Räte streiten weiterhin um Umgang mit Verbandsbeschwerden
Der Bau von 16 seit Längerem definierten Wasserkraftprojekten soll bald beginnen können. Anders als der Ständerat will der Nationalrat aber das Verbandsbeschwerderecht für diese Vorhaben nicht abschaffen. Er hat am Dienstag an seinen früheren Entscheiden festgehalten.
Mit 102 zu 91 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschloss die grosse Kammer erneut, das Verbandsbeschwerderecht nicht abzuschaffen, sondern nur abzuschwächen. Konkret sollen Beschwerden nur dann zugelassen werden, wenn sie von drei berechtigten Organisationen gemeinsam eingereicht werden.
Der Ständerat jedoch will das Verbandsbeschwerderecht für die im Stromgesetz verankerten Wasserkraftprojekte ganz abschaffen. Dieser Entscheid fiel im Juni mit 25 zu 18 Stimmen. Die kleine Kammer ist nun erneut am Zug. Bleibt sie bei ihrem Entscheid, muss das Geschäft in die Einigungskonferenz.
Angst vor Scheitern der Vorlage
Im Nationalrat stimmten die Fraktionen von SP, Grünen und GLP geschlossen, die Mitte-Fraktion fast geschlossen für die sogenannte Dreierregel. Das Verbandsbeschwerderecht sei mit der Bedingung, dass sich drei Organisationen zusammenschliessen müssen, bereits genügend eingeschränkt, sagte Priska Wismer-Felder (Mitte/LU). «Ein kompletter Ausschluss des Verbandsbeschwerderechts bringt diese Vorlage zum Scheitern.»
Namentlich die Ratslinke droht seit Längerem mit einem Referendum gegen die Vorlage, sollte das Verbandsbeschwerderecht gemäss Beschluss des Ständerats vollständig und rückwirkend ausgeschlossen werden. Dieser Schritt sei «staatspolitisch inakzeptabel" und "ein eklatanter Vertrauensbruch des Parlaments», sagte Jon Pult (SP/GR).
Aline Trede (Grüne/BE) verwies auf die Abstimmung zum Energiegesetz vor einem Jahr. Damals sei im Abstimmungsbüchlein das Verbandsbeschwerderecht explizit garantiert worden. «Das muss weiterhin gegeben sein.»
Die Kantone und die ganze Strombranche sei für den Kompromissvorschlag des Nationalrats, gab Martin Bäumle (GLP/ZH) zu bedenken. «Wir alle wollen diese 16 Projekte realisieren.» Es sei derzeit nicht absehbar, dass drei Organisationen zusammen eine Beschwerde gegen eines der Projekte erheben würden.
Wasserkraft-Ausbau «im Schneckentempo»
Auch Energieminister Albert Rösti rief dazu auf, dem Kompromissvorschlag des Nationalrats zuzustimmen. Ansonsten sei der Beschleunigungserlass gefährdet. «Ich mache mir Sorgen, dass es zu wenig schnell vorwärtsgeht.»
Die Vorlage sieht Gesetzesänderungen vor, um Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren für grosse Anlagen der erneuerbaren Energien zu straffen und den Planungsprozess für den Ausbau des Stromnetzes zu vereinfachen. Damit soll die Energiewende vorangetrieben werden.
Für die SVP und die FDP geht es derweil zu wenig schnell. Aus ihrer Sicht führt auch das eingeschränkte Verbandsbeschwerderecht zu weiteren Verzögerungen. «Es ist nun an der Zeit, Verbandsbeschwerden gegen diese Projekte auszuschliessen», sagte Christian Wasserfallen (FDP/BE). Sonst gehe es «im Schneckentempo» weiter.
Gesucht ist weiterhin eine in beiden Räten mehrheitsfähige Lösung, bei der die Energiewende und der Naturschutz Hand in Hand gehen. Das Ziel bleibt es, die Vorlage in der laufenden Session zu bereinigen.
Kompromiss bei zweitem Kernpunkt
Geeinigt haben sich die Räte dafür in einem anderen Punkt, den Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen. Das Gesetz verlangt bei Wasserkraftprojekten solche Massnahmen, um die unvermeidbaren ökologischen Auswirkungen zu kompensieren.
An den Ersatzmassnahmen will das Parlament grundsätzlich festhalten. Es möchte das Modell der Ausgleichsmassnahmen aber etwas flexibilisieren. Solche Massnahmen gehen über den gesetzlichen und bekannten Ausgleich hinaus und schaffen einen ökologischen oder landschaftlichen Mehrwert.
Gemäss übereinstimmenden Beschlüssen sollen die Ersatzmassnahmen auch künftig direkt und nicht mit finanziellen Abgeltungen erbracht werden müssen. Sie müssen also zwingend umgesetzt werden.
Bei den zusätzlichen Ausgleichsmassnahmen hingegen soll unter klar definierten Voraussetzungen erstmals auch eine monetäre Abgeltung zulässig sein, mit strengen Vorgaben für deren Verwendung. Das Ziel: Die Umsetzung von Ausgleichsmassnahmen soll die 16 Wasserkraftprojekte nicht verzögern oder gar blockieren. (sda)