09:18 KOMMUNAL

Vögel als Schutz gegen Schädlinge: Gefiederte Verbündete

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: ISIWAL / WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Eingeschleppte Schadinsekten bedrohen die Gesundheit unserer Stadtbäume. Im Kampf gegen die Schädlinge setzen Forscher inzwischen auf zoologische Verbündete – und suchen nach Wegen, einheimische Vögel bei der Jagd nach diesen Insekten zu unterstützen.

rosskastanie Dr. Bernd Gross WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Quelle: Dr. Bernd Gross / WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Einer unser häufigsten Stadtbäume, die gemeine Rosskastanie, wird von Schadinsekten bedroht.

Bäume spielen für das Klima unserer Städte eine entscheidende Rolle. So kühlen sie durch Verdunstung, beschatten den Boden und produzieren den ganzen Tag frischen Sauerstoff, um nur drei Faktoren zu nennen. Diese «Grüne Infrastruktur» stellt auch die zentrale Strategie dar, mit welcher die Europäische Kommission die Städte für den Klimawandel fit machen will.

Aber gerade Stadtbäume sind mehr und mehr bedroht durch eingeschleppte Krankheiten oder invasive Schädlinge, die durch den weltweiten Handel als Blinder Passagier zu uns gelangen. Gegen solche Krankheitserreger oder Insekten sind die Abwehrmechanismen der einheimischen Bäume oft nicht gewappnet. Und der Einsatz von Pestiziden oder Insektiziden, sofern es geeignete Mittel gibt, ist in den dicht bevölkerten Städten oft problematisch oder gar unmöglich.

miniermotte   WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Quelle: WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Klein aber enorm schädlich: Die Miniermotte bedroht die Bestände an Rosskastanien.

Zauberwort Prädation

Diesem Problem widmet sich der Biologe Marco Basile, Postdoktorand an der Eidgenössischen  Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf und Mitglied der Forschungsgruppe «Waldgesundheit und biotische Interaktion». Er hat über zwei Jahre untersucht, wie die natürliche Schädlingsbekämpfung invasive Schadinsekten an deren Ausbreitung hindern kann und welche Rolle insektenfressende Vögel hierbei spielen. «Es ist bekannt, dass Vögel wichtige Räuber von Insekten sind. Auf ihrem Speiseplan sind auch mehrere invasive Insektenarten, die Bäume schädigen oder zum Absterben bringen», so Basile. Dank dieser Räuber-Beute-Beziehung der Vögel zu den schädlichen Insekten – Prädation genannt – helfen einheimische Vogelarten, die Ausbreitung dieser Insekten zu verhindern und so auch die Wahrscheinlichkeit ihrer Etablierung zu verringern.

Über zwei Jahre hinweg betrieb der gebürtige Neapolitaner Basile deshalb Feldforschung in der Stadt, genauer in Zürich, Basel und Lugano. «Wir haben mit einer akustischen Vogelzählung angefangen, immer früh morgens, bevor der tägliche menschliche Lärm einsetzt.» Zudem wurden Raupen-Attrappen aus Knetmasse in den Büschen rund um die Bäume versteckt. «Vögel und andere Tiere, die Interesse zeigten und zupackten, haben charakteristische Bissspuren hinterlassen, woraus sich eine Angriffsrate ermitteln liess.»

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Quelle: ISIWAL / WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Farbenprächtig und nützlich: der Stieglitz oder Distelfink.

Erbgut von 500 Insekten im Magen

Bei befallenen Blättern nahm Basile mikroskopische Untersuchungen jeden Frassgangs, um herauszufinden, ob ihn ein Vogel geöffnet und die Raupe gefressen hat, oder ob diese ungehindert schlüpfen konnte. Und schliesslich wurden letzten Frühling Vögel untersucht. 

Zuerst erhoben die Forschenden Daten zu Geschlecht, Grösse oder Gesundheitszustand. Danach wurden Kotproben, welche die gefangenen Vögel von selbst lieferten, auf Umwelt-DNS untersucht und so ermittelt, was diese Vögel zu sich genommen haben. «Wir haben dabei das Erbgut von bis zu 500 verschiedenen Insektenarten gefunden, die also auf dem Speiseplan der Vögel standen. Und die Vögel vertilgten auch viele invasive Exemplare und für die Bäume schädlichen Insektenarten.»

Dieselben Untersuchungen wurden auch im Wald vorgenommen, um Vergleichsdaten zu erhalten. «Es zeigte sich, dass die Vögel in den Städten viel mehr invasive Arten essen als die Artgenossen im Wald. Stadtvögel tragen also eine aktive und wichtige Rolle zur Schädlingsbekämpfung bei, das konnten wir belegen.»

trauerschnäpper Viiru Personen WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Quelle: Viiru Personen / WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Unscheinbar aber nicht minder nützlich: der Trauerschnäpper.

Oft betroffen: die Rosskastanie

Ein häufiger Stadtbaum ist die Rosskastanie: «Praktisch jede weissblühende Gemeine Rosskastanie ist von der Miniermotte befallen», erklärt Basile. «Raupen durchtrennen die Wasserversorgung des Blattes durch die Gänge, die sie fressen. Die Bereiche oberhalb der ‹Minen› trocknen aus und werden braun, die Photosynthese wird unterbrochen.» Das schwächt den Baum, da er weniger Zucker herstellen kann. Das aus dem Balkan stammende Insekt breitet sich bei uns seit etwa zwanzig Jahren aus. «Die Bäume können einen solchen Befall zwar überleben, werden aber natürlich dadurch geschwächt.» Eine weitere Schwächung erfahren die Stadtbäume in Zukunft durch den höheren Stress, den der Klimawandel mit sich bringt. «Eine problematische Entwicklung, stellen doch die Rosskastanien einen wichtigen Teil der Grünen Infrastruktur in vielen europäischen Städten.» 

Nun ist zwar bekannt, dass Meisen die Raupen der Miniermotte gerne verspeisen, aber man weiss nicht, in welchen Mengen sie dies tun. Dies hat Marco Basile ebenso untersucht wie die Frage, ob es Bedingungen gibt, unter denen die Vögel verstärkt nach dieser Raupe suchen. «Unser Ziel ist es, das Management der Stadtbäume so anpassen, dass die Vögel optimale Bedingungen haben und die Bäume wiederum mit Hilfe der Vögel weniger Schaden durch solche Invasionen erleiden.»

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Quelle: Aleph / WIKIPEDIA COMMONS 4.0

Der Insekten fressende Gartenbaumläufer kann als Spezialität auch baumabwärts laufen.

Das Phänomen «Biotic Resistance»

Ein wichtiger Baustein ist hierbei die Biodiversität. «Es gibt in Wäldern ein Phänomen namens ‹Biotic Resistance›, also Widerstandskraft gegen biologische Bedrohungen. Die Bäume nutzen volatile Komponenten, chemische Botenstoffe, die durch die Luft übertragen werden. So schützen sie sich gegen Schädlinge und kommunizieren zugleich mit anderen Bäumen, was die kollektive Widerstandskraft erhöht.» Das funktioniert im Wald gut, wo es eine Vielzahl von verschiedenen Baumarten hat, also Biodiversität. «Verschiedene Baumarten sorgen zugleich dafür, dass viele verschiedene Tiere darin Unterschlupf finden. Also haben wir auch einige verschiedene Fressfeinde der Schädlinge.» Derselbe Effekt lässt sich bei Stadtbäumen erreichen, wenn auch hier eine Durchmischung erfolgt. «Haben wir aber eine Allee, die aus nur einer einzigen Baumart besteht, kann die Ankunft eines Schädlings alle Bäume zusammen bedrohen, ohne dass sie zusammen mehr Widerstandskraft besitzen.» 

Ein zentrales, erfreuliches Ergebnis aus Basiles Forschung ist ein Grenzwert: 30 Prozent. «Das hat sich bei unseren Untersuchungen gezeigt: Erreichen wir ein Blätterdach, das 30 Prozent des Bodens beschattet, erhöht sich die Anzahl der darunter lebenden Vögel deutlich. Konkret siedeln sich bei 30 Prozent Bedeckung zu etwa 60 Prozent dieselben Vögel an wie im Wald. Mit 60 Prozent Blätterdach haben wir eine Vogelpopulation, die sogar zu 90 Prozent der im Wald entspricht.»

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Quelle: GJ Solipsist / WIKIPEDIA COMMONS 4.0/

Nicht essbar, aber bei Kindern ein beliebtes Bastelutensil: die Früchte der gemeinen Rosskastanie.

Einfache Massnahmen reichen

Basiles Untersuchung zeigt, dass bereits relativ bescheidene Massnahmen zur Begrünung viel Wirkung erzielen können: Die dichtere Vogelpopulation sorgt dafür, dass die für die Bäume schädlichen Insekten in Schach gehalten werden. «Es braucht nicht einmal unbedingt grosse Grünflächen», erklärt der WSL-Forscher. «Wenn wir nur unsere Strassenbäume ein wenig anders managen, zum Beispiel keine langen Alleen aus einer einzigen Baumart pflanzen, wären diese Bäume schon viel robuster und würden mehr Lebensraum schaffen.»

Diese Ergebnisse decken sich mit einer etablierten Faustregel zur Stadtbegrünung, der 3-30-300-Regel. Sie besagt, dass jeder Mensch in der Stadt mindestens drei Bäume von seiner Wohnung aus sehen können sollte. Das Wohnviertel sollte eine Baumkronenbedeckung von mindestens 30 Prozent aufweisen. Und schliesslich sollte jede Einwohnerin und jeder Einwohner nicht weiter als 300 Meter vom nächsten Park oder der nächsten Grünfläche entfernt wohnen.

«Das war die spannende Erkenntnis, die wir aus unserer Forschung ziehen konnten: Es ist gar nicht so schwer, die Gesundheit von Stadtbäumen zu fördern.» Wichtig ist eine sorgfältige Planung, die eine ausreichende Durchmischung der Arten vorsieht und den einzelnen Bäumen genügend Raum bereitstellt. «Wenn das Blätterdach dicht genug ist, übernimmt das System sozusagen von selbst: Nützlinge siedeln sich an und halten wiederum den Befall von Schädlingen im Schach. Wenn wir für die richtigen Bedingungen sorgen, haben wir durch die Stadtvögel eine naturbasierte Gesundheits-Polizei für unsere Bäume.» 

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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