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Brexit: Der EU-Mittelpunkt Gadheim ist verschoben

Teaserbild-Quelle: zvg Ausbildungszentrum St. Markushof, Gadheim

Der Brexit sorgt im kleinen fränkischen Dorf Gadheim für internationalen Medienrummel. Das Dörfchen wurde mit dem Austritt Grossbritanniens plötzlich geographischer Mittelpunkt der EU.

EU-Mittelpunkt in Gadheim

Quelle: zvg Ausbildungszentrum St. Markushof, Gadheim

Der EU-Mittelpunkt in Gadheim, Stand Februar 2020.

Am 1. Februar ist es soweit: Die EU bekam einen neuen Mittelpunkt. Durch den Brexit hat sich das geographische Zentrum der Europäischen Union um knapp sechzig Kilometer nach Südosten verschoben. Es liegt nun auf einem fränkischen Acker in der Nähe von Würzburg. Exakt bei 9 Grad, 54 Minuten, 7 Sekunden östlicher Länge und 49 Grad, 50 Minuten, 35 Sekunden nördlicher Breite.

Das Dörfchen Gadheim betrachtet die ihm zugefallene Ehre eher zwiespältig. Es ist zu klein, um auch nur einen eigenen Bürgermeister zu haben und wird von Veitshöchheim aus mitverwaltet. Trotzdem tauchen neuerdings ständig internationale Fernsehteams auf besagtem Acker auf.

Seit der Brexit droht, findet man im Internet Zehntausende Verweise auf Artikel über Gadheim, das bisher als einzige Sehenswürdigkeit eine Kirche aus dem Jahr 1467 aufwies. Andererseits ist der Austritt Grossbritanniens aus der EU nicht unbedingt Grund zur Freude. Das ist den Gadheimern nur zu bewusst.

Verdacht auf Aprilscherz

Immerhin haben die Briten nun den Austrittsbeschluss offiziell gefasst und das lange Hin- und Herhat ein Ende. Schon vor Jahren hatte das Nationale Geografische Institut Frankreichs (ING) vorsorglich errechnet, dass der «Flächenschwerpunkt» der EU nach dem Brexit in Gadheim liegt. Flächenschwerpunkt meint folgendes: Würde man die Umrisse der EU aus einer Holzplatte aussägen wäre Gadheim exakt der Punkt an dem man diese Platte perfekt ausbalancieren könnte.

Bürgermeister Jürgen Götz erfuhr davon erstmals im März 2017 aus dem Radio. Er klärte erst einmal ab ob es sich nicht um einen verfrühten Aprilscherz handle. Es war keiner. Also standen die Gadheimer bald etwas ratlos auf dem Acker und beschlossen schliesslich, provisorisch einen kleinen Platz zu befestigen und Fahnenmasten aufzustellen (Bild oben).

Zu viel wollte man nicht vorab machen – schliesslich war ja keineswegs sicher, wie sich die Briten entscheiden würden. Als klar wurde, dass es ernst wird, fügten sie einen rotweiss geringelten Fluchtstab auf einem Muschelkalk-Findling hinzu.

Trauerflor an der EU-Fahne

Am Abend des 31. Januar diesen Jahres trugen sie noch ein hölzernes Rednerpult für den Veitshöchheimer Bürgermeister aufs Feld und holten die eigens angeschaffte EU-Fahne kurzzeitig ein - um sie mit Trauerflor versehen wieder aufzuziehen. Um Mitternacht versammelten sich etwa 300 Menschen auf dem Feld. Dazu muss man wissen, dass Gadheim selbst hat nur etwa achtzig Einwohner hat.

Die ARD sendeten eine Tagesthemen-Extra mit Liveschaltung. Der Bürgermeister wartete mit seiner Rede sogar extra bis exakt zwei Minuten nach Mitternacht bevor die TV-Liveschaltung stand. Der Korrespondent berichtet darin, dass Bürgermeister Götz in den letzten Wochen kaum noch zu seinen eigentlichen Aufgaben gekommen sei, da von überall her Interviewwünsche auf ihn einprasselten. Götz sei froh, wenn das Ganze nun vorüber sei.

Jedes Mal, wenn die Briten den Brexit wegen ihrer Unentschlossenheit vertagten, verschoben sich auch die Gadheimer Feierlichkeiten. Insgesamt fünf Mal. Stets von neuem Blasorchester bestellen das «Nehmt Abschied Brüder» und die Europahymne spielen sollte, Feuerwehr und Bauhof zur mitternächtlichen Ausleuchtung der Zufahrtswege aufbieten und alles wieder absagen.

Japanisches Fernsehen vor Ort

In seiner mitternächtlichen Rede liess es sich Bürgermeister Götz dann nicht nehmen, die Errungenschaften der EU aufzuzählen und deutlich zu machen, dass er zu gerne auf die Ehre verzichtet hätte, wenn die Briten nur Mitglied geblieben wären. Er hofft, dass sich künftig der Mittelpunkt nur noch verschiebt, weil ein Land eintritt – so wie das bisher stets der Fall war.

Nicht nur das deutsche Fernsehen war übrigens in Gadheim – auch das Japanische (siehe Video oben). Die Gadheimer weisen in ihrem Gemeindeblog stolz darauf hin, dass ihr Bürgermeister etwa bei Minute drei zu sprechen beginne – direkt nach dem französischen Präsidenten Emanuel Macron. Natürlich liessen es die Japaner sich nicht nehmen, die feiernden Franken vor allem dann zu zeigen, wenn sie ihre charakteristisch geformten Bocksbeutelzückten, in die traditionell der fränkische Wein abgefüllt wird.

Und wenn sich nun der Mittelpunkt erneut verschiebt, weil etwa Schottland das Referendum ergreift? Den Gadheimer ist's nur recht. «Dann machen wir ein Mahnmal draus für die Einigkeit der EU», sagte Götz neulich zum Bayerischen Fernsehen.

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