers, aber auch die Verwendungsweise und das finanzielle Budget lassen eine breite Palette von Bauwerken entstehen, die von der traditionellen Formensprache des Baumhauses komplett abweichen und mit der kleinen Holzhütte mit Satteldach und Sprossenfenstern fast nichts mehr gemeinsam haben. Moderne Materialien und Ausstattungen ermöglichen den Projektanten bei der Planung und Gestaltung viel Spielraum.

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Quelle: Laura Fiorio, baumraum

Das Baumhaus Halden in Halden.

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Quelle: Laura Fiorio, baumraum

Innenraum des Baumhauses in Halden.

Baumhäuser in der Schweiz

Zwei der vorgestellten Projekte befinden sich in der Schweiz. «Bâlvedere» bietet einen Ausblick auf die Stadt Basel und die Höhenzüge der Vogesen. Das kleine Baumhaus wurde 2009 inmitten von vier Fichtenstämmen installiert und ist über drei Treppenläufe und zwei Podeste erreichbar. Die Kabine mit Terrasse befindet sich in zwölf Metern Höhe. Der rechteckige ­Kubus hat eine Kupferfassade, die sich mit der Alterung des Materials optisch in die natürliche Umgebung integriert.

Mehr Komfort bietet das Baumhaus «Halden» in der Nähe des Bodensees. Auf dem Grundstück steht bereits ein Haus, sodass die haustechnische Versorgung gewährleistet war. Gemeinsam mit den Besitzerinnen wurden die architektonischen Details und Materialien abgestimmt. Das kleine Haus mit Balkon ist aussen dunkel gehalten und wird von einem Spitzdach gekrönt. 

Letzteres ermöglich einen teilweisen Innenausbau auf zwei Ebenen. Geschlafen wird auf der Galerie, im darunterliegenden Teil sind die Küche und das Bad untergebracht. Der offene Innenraum wurde in Eiche gestaltet und wird von grossen Fensterflächen mit Blick über das Tal dominiert.

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Quelle: André Dogbey, baumraum

Elbinselhof Krautsand auf Stelzen in Drochtersen-Krautsand (D).

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Quelle: André Dogbey, baumraum

Die Baumhäuser des Elbinselhofs Krautsand. in Drochtersen-Krautsand bieten Platz für vier Personen.

Ab in die Ferien

Nicht nur einzelne Ferienhäuser, ganze Baumhaus-Hotels sind bereits rund um den Erdball entstanden. Eines haben alle gemeinsam: Sie stehen in landschaftlich besonders schönen Gegenden. So liess ein Schweizer Hotelentwickler ein Wellnesshotel nahe der argentinischen Stadt Mendoza mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Anden realisieren. Die elliptisch geformten Kabinen mit Aussenterrasse ruhen in rund fünf Metern Höhe auf mehreren unregelmässig angeordneten Stahlstützen. Die Wohnräume sind komplett ausgestattet und verfügen über einen integrierten Whirlpool auf der Terrasse.

Am Deich, nur rund 500 Meter von der Elbe entfernt, steht das Baumhaus-Hotel Elbinselhof Krautsand. Das Projekt war seit langem angedacht, wurde aber erst 2016 umgesetzt, nachdem der Besitzer zufällig eine der Erstauflagen des Baumhaus-Buches entdeckt hatte. Bereits ein Jahr später begann die Planung. 

Die Hotelanlage besteht aus einem Erdhaus und drei grossen, zwischen alten Weiden gelegenen Baumhäusern mit den Namen Jojo, Lotti und Anni. Sie bieten einen schönen Blick von oben auf die Pferdekuppeln und Wiesen, auf denen die Wildgänse Rast machen. Die Häuser wurden in Holzbauweise errichtet und lagern auf schräg stehenden Stahlstützen. Die Fassade ist in unbehandelter Edelkastanie gehalten, für die Inneneinrichtung wurde geölte Eiche verwendet.

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Quelle: André Dogbey, baumraum

Lütetsburg Baumhaus – Lodges in Lütetsburg bei Norden (D).

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Quelle: André Dogbey, baumraum

In der Lütetsburg Baumhaus – Lodges wird auf zwei Ebenen gelebt und geschlafen. Es ist ausreichend Platz für eine ganze Familie.

Arbeiten in den Bäumen

Die im Schwarzwald ansässige Firma Waldfabrik ist auf handwerklich gefertigte Dekorations- und Geschenkartikel spezialisiert. Ihren Sitz hat sie in einem architektonisch anspruchsvollen Gebäude, das sie mit einem externen Raum für Meetings und Ruhepausen erweitern wollte. 

Realisiert wurde von Büro Baumraum ein exponierter Anbau für das bestehende Hauptgebäude. Der abgerundete Baukörper ist der Form eines sich spiralförmig windenden Holzspans nachempfunden und steht auf Stelzen. Über eine Brücke ist er mit dem oberen Stockwerk des Hauptgebäudes verbunden.

Für die Brücke, Geländer und tragende Elemente wurden pulverbeschichtete Stahlprofile verwendet. Für viele andere Bauteile wie die Verkleidungen der Unterseite, den gerundeten Aufbau und die schrägen Stützen kam Holz zum Einsatz. Innen zeigt sich das Oval in einem starken Kontrast zur Aussenseite. Die Wände und Böden sind mit gelaugtem und geseiftem Tannenholz verkleidet. Grosse Fensterfronten ermöglichen einen weiten Blick über den Schwarzwald.

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Quelle: Ferdinand Graf Luckner, baumraum

Baumhaus Oval Office in Freudenstadt (D).

Vieles ist inzwischen möglich geworden, einige Projekte von Baumhäusern werden aber wohl immer ein Traum bleiben. Der reich bebilderte Band ermöglicht deshalb nicht nur einen Blick auf die Geschichte und Facetten der Baumhaus-Architektur in den verschiedenen Kulturen, es werden auch die neuesten Erkenntnissen zur Baumstatik und zu Befestigungsmethoden vermittelt.

Den Planern stehen moderne Techniken und Materialien zur Verfügung, die individuelle Wünsche in verschiedenen Grössen, Ausführungen und Ausstattungen möglich machen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei immer dem schonenden Umgang mit den Bäumen und dem sie umgebenden Naturraum. 

Deshalb werden einige Projekte immer Visionen bleiben. Doch auch diese Entwürfe stellt Andreas Wenning im abschliessenden Kapitel vor. Wer weiss, irgendwann werden sie vielleicht doch noch in die Realität umgesetzt. 

Buchtipp

Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen», Andreas Wenning, 336 Seiten, 450 Abbildungen,  Hardcover, ISBN 978-3-86922-189-2 (deutsch), ISBN 978-3-86922-736-8 (englisch), 70,80 Franken


Geschrieben von

Ehemalige Redaktorin Baublatt

Claudia Bertoldi war von April 2015 bis April 2022 als Redaktorin beim Baublatt tätig. Ihre Spezialgebiete waren Architektur- und Technikthemen.

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