20:23 BAUPRAXIS

Ausstellungstipp "Social Design": Wenn Design sozial ist

Geschrieben von: Silva Maier (mai)
Teaserbild-Quelle: Andreas Spiess, Solarkiosk AG

Eine Strasse vor dem Verfall retten, in neuralgischen Quartieren eine bessere Durchmischung schaffenund Menschen in vom Stromnetz abgeschnittenen Regionen mit Energie versorgen: Das und noch mehrkann "Social Design". Davon erzählt eine Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich.

Sie ist einer der schönsten Plätze Europas: die Grande Place in Brüssel. Dies liegt an der prunkvollen Fassade des gotischen Rathauses, aber auch an den barocken Häusern, deren golden verzierte Giebel dem Ort je nach Tageslicht zahllose Glanzlichter aufsetzen. Seit 1998 gehört die Grande Place zum Unesco-Weltkulturerbe. Während hier Touristen die Pracht vergangener Tage bestaunen, befindet sich ein weiterer Ort ebenfalls mitten in der Stadt, den zu entdecken sich lohnt. Auch dort geht es am Wochenende lebhaft zu: In den Abattoirs Anderlecht in der Nähe des Gare du Midi findet jeweils Brüssels grösster Wochenmarkt statt.

Neues Leben beim Schlachthof in Brüssel

Der Stadtteil umfasst unter anderem einen gross angelegten Schlachthof aus dem 19. Jahrhundert, der dem Stadtteil seinen Namen gegeben hat. Mittlerweile modernisiert ist er noch immer in Betrieb. Sein ehemaliger Eiskeller dient heute als Veranstaltungsort. In direkter Nachbarschaft steht eine denkmalgeschützte gusseiserne Markthalle aus derselben Zeit.

Sie wird seit rund drei Jahren von einer weiteren Markthalle ergänzt: "Foodmet" bietet ebenfalls Platz für Verkaufsstände und Lager, aber auch für Werkstätten. Der helle Sichtbetonbau besteht aus unterschiedlichen, sich wiederholenden Elementen. Das luftig anmutende Design stammt aus der Feder der Architekten von ORG mit Büros in Brüssel und New York. Allerdings ist das Gebäude lediglich Teil eines grösseren Projektes. Es gehört zum Masterplan "Meat Market District" und ist eines der ersten Projekte, die in diesem Zusammenhang umgesetzt worden sind. Mit dem Plan wollen die Behörden in der Umgebung, in der mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund zu Hause sind, für eine bessere Durchmischung sorgen und die Gemeinschaft stärken. Die unterschiedlichen Ethnien sollen im erneuerten Stadtteil so sichtbarer werden mehr Raum erhalten.

Der Planungsprozess war komplex und aufwendig. Er nahm mehr als acht Jahre in Anspruch. Dies, weil ORG die Nachbarschaft miteinbezogen hat. Zudem wurde ein Qualitätsausschuss gegründet, der die laufenden Arbeiten überwachte. Überdies entwickelte das Team um ORG in der Folge eine ganze Reihe von Pilotprojekten, die jeweils ein weiteres Projekt zur Folge hatten und so mit ihrer Realisierung eine Art Dominoeffekt auslösten.

"Granby Street": Wenn eine verwahrloste Geschäftsstrasse zum Geschäft wird

Die "Foodmet"-Halle ist eines von 25 vielfältigen Beispielen, anhand derer die Ausstellung "Social Design" im Museum für Gestaltung anschaulich illustriert, worum es bei sozialem Design geht. Und sie zeigen, dass es fruchtbar sein kann, wenn Wirtschaft, Staat, Zivilgesellschaft und Einzelne zusammenspannen.

Einer der Ausstellungsbereiche ist städtischen Räumen gewidmet. Dieser stellt neben dem Brüsseler Projekt etwa die "Granby Street" vor, einer verwahrlosten Geschäftsstrasse im britischen Liverpool. Sie konnte von engagierten Anwohnern vor dem Zerfall gerettet werden. Mit dem Ziel, die leerstehenden Häuser wieder als günstige Wohnungen nutzbar zu machen, hatten sie den "Granby Four Streets Community Trust" (CLT) gegründet. Zusammen mit dem interdisziplinären Kollektiv Assemble und den Architekten der Steinbeck Studios schaffte es der CLT nicht nur, die teils völlig verfallenen Flats wieder aufzubauen, sondern auch Neues zu schaffen. So wurden zwei Bauten zu einem öffentlichen Wintergarten umfunktioniert. Und der "Granby Workshop", in dem anfangs nur für die zu renovierenden Häuser Baukeramik hergestellt wurde, arbeitet längst nicht mehr nur für das Quartier.

Von der Kalkbreite bis nach Afrika

Ein weiterer Schwerpunkt thematisiert Projekte aus dem Bereich "Wohnen, Bildung, Arbeit". Hier blicken die Besucher in die nächste Umgebung des Museums: Bis 2050 soll der Anteil gemeinnütziger Wohnungen in der Stadt Zürich gemäss einer Volksabstimmung um ein Drittel wachsen. Eines der "aufsehenerregendsten Projekt der letzten Jahre" sei die Genossenschaft Kalkbreite, die in einem partizipativen Planungsprozess über dem Tramdepot beim Bahnhof Wiedikon eine Blockrandüberbauung mit einem vielfältigen Raumangebot für Wohnen, Arbeiten, Gewerbe und Kultur erstellt habe, heisst es dazu im Katalog zur Ausstellung. Jedoch bleibt hier wie bei den übrigen Projekten, welche Themen wie Wohnen und Raumplanung betreffen, vieles an der Oberfläche. Kritische Töne fehlen. Dies mag daran liegen, dass jeweils lediglich ein kleiner Überblick geboten wird. Dafür machen die Texte neugierig darauf, mehr zu erfahren.

Geht es um weniger gross angelegte Projekte, funktioniert die Ausstellung aber gut. Sie sind es denn auch, die sie inspirierend machen. Dies gilt etwa für den Solarkiosk. Dabei handelt es sich um einen kleinen, mobilen Pavillon, der sowohl saubere Energie liefert als auch als kleiner Laden, Servicestation oder Kommunikationszentrum dienen kann. Gedacht ist er für einsame, vom Stromnetz abgeschnittene Regionen. Hinter dem Kiosk steckt das Architekturbüro Graft mit Niederlassungen in Berlin, Los Angeles und Peking. Der erste seiner Art ging in Äthiopien in Betrieb. Sein Angebot: Auflademöglichkeiten für Handys, gekühlte Getränke und ein paar ausgewählte Solarprodukte. Das Konzept hatte Erfolg. Mittlerweile gibt es Solarkioske inBotswana, Kenia, Tansania, Ghana und Ruanda. Des Weiteren stellt die Schau einen Turm aus Bambus vor, der in trockenen Regionen Wasser sammeln und durchschnittlich hundertLiter Wasser pro Tag liefern kann. Eindrücklich ist auch "M-Pesa", ein Geldtransfersystem, das Zahlungen mittels Mobiltelefon ermöglicht – ohne dass dafür ein Bankkonto oder eine Kreditkarte nötig ist.

Arbeiten von Studenten der Hochschule für Gestaltung

Daneben präsentiert die Ausstellung auch Kreationen aus der eigenen "Küche": Studenten der Hochschule der Künste, zu der das Museum gehört, haben mit der Eawag und der Formpol AG den "Safir"-Wasserfilter entwickelt, der stark verschmutztes Wasser ohne Chemie und Elektrizität reinigen kann. Möglich ist dies, weil sein Konzept auf einem sogenannten Schwerkraftdurchfluss und einem Biofilm basiert. Nachdem Prototypen in Kenia und im bolivianischen Hochland getestet worden sind, werden die Filter seit bald fünf Jahren in Serie hergestellt.

Zu Beginn der Ausstellung wird die Frage gestellt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Design die Welt verändern kann. Wer will, positioniert dazu eine Stecknadel an einem entsprechenden Punkt auf einer Skala. Hat man die Schau gesehen, scheint die Antwort klar. Design kann viel. Auch verändern.


Weiterführende Informationen:
Masterplan "Meat District": www.abattoir.be/en/masterplan
Solarkiosk: www.solarkiosk.eu
Kalkbreite: www.kalkbreite.net
«Safir»-Wasserfilter: www.eawag.ch

Ausstellung

Social Design im Museum für Gestaltung Zürich bis 3. Februar
Ort: Toni Areal, Zürich
Öffnungszeiten: Dienstag 10 bis 17 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr
Weitere Infos: https://museum-gestaltung.ch

Geschrieben von

Chefredaktorin Baublatt

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