11:06 BAUPRAXIS

HVO Treibstoff: Von der Fritteuse auf die Baustelle

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Seit ein paar Jahren macht der neue Treibstoff HVO auf Baustellen die Runde: Komplett aus rezykliertem Pflanzenöl hergestellt, hat er eine wesentlich bessere Umweltbilanz als Diesel – und kann in den meisten Fällen 1 : 1 als Alternative getankt werden.

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Quelle: Ben Kron

Auf der Baustelle am nordwestlichen Stadtrand von Chur: Zwei ausschliesslich mit HVO betankte Baumaschinen erledigen den Aushub für ein neues Unterwerk.

Die Öga 2024 im bernischen Koppigen erlebte ganz nebenbei eine kleine Premiere: Der Aussteller New Process Energies AG  stellte an der grössten Schweizer Fachmesse für den Garten- und Landschaftsbau erstmals «Hydrotreated Vegetable Oil» (hydriertes Pflanzenöl) vor, kurz HVO. Der Kraftstoff wird aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen, weshalb er gegenüber fossilem Treibstoff bis zu 90 Prozent weniger Kohlendioxydausstoss verursacht (siehe Kasten ganz unten «HVO – Der grüne Kraftstoff»). Da er zudem bei vielen Baumaschinen 1:1 als Diesel-Alternative getankt werden kann, ohne dass an den Maschinen Anpassungen nötig wären, bietet der pflanzenbasierte Kraftstoff für Transportunternehmen und Baufirmen einen Weg, ihre Ökobilanz zu verbessern.

Zu den Bauunternehmen, welche bereits mit dem neuen Treibstoff arbeiten, gehört die Lazzarini AG in Chur. Sie hat Ende 2024 in einem Pilotprojekt eine Baugrube komplett mit HVO-betriebenen Maschinen ausgehoben. «Wir haben 10'000 Liter ‹HVO100› eingekauft, womit wir die rund 30'000 Kubikmeter Aushub bewältigen konnten», sagt Baumeister Marc Caminada. Zum Einsatz kamen dabei ein 25 Tonnen schwerer Raupenbagger, ein 20-Tonnen-Radlader und ein Minibagger der Marke Caterpillar. Der Treibstoff wurde in einem separaten, gemieteten Tank zwischengelagert – derselbe, wir er für Diesel verwendet wird. Der pflanzliche Kraftstoff ist aber wesentlich weniger kälteempfindlich und bleibt selbst bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius einsetzbar.

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Quelle: Avesco

Baubeginn für den Aushub war im Dezember 2024 - er konnte inzwischen termingerecht abgeschlossen werden.

Preis noch 25 Prozent höher

Laut Caminada ist der Verbrauch von HVO gleich hoch wie der von handelsüblichem Diesel: «Auch die Leistung der Maschinen ist nach meiner Wahrnehmung identisch.» Rund 25 Prozent höher ist hingegen der Preis, was im Moment nur teilweise über CO2-Zertifikate kompensiert werden kann. «Aber der höhere Preis war für uns nicht relevant», wie Caminada erklärt. «Es ging uns darum, mit dem neuen Treibstoff Erfahrungen zu sammeln, und uns als Firma aktiv für die Nachhaltigkeit einzusetzen.»

«HVO ist ein Beispiel, wie wir als Bauunternehmung selbst umwelt- und ressourcenschonend produzieren können», sagt Claudio Giovanoli, CEO und Mitinhaber der Lazzarini AG. Sein Unternehmen richtet seine Baggerflotte auf diese Anforderungen hin aus, in Zusammenarbeit mit dem Maschinenlieferanten Avesco. «Neben dem HVO orientieren wir uns auch am neusten Stand der Verbrauchs- und Leistungstechnik, an 3D-Steuerungssystemen und optimierten Einsatz- und Transportgewichten.»

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Quelle: Ben Kron

Einsatz vor malerischer Kulisse: Der 20-Tonnen-Radlader merkt gar nicht, ob er Diesel oder HVO-Kraftstoff verbrennt; der Maschinenführer auch nicht.

Chur bis 2040 klimaneutral

Die mit HVO-Kraftstoff ausgehobene Baugrube dient als Standort für das neue Unterwerk Lacuna der IBC Energie Wasser Chur: Dieses wird nach seiner Inbetriebnahme 2026 rund ein Viertel der Stadt mit elektrischer Energie versorgen. Die Stadt Chur hat sich ihrerseits mit dem «Masterplan Energie und Klima» das Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2040 klimaneutral zu sein. «Wir sind bestrebt, Verantwortung für die langfristigen Auswirkungen unserer Geschäftstätigkeiten auf Umwelt und Gesellschaft zu übernehmen», so Guido Giovanoli, der Technische Leiter Strom bei der IBC. Dazu gehörten ein ressourcenschonender Umgang, Energieeffizienz und Klimaschutz, Lebenszyklusbetrachtung, Innovationen für den Umweltschutz sowie soziale Verantwortung. 

Die IBC begrüsst es ausdrücklich, «wenn Projektpartner in ihren Bereichen einen nachhaltigen Weg verfolgen. Daher finden wir es vorbildlich, dass die Firma Lazzarini den entsprechenden Weg einschlägt.» Sie ist auch überzeugt, dass in Zukunft Aspekte der Nachhaltigkeit bei entsprechenden Vergaben weiter an Gewicht gewinnen werden. «Bei der IBC wird dies –im Rahmen des öffentlichen Submissionsgesetzes seit Langem berücksichtigt und aktiv gefördert.»

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Quelle: Ben Kron

Der 25 Tonnen schwere CAT-Raupenbagger auf der Baustelle, die neben einem Schulhaus und in der Nähe des Rheinufers liegt.

Auch für Notstromanlagen

Das Projekt in Chur nah begleitet hat die Schweizer Händlerin für Cat Baumaschinen Avesco. Daniel Grossenbacher, Leiter Produktmanagement, sieht in der Nutzung von HVO Vorteile: «Unsere Baumaschinen können den Kraftstoff ohne irgendeine Vorbereitung aufnehmen. HVO und auch Biodiesel sind nur etwas teurer als konventioneller Diesel. Sie sind deshalb eine schnelle und gute Alternative zu elektrisch angetriebenen Baumaschinen, welche in der Anschaffung vergleichsweise teuer sind. Ein weiterer klarer Vorteil ist die Autonomie, also die Unabhängigkeit zum Beispiel von verfügbarer Stromversorgung auf der Baustelle.» Diesel und HVO können im Tank auch gefahrlos gemischt werden. Auch in Cat-Notstromanlagen und -Stromerzeugern von Avesco, die zum Beispiel in vielen Datacentern, Industriebetrieben oder für die Stromversorgung von Grossveranstaltungen wie Konzerten verwendet werden, kann HVO anstelle von Diesel genutzt werden.

Neben Caterpillar beschäftigen sich auch weitere Hersteller intensiv mit dem neuen Treibstoff. Volvo zum Beispiel betreibt bereits seit 2020 in seinem Kundenzentrum im schwedischen Eskilstuna alle Demonstrationsmaschinen mit HVO. Seit zwei Jahren betankt Komatsu als erstes Unternehmen weltweit seine in Europa gefertigten Maschinen mit dem umweltschonenden Treibstoff. Wacker Neuson hat alle Geräte und Maschinen mit einem Stufe 5 Dieselmotor zur Verwendung von HVO freigegeben. Dies umfasst sowohl Bagger, Dumper, Rad- und Telelader als auch Vibrationsplatten, Stampfer und Walzen. Dasselbe gilt auch für die Baumaschinen, Raupenkrane und sogar Hafenmobilkrane von Liebherr. 

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Quelle: Avesco

Einer der Vorteile des hydrierten Pflanzenöls: Es bleibt auch bei sibirisch tiefen Temperaturen einsatzfähig.

HVO für Feuerwehr

Auch andernorts ist man auf den alternativen Treibstoff aufmerksam geworden: So betanken seit letztem August die Stützpunktfeuerwehren Kloten und Wallisellen, die Feuerwehr Männedorf-Uetikon sowie die Berufsfeuerwehr St.Gallen einen Teil ihrer Fahrzeuge mit HVO. Bei den Schweizer Transportunternehmen setzen einige auf HVO als Übergangslösung bei der Elektrifizierung der eigenen Fahrzeugflotte.

Ganz auf HVO setzt die Bahn: Bereits seit April 2024 wird an den 64 Schienentankstellen der SBB nicht mehr reiner fossiler Diesel, sondern ein Gemisch mit 25 Prozent HVO ausgegeben. «Diese Beimischung ist ein Kompromiss und sofortige Massnahme zur Reduktion der Treibhausgase», erklärt SBB-Projektleiter Philipp Haudenschild. «Wir wählten diese Mischung, weil es bei der SBB noch Fahrzeuge mit älteren Dieselmotoren gibt, die nicht mit 100 Prozent HVO betrieben werden können.» Mit einer Beimischung von einem Viertel HVO entspricht der Kraftstoff immer noch der Norm EN590 für Diesel, weshalb die SBB diesen Treibstoff überall einsetzen kann. Langfristig wird die Bahn dieselbetriebene Fahrzeuge und Maschinen nach und nach durch elektrische ersetzen. «Wo eine Wende nicht möglich ist, peilen wir 100 Prozent HVO oder andere synthetische Kraftstoffe an.»

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Quelle: Ben Kron

Bagger und Radlader im Duett: Zusammen benötigten sie 10000 Liter Treibstoff, um ihre Aufgabe in Chur zu erledigen.

HVO auf der Strasse

Auch für den privaten Strassenverkehr ist HVO eine Alternative. So hat der Konzern Stellantis all seine Dieselfahrzeuge – unter anderem die der Marken Citroën, Fiat, Peugeot und Opel – für den neuen Kraftstoff freigegeben. Noch einen Schritt weiter geht BMW: Hier werden alle in Deutschland produzierten Diesel-Modelle vor Auslieferung an die Händler mit dem synthetischen Kraftstoff «HVO100» betankt.

In der Schweiz wird die Umweltbilanz des Treibstoffs derzeit noch durch die langen Transportwege etwas beeinträchtigt, doch dieser Nachteil entfällt bald: Der Hersteller Helvoil AG baut derzeit in Monthey VS eine Fabrik, die ab Herbst 2026 HVO produzieren wird, mit einer Kapazität von 100 Millionen Litern pro Jahr. Bleibt für Private nur noch das Problem, wo sie den Dieselersatz beziehen können. Am 1.Februar 2025 wurde in Lyss BE die erste öffentliche Tankstelle für «HVO100»-Diesel eröffnet. Es besteht also Aufholbedarf, denn im Rest von Europa gibt es bereits 14'000 solcher Zapfsäulen.

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Quelle: Avesco

Der Raupenbagger wird betankt: Mit HVO entsteht bei der Verbrennung kaum Russ, was den Motor langfristig schont.

HVO - Der grüne Kraftstoff

Die Abkürzung steht für «Hydrotreated Vegetable Oil» (hydriertes Pflanzenöl). Es wird mittels einer katalytischen Reaktion gewonnen aus erneuerbaren, biologischen Abfällen wie gebrauchten Speiseölen und Fetten aus Restaurants und Reststoffen der Lebensmittelindustrie. Im Gegensatz zum sogenannten Bio-Diesel werden für HVO also keine Lebensmittel verwendet und auch keine landwirtschaftlichen Flächen belegt.

Auf dem Markt ist aktuell vor allem der Treibstoff «HVO100» gefragt, wie er auch auf der Baustelle in Chur zum Einsatz kam. «HVO100» besteht vollständig aus hydriertem Pflanzenöl und erfüllt alle Anforderungen der Norm DIN EN 15940 für paraffinische Dieselkraftstoffe. HVO und Diesel können aber auch ohne Probleme gemischt werden, je nach Einsatz.

Hohe Zündfähigkeit

Mit einer Cetanzahl von 70 ist die Zündfähigkeit von «HVO100» sehr hoch, wodurch Motoren ruhiger laufen und erheblich effizienter verbrennen. Da HVO kaum Schwefel und keine PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) enthält, entstehen bei der Verbrennung fast keine Russpartikel. Entsprechend ist zu erwarten, dass sich die Wartungsintervalle der eingesetzten Maschinen verlängern.

Der grösste Vorteil des hydrierten Pflanzenöls liegt aber in seiner Treibhausgas-Bilanz: Gegenüber fossilem Diesel beträgt die Reduktion des CO2-Ausstosses 85 bis 90 Prozent. Und am Ende dies: Mit HVO betriebene Maschinen verströmen keinen spezifischen Geruch – die eingesetzten Lebensmittelöle sind bei der Verbrennung nicht mehr als solche wahrnehmbar. Leider also riecht der Auspuff des Baggers nicht nach Pommes Frites. (bk)

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Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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