11:59 BAUPRAXIS

Pilotprojekt E-Baustelle in Zürich: Summen statt Brummen

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Die Anforderungen an Baustellen im Bereich Umweltschutz werden immer strenger und die Vermeidung von Lärm und Abgasen folglich immer wichtiger – gerade im urbanen Umfeld. Leise und sauber geht die Umnutzung einer Turnhalle in Zürich vor sich: Auf der Baustelle beim Schulhaus Riedenhalden sind ausschliesslich elektrisch betriebene Maschinen und Geräte im Einsatz.

E-Baustelle SH Riedenhalden - E-Baumaschinen im Einsatz

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Ladestation statt Baustellentank: Bei der Sanierung einer Turnhalle in Zürich kommen ausschliesslich elektrisch betriebene Baumaschinen und Geräte zum Einsatz.

Die Baubranche kommt nicht am Thema Elektrifizierung vorbei: Strom ist der Schlüssel, um zwei grosse Probleme von Baustellen zu lösen: Motorenlärm und Abgase. Lärm ist vor allem im urbanen Umfeld ein grosses Konfliktfeld; Abgase wiederum müssen reduziert werden, um die lokal und national gesetzten Klimaziele zu erreichen. In Zahlen: Dem Gebäudesektor wird ein Anteil von einem Viertel aller Treibhausgas-Emissionen zugerechnet. Baumaschinen und Transportfahrzeuge wiederum tragen zwei Prozent zu diesen Emissionen bei.

Deshalb lohnt es sich, bei der Elektrifizierung von Baustellen vorwärtszumachen. Die Stadt Zürich, die ihre Gebäude bis 2035 klimaneutral erstellen und betreiben will, lässt in einer Studie das Einsparpotenzial von Treibhausgasemissionen berechnen. «Wir rechnen mit fünf bis zehn Prozent», sagt Theres Fankhauser von der Fachstelle für umweltgerechtes Bauen, Amt für Hochbauten (AHB), Stadt Zürich. Mit eingerechnet ist hier nachhaltig produzierter Strom, wie ihn die städtischen Elektrizitätswerke liefern können.

E-Baustelle SH Riedenhalden - Topview

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Auch die Anlieferung und der Abtransport von Baumaterial erfolgt komplett über elektrisch betriebene Lastwagen.

Pilotprojekt E-Baustelle

Das AHB hat deshalb das Pilotprojekt einer E-Baustelle gestartet, um die Möglichkeiten der Elektrifizierung am konkreten Fall zu testen. Als Bauvorhaben wurde der Umbau der alten Turnhalle der Schulanlage Riedenhalden gewählt: Die 1900 erbaute Halle wird für die Anforderungen der zukünftigen Tagesschule  zum Betreuungsgebäude umgebaut, wofür ein Kredit von knapp 7,7 Millionen Franken (Erstellungskosten rund 6,2 Millionen Franken, zuzüglich Reserven von rund 1,5 Millionen Franken) gesprochen wurde. «Wir sammeln hier Erfahrungen, die wir auf grösseren Baustellen adaptieren können,» so Fankhauser. Immerhin sei die Stadt Zürich eine der grössten Bauträger des Landes.

Ziel ist, dass rund um die Turnhalle also ausschliesslich elektrisch betriebene Motoren laufen: Das beginnt beim Kastenwagen, der das Personal auf die Baustelle bringt, über E-Lastwagen und einen grossen E-Bagger bis zum Dumper und Minibagger. Sogar die Vibroplatte läuft mit Strom. «Es ist schon ein Segen, wenn es nicht stinkt und lärmt», sagt Wiebke Rösler Häfliger, Direktorin, AHB. Tatsächlich stören die Bauarbeiten den Unterricht in der angrenzenden Schule kaum, nicht einmal bei offenen Fenstern. Das kleine, überschaubare Projekt in Zürich-Affoltern erlaubt es den Verantwortlichen, Themen wie die Verfügbarkeit leistungsstarker Akkus, die Schaffung der nötigen Ladeinfrastruktur oder die hohen Investitionen für elektrischen Baumaschinen anzugehen. 

E-Baustelle SH Riedenhalden - E-Lastwagen und E-Bagger im Einsatz

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Der Raupenbagger nimmt Baumaterial vom E-Muldenkipper entgegen: In einigen Bereich erwies sich die Beschaffung der elektrisch betriebenen Baumaschinen als aufwendig.

Engagierter Baumeister

Die Stadt Zürich als Bauherrin hat in unterschiedlichen Submissionsverfahren das Vergabe-Kriterium der Nachhaltigkeit getestet: «Wir haben uns bei der Vergabe der Baugewerke etwas ausgedacht und Zuschlagskriterien entwickelt, die neben dem Preis und der Qualität auch den Einsatz von E-Fahrzeugen bewerten», erklärt Carl Paatz, Projektleiter, AHB. «So haben wir die richtigen Partner für das Pilotprojekt  wie zum Beispiel den engagierten Baumeister - gefunden.»

Unterstützung erhält die Stadt Zürich durch die Firma ecoforce. «Unser Job ist es, einfach gesagt, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen und fehlendes Wissen einfliessen zu lassen, wo dies nötig ist. Ein Beispiel ist die Planung der Ladeinfrastruktur auf der Baustelle in Zusammenarbeit mit Baufirma und dem örtlichen Netzbetreiber.», sagt Marco Meier, beim Unternehmen als Spezialist für Energieeffizienz, alternative Antriebe und Energiespeicherung tätig. Eines der Hauptprobleme des ambitiösen Projekts war die Verfügbarkeit der Geräte. «Kleine E-Bagger sind bereits ein gewohntes Bild. Auch kleine Dumper und Radlader sind erhältlich; Maschinen mittlerer Grösse bereits nur eingeschränkt. Der hier aktive 23-Tonnen-Bagger ist in dieser Ausführung gar zum ersten Mal in der Schweiz im Einsatz. » Auch die kleineren Baumaschinen sind laut Meier aber oft nicht so rasch verfügbar. Hier gelte es, im Vorfeld Fäden zu Herstellern und Vertriebskanälen zu spinnen. «Auch zu den Bauherren – hier die Stadt Zürich.»

E-Baustelle SH Riedenhalden - E-Bagger im Einsatz

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Ladestation statt Baustellentank: Aktuell reichen die Akkulaufzeiten noch nicht für einen ganzen Arbeitstag, was Umstellungen bei den Abläufen nötig macht.

Faktor 1.3 bis 2.5 teurer

Eine generelle Hürde bei der Elektrifizierung ist das Henne-Ei-Problem: «Aktuell sind die Maschinen noch teuer, weshalb die Nachfrage noch nicht so stark ist. Deshalb investiert noch kaum jemand in diese Maschinen. Hinzu kommen die Submissionen, die einen fairen Wettbewerb erfordern.» Der Anschaffungspreis ist noch immer höher als bei einer Dieselmaschine. Gemäss Meier sind elektrische Baumaschinen je nach Grösse und Komplexität um den Faktor 1.3 bis 2.5 teurer. «Innovative und finanzkräftige Unternehmer und Bauherren sind wichtige Akteure, um einen Markt entstehen zu lassen.» 

Neben Zürich haben auch Basel und Luzern Pilotprojekte mit E-Baustellen gestartet. Wissenschaftlich begleitet werden diese Vorhaben von einem Forschungsprojekt der Hochschule Luzern (HSLU): Darin werden Daten gesammelt, veränderte Arbeitsabläufe untersucht und mit konventionellen Referenzbaustellen verglichen, . Zentrales Element des Projekts ist eine Online-Plattform, um die verschiedenen Interessengruppen der Branche zusammenzuführen. «Dort sollen Baufirmen auch E-Maschinen und E-Fahrzeuge ausleihen können. So erhalten auch die mehrheitlich kleineren und mittleren Baufirmen Zugang zu grossen E-Fahrzeugen», sagt Karina von dem Berge, Projektleiterin, HSLU.

E-Baustelle SH Riedenhalden - Anlieferung Baumaterial mit E-Lastwagen

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Summende Baustelle ohne Abgase: Der Schulbetrieb im benachbarten Gebäude kann während der Bauarbeiten meist ungestört weitergehen.

3-5 Stunden Baggerlaufzeit

Die Baumeisterarbeiten an der historischen Turnhalle führt die Amrein Bau AG aus und hat dabei die Aufgabe, die anfallenden Arbeiten entsprechend der Ladekapazität der Akkus zu takten. Der Bagger hat eine Batteriekapazität von 264 Kilowattstunden, was für einen Einsatz von drei bis fünf Stunden reicht, bis er an die Steckdose muss. «Es gibt auch die Möglichkeit, Maschinen über Mittag zu laden und am Nachmittag wieder zu arbeiten», ergänzt Marco Meier. «Das bedingt unter Umständen aber eine Änderung in Standardprozessen, weshalb die Elektrifizierung hier einen flexiblen Unternehmer benötigt.»

Zwar gibt es auch für Baumaschinen Schnelllade-Systeme, doch diese belasten auf Dauer die Lithium-Ionen-Akkus, weshalb sie nur punktuell eingesetzt werden. «Aufgeladen wird, wenn immer möglich im Normalmodus und über Nacht,» so Bene Sutter, Geschäftsführer der Amrein Bau AG. Er hofft hier auf eine neue Generation von E-Baggern, deren Einsatzzeit doppelt so lang sein soll, was für einen ganzen Arbeitstag ausreichen würde (siehe «Nachgefragt» unten). Die Chancen stehen gemäss Marco Meier gut, dass diese Generation noch in diesem Jahr eingeführt wird. 

E-Baustelle-SH-Riedhalden - Kleiner E-Bagger im Einsatz

Quelle: Bilder: Stadt Zürich / Fotografin: Juliet Haller

Bei Einsätzen im Gebäudeinnern sind die abgasfreien Baumaschinen heute alternativlos.

Lücken im Tiefbau

Einen zusätzlichen Aufwand bedeutet aktuell auch noch die Beschaffung der elektrisch betriebenen Baumaschinen. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung habe erst Volvo einen Bagger in der benötigten Grösse zur Verfügung stellen können. Marco Meier von ecoforce ergänzt, dass andere E-Geräte oft nur tage- oder sogar nur stundenweise gemietet werden können. «Dazu bestehen empfindliche Lücken von elektrisch betriebenen Baumaschinen, die es einfach noch nicht gibt. Vor allem im Tiefbau.»

In Zusammenarbeit mit der Robert Aebi AG als Lieferanten konnte indes der 23-Tonnen-Bagger, Modell EC-230, für die Baustelle in Zürich-Affoltern gemietet werden. Der E-Bagger ist in der Bedienung mit der Dieselmaschine identisch, sagt Bene Sutter. «Das macht den Wechsel natürlich einfacher. Trotzdem gibt es nach wie vor Chauffeure und Werkstattchefs, die Diesel im Blut haben.» Nötig sind der Wille zur Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und eine Portion Mut. Der Wandel braucht auch hier seine Zeit.


Nachgefragt... Bei Bene Sutter

Bene Sutter, Amrein AG

Quelle: Amrein Bau AG

Bene Sutter, Amrein Bau AG, ist Bauleiter beim Projekt Riedenhalden Zürich.

Baublatt: Was war für Sie der wichtigste Grund, um sich für die E-Baustelle zu bewerben?

Bene Sutter: Die Baumeisterarbeiten waren öffentlich ausgeschrieben, und die Bedingungen haben mich interessiert. Von selbst kommt ein Baumeister heute noch nicht auf die Idee, einen grossen E-Bagger einzusetzen, sofern es nicht verlangt wird. Elektrisch betriebene Baumaschinen kommen vor allem in Innenräumen zum Einsatz, da sie keine Abgase verursachen.

Was genau haben Sie der Stadt Zürich schliesslich offeriert?

Ich hatte anfangs den grossen, 23 Tonnen schweren Bagger als thermisch betrieben offeriert, denn so grosse Baumaschinen sind in der Schweiz noch nicht mit elektrischem Antrieb verfügbar. Generell sind Maschinen über 10 Tonnen bei uns erst in geringen Stückzahlen und zu Testzwecken verfügbar. Alle anderen Maschinen und Geräte habe ich in der Offerte elektrisch angetrieben offeriert

Wie kam dann doch zum Einsatz des grossen E-Baggers?

Eine 23-Tonnen-Bagger konnte schliesslich aus Deutschland angemietet werden. Die Zusatzkosten für diese Lösungen haben sich die Stadt Zürich als Bauherrin, die Robert Aebi AG als Volvo-Lieferant und wir von der Amrein Bau AG aufgeteilt, da dies für uns alle ein Leuchtturmprojekt ist.

Wie verhält es sich mit der Akkuleistung der eingesetzten Maschinen?

Bei den Geräten, die wir auf der Baustelle haben, genügt die Akkulaufzeit noch nicht für einen Arbeitstag. Wir liegen bei etwa 4 Stunden Batterielaufzeit, die auch 4 Stunden effektiv betriebene Maschinenlaufzeit bedeuten: Sobald eine elektrisch betriebene Maschine stillsteht, braucht sie keine Energie – anders als der Leerlauf bei Dieselaggregaten.

Wie ändert sich der Ablauf Ihrer Baumeisterarbeiten durch die E-Geräte und allenfalls erzwungene Pausen?

Man muss etwas aufpassen, damit die Arbeit unterbruchsfrei läuft, denn die Kapazitäten der Akkus sind wie gesagt noch nicht ausreichend. Wir brauchen Geräte und Maschinen, die einen ganzen Arbeitstag mit einer Batterieladung durchhalten, allenfalls durch eine Schnellladung über Mittag ergänzt. Aber da sind wir fast noch etwas zu früh: Die nächste Generation E-Geräte und-Maschinen, die an der bauma in München vorgestellt wurde, weist schon eine bis zu doppelte Akkukapazität auf. 

Was ändert sich für die Mitarbeitenden auf einer rein elektrischen Baustelle?

Im Grund ist es für unser Personal eine normale Baustelle, für die es keine riesige Umstellung braucht. Das Handling der Maschinen ist identisch. Für den Polier kann die Arbeitseinteilung am Anfang anspruchsvoll sein, mit Blick auf die begrenzten Laufzeiten gewisser Maschinen. Aber mit den ständig besseren Akkus fällt dieser Nachteil bald weg.

Worin sehen Sie den Vorteil einer elektrifizierten Baustelle?

Für mich steht das Thema Lärm zuoberst: Zwar verursacht ein E-Bagger bei der Arbeit dieselben Lärmspitzen wie ein thermisch betriebener. Aber sobald er stillsteht, ist Ruhe. Das Motorenbrummen, in einer unangenehm tiefen Frequenz, fällt komplett weg. Stillstand heisst Ruhe. Das ist im innerstädtischen Bereich, wie hier gleich neben einer Schule, ein grosses Plus. Dasselbe gilt für Nachtbaustelle.

Welche Rolle spielte EcoForce bei der Planung und Ausführung?

Das Unternehmen war für alle Beteiligten ein zentraler Ansprechpartner, weil es viel Know-how in Sachen Elektrifizierung mitbringt und tief in der Materie drin ist. So hat uns Marco Meier bei der Auswahl und Beschaffung des grossen E-Baggers unterstützt oder bei der Planung der Strominstallation auf der Baustelle. Da dies für uns das erste Mal war, hätten wir ohne seine Beratung wohl viel mehr Zeit aufgewendet.

Welchen Entwicklungsschritt neben leistungsstärkeren Batterien wünschen Sie sich noch?

Kurz gesagt den Wegfall der Hydraulik: Wir haben beim E-Bagger einen sehr viel geringeren Motoren-Unterhalt als bei der Hydraulik, was zu einem Missverhältnis führt. Ideal wäre also ein Bagger, der seinen Ausleger über kleine E-Motoren bewegt, die ihrerseits einen geringeren Unterhalt benötigen. Das aber ist noch Zukunftsmusik. (bk)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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