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Damian Jerjen: «Was die Steinfliege mit Interessenabwägung zu tun hat»

Geschrieben von: Damian Jerjen
Teaserbild-Quelle: Patrik Kummer, EspaceSuisse

In der Kolumne berichten Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Damian Jerjen, Raumplaner, Ökonom und Direktor von EspaceSuisse beschäftigt sich mit der Umsetzung der ersten Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes (RPG).


Damian Jerjen Espace Suisse

Quelle: Patrik Kummer, EspaceSuisse

Damian Jerjen ist Raumplaner, Ökonom und Direktor von EspaceSuisse.

Was die Steinfliege mit der Interessenabwägung zu tun hat

Seit fast zehn Jahren sind Bund, Kantone und Gemeinden mit der Umsetzung der ersten Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) beschäftigt. Hauptziel der Revision war es, die Zersiedlung zu bremsen und die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken. Das Schweizer Stimmvolk hat diesen Auftrag bei der Referendumsabstimmung 2013 mit einer klaren Mehrheit bestätigt. Damit hat sich die Art und Weise, wie und vor allem wo gebaut wird, geändert. Siedlungsentwicklung nach innen ist komplexer als Bauen auf der grünen Wiese. 

Eine Vielzahl verschiedener Interessen prallen aufeinander und müssen – soweit das überhaupt möglich ist – unter einen Hut gebracht werden. Hier kommt die Interessenabwägung ins Spiel – eine Kernaufgabe der Raumplanung und das Schlüsselinstrument für die qualitätsvolle Innenentwicklung. Zentral dabei: Umfassend und frühzeitig soll die Interessenabwägung sein. Dabei geht es darum, sich schrittweise an eine optimale, nachvollziehbare Lösung heranzutasten. Im ersten Schritt wird eine Auslegeordnung über die betroffenen Interessen erstellt. Dies sind unter anderem:

  • Ziele und Grundsätze der Raumplanung wie beispielsweise die qualitätsvolle Innenentwicklung
  • Öffentliche Interessen wie die öffentlichen Finanzen oder die Gesundheit der Einwohnerinnen und Einwohner
  • Private Interessen, beispielsweise die Interessen von Grundeigentümerinnen und Investoren

Wichtig bei der Ermittlung der Interessen ist die Partizipation. Mit einer frühzeitigen und umfassenden – auch informellen – Mitwirkung können die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen abgeholt, spätere Rechtsstreitigkeiten verhindert und die Verfahren beschleunigt werden.

Im zweiten Schritt werden die ermittelten Interessen bewertet. Bei der Bewertung sind einerseits die gesetzlichen Vorgaben oder die Schutzinventare des Natur- und Heimatschutzes von Bedeutung. Andererseits können auch vorgängig erarbeitete Strategien, Konzepte und Entwicklungsleitbilder als Wertungshilfe hinzugezogen werden.

Die schwierigste Aufgabe ist der dritte Schritt: die eigentliche gegenseitige Abwägung der bewerteten Interessen. Auch das ist keine exakte Wissenschaft! Die Interessenabwägung muss stufengerecht im Rahmen der Richt- und Nutzungsplanung vorgenommen werden. Denn im Baubewilligungsverfahren ist der Spielraum für Interessenabwägungen klein, und da kommt es häufig zu Konflikten, weil die Interessenabwägung vorab fehlte oder ungenügend war.

Richtig ausgeführt schafft die raumplanerische Interessenabwägung Transparenz, erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen und fördert eine qualitätsvolle Innenentwicklung. Verdichtung wird dann akzeptiert, wenn qualitätsvolle Räume geschaffen werden. Und Verdichtung funktioniert. Das belegen zahlreiche gute Beispiele, zum Beispiel auf der Webseite densipedia.ch.

Und was war da jetzt mit der Steinfliege? Angesichts des geplanten massiven Ausbaus der Stromproduktion aus erneuerbaren Ressourcen spielt die Abwägung von Schutz- und Nutzungsinteressen auch ausserhalb des Siedlungsgebietes eine wichtige Rolle. So notwendig die Energiewende ist: Nicht immer überwiegt das Nutzungsinteresse. So hat das Bundesgericht bei einem geplanten Kleinwasserkraftwerk im Lötschental zugunsten der Steinfliege entschieden. Die verhältnismässig kleine Anlage dürfe den Lebensraum des empfindlichen und gefährdeten Insekts nicht beeinträchtigen. Auch das ist Interessenabwägung.

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Raumplaner, Ökonom und Direktor von EspaceSuisse.

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