12:58 BAUPRAXIS

Thermische Bauteilaktivierung: Der graue Energiespeicher

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Bearth & Deplazes/Ralph Feiner

Beton ist unser zentraler Baustoff, vor allem wegen seiner statischen Eigenschaften. Doch er kann auch als Wärme- und Kältespeicher genutzt werden: Die thermische Bauteilaktivierung sorgt für eine hocheffiziente Heizung und Kühlung.

Thermische Bauteilaktivierung an einem Industrie-Neubau: Die Kunststoffrohre werden in einem Abstand von zehn bis 30 Zentimetern verlegt, innerhalb der statisch neutralen Zone und mäander- oder spiralförmig.

Quelle: Bearth & Deplazes/Ralph Feiner

Thermische Bauteilaktivierung an einem Industrie-Neubau: Die Kunststoffrohre werden in einem Abstand von zehn bis 30 Zentimetern verlegt, innerhalb der statisch neutralen Zone und mäander- oder spiralförmig.

Nachhaltiges Bauen ist gefragt. Diese Vorgabe stellt hohe Ansprüche an die Bauweise und die verwendeten Materialien, aber auch an die Gebäudetechnik. «Die gebäudetechnischen Systeme werden durch die ständig steigenden Ansprüche ans nachhaltige Bauen immer komplexer», sagte Adrian Altenburger im Rahmen eines zurückliegenden Betonforums. «Die Haustechnik hat heute auch die Aufgabe, die dynamischen Wechselwirkungen von Aussenklima und Gebäudenutzung auszugleichen», so der Professor für Technik und Architektur an der Hochschule Luzern (HSLU).

Um die vorhandenen Potenziale für Synergien nutzen, muss aber die technische Infrastruktur eines Gebäudes von Anfang an in die Planung einbezogen werden. «Noch immer wird sie aber als zusätzliches, additives Element gesehen, das man erst spät in die Lösungsfindung einbezieht.» Ein Problem, das durch die segmentierte Struktur verschärft wird, welche die Gebäudetechnik aufweist.

Betonkerntemperierung

Eine Lösung, die idealerweise frühzeitig im baulichen Entwurf eingeplant wird, sind thermoaktive Bauteilsysteme, auch als Betonkerntemperierung bekannt. Gemeint sind Heiz- und Kühlkreisläufe, deren flüssigkeitsführende Rohre in die Wand, die Decke oder den Boden eingelassen sind.

So können sie die Speichermassen dieser Bauteile nutzen, um die Temperatur zu regulieren. Die massiven Bauteile nehmen aber auch die Wärme vom Medium oder von den Räumen auf. Diese wird gespeichert und zeitversetzt an den Raum oder das Medium weitergegeben, eine willkommene Phasenverschiebung zwischen der Energieerzeugung und -abgabe.

Der ÖKK-Hauptsitz in Landquart funktioniert nach dem LowEx-Prinzip: Tabs ermöglichen eine sparsame Heizung und Kühlung der Büros, indem die Speicherfähigkeit der Betonmasse genutzt wird.

Quelle: Bearth & Deplazes/Ralph Feiner

Der ÖKK-Hauptsitz in Landquart funktioniert nach dem LowEx-Prinzip: Tabs ermöglichen eine sparsame Heizung und Kühlung der Büros, indem die Speicherfähigkeit der Betonmasse genutzt wird.

Eine umfangreiche Bauteilaktivierung erfolgt beim Neubau des ÖKK-Hauptsitzes in Landquart GR. Hier verfolgten die Architekten von Bearth & Deplazes zusammen mit den Planern von Amstein + Walthert dieses LowEx-Konzept und schufen einen Verwaltungsbau mit äusserst geringem exergetischem Energiebedarf.

Phasenverschiebung nutzen

Die Planer von Amstein + Walthert integrierten die gesamte Gebäudetechnik in den architektonischen Entwurf, was für beide Bereiche Vorteile hatte. Sie erarbeiteten eine gesamtheitliche Lösung mit freien Deckenuntersichten: Neben den Tabs wurden auch alle weiteren technischen Elemente für Sprinkler, Abluft oder Elektroinstallationen in die vorgefertigten Deckenelemente eingepasst und entsprechend beim Geschossaufbau Platz gespart.

Die Tabs dienen als Bauteilaktivierung und sind thermisch ideal für Systeme mit tiefen Temperaturen beim Heizwasser und hohen beim Kühlwasser. Nur in den kritischen Eckräumen sind ergänzende Bodenkonvektoren eingesetzt. Insgesamt erlaubt die gebäudetechnische und architektonische Planung auch, die Massenträgheit oder Phasenverschiebung des Gebäudes zu nutzen, wodurch wiederum installierte Leistung reduziert werden kann.

Abwärme als Hauptenergiequelle

Der eigene Wärmebedarf wird primär über alle nutzbaren internen Abwärmequellen gedeckt. Hierfür wird die Abwärme aus den kontrollierten Abluftanlagen sowie der gewerblichen Kälte genutzt. Nur als ergänzende Wärmequelle für den Betrieb der Wärmepumpe dient das Grundwasser, das in den Sommermonaten zur natürlichen Kühlung des Gebäudes genutzt wird. Das Brauchwarmwasser wird aufgrund der höheren Temperaturanforderungen mit einer separaten Wärmepumpe aufbereitet.

Die Wärme aus Abwärme oder Grundwasser wird über eine hocheffiziente Wärmepumpe auf 32 Grad hochverdichtet, Rücklauf 27 Grad. Das Grundwasser ermöglicht daneben ein direktes «Free Cooling»: hier mit einer Vorlauftemperatur von 16 Grad und einem Rücklauf von 20.

Die Rohre für die Bauteilaktivierung wurden vorab in die Betonelemente verlegt, womit man bei der konstruktiv nötigen Geschosshöhe 30 Zentimeter gegenüber konventionellen Bauweisen gespart hat.

Quelle: Bearth & Deplazes/Ralph Feiner

Die Rohre für die Bauteilaktivierung wurden vorab in die Betonelemente verlegt, womit man bei der konstruktiv nötigen Geschosshöhe 30 Zentimeter gegenüber konventionellen Bauweisen gespart hat.

Free Cooling ab Grundwasser

Die Vorteile dieser geringen Temperaturunterschiede liegen auf der Hand: «Solche Heiz- und Kühltemperaturen nahe an der Raumtemperatur bringen zum einen eine hohe Effizienz bei der Wärmeerzeugung, da wir für Energie und Unterhalt nur geringe Betriebskosten haben. Zum anderen ist auch für das Free Cooling keine mechanische Kälteerzeugung erforderlich», so die Planer von Amstein + Walthert. Auf diese Weise kann das eigene Rechenzentrum ganzjährig übers Grundwasser gekühlt werden. Nur aus Gründen der Betriebssicherheit wurde auch ein Hybrid-Rückkühler auf dem Dach installiert.

Die Planung mit der Integration der Gebäudetechnik in den Betondecken bringt auch räumlich einen Nutzen. Man erreichte eine konstruktiv notwendige Geschosshöhe, die mindestens 30 Zentimeter geringer ist als bei konventionellen Lösungen. Damit reduzierten sich das umbaute Volumen und die Fassadenfläche, was wiederum eine Reduktion der Investitionskosten erlaubte. «Nicht zuletzt generieren wir eine grössere lichte Raumhöhe und somit bessere räumliche Qualität.»

Rampe eisfrei halten

Eine massgeschneiderte Lösung in Sachen Bauteilaktivierung hat die Norline AG für ihre 2017 bezogene Umschlaghalle in Rümlang unweit des Züricher Flughafens gefunden. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Arbeiten im Bereich der Gebäudetechnik wie Kranarbeiten, Demontagen, Isolationen, Erdsondenbohrungen und die Montage von Fussbodenheizungen.

Die neue Umschlaghalle beinhaltet Parkflächen auf sechs Stockwerken, die über eine separate Zufahrtsrampe erreichbar sind. Gemäss Norline-Geschäftsführer und Inhaber Hanspeter Acklin habe man eine Lösung gesucht, um die Auffahrt zu den Parkdecks im Winter durchgehend befahrbar zu machen. Die Lösung fand sich im Umstand, dass die Stahlverbunddecke der Auffahrt sich für eine thermische Bauteilaktivierung eignet.

Jede Wärmequelle nutzen: Die warme Abluft wird mechanisch durch Lüftungsanlagen über das Atrium auf dem Dach angesaugt und nach der Wärmerückgewinnung als Fortluft ins Freie gegeben.

Quelle: Bearth & Deplazes/Ralph Feiner

Jede Wärmequelle nutzen: Die warme Abluft wird mechanisch durch Lüftungsanlagen über das Atrium auf dem Dach angesaugt und nach der Wärmerückgewinnung als Fortluft ins Freie gegeben.

Selber Sonden gebohrt

Während die Rohre für die Bauteilaktivierung schon während des Baus des Parkhauses mitverlegt wurden, hat die Norline danach mit eigenen Mitarbeitenden die zugehörige Technik montiert und auch die Erdsondenbohrungen durchgeführt. Auf diese Weise konnten die Investitionen für die Anlage gering gehalten werden.

«Im ganzen Bau wurden 38 000 Meter Rohre verlegt, 10 000 davon im Dachstock, der durchgehend belegt wurde. Hier oben ernten wir im Sommer den Hauptteil der Wärme, mit der wir unsere Erdsonden aufladen», so Acklin. Die Rohre wurden in einem Abstand von nur zehn Zentimetern verlegt.

Die so erhaltene grosse Übertragungsfläche erlaubt es, die zirkulierende Flüssigkeit – bei dieser Anlage Glykol-Wassergemisch – weniger stark zu erwärmen als beispielsweise in einer Zentralheizung im Wohnungsbau. Dort betragen die Rohrabstände ohne Nassräume 15 bis 30 Zentimeter.

Im Sommer hinunterbuttern

Fürs Parkhaus erwies sich die Anlage, für die 22 Erdsonden auf 110 beziehungsweise 400 Meter abgeteuft wurden, als besonders energieeffiziente Lösung. «Unser einfaches Prinzip: Wir ernten im Winter die Wärme, die wir im Sommer hinunterbuttern, salopp gesagt», so der stellvertretende Geschäftsführer Christoph Riolo. «Im Moment läuft die Anlage noch 24 Stunden am Tag, ohne Zeitschaltuhr oder sonstige Steuerung.» Dies, da die in der ganzen Rampe verteilten Messsonden noch nicht ans System angeschlossen sind.

«Am Ende wollen wir die Anlage so betreiben, wie sie schon jetzt montiert ist, dies aber installationstechnisch fertig isoliert und regeltechnisch so geschaltet, dass wir uns die Energie dann holen, wenn wir sie brauchen.» Die bald angeschlossenen Fühler werden hierfür nicht nur die Temperatur der Rampe und der Umgebungsluft messen, sondern auch die Feuchtigkeit der Oberfläche. «Wenn’s kalt, aber trocken ist, muss die Anlage nicht laufen.»

Wärme aus den 22 Erdsonden sorgt im Winter dafür, dass sich auf der Rampe kein Eis bildet. Die technischen Anlagen werden, nebst der Isolation der Rohre, noch in einem Technik-Kasten Unterschlupf finden.

Quelle: Ben Kron

Wärme aus den 22 Erdsonden sorgt im Winter dafür, dass sich auf der Rampe kein Eis bildet. Die technischen Anlagen werden, nebst der Isolation der Rohre, noch in einem Technik-Kasten Unterschlupf finden.

Verzicht auf Messtechnik

Ist die Anlage in Betrieb, steuert sie alle Stockwerke und das Dachgeschoss zugleich an, da man keine Unterteilung in verschiedene Geschosszonen vorgenommen hat. Auch hier soll alles so einfach wie möglich gehalten werden. «Wir nehmen auch keine Messungen der erzeugten und gespeicherten Energie vor», erläutert Riolo. «Unser Ziel ist es, im Sommer genügend Wärme speichern zu können, um damit im Winter die Rampe eisfrei zu halten.» Die Wärme erzeuge man ausschliesslich für den Eigenbedarf und müsse keine Dritten beliefern. Deshalb der Verzicht auf Messtechnik. Gemäss eigenen Leistungsberechnung sollten die gebohrten Erdsonden für den eigenen Bedarf ausreichen.

Während der aktuelle Winter für die Anlage noch keine feuchte Frostnacht als Bewährungsprobe bereithielt, hat sie diese vor einem Jahr schon bestanden: «Letzten Winter hatten wir einige Frosttage mit Schnee und Eis», erinnert sich Hanspeter Acklin, «doch wir konnten die Rampe bis auf einen einzigen Tag eisfrei halten.»

Thermoaktive Bauteilsysteme

Bei der Bauteilaktivierung kommen meist thermoaktive Bauteilsysteme zum Einsatz, kurz Tabs. Dabei handelt es sich um Systemlösungen für das Beheizen und Kühlen von Gebäuden. Hierfür wird die Gebäudemasse, in erster Linie der Beton, als Energiespeicher und als Strahlungsfläche genutzt. Betrieben werden die Systeme meist mit geothermischen Enerqiequellen, da sie mit tiefen Betriebstemperaturen arbeiten. Ein Umstand, der sich auch positiv auf die Leistung (COP) der verwendeten Wärmepumpe auswirkt.

Der Energieaustausch erfolgt bei Tabs meistens über zwei Flächen, die hierfür thermisch aktiviert werden, oft der Boden und die Decke. Häufig sind die Leitungen für die Tabs ins Bauteil integriert oder werden mit der Bewehrung angebracht und in Beton gegossen. Es existieren aber auch aufgesetzte Systeme oder solche mit abgehängten Heiz-/Kühldecken, die sich für Sanierungen eignen. Auch Lösungen mit unter Decken eingeputzte Kapillarrohrmatten sind realisierbar.

Bei Neubauten werden Kunststoffrohre zusammen mit der Bewehrung montiert und ins Bauteil einbetoniert. Die Rohre liegen in einem Abstand von zehn bis 30 Zentimetern meist innerhalb der statisch neutralen Zone und werden mäander- oder spiralförmig verlegt. Durch sie fliesst das Heiz- oder Kühlmedium, denn bei der Betonkernaktivierung erfolgt der Transport der Wärme über Flüssigkeiten. Je nach Temperatur nimmt die Flüssigkeit Wärme aus dem Bauteil auf – es wird gekühlt – oder gibt Wärme an das Bauteil ab – es wird geheizt.

Für den späteren Betrieb der Betonkernaktivierung werden im Gebäude Zonen mit unterschiedlichen Anforderungen und Bedingungen unterschieden, die nach Bedarf mit unterschiedlichen Vorlauftemperaturen angesteuert werden. Die Auslegung des System erfolgt idealerweise mit einer thermischen Gebäude- und Anlagensimulation.

Der Vorteil der Bauteilaktivierung liegt in den wesentlich grösseren Übertragungsflächen, die im Vergleich zu konventionellen Heizungslösungen zur Verfügung stehen. Schon bei geringen Temperaturunterschieden geben solche integrierten Systeme eine nennenswerte Leistung an die Umgebung ab. Somit eignen sie sich ideal, um mit regenerativer Wärme und Kälte und damit umweltschonend betrieben zu werden.

Diese Methode, Räume zu heizen und zu kühlen, bedeutet eine weitgehend verlustfreie Energieübertragung mit maximalen Austauschraten. Sie ist entsprechend umweltfreundlich und mittlerweile häufiger Bestandteil der modernen Architektur, vor allem bei Büro- und Verwaltungsgebäuden. Nur im Wohnungsbau kommen die Tabs erst allmählich zum Einsatz. Experten schätzen aber, dass die sich die Bauteilaktivierung zur Temperierung in Neubauten, die der Energieeffizienzverordnung (EnEV) entsprechen müssen, langfristig durchsetzen werden.(bk)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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