12:07 BAUPRAXIS

Forschung an neuartigem Zement aus Salzsole

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: ENGY NAGUIB, Pexels, gemeinfrei

In Dubai tüfteln Architekten und Wissenschaftler an einem neuartigen Magnesiumzement, der sich aus Sole gewinnen lässt, die bei Entsalzungsanlagen in grossen Mengen anfällt. Nachhaltig wären auch die Bindung von Kohlendioxid im Material und der kürzere Produktionsprozess.

Siwa Oase in Ägypten

Quelle: ENGY NAGUIB, Pexels, gemeinfrei

Inspiriert wurden Architekten und Forscher von der traditionellen Bauweise, bei der die Bewohner der Oase schon vor Jahrhunderten Magnesiummineralien für den Bau von Häusern verwendeten.

Beton ist heute der wichtigste Baustoff für alle Arten von Gewerken und bei der Gestaltung das Fundament der modernen Architektur. An einer Verbesserung der Nachhaltigkeit des Bindemittels Zement wird seit Jahren intensiv geforscht. Für eine nachhaltige Bauweise tüfteln Architekten und Wissenschaftler nun an einem neuartigen Magnesiumzement, dessen Ausgangsmaterial Salzsole bildet. 

Die in Dubai ansässigen Architekten Wael Al Awar und Kenichi Teramoto wollen zusammen mit Wissenschaftlern auf Basis von Salzlake einen alternativen Zement herstellen. Das klingt verwegen, denn Salz verursacht bei Gebäuden und Brücken enorme Schäden. Salz bildet allerdings nur das Ausgangsmaterial für den neuen Zement. Es fällt bei Entsalzungsanlagen in grossen Mengen an, etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), wo wegen der Süsswasserknappheit die grössten Anlagen der Welt betrieben werden. Weil die Sole wieder ins Meer geleitet wird, steigt der Salzgehalt im Meer, was Auswirkungen auf Fauna und Flora hat. Auch wird das Meerwasser mit fossilen Brennstoffen erhitzt, was nicht nachhaltig ist. 

Ein Team des Advanced Materials and Building Efficiency Research Laboratory (Amber Lab) der New York University in Abu Dhabi sowie von Universitäten in Japan machten sich deshalb daran, für die Entsalzungssole neue Verwendungsmöglichkeiten zu suchen und um herauszufinden, auf welche Weise das Abfallprodukt sinnvoll genutzt werden kann.

Siwa Oase in Ägypten

Quelle: Eslam M. Chalabi, wikimedia CC BY-SA 3.0

Die Oase Siwa in Westägypten liegt in einer Senke. Weite flache Becken trockneten im Jahresrund immer wieder aus. Zurück blieben Salzkrusten mit einem hohen Anteil an Magnesiummineralien.

Gegossene Blöcke in Kammern härten

Sole weist einen hohen Anteil an Magnesiummineralien auf. Die Wissenschaftler extrahierten eine Magnesiumverbindung aus der flüssigen Lake und gossen daraus Blöcke aus Zement, die anschliessend in einer Kohlendioxidkammer chemisch gebunden wurden. Das Aushärten in den Kammern ist erforderlich, weil die vorgefertigten Blöcke einen höheren Prozentsatz an Kohlendioxid benötigen als in der Atmosphäre vorhanden ist. Doch reaktives Magnesiumoxid kann laut Kemal Celik, Ingenieur und Assistenzprofessor an der NYU Abu Dhabi, nicht nur während des Härtungsprozesses Kohlendioxid absorbieren, sondern noch lange nach dem Einmischen in den Beton. 

Das Material sei «kohlenstoffnegativ». Und Straßen und Gebäude könnten sogar während Jahren Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, was helfen könne, den Klimawandel abzuschwächen. Zudem kann laut Celik reaktiver Magnesiumoxidzement bei viel tieferen Temperaturen hergestellt werden als Portlandzement, was den Energieverbrauch reduziert. Bei traditionell hergestelltem Zement liegen die Brenntemperaturen zwischen 1450 und 1550 Grad Celsius.

Neben Festigkeits- und Steifigkeitstests wurde anhand von algorithmischen Methoden die Sicherheit des Zements beim Einsatz im Bauwesen berechnet. Die vorgefertigten Blöcke wären nach Ansicht der Architekten bereits stabil genug für den Bau einstöckiger Häuser. Ziel von Al Awar und Teramoto ist es aber, das Produkt für mehrstöckige Gebäude weiterzuentwickeln. Der Zement auf Magnesiumbasis sehen die Wissenschaftler als mögliche Alternative zum Portlandzement. Denn mit dem Verfahren, mit dem eine Beschleunigung des Produktionsprozesses verbunden wäre, kann auch klimaschädliches Kohlendioxid im Material gebunden werden. 

Bauwerk in der Siwa Oase in Ägypten

Quelle: www.heatheronhertravels.com, flickr CC BY 2.0

Neben Lehm dienten auch Blöcke aus Sand, Salz und Magnesiummineralien als Baustoff.

Traditionelle Bauweise als Vorbild

Inspirieren liessen sich die beiden Architekten von der traditionellen Bauweise. Baustoffe mit einem hohen Anteil an Magnesiummineralien fand im arabischen Raum schon vor Jahrhunderten Verwendung für den Bau von Häusern, etwa bei den Gebäuden der mittelalterlichen Stadt in der Siwa-Oase in Westägypten. Den Baustoff lieferten damals die sognannten Sabkha. 

Dabei handelt es sich um Becken, die zeitweise mit Wasser überflutet wurden und auf denen sich nach der Verdunstung mineralstoffreichen Salzflächen bildeten. Solche Sabkha entstehen vor allem in Wüstengebieten, wo an sechs bis neun Monaten pro Jahr die Verdunstung den Niederschlag übersteigt. Anstatt das empfindliche Sabkha-Ökosystem zu zerstören, sind die Architekten und die Wissenschaftler vom Potenzial der Abfallsole überzeugt.

Weitere Forschung notwendig für breite Anwendung

Der Magnesiumzement hat jedoch auch seine Grenzen. Bei Salz als Ausgangsmaterial könnte bei Stahlbewehrungen die Korrosion zum Problem werden, weshalb für die Verstärkung andere Materialien verwendet werden müssen. Noch muss der klimaneutrale Zement mit breit angelegten Reihen von Experimenten auf die Praxistauglichkeit getestet werden. Im Mai 2021 soll der alternative Baustoff aber auf der Architekturbiennale von Venedig präsentiert werden. Vorgesehen ist, denn VAE-Pavillon teilweise aus Zement auf Magnesiumbasis zu bauen.

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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