19:27 BAUPROJEKTE

Projekt der Stiftung Einfach Wohnen: Kleiner Baustein in einem grossen Thema

Geschrieben von: Katrin Ambühl (ka)
Teaserbild-Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten

Boden und Bauen sind teuer, Wohnungsmieten für viele unbezahlbar. Hier setzt die Stadt Zürich mit diversen Massnahmen an. Eine davon ist die Stiftung Einfach Wohnen. Sie plant eine neue Wohnsiedlung in Zürich-Unterstrass für rund 100 Menschen. Als Siegerprojekt des Wettbewerbs ging «Voliere» hervor. Was es mit dem einfachen Bauen auf sich hat, erklären die Architekten und die Geschäftsführerin.

Fassade des Siegerprojektes

Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten

Visualisierung des Siegerprojekts «Volière». Die Fassade soll in seriell vorgefertigten Holztafelelementen ausgeführt und mit Klappläden ergänzt werden.

Spechte und Spatzen sollen sich hier genauso wohl fühlen wie die Menschen, die dereinst hier leben werden. Denn die Natur ist beim Projekt «Voliere» mehr als bloss ein schöner Gartenraum: Sie steht im Zentrum, die Architektur ist im engen Dialog mit dem runden Grün-bereich mit diversen Zonen und einem alten Baumbestand.

«Die Architektur bezieht ihre Kraft aus der Situation und steht in einer Gleichgewichtsbeziehung mit dem Freiraum», lassen Edelaar Mosayebi Interbitzin Architekten, EMI, in Zürich, verlauten. Sie haben den Wettbewerb mit ihrem Projekt gewinnen können. Ein Thema, das das Architekturbüro schon lange beschäftigt. Es war auch der Leitgedanke vom Amt für Hochbauten, das den Wettbewerb für die SEW durchgeführt hatte. «Wie in einem Park und doch mitten in der Stadt», so der Wortlaut in der Ausschreibung.

Das Areal zwischen Rotbuch- und Seminarstrasse gehört der Stadt Zürich. Sie plant, das Land im Baurecht an die Stiftung ‹Einfach Wohnen› abzutreten. Das Baurecht wird mit einem Gemeinderatsbeschluss abgegeben; dieser liegt zurzeit noch nicht vor. Auf dem Grundstück befand sich ab 1754 ein Gut von Johann Jakob Ott, das auch als Rotbuchgut bekannt ist.

Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Gebäude immer wieder umgebaut und standen zum Zeitpunkt des Wettbewerbs nicht im Inventar der schützenswerten Objekte. Sie sollen abgerissen und mit Neubauten ersetzt werden. Diese sollen zu einer autofreien Mehrgenerationsiedlung mit unterschiedlichen Wohnungsgrössen werden – in einfacher Bauweise und gleichzeitig mit geringem CO2-Verbrauch sowohl in der Erstellung als auch im Betrieb. Weiter wurden die Schaffung von vielfältigen Begegnungs-sorten sowie Gemeinschaftsbereichen und attraktive Aussenflächen gewünscht.

Haus als offenes Regal

Blick in den Hof

Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten

Alle Wohnungen sind über einen schmalen Laubengang miteinander verbunden. Der Wohneingang liegt bei den Küchen ausser bei den Einheiten gegen Südosten. Dort sind die Schlafräume lärmbedingt zur Laube hin orientiert

So überraschend das bauliche Ensemble des Siegerprojekts «Voliere» ist, so konsequent einfach wurde die Konstruktion von Edelyaar Mosayebi Inderbitzin Architekten gedacht. Der Entwurf sieht vor, die Primärstruktur in Beton als konventionelle Stützen-Plattenkonstruktion auszubilden. Das Gebäude soll mit einer dunklen Holzfassade aus seriell hergestellten Tafel-elementen verkleidet und mit Klappläden aus Holz ergänzt werden.

Der zentrale Gedanke bei der Konstruktion: die Trennung von Trag- und Raumstruktur. «Das Haus ist als ‹offenes Regal› konzipiert», erläutern Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten. «In einem konventionellen Skelettbau nisten sich nutzungsflexible, wenig determinierte Raumstrukturen in Holzbauweise ein, die Wohnraum für ganz unterschiedliche und sich wandelnde Bedürfnisse bieten.»

Eine Flexibilität, die zugleich einher geht mit der Idee des einfachen Bauens. «Es ist eine Architektur, die der Suffizienz verpflichtet ist, also nur das hat, was man wirklich braucht. Der grösste Hebel hierbei ist die Wohnfläche pro Person. Diese kann beispielsweise reduziert werden, indem gewisse Räume geteilt werden», erklärt das Büro, was es darunter versteht. Die durchdachte einfache Konstruktion und die grosse Flexibilität, die diese lässt, hat entscheidend zum Entscheid der Jury bei-getragen, «Voliere» zum Siegerprojekt zu wählen.


«Wir wollen schnell, viel und guten Wohnraum bauen»

Die Stiftung Einfach Wohnen (SEW) wird seit April 2020 von Mira Porstmann geführt. Die Architektin bringt viel Erfahrung von ihrer vorherigen Tätigkeit als Projektleiterin beim Amt für Hochbauten der Stadt Zürich mit. Im folgenden Gespräch sagt sie, was sie am Siegerprojekt Rotbuch schätzt und was sie konkret mit der SEW erreichen will.

Mira Porstmann

Quelle: zvg

Mira Porstmann ist Architektin und seit 2020 Geschäftsleiterin der Stiftung Einfach Wohnen.

Frau Porstmann, das Thema Wohnungsknappheit und zu teurer Wohnraum ist gerade besonders aktuell. Spüren Sie Druck von Seiten der Stadt Zürich als Stiftungsgründerin?

Die Stadt Zürich ist ja Trägerin der Stiftung und plant, die Grundstücke im Baurecht abzugeben für das Projekt Siedlung Rotbuch. Natürlich haben wir einen engen Bezug zur Stadt und wir bekommen mit, dass im Gemeinderat und anderen Gremien der Stadt wie auch in der Öffentlichkeit viel diskutiert wird über die Zukunft von erschwinglichem Wohnraum. Aber Druck ist das nicht.

Angesichts dieser Dringlichkeit: Was sind Ihre konkreten Ziele für die SEW?

Möglichst schnell, möglichst viel und möglichst guten Wohnraum zu bauen und zu erwerben!

Was heisst das in Zahlen?

Wir wollen in zehn Jahren unser Portfolio auf rund 400 Wohnungen ausbauen.

Ist das auch eine Antwort auf die anfängliche Kritik, die es nach der Stiftungsgründung gab?

Stein des Anstosses war damals, dass die Stiftung Einfach Wohnen bei der Gründung 2014 mit 80 Millionen Franken Kapital ausgestattet wurde, aber noch keinerlei konkreten Pläne für die Verwendung der Gelder vorhanden waren. Aber diese Diskussionen haben sich dann gelegt mit dem ersten Projekt 2018, die temporäre Wohnsiedlung Wohnen am Vulkanplatz in Altstetten für junge Menschen in Ausbildung und Geflüchtete im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts «Fogo».

Modellansicht des Siegerprojekts

Quelle: zvg

In der Modellansicht des Siegerprojekts Volière ist die geschickte Verbindung von Aussenräumen und Architektur im dichten städtischen Siedlungsgebiet gut sichtbar.

Was motiviert Sie als Geschäftsleiterin der SEW?

Wohnraum für Menschen, die ihn dringend brauchen und auf dem freien Markt nicht bekommen, bereitzustellen, das motiviert mich und treibt mich an. Wohnraum ist für jeden Menschen existenziell, da dieser das gesamte Leben beeinflusst.

Was bedeutet ganz konkret das «Einfach» im Stiftungsnamen?

Einfach bedeutet für mich auf das Wesentliche beschränkt. Es gibt kein Patentrezept für einfaches Wohnen oder Bauen. Wir sehen als wichtige Faktoren die Reduktion von Wohnfläche und Nasszellen an. Konkret heisst dass, dass unsere 4,5-Zimmer-Wohnungen unter 100 m2 gross sind und ein Badezimmer haben. Selbstverständlich müssen wir ebenfalls sicherstellen, dass die Baumaterialien und -kosten nicht zu hoch sind. Je höher die Erstellungskosten, desto höher die Mieten. Hier müssen wir immer wieder neu abwägen. Die Kosten der Bauteile sind das eine, aber was bringt es, wenn billiges Material schon bald wieder ersetzt werden muss? Wir schauen immer auch die Lebensdauer an.

Ich nehme an, Parkplätze gibt es nicht bei den Wohnprojekten der SEW?

Grundsätzlich nicht, aber kategorisch schliessen wir Parkplätze nicht aus, das hängt vom jeweiligen Projekt ab, ob es beispielsweise nicht ideal erschlossen ist mit ÖV. Zudem wollen wir auch keine Menschen grundsätzlich ausschliessen, die beruflich oder aus gesundheitlichen Gründen ein Auto brauchen.

Neben dem «Einfach» im Namen, was ist sonst noch wichtig bei den Wohnprojekten?

Der Nachhaltigkeitsgedanke steht ebenfalls ganz oben. Doch Ökologie und Ökonomie allein reichen nicht für Projekte, die wir realisieren wollen. Wir suchen dabei auch Lösungen, um das Wohnen neu zu interpretieren und Möglichkeiten des sozialen Zusammenlebens auszuloten.Das ist auch beim Siegerprojekt «Voliere» für die Siedlung Rotbuch der Fall.

Was schätzen Sie besonders am Entwurf von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten?

Das Projekt von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten ist ein herausragender Beitrag mit einem sehr unerwarteten Vorschlag. Der Baumbestand auf dem Grundstück sollte ja möglichst erhalten bleiben. Das Büro hat seinen Entwurf von der Umgebung her gedacht und die Gebäude förmlich um den Baumbestand gewickelt. Das ist eine überraschende und sinnliche Interpretation der Aufgabe, die zudem in fast allen Bereichen sehr effizient ist.

Wie schätzen Sie die Wohnungsgrundrisse und Begegnungszonen ein?

Die unterschiedlich grossen Wohnungen sind geschickt ausgearbeitet und werden durch gartenseitige Laubengänge erschlossen. Neben diesen Laubengängen schaffen die Dachterrasse und unterschiedlich definierte Gartenbereiche Zonen der Begegnung. Im Innern schlugen Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten sogenannte Atelierräume vor. Bei der Beurteilung haben wir uns dann überlegt, was das bedeutet, wie man diese betreiben kann. So entwickelten sich aus den Ateliers sogenannte Teilen-Räume auf jeder Etage, und die Mieterinnen und Mieter können selbst bestimmen, wie diese Räume genutzt werden sollen. Daneben gibt es auch klassische Gemeinschaftsräume.

Balkone fehlen. War das ein Thema?

Oh ja, das wurde heftig diskutiert, allem voran an in einer Infoveranstaltung für Anwohnerinnen und Anwohner, die wir immer durchführen, um ein Wettbewerbsprojekt vorzustellen. Es gab viele Stimmen, die das Fehlen von Balkonen seltsam fanden. Wir hingegen kamen zum Schluss, dass im Projekt genügend und zudem wertvolle Begegnungs- und Aussenzonen geboten werden.

Inwiefern sind Konstruktion und Materialien geeignet und nachhaltig?

Die Primärstruktur in Beton ist klassisch. Sie hält 100 Jahre und bietet den Vorteil, dass sie flexibel ist und bei Bedarf auch verändert werden kann. Die Holzfassade mit den Klappläden hat uns auch angesprochen.

Wann werden die ersten Menschen einziehen in die Siedlung Rotbuch?

Die Baueingabe ist eingereicht, nun warten wir auf den Bauentscheid. Wir hoffen, dass die ersten Menschen im Jahr 2025 einziehen können.


Innenraum

Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten

Trotz knapper Dimensionen entstehen offene, modulierte Wohnlandschaften, die mit unterschiedlichen Gemeinschaftsräumen aufgewertet werden.

Gemeinnütziger Wohnungsbau: Ein langfristiges Anliegen

Die Themen Wohnungsknappheit und teurer Wohnraum in urbanen Zentren sind aktuell, aber für die Stadt Zürich schon lange ein Anliegen, genau genommen seit mehr als 100 Jahren. Dabei kommen unterschiedliche Massnahmen zum Zug: eigene Wohnbaustiftungen, die Abgabe von günstigem Bauland an gemeinnützige Bauträgerschaften sowie das Gewähren von günstigen oder zinslosen Darlehen und Kapitalbeteiligungen an gemeinnützige Wohnbauträgerschaften.

«Weiter sind über 6700 Wohnungen in der Stadt Zürich derzeit subventioniert», ergänzt Claudia Naegeli, Leiterin Kommunikation des Finanzdepartements.

Die politische Stossrichtung der Stadt liegt in den Händen der Zürcher Stimmbevölkerung, die sich immer wieder für Massnahmen zur Schaffung bezahlbarer Wohnungsmieten stark macht. So wurde 2011 auch der Verankerung der wohnpolitischen Ziele in der Gemeindeordnung zugestimmt. «Bis 2050 soll ein Drittel aller Mietwohnungen in der Stadt gemeinnützig und damit preisgünstig sein», formuliert Naegeli die konkrete Bedeutung aus.

Dies wird mit einem ganzen Strauss an Massnahmen erreicht. Mit dem Programm Wohnen hat der Stadtrat 23 Massnahmen definiert, an denen das Finanzdepartement, das Präsidialdepartement, das Hochbaudepartement sowie Gesundheits- und Umweltdepartement und die vier städtischen Wohnbaustiftungen beteiligt sind. Zu letzteren gehören die Stiftung Einfach Wohnen, die Stiftung Familienwohnungen, die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich sowie die PWG. Darüber hinaus will die Stadt mit dem Wohnraumfonds die Schaffung von günstigem Wohnraum fördern.

«Knapp 1300 kommunale Wohnungen sind derzeit im Bau oder projektiert»

Allein die Dienstabteilung Liegenschaften der Stadt Zürich bewirtschaftet rund 9400 Wohnungen. Ein wachsender Bereich, wie Claudia Naegeli betont: «Der Bestand von 56 Wohnsiedlungen wird laufend weiter ausgebaut – knapp 1300 kommunale Wohnungen sind derzeit im Bau oder projektiert.» Damit das oben genannte Drittelsziel jedoch erreicht werden kann, braucht es ergänzende Massnahmen.

Eine davon ist die Stiftung Einfach Wohnen (SEW), eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Grundkapital von der Zürcher Stimmbevölkerung 2013 bewilligt wurde. Bei der Gründung bekam die SEW 80 Millionen Franken. 2022 flossen nochmals zwei Millionen Franken Abschreibungsbeiträge der Stadt Zürich zur Stiftung für den Kauf von zwei Liegenschaften.

Ergänzt wurden diese Finanzen übrigens von einem anonymen privaten Spender mit einem Beitrag von 5 Mio. Franken. Das erste Projekt der SEW wurde 2018 vorgestellt: die temporäre Wohnsiedlung Fogo in Zürich-Altstetten. Sie kombiniert günstigen Wohnraum für Geflüchtete und Junge in Ausbildung. Vermieter sind die Asylorganisation AOZ und das Jugendwohnnetz Juwo.

Die einfache Bauweise besteht hauptsächlich aus Holzmodulen, hinzu kamen alte Metallcontainer von der Asylsiedlung Leutschenbach. Seither sind drei weitere Bauprojekte der SEW hinzugekommen: die autofreie Wohn- und Gewerbesiedlung auf dem Guggach-Areal, die Wohnsiedlung Rotbuch und das Projekt Altwiesen-/Dübendorferstrasse mit mehreren Grundeigentümern. Gemäss Claudia Naegeli trägt die Stiftung Einfach Wohnen aber noch zu einem weiteren Ziel bei neben der Schaffung von günstigem Wohnraum: zur Erreichung des städtischen Klimaziels Netto-Null.(ka)

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Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten

Die wenig determinierte Raumstruktur im konventionellen Skelettbau schafft Wohnraum für vielfältige, sich wandelnde Bedürfnisse.

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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