ETH-Gutachten rät zu Fokus auf wichtige Verkehrsprojekte
Der Bund muss bei Ausbauprojekten für Bahn und Nationalstrassen Prioritäten setzen. Ein Gutachten der ETH rät dazu, den Schwerpunkt bei grossen Schlüsselprojekten zu setzen, da kleinteilige Verbesserungen keinen wesentlichen strukturellen Mehrwert bieten.

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Die Ausbauschritte für die Nationalstrasse, die Eisenbahninfrastruktur und den Agglomerationsverkehr sollen in einer Vernehmlassungsvorlage gebündelt werden, um die gesamtheitliche und verkehrsträgerübergreifende Planung zu verdeutlichen.
Das Gutachten wurde heute in Bern vorgestellt. Ergänzt werden sollen die grossen Projekte demnach mit gezielten Ausbauten an kapazitätskritischen Stellen im Verkehrsnetz. Hohe Priorität sollten Projekte mit mehreren Kernnutzen und viel Ausstrahlung erhalten, sagte Studien-Hauptautor Ulrich Weidmann vor den Medien.
Dagegen würden laut dem Gutachten mit kleinteiligen Ausbauten grundlegende Mängel und Kapazitätsengpässe noch über Jahrzehnte bestehen bleiben. Gegenstand des Berichts waren unter anderem Projekte im Rahmen des Strategischen Entwicklungsprogramms (STEP) für Ausbau von Strasse und Schiene wie die im November 2024 abgelehnten Autobahn-Ausbauten.
Finanzieller Rahmen gesetzt
Den finanziellen Rahmen für die Priorisierung setzte das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Für Nationalstrassenprojekte stehen demnach von 2025 bis 2045 konkret neun Milliarden Franken zu Verfügung und für den Agglomerationsverkehr 7,5 Milliarden Franken. Beim Bahnverkehr liess der Bundesrat zwei Varianten studieren: eine auf der Grundlage der beschlossenen 14 Milliarden Franken und eine zweite auf Basis von 24 Milliarden Franken. Entsprechend müsste der Bahninfrastrukturfonds aber zusätzliche Mittel erhalten. In der Studie zeigte sich, dass beim Nationalstrassen- und beim Schienennetz weit mehr Projekte in der Pipeline stecken als Mittel verfügbar sind. Beim Agglomerationsverkehr liegen Pläne und Mittel näher beieinander.
Im Nationalstrassennetz setzte die Expertengruppe Projekte für Lückenschliessungen sowie Redundanzen zuoberst auf die Prioritätenliste. Erst danach folgen Kapazitätsausbauten, und als noch weniger prioritär werden Ortsentlastungen eingestuft. Auch wenn zahlreiche Projekte zurückgestellt, redimensioniert oder fallengelassen werden sollten, kommen die Experten zu folgender Einschätzung: Mit den vorhandenen Mitteln kann in den kommenden zwanzig Jahren ein Ausbauschritt getan werden.
Bahnhof-Ausbauten weniger zentral
Im Bahnnetz wiederum raten die Fachleute dazu, Grossprojekten höchste Priorität zu geben. Etwas weniger hoch gewichten sie Ausbauten für den Personen- und den Güterverkehr. Noch weiter unten stehen Fahrplanverdichtungen, Bahnhof-Ausbauten und neue Haltestellen. Auf einiges sei zu verzichten oder Projekte müssten verkleinert werden. Auch müssten Alternativen gesucht werden, sagte Weidmann. Bei den Nationalstrassen wäre etwa der Ausbau Genf Flughafen - Vengeron betroffen und der Bypass Luzern.
Für einige der an der Urne abgelehnten Autobahn-Projekte bestätigt das Gutachten, dass sie zweckmässig und dringlich sind. Genannt werden hier der Rheintunnel im Raum Basel oder der Ausbau des Rosenbergtunnels in St. Gallen. Bei anderen Abschnitten könnte zunächst mit der Umnutzung des Pannenstreifens oder mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs Abhilfe geschaffen werden. Dies gilt beispielsweise für den Ausbau der A1 zwischen Le Vengeron GE und Nyon VD. In dieser Region sollte der Fokus laut Weidman auf der Bahn liegen, konkret auf dem Ausbau der Bahnverbindung Genf - Lausanne.
«Schwerwiegendste Pendenz»
Für die Ost-West-Bahnverbindung von St. Gallen nach Genf fehlt den Experten eine überzeugende Perspektive. Sie sprechen daher von der schwerwiegendsten Pendenz für die Jahre ab 2045. Dass Züge diese Verbindung schneller befahren können, sei wichtig für die Verbindung der Landesteile, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn. «Die Fahrzeiten auf dieser Strecke sind abgesehen vom Abschnitt zwischen Zürich und Bern ziemlich lang», sagte Weidmann dazu. Im Gutachten wird dazu geraten, mit Blick auf Ausbauten ab 2045 die konzeptionelle Arbeit für die Ost-West-Achse in Angriff zu nehmen. Mit Priorität könnten auf den kritischen Abschnitten Genf - Lausanne und Aarau - Zürich mit ersten Neubauabschnitten respektive punktuellen Ausbauten die Kapazität erhöht werden.
Das Fachgutachten der ETH soll dem Bundesrat als Grundlage dienen für politische Entscheidungen. In Auftrag gegeben hatte es Verkehrsminister Albert Rösti im Januar 2025. Einer der Auslöser dafür war das Nein des Stimmvolkes zu Autobahn-Ausbauten, ein anderer waren laut Keystone-Sda die erwarteten Mehrkosten von rund 14 Milliarden Franken beim beschlossenen Bahn-Ausbauschritt, etwa wegen zusätzlicher Projekte.
Weiteres Vorgehen des Bundesrats
Der Bundesrat hat vom Gutachten Kenntnis genommen und skizziert in einer Mitteilung das weitere Vorgehen. Demnach soll das UVEK dem Bundesrat bis Ende Januar 2026 die Projekte zum Entscheid vorlegen, die in die Ausbauschritte der Nationalstrasse und der Eisenbahninfrastruktur sowie das Programm Agglomerationsverkehr ab der 5. Generation aufgenommen werden sollen. Für den Ausbau der Bahninfrastruktur soll das UVEK eine Variante erarbeiten, die von zusätzlichen Einnahmen ausgeht. Dies erfordert Massnahmen, wie die Alimentierung des Bahninfrastrukturfonds, wie es in der Mitteilung des Bundesrats heisst. Zu berücksichtigen seien jedoch nur Massnahmen, die nicht im Widerspruch zum Entlastungspaket 27 und zur Schuldenbremse stünden. Im Strassenbereich und für das Programm «Agglomerationsverkehr» werde des Weiteren von den bestehenden finanziellen Rahmenbedingungen ausgegangen.
Vernehmlassungsvorlage bis Ende Juni 2026
Die Ausbauschritte für die Nationalstrasse, die Eisenbahninfrastruktur und den Agglomerationsverkehr seien in einer Vernehmlassungsvorlage zu bündeln. Damit solle die gesamtheitliche und verkehrsträgerübergreifende Planung bei den kommenden Ausbauschritten deutlich gemacht werden. Gegen die Bundesbeschlüsse über den Nationalstrassen- und den Bahninfrastrukturausbau sei wie bisher separat ein Referendum vorgesehen. Das UVEK hat bis Ende Juni 2026 Zeit, dem Bundesrat die Vernehmlassungsvorlage vorzulegen.
An der bisherigen Vorgehensweise eines gestaffelten Ausbaus wird festgehalten, soweit dies inhaltlich sinnvoll ist, wie der Bundesrat mitteilt. In der Vernehmlassungsvorlage werde der Bundesrat folglich einen Ausbauschritt 2027 für Strasse, Bahn und die Beiträge an das Programm Agglomerationsverkehr beantragen. Gleichzeitig will der Bundesrat laut Mitteilung einen Ausblick auf die weiteren Ausbauschritte 2031 und 2035 geben. Mit der im ETH-Gutachten empfohlenen Priorisierung und dem Entscheid des Bundesrats soll eine geordnete, finanzierbare und gesamtheitlich abgestimmte Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur bis 2045 sichergestellt werden. (sda/mgt/sts)