09:10 BAUPRAXIS

Strassenbau-Tagung: Mit optimierten Belägen gegen Strassenlärm

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: FachWissenBau GmbH

Dauerhaft Lärm ausgesetzt sein, erhöht die Risiken für die Gesundheit. Beim Strassenverkehr soll die Lärmreduktion daher vermehrt an der Quelle erfolgen. Die Erfahrungen mit lärmarmen Belägen sind dabei bisher durchwegs positiv. Doch viele Faktoren haben einen Einfluss auf die akustische Wirksamkeit dauerhafter Deckschichten.

Bei Deckschichten ist Präzisionsarbeit gefragt.

Quelle: FachWissenBau GmbH

Der Einbau des Belags erfolgt oft in der Nacht, was eine straffe Organisation erfordert.

In der Schweiz ist jede siebte Person Lärm ausgesetzt. Unerwünschter Schall, wie Forscher den Lärm nennen, kann laut Studien schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben. Jedes Jahr verursacht Lärm 500 vorzeitige Todesfälle. Denn ist der Körper dauerhaft mit Lärm konfrontiert, gerät er in Alarmbereitschaft und schüttet in der Folge Stresshormone aus, was laut Studien zu Herz- und Kreislaufproblemen führt, im schlimmsten Fall zum Herzinfarkt. Auch Diabetes wird mit Lärm in Zusammenhang gebracht.

Zudem verursacht der Lärm aller Verkehrsträger externe Kosten von 2,7 Milliarden Franken. Rund die Hälfte entfällt auf Gesundheitseffekte, die andere Hälfte auf die Reduktion von Mieterträgen oder Werteinbussen bei Verkäufen von lärmbelasteten Liegenschaften.

Gemäss Statistiken der 2018 publizierten Lärmdatenbank ist der Strassenverkehr die schlimmste Lärmquelle. Massnahmen gegen Strassenlärm widmete sich dieses Jahr daher die Strassenbautagung in Olten. Im Zentrum standen die Wirkung lärmarmer Beläge und neue Entwicklungen in der Reifentechnik. Gemessen an kleinen Zahlen haben die Effekte zur Lärmreduktion grosse Wirkungen. Eine Lärmreduktion um drei Dezibel auf der logarithmischen Skala entspricht einer Halbierung des Verkehrs.

Lärm an der Quelle reduzieren

Der Auftrag zur Lärmbekämpfung ist in der Bundesverfassung formuliert, wonach die «Bevölkerung vor lästigen oder schädlichen Einflüssen zu schützen» ist. Das Vorsorgeprinzip postuliert einen präventiven Schutz. Die störende Wirkung von Lärm oder anderen Immissionen muss nach dem Verursacherprinzip abgegolten werden. Beiden Prinzipien folgen die Lärmschutzprogramme des Bundes. Die Strategie des Bundes ist im «Nationalen Massnahmenplan zur Verringerung der Lärmbelastung» festgehalten. 

Letztlich umsetzen müssen den Lärmschutz Kantone und Gemeinden. Tatsächlich sind seit 2008 die Investitionen des Bundes in Lärmschutzmassnahmen deutlich gestiegen. Der Bund kann mit den Kantonen Vereinbarungen treffen, neue Programme beschliessen, Ziele vereinbaren und Beiträge sprechen. Vorher war das nicht möglich. «Das hat viel bewirkt», sagt Urs Walker, oberster Lärmbekämpfer der Schweiz beim Bundesamt für Umwelt Bafu. Bisher konnten in den Kantonen rund 160‘000 Personen bereits von den Schutzmassnahmen profitieren. Das Bundesamt für Strassen Astra konnte mittels Lärmschutzwänden entlang von Autobahnen 110‘000 Personen vom Strassenlärm entlasten.

Intensiviert wurde seither auch die Forschung zur Optimierung lärmarmer Beläge. Unter leisen Strassenbelägen fallen Belagssorten, die in der Regel einen Anfangslärmpegel aufweisen, der rund drei Dezibel tiefer liegt als herkömmlicheDeckschichten.

Neben dem Erhalt von Erholungsgebieten soll laut dem Massnahmenplan der Lärm in Siedlungsgebieten vor allem an der Quelle reduziert werden. Es ist die effektivste und zumeist auch die effizienteste Methode, welcher der Bund laut Walker künftig mehr Priorität beimessen will. Das bedeutet, neben Lärmwänden und –fenster mehr lärmarme Beläge verbauen. Bei der Siedlungsentwicklung und den Innenverdichtungsräumen sei es wichtig, bessere akustische Voraussetzungen zu schaffen, um die Wohnqualität sicherzustellen. Denn es seien auch gesellschaftliche Aspekte zur berücksichtigen, da Personen, die stark von Strassenlärm betroffen sind, oft nicht ohne weiteres den Wohnort wechseln können. Dem Gesundheitsschutz ist laut Walker auch bei der Innenverdichtung vermehrt Rechnung zu tragen.

Wo der Schall hin soll

«Es braucht nicht sehr viel Schallabsorption, um wirksam zu sein», sagt Erik Bühlmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Grolimund und Partner. Der Grund für die gute Wirksamkeit liegt physikalisch gesehen im Horneffekt. Wie in einem Trichter breitet sich dabei der Schall über Mehrfachreflexionen aus, wenn er auf den Strassenbelag trifft. Hörbar wird der Strassenlärm als Fibrationsschall, unterschieden in Radial- und Tangenzialfibrationen. Hinzu kommt eine weitere Lärmquelle. 

Rund die Hälfte der Schallenergie ist auf den Luft-Strömungsschall zurückzuführen. Denn beim Abrollen saugt der Reifen Luft an und verdrängt diese gleichzeitig. Schall entsteht dann, wenn die Luft nicht der Geschwindigkeit entsprechend schnell genug entweichen kann. Daher gilt: Je mehr Luft entweichen kann, desto weniger Schall entsteht. Doch wohin soll die Luft entweichen? In die Hohlräume der Beläge. Das Prinzip ist ähnlich wie bei Räumen, wo Absorptionsmatten mit Lufteinschlüssen als Absorber der Schallwellen dienen. Der Hohlraumanteil ist denn auch ein wichtiges Mass für die Güte von lärmarmen Belägen. Die Herausforderung bei Strassenbelägen ist es, optimale Schallabsorptionseigenschaften zu erreichen.

Diese Daten für die Optimierung lärmarmer Beläge liefern akustische Messungen von Abrollgeräuschen normierter Reifen, die bei konstanter Geschwindigkeit von Geräten aufgezeichnet werden. Hinzu kommen Bohrkernanalysen von Belägen mittels Computertomographen. Die Daten integrieren die Analysten von Grolimund und Partner dann in ein Reifen-Fahrbahn-Interaktionsmodell, das es erlaubt, Aussagen über Unterhaltsmassnahmen zu machen oder unter Erwägungen von Kosten und Nutzen das Wiederherstellungspotenzial von lärmarmen Belägen abzuschätzen. Und es ist das Optimum zwischen einer hohen Lärmreduktion und einer möglichst langen Nutzungsdauer zu finden.

Zielkonflikt Sicherheit und Lärm

Die schalabsorbierende Wirkung können die Hohlräume allerdings nur entfalten, wenn sie horizontal und vertikal verbunden sind, gleichsam einen winzigen, aber zusammenhängenden Schallraum bilden. Je grösser die Hohlraumstruktur, desto höher die akustische Leistung. Die Zielwerte für den Hohlraumgehalt sind deshalb in einer Norm definiert, die im Rahmen des nationalen Forschungspakets zu lärmarmen Belägen entstanden ist. Je nach Art des Belags kann der Hohlraumgehalt zwischen 8 und 18 Prozent variieren. Um den Luft-Strömungsschall zu minimieren, müssen die Beläge eine gewisse Rauheit aufweisen, was scheinbar im Widerspruch zur feinen Oberflächentextur steht.

Lärmquelle Strukturmarkierung

Quelle: Stefan Schmid

Strukturmarkierungen dienen der Sicherheit, doch können es auch Lärmquellen sein.

Aufgrund der Sieblinien weisen lärmarme Belägen bei der akustischen Wirkung noch eine zu grosse Variation auf (bis zu drei Dezibel). Ziel der Forschung ist es daher, die Sieblinienkurve einzugrenzen und damit die Streuung bei der akustischen Wirksamkeit zu vermindern. Dazu muss die Mischung der Zuschlagsstoffe auf Basis der Siebkurve optimiert werden. «Wir suchen nach einem Belag, der im Vergleich zu einem konventionellen Belag über die gesamte Lebensdauer den Lärm zwischen einem und drei Dezibel reduziert», sagt Bühlmann zur Bedeutung der Texturoptimierung.

Oft bestehen aber in der Fahrspur lokal Lärmquellen wie Schachtabdeckungen, welche die Wirkung lärmarmer Beläge unterminieren können. Auch Strukturmarkierungen zur Kennzeichnung der Kernfahrbahn dienen zwar der Verkehrssicherheit, treiben aber den Lärmpegel um ein Dezibel nach oben, wenn Reifen darüber rollen.

Mehr Lärm wegen Verschmutzung

Lärmarme Beläge haben nach dem Einbau in der Regel eine gute akustische Wirkung. Doch mechanische Belastungen des Belags und Verschmutzung der Poren können diese rasch beeinträchtigen, da der Schall nicht durch die Hohlräume absorbiert werden kann. Damit die Poren nicht verstopfen, braucht es ein Zusammenspiel von Sand und Füllergehalt, bei dem zwischen akustischer Wirkung und Langlebigkeit ein Gleichgewicht gefunden werden muss. Der Kanton Freiburg reinigt die schalloptimierten Strassenabschnitte zwei oder drei Mal pro Jahr, und zwar bereits von Anfang an. Der Kanton hat auch gute Erfahrungen gemacht mit der Kombination von lärmarmen Belägen und Geschwindigkeitsreduktionen.

Im Kanton Aargau wurden 2017 Beläge, die zwischen 2012 bis 2016 eingebaut wurden, mittels computertomographischer Verfahren untersucht. Bei den analysierten Belägen mit einer guten Hohlraumstruktur zeigte sich, dass für die Absorption des Lärms lediglich die obersten zehn bis 20 Millimeter des Belags entscheidend waren. Bei der Anwendung von drei Reinigungsverfahren ergab sich aber nicht in jedem Fall eine akustische Verbesserung.

Schachtabdeckungen müssen genau eingepasst sein.

Quelle: Stefan Schmid

Auch Schachtabdeckungen können die Wirkung von lärmarmen Belägen beeinträchtigen.

Wenn die Verschmutzung allzu tief in die Hohlräume eingedrungen ist, kommt der Strassenunterhalt oft nicht umhin, die lärmarme Deckschicht mittels Mikrofräsen zu entfernen, wobei die akustische Wirkung in einem Fall um 2,5 Dezibel verbessert werden konnte. Das kann auch wirtschaftlich interessant sein, weil das Fräsen mit anschliessendem Einbau einer Deckschicht deutlich günstiger ist als ein neuer Belag. Es kann auch Sinn machen, alte Beläge frühzeitig mit einem lärmarmen Belag zu ersetzen, da auf diese Weise auf Investitionen für Lärmwände verzichten werden kann, wie eine Kantonsvertreter ausführte.

Bauunternehmen in der Pflicht

Idealweise werden lärmmindernde Deckschichten auf Etappenlängen von 200 Metern eingebaut. Wegen des Verkehrsaufkommens am Tag werden Belagsarbeiten oft in der Nacht ausgeführt, was technisch und organisatorisch spezielle Herausforderungen an eine detaillierte Organisation samt Pikettdienste stellt. Im Vorfeld sind sämtliche Abklärungen und Eventualitäten zu berücksichtigen, damit bei der Ausführung in der Nacht das Qualitätsniveau erreicht werden kann. 

Dazu gehören die Berücksichtigung des Wetters bei der Verdichtung und der Einbezug von Subunternehmen für Fräs- und Reinigungsarbeiten, denn die Zeitfenster für den Einbau sind knapp bemessen. Zudem muss auf unvorhergesehene Ereignisse wie Maschinenausfällen und Defekte schnell reagiert werden. «Jeder Auftrag ist ein Prototyp», sagt Jürg Siegenthaler, zuständig für den Bereich Strassenbau bei der Walo Bertschinger AG. Die Belagsaufbereitungsanlage muss für die konforme Verdichtung den Asphalt in einer möglichst hohen Temperatur bereitstellen. Die Verdichtung erfolgt mittels Grossfertigern, wobei das Walzenspiel optimal zu konzipieren ist.

Je nach Objekt machen Bauherren laut Siegenthaler oft weiterreichende Vorgaben beim Anfangslärmreduktionswert. Ob dieser erreicht werden könne, sei abhängig von der Rezeptur des Asphalts, den das Belagswerk liefert. Auch haben Bauunternehmen keinen Einfluss darauf, ob ein bestimmter Lärmreduktionswert nach fünf Jahren erreicht werden kann, da viele Faktoren massgebend seien. Daher gelte es, nach Möglichkeit konforme Normvorgaben und Garantieleistungen einzufordern.

Kürzere Nutzungsdauer

Die Gebrauchsdauer ist bei lärmarmen Belägen kürzer als bei herkömmlichen Deckschichten, wobei viele bautechnische Einflussgrössen den Alterungsverhalten bestimmen. Die Rezeptur, der Einbau, aber auch die Qualität des Strassenoberbaus, das Klima oder die Höhenlage spielen eine Rolle. Hinzu kommen nutzungsbezogene Aspekte wie die Verkehrsintensität, der Unterhalt und der Schmutzeintrag. Auch Schneeketten an Lastwagen und Bussen Beläge schädigen.

Reifen

Quelle: Stefan Schmid

Reifenhersteller forschen intensiv, doch der Lärm dürfte nur wenig reduziert werden können.

Messungen an Belägen zeigen, dass sich die akustische Wirkung von fünf Dezibel direkt nach dem Einbau nach zwei oder drei Jahren stabilisiert. Bei lärmarmen Belägen wird erwartet, dass sie nach zehn Jahren noch eine Lärmreduktion von drei Dezibel erreichen. Allerdings fehlen dazu Langzeiterfahrungen.

«Die meisten Beläge haben sich gut bewährt und erreichen die Werte», sagt Hanspeter Gloor, Leiter der Fachstelle Strassenlärm und Sanierung im Kanton Aargau. Nach einer Testphase baut der Kanton auf Basis von Klassierungen der Strassen mit hoher Lärmbelastung seit 2015 auf sämtlichen Innerortstrecken lärmarme Beläge ein.

Kleine Schritte bei Reifen

Der gesamtheitliche Ansatz zur Reduktion des Verkehrslärms bezieht neben den Strassen auch die Reifen in die Betrachtung ein. Die Akustik ist nur ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Reifen müssen verschiedene Funktionen erfüllen. Der Nassgriff muss die Sicherheit gewährleisten, der Rollwiderstand den Spritverbrauch minimieren. Das kann zu Zielkonflikten führen. Für Reifen und Fahrzeuge hat die EU entsprechende Richtlinien erlassen. Reifenhersteller müssen daher in Testreihen die sogenannten Strassen- und Profilanregungen messen und das Potenzial von Fahrbahn und Reifen für die Lärmreduktion belegen.

Auch der Reifenproduzent Continental hat auf ISO-zertifizierten Teststrecken die Reifenfahrbahngeräusche untersucht. Viele Faktoren in Abhängigkeit vom Profil und Geschwindigkeit beeinflussen die Reifenfahrbahngeräusche, sagt Makram Zebian vom Reifenhersteller Continental und zieht daraus folgenden Schluss:«Eine allgemein gültige Lösung gibt es nicht.» Das betrifft sowohl den Belag als auch die Reifen. Daher leisten leise Reifen in der Gesamtbilanz der Lärmreduktion einen kleinen Beitrag. «Wir kämpfen um Zehntel Dezibel», sagt Zebian.

«Lösungen hätten wir»

Die Behördenvertreter waren sich bei der Strassenbautagung einig darüber, dass die Wirkung von Schallschutzwänden oder –fenstern beschränkt ist. Bei Schallschutzfenster sei der Lärm nach wie vor vorhanden, sodass Fenster nicht geöffnet werden könnten. Die Ausrichtung der Lärmschutzmassnahmen hat für Peter Mohler, ehemaliger Leiter Lärmschutz von Basel-Stadt und der Vertreter der Lärmliga einen Grund: «Man hat lange Zeit den Strassenlärm lediglich als Belästigung gesehen.»

Nun sei es wichtig, dass die Bevölkerung die Behörden ihre Aufgaben machen lasse. Und für Mohler ist mit Blick auf den aktuellen Stand der Technik klar: «Wir hätten die Lösungen.» Der Kanton Aargau will in den nächsten Jahren den Einbau lärmarmer Beläge weiter intensivieren. «Die Zahl der Personen, die vor Lärm geschützt sind, können wir in den nächsten Jahren massiv erhöhen», gibt sich der Aargauer Kantonsingenieur Rolf H. Meier optimistisch.

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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