15:48 KOMMUNAL

Glatt-Renaturierung: Ein blauer Faden schafft Raum für Mensch und Natur

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: AWEL

«Fil Bleu Glatt» – ein überregionales Vorhaben verbindet die Städte und Gemeinden entlang des Flusses im Kanton Zürich. An den Ufern der Glatt sollen bis zirka im Jahr 2031 Naherholungszonen für die Bevölkerung entstehen. Ebenso wie durchgängige Rad- und Fusswege.

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Quelle: AWEL

Neuer Lebensraum für lange nicht gesehene Vögel: So wie hier in der Nähe des Stadtzürcher Aussenquartiers Altried soll es künftig an sehr vielen Abschnitten der Glatt aussehen.

Im 20. Jahrhundert wurde die Glatt fast gänzlich in ein gerades Flussbett gezwungen - eine Folge des steten Bevölkerungswachstums und des dafür nötigten Bedarfs an Bauland. Der blaue Faden des Flusses bietet daher bis heute vielerorts einen wenig attraktiven Anblick. Nun sollen die Bausünden der Vergangenheit rückgängig gemacht werden: mit einer Renaturierung des gesamten Glattlaufs. Zumindest dort, wo es möglich ist. Das heisst: vom Ursprung der Glatt im Greifensee über Fällanden, Dübendorf, Wallisellen, Opfikon, Zürich, Kloten, Ober- und Niederglatt nach Bülach. Kurz nach Glattfelden taucht die Glatt in einen unterirdischen Kanal ab, bevor sie in den Rhein mündet.

Für die Renaturierung zuständig ist das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL). Zusätzlich sind Fuss- und Velowege entlang der Glatt unter der Federführung des kantonalen Tiefbauamts geplant (TBA). Projektleiter Thomas Berchtold vom AWEL erklärt das Projekt vor Ort. Treffpunkt ist die Glattbrücke zwischen dem Stadtzürcher Quartier Schwamendingen und Wallisellen. Von der einen Seite der Brücke aus sieht man Richtung Altried in die Zukunft – hier ist die Glatt bereits renaturiert und mäandert frei. Auf der anderen Seite der Brücke reicht der Blick in die Vergangenheit, beziehungsweise in die Gegenwart: Der Fluss wird hier im Bereich Herzogenmühle noch durch einen schnurgeraden Betonkanal geführt.

Der veränderte Fokus

Das Projekt «Fil Bleu Glatt» sei erst am Anlaufen, obwohl erste Ideen dazu bereits Ende der 1980er-Jahre bestanden hätten, erklärt Thomas Berchtold. Damals sei es allerdings weniger darum gegangen, der Glatt ihre Freiheit wiederzugeben. Der Plan war vielmehr ein durchgehender Radweg. Heute haben sich gemäss Berchtold die Prioritäten verlagert: Zwar sollen nach wie vor Rad- und Fusswege der Glatt entlang verlaufen. Doch vorderhand geht es darum, das Fliessgewässer und seine unmittelbare Umgebung zu renaturieren. Dazu gehört wesentlich: es aus seinem Zwangsbett zu befreien. Wie wertvoll dies für die Natur sein kann, zeigt sich nur wenige Meter weiter, am erneuerten Glatt-Abschnitt. Dort beobachten zwei ältere Herren mit ihren Feldstechern, wie einst verschwundene Tiere erneut heimisch werden. Sie zählen etliche Vogelarten auf, die sie nach langer Zeit nun wieder an der Glatt sehen.

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Quelle: Simone Matthieu

Zugang zum Fluss, viel Grün und Raum für alle: Der neue Opfiker Stadtpark soll unterschiedliche Menschen aus allen Generationen zusammenbringen. Hier im Bild: der Spielplatz.

Wegen der zunehmenden Verstädterung steigt der Bedarf der Bevölkerung an siedlungsnahen Grünräumen zur Erholung. Die Glatt bietet sich dafür an. Der dereinst natürliche Fluss soll aber auch Flora und Fauna ein wertvolles, für viele Arten neues Zuhause geben. «Fische können ohne Hindernis den ganzen Fluss entlang schwimmen», erläutert Berchtold. «Ausserdem sollen sich diverse Pflanzen und Tiere wie Eidechsen, Fledermäuse, Krebse, Muscheln und Frösche ansiedeln.» Um dies zu realisieren, würden entlang der Glatt verschiedene natürliche Lebensräume geschaffen. Schilder mit grundsätzlichen Verhaltensvorgaben sowie Beschreibungen der ansässigen Tiere sollen dann die Naherholungs-Suchenden sensibilisieren, die Natur zu respektieren..

Ein Weg fürs idyllische Velo-Pendeln

Die Städte Zürich und Dübendorf, Wallisellen und Opfikon sowie die Zürcher Planungsgruppe Glattal und der Kanton Zürich haben 2015 eine gemeinsame Absichtserklärung für ein gemeindeübergreifendes Renaturierungs-Projekt unterschrieben. In ihm enthalten ist explizit auch der durchgehende, grundsätzlich vier Meter breite, einseitige Glattweg als attraktive Route für den Fuss- und Veloverkehr. Diese soll auch Berufspendlerinnen und Pendlern eine geeignete Alternative und Ergänzung zum bestehenden Velonetz bieten. «Ich finde es schön, dass alle bei der Umsetzung gemeinsam an einem Strang ziehen», kommentiert Thomas Berchtold. «Die Idee dahinter ist es, einen Freistreifen zu schaffen. Möglichst wenig Bauten und Landwirtschaftsgebiete sollen diesen unterbrechen.» Der Blaue Streifen hat inzwischen schon von fachlicher Seite grünes Licht erhalten: Eine Machbarkeitsstudie hat das Projekt «Fil Bleu Glatt» als realistisch eingestuft.

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Quelle: AWEL

Der Vorher-Nachher-Vergleich: So trostlos präsentierte sich das Ambiente an den Ufern der Glatt in Opfikon-Glattbrugg lange Zeit.

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Quelle: AWEL

Nach Abschluss der Renaturierung: Idylle zum Entspannen für alle im Stadtpark von Opfikon-Glattbrugg.

Vor allem Landwirtschaftsgebiete sollen nicht zu nahe an der Glatt liegen, damit weder Gülle noch Pestizide in den Fluss gelangen. Neben den Uferzonen soll auch das Wasser im Fluss eine qualitative Aufwertung erhalten. «Rund um den Greifensee, das Ursprungsgewässer der Glatt, gibt es viele Siedlungsgebiete und Landwirtschaftsflächen», führt Berchtold aus. «Deren Abwasser wurde lange durch das inzwischen stillgelegte Klärwerk Glatt gereinigt und in den Fuss geleitet. Die Rückstände haben die Glatt sehr belastet.» Mittlerweile wird das Abwasser jedoch durch einen 5,3 Kilometer langen Stollen in die Kläranlage Werdhölzli geführt. Die Glatt ist dadurch sauberer geworden. «Geschützte Pflanzen sind dank des das guten Wassers sehr präsent», erklärt Berchtold. Algen sowie Schaumkrönchen an der Oberfläche seien kein Indiz für schlechte Wasserqualität. «Man könnte sogar in der Glatt schwimmen», sagt Berchtold. Das sei zwar kein vorrangiges Ziel. Doch immerhin erlaubten es die Zugänge, sich im kühlen Nass zu erfrischen.

Nicht überall möglich

Momentan befindet sich der «Fil Bleu Glatt» in der Projektierungsphase. Das heisst: Planungsteams eruieren, wo genau entlang der Glatt genügend Freiraum für die Renaturierung vorhanden ist. Dabei zeigt sich: Nicht überall ist es einfach, dem Fluss seinen natürlichen Platz zurückzugeben. «Für die Glatt ist längst nicht mehr so viel Raum übrig wie früher», erklärt Berchtold. Zudem gehöre viel Land, das an den Fluss grenzt, Privaten. Berchtold erwartet, dass nicht viele von ihnen bereit sind, einen Teil ihrer Grundstücke für den «Fil Bleu Glatt» freizugeben. «Wir können nicht einfach Privatland benutzen», stellt Berchtold klar. Zudem gebe es weitere Stellen wie etwa Autobahnbrücken, wo eine Renaturierung nicht möglich ist. Allerdings könne man auch solche Zonen schöner gestalten, indem man etwa Bäume ans Wasser pflanze. «Wir müssen mit dem Platz haushalten, den wir haben und bewahren, was noch da ist», schliesst er daraus.

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Quelle: AWEL

Noch gibt es viel zu tun, um den «Fil Bleu Glatt» durchgängig zu realisieren: Bagger im Einsatz am Flussufer.

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Quelle: AWEL

Begradigt und trostlos: So wie hier bei Altried vor der Renaturierung sieht die Glatt heute noch an so manchen Abschnitten aus.

Je nachdem, wie viel Platz zur Verfügung steht, sind in den Städten und Gemeinden unweit der künftig renaturierten Glatt zusätzliche Spiel- und Picknickplätze sowie Sportanlagen mit Fitnessgeräten vorgesehen. Nahe am Fluss sind bereits einige Sitzgelegenheiten aufgestellt. «Wir möchten mit diesen Parks Erholungszonen schaffen, zu denen die Leute gerne hingehen», sagt Berchtold. «Alle Altersgruppen sollen sich hier mischen.»

Die Bevölkerung wird in die Planung einbezogen. In regelmässig geplanten Workshops kann sie ihre Ideen vorbringen. Obwohl der Kanton Zürich Bauherr ist, werden die ufernahen Parks von den Städten und Gemeinden realisiert. «Sie wissen am besten, wie die Bedürfnisse ihrer Bewohner aussehen und wo die Leute gerne hingehen», kommentiert Berchtold.

Etappenweises Vorgehen

Das Budget für das gesamte Projekt «Fil Bleu Glatt» beträgt brutto 63 Millionen Franken. Der Bund übernimmt zirka 35 Prozent davon. Die Gemeinden finanzieren den Bau des Uferwegs auf ihrem Gebiet. Nach der Realisierung liegt auch der Unterhalt in ihrer Verantwortung.

Die Renaturierung der Glatt wird in sechs bis sieben, vielleicht sogar mehr zeitlich getrennten Abschnitten erfolgen. «Wir können nicht alles auf einen ‹Tätsch› machen», stellt Berchtold klar. Die Projektierung übernehmen verschiedene Ingenieurbüros, die Erfahrung mit Wasserführung haben und das Projekt umsetzen können. Ihre Teams setzen sich aus Wasserbauerinnen, Ökologen, Landschaftsplanerinnen, Tiefbauern, Umweltfachleuten und Geotechnikern zusammen.

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Quelle: Simone Matthieu

Der zuversichtliche Projektleiter: Thomas Berchtold vom Zürcher Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) präsentiert am Stadtrand von Zürich einen Ort, wo der «Fil Bleu Glatt» bereits umgesetzt wurde.

Ab 2031 soll der «Fil Bleu Glatt» die Region verschönern. Selbst wenn es am Ende vielleicht ein, zwei Jahre länger dauern sollte – die Bevölkerung in einem der bedeutendsten Wirtschaftsräume der Schweiz darf sich auf einen natürlichen Erholungs- und Aufenthaltsraum freuen.

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Quelle: Wikimedia

Der heutige Verlauf der Glatt: Die Renaturierung wird daran wenig ändern.

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