14:03 MANAGEMENT

Adrian Wildenauer: «Digitaler Pass für Baustoffe – bald Pflicht statt Kür?»

Geschrieben von: Adrian Wildenauer
Teaserbild-Quelle: zvg

Prof. Dr. Adrian Wildenauer, Vorstandsmitglied bei Bauen Digital Schweiz, beschäftigt sich in seiner Kolumne mit der Frage nach der Kreislaufwirtschaft und stellt den digitalen Produktpass, den sogenannten Digital Product Passport (DPP) vor. Der DPP eröffnet neue Möglichkeiten für die Baubranche und setzt zugleich einen neuen Standard.


Bild Kolumne Adrian Wildenauer BB 2516

Quelle: zvg

Prof. Dr. Adrian Wildenauer, Vorstandsmitglied bei Bauen Digital Schweiz. 

Wer plant, baut und beauftragt, entscheidet nicht nur über Kosten, Form und Funktion, sondern auch über Stoffkreisläufe, CO-Bilanzen und künftige Rückbaukosten. Noch werden diese Aspekte häufig vernachlässigt, wie die Asbestproblematik vor wenigen Jahren zeigte. Doch jetzt zeichnet sich ein Wandel ab: Mit dem Digital Product Passport (DPP) hält ein neuer Standard in der Baubranche Einzug, der grundlegende Veränderungen mit sich bringen könnte.

Was ist dieser digitale Pass?

Im Kern geht es darum, für jedes Bauprodukt einen digitalen Steckbrief zu erstellen. Woher stammt es? Aus welchen Materialien besteht es? Wie kann es wiederverwendet oder recycelt werden? Der digitale Produktpass (DPP) soll dabei keinen zusätzlichen bürokratischen Aufwand verursachen, sondern Informationen digital bündeln und über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg zugänglich machen.

Warum ist das wichtig?

Die EU möchte mit dieser Initiative die Kreislaufwirtschaft fördern. Ressourcen sollen effizienter genutzt werden, länger im Wirtschaftskreislauf bleiben und dadurch die CO-Emissionen reduzieren. Bereits bei der heutigen Gebäudeplanung soll berücksichtigt werden, wie das Gebäude künftig umgenutzt, umgebaut oder zurückgebaut werden kann und was mit den verbauten Materialien geschieht. Ein digitaler Produktpass macht Materialströme transparent und steuerbar.

Von der Theorie zur Praxis

Das Konzept klingt vielversprechend, doch wie sieht die Umsetzung aus? In der Schweiz steckt das Thema nicht mehr ganz in den Anfängen. Mehrere Branchenverbände schliessen sich zusammen, um gemeinsame, EU-kompatible Standards zu entwickeln. Pionierunternehmen aus der Fenster- und Dämmstoffbranche testen bereits erste Lösungsansätze. Erste Pilotprojekte zeigen, dass die Integration des digitalen Produktpasses (DPP) in bestehende Building-Information-Modeling-(BIM)-Prozesse vielversprechend ist.

Dennoch bleiben erhebliche Herausforderungen: So müssen Daten erfasst, aktualisiert und bereitgestellt werden. Nach aktuellem Stand werden dezentrale Datenbanktechnologien zum Einsatz kommen, wobei die Hersteller für die Ersterfassung und die Aktualität der Daten verantwortlich sein werden. Weitere offene Fragen betreffen die Haftung bei fehlerhaften Angaben und die langfristige Verfügbarkeit der Daten über Jahrzehnte hinweg.

Diese Fragen erfordern in der Schweizer Bauwirtschaft zeitnahe, gemeinschaftliche und konsensorientierte Lösungen.

Die Zukunft nimmt Gestalt an

Die Entwicklungsrichtung ist eindeutig: Die EU plant, den digitalen Produktpass für Batterien bereits ab 2026 einzuführen. Für Bauprodukte ist die verbindliche Einführung für Ende 2027/Anfang 2028 vorgesehen. Diese Regelung wird auch die Schweiz betreffen. Unternehmen, die exportieren oder nach EU-Richtlinien arbeiten, müssen sich darauf einstellen. Die Planung, Errichtung und Bewirtschaftung von Gebäuden wird zunehmend datenbasiert erfolgen – unabhängig von persönlichen Präferenzen.

Chancen für die Branche

Für Planungsbüros, Bauunternehmen und Hersteller eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten. Wer frühzeitig damit beginnt, Materialdaten digital zu erfassen und weiterzugeben, verschafft sich Wettbewerbsvorteile bei Ausschreibungen, Nachweisführungen und Nachhaltigkeitsbewertungen. Wer heute digital denkt, kann morgen effizienter rückbauen, reccyceln und wiederverwenden. Der digitale Produktpass ist dabei mehr als nur ein technisches Hilfsmittel, denn er ist ein Katalysator für ein grundlegendes Umdenken: weg vom linearen «Take-Make-Waste»-Prinzip, hin zu einer kreislauforientierten, nachhaltigen Bauweise.

Es bleibt noch Zeit für Vorbereitungen, doch wer zu lange zögert, riskiert den Anschluss zu verlieren. Nutzen wir die Gelegenheit, unsere Branche zukunftsfähiger, nachhaltiger und digitaler zu gestalten!

Geschrieben von

Vorstandsmitglied von Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland sowie Leiter BIM Standardisierung und Branche, SBB AG.

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