09:09 BAUPRAXIS

Kathodischer Korrosionsschutz: Mit Gleichstrom gegen Rost

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Claudia Bertoldi

Eindringende Chloride verursachen an Stahlbetonbauwerken schwerwiegende Korrosionsschäden. Besonders Infrastrukturen, welche in direktem oder indirektem Kontakt mit Tausalzen stehen, sind hochgradig gefährdet. Auch das Parkhaus im Einkaufszentrum Sihlcity in Zürich muss bereits nach elfjähriger Nutzungszeit komplett saniert werden.

Das auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik erbaute Einkaufszentrum wurde im März 2007 eröffnet. Um vier als Zeitzeugen erhaltenen Fabrikbauten entstand eine kleine «Stadt in der Stadt». Auf rund 98 000 Quadratmetern Nutzfläche sind unter anderem Restaurants, Cafés, ein Kino, ein Kulturhaus, ein Fitnesscenter, ein Hotel, das grosse Einkaufszentrum sowie Dienstleistungsflächen, Büroflächen und Wohnungen untergebracht.

Das Einkaufzentrum wird täglich von 24 000 Menschen besucht, zudem haben rund 2300 Personen hier ihren Arbeitsplatz. Viele (nach Angaben des Sihlcity Center Managements 35 Prozent) kommen mit dem Auto, obwohl ein ausgezeichneter Anschluss mit öffentlichen Verkehrsmitteln besteht. Insgesamt stehen 850 Parkplätze zur Verfügung.

Wer an der Sihlcity vorbeifährt, bemerkt nichts vom maroden Zustand, in dem sich das siebengeschossige Parkhaus befindet. Spätestens beim Parken sind die Schäden aber sehr deutlich zu erkennen: Risse und Ausbrüche im Betonboden, freiliegende Bodenplattenbewehrungen, ausgeplatzte Kanten, rostige Abdeckungen, bröckelnde Betondecken mit sichtbaren Wasserschäden und sich ablösende Farbschichten. Kein attraktiver Empfang, doch wesentlich gravierender sind die Gefahren, die mit voranschreitender Korrosion bestehen. Aus diesem Grund wurde die Komplettsanierung des gesamten Parkhauses angeordnet. Im vergangenen Jahr begannen die Arbeiten, die voraussichtlich bis 2020 andauern werden. Parkdeck 7 ist bereits fertiggestellt, auf der sechsten Etage sind die Arbeiten in vollem Gange.

Die schmalen Metallstreifen werden im Abstand von 20 Zentimetern verlegt.

Quelle: Claudia Bertoldi

Die schmalen Metallstreifen werden im Abstand von 20 Zentimetern verlegt.

Enormer Sanierungsaufwand

Die jährlichen Kosten aufgrund von Korrosion liegen laut Ueli Angst, Assistenzprofessor an der ETH Zürich, in den meisten Industrieländern bei rund drei Prozent des Bruttoinlandproduktes. Insbesondere Infrastrukturen, welche direkten oder indirekten Kontakt mit Taumitteln stehen, sind hochgradig gefährdet. Die Chloride, Bestandteile des Streusalzes, heben den Korrosionsschutz des stahlumgebenden Betons auf. Die Korrosion kann starten, die statische Sicherheit des Bauwerks gerät in Gefahr.

Um das Eindringen von Chloriden in die Struktur zu verhindern, erhalten gefährdete Bauwerks­teile wie Bodenplatten und Rampen üblicherweise eine Beschichtung. Doch Praxisbeispiele wie auch das Parkhaus «Sihlcity» zeigen, dass dem Korrosionsschutz bereits bei der Erstellung immer noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird.

Zunächst erfolgte eine Bestandsaufnahme durch das beauftragte Basler Projekt- und Planungsbüro Gruner AG. Auf den Parkdecks zeigten sich zahlreiche Längs- und Querrisse am Boden und rund um die Säulen. Zudem waren grössere Abplatzungen sichtbar. Ausserdem war nicht in allen Bereichen eine Bodenbeschichtung aufgebracht worden, wie sie üblicherweise zum Schutz der befahrenen Flächen vorgesehen wird. Proben ergaben auch auf der Zufahrtsrampe stark erhöhte Chloridwerte. Die Bewehrungs­überdeckung betrug teilweise weniger als 13 Millimeter. Auch bei der Überprüfung einer hinter einer abgehängten Metalldecke und Dämmschicht verborgenen Stahlbetondecke eines angrenzenden Lagerraums kamen massive Schädigungen der Struktur zum Vorschein. Als einzige Möglichkeit der Instandsetzung ist eine komplette Sanierung durchzuführen, die nicht nur erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, sondern auch sehr kostspielig ist.

Die Sanierung hat im vergangenen Jahr begonnen. Eine komplette Sperrung des Parkhauses war nicht möglich, denn das Gebäude wird nicht nur von den Besuchern des Einkaufszentrums genutzt, sondern auch von Bewohnern, Hotelgästen und in den Büros tätigen Personen. Seitdem wird unter den Auflagen der permanenten Sicherstellung einer grösstmöglichen Restparkfläche und einer minimalsten Lärmentwicklung gearbeitet. Vor allem Letzteres beeinflusst die Arbeitsfortschritte, denn es gibt rigide zeitliche Einschränkungen für die ausführenden Unternehmen. Die lärmintensiven Arbeiten wie das Abtragen der oberen Deckschicht der Bodenplatte oder Stemm- und Bohrarbeiten dürfen nur vor und nach den Bürozeiten, also in den frühen Morgenstunden und am Abend ausgeführt werden.

In der Sihlcity werden rund 18 000 Quadratmeter Bodenfläche mit einem Kathodischen Korrosionsschutz der Firma Suicorr AG aus Dietikon ausgerüstet. Das spezialisierte Unternehmen wurde 2011 gegründet und betreut inzwischen rund 250 KKS-Anlagen in der Schweiz. Das Verfahren ist durch internationale und nationale Normen und Richtlinien geregelt. Betreut wird das Projekt vom Team der Gruner AG, Basel. Gemeinsam stellten die Unternehmen das laufende Projekt im Folium Sihlcity vor.

Forschung an der ETH

Angesichts der enormen, immer mehr steigenden Kosten, die durch Korrosion weltweit verursacht werden, laufen international Forschungen, um dem Übel entgegen zu wirken. Mit dem Verhalten des Stahls im Beton beschäftigte sich auch der ETH-Professor Ueli Angst. Auch in der Schweiz wurden viele Stahlbeton-Infrastrukturen vor Jahrzehnten erbaut. Das Bundesamt für Strassen Astra überprüft regelmässig rund 1500 Brücken, 1600 Überführungen und mehr als 2000 Unterführungen. Die Verfahren sind zeit- und kostenintensiv, allerdings absolut sicherheitsrelevant. Brückeneinstürze wie in Genua sind bei exakter Wartung vermeidbar. Das Alter allein ist kein Indikator für die Nutzungsdauer, allein eine regelmässige Wartung und Instandsetzung ermöglichen ein hohes Alter. «Man sieht leider nicht immer, was im Beton vorgeht. Doch wenn man Schäden früh entdeckt, sind auch die Instandsetzungskosten geringer», erklärt Angst.

Denn leider bestehen immer noch viele Unklarheiten darüber, was die Korrosion von Stahl im Beton beeinflusst und beschleunigt. «Die Wurzel des Übels liegt darin, das wie eigentlich nicht wissen, was die Korrosion wirklich auslöst und wo sie einsetzt», so Angst. Sicher sei aber, dass die Chloridkonzentration nur einen geringen Einfluss hat. Um bessere Daten zu erhalten, wurde an der ETH eine Testmethode entwickelt. Sie ermittelt anhand von einfachen Bohrkernen Chloridprofile, den Diffusionskoeffizient und den kritischen Chloridgehalt, mit dem eine Lebensdauermodellierung erstellt werden kann. Für die Zukunft sieht Angst Chancen im «Structural Health Monitoring», bei dem Sensoren Daten bei der Langzeitüberwachung erfassen.

Einbau des Schutzsystems

Bei Korrosion der Bewehrungseisen in chloridkontanimiertem Beton durch eindringendes Tausalz oder Beton mit fortgeschrittener Karbonatisierung ist das kathodische Schutzverfahren die effizienteste Lösung. Es bietet einen dauerhaften Schutz gegen die fortschreitende Zersetzung der Armierungseisen.Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass karbonatisierte oder mit Chlorid angereicherte Zonen des Betons nicht abgetragen werden müssen. So müssen angrenzende Gebäudebereiche wie die darunterliegenden Parkdecks während der Arbeiten auch nicht gesperrt werden.

Im Parkhaus Sihlcity wird zunächst die beschädigte Oberfläche bearbeitet sowie vor­handene Risse geschlossen werden. Unter­suchungen hatten ergeben, dass die verbleibende Bewehrung statisch ausreichend ist, an einigen Stellen, speziell bei den Einlaufrinnen, teilweise ohne ausreichende Überstösse verlegt worden war. Hier muss nachgebessert werden.

Nach dem Einschlitzen werden die Titan-Bandanoden parallel in einem Abstand von rund 15 Zentimetern auf den Boden verlegt. Mit kleinen Plastikhaltern werden die Metallbänder am Boden gegen Verrutschen gesichert. Bei der Verlegung ist auf eine gute Vermaschung zu achten, zudem darauf, dass Kurzschlüsse zwischen Anode und Kathode ausgeschlossen werden können. Auch Querverbindungen sind in regelmässigen Abständen zu verlegen. Sie garantieren, dass bei eventuelle Beschädigungen nicht das komplette System ausfällt, sondern nur die betroffene Zone, die durch integrierte Messsysteme jederzeit geortet werden können. Sie ermöglichen auch in Zukunft eine ständige Zustandsbewertung des Bauwerks.

Nach dem Einbau der Gleichstromquelle und der Messsensoren wird Spritzmörtel aufgetragen. Das Ergebnis ist eine glatte Oberfläche, die nach dem Austrocknen mit einer weiteren, auch farblich eingefärbten Schutzbeschichtung versiegelt wird.

Stabanoden kommen hingegen in Deckenbereichen zum Einsatz, in deren Unterseite eine Karbonisieren beziehungsweise Ausblühungen sichtbar sind. Sie werden an schlecht einsehbaren oder nicht zugänglichen Gebäudestellen mittels Bohrungen eingebracht. Als alternative Schutzsysteme boten sich auch eine galvanische Anoden oder ein leitfähiger Anstrich an. Durch den Kathodischen Korrosionsschutz erhält das Parkhaus Sihlcity nach der Sanierung eine weitere Nutzungsdauer von mindesten 50 Jahren.

Geschrieben von

Ehemalige Redaktorin Baublatt

Claudia Bertoldi war von April 2015 bis April 2022 als Redaktorin beim Baublatt tätig. Ihre Spezialgebiete waren Architektur- und Technikthemen.

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