15:10 BAUBRANCHE

Arbeitssicherheit ist Chefsache

Sicher arbeiten kostet keine Zeit: Der Geschäftsführer der Bauunternehmung Butti AG musste die Bedeutung dieses Satzes bitter lernen. Nach einem gravierenden Unfall in seinem Unternehmen hat er viel in die Arbeitssicherheit investiert und konnte die Ausfalltage massiv senken.

Merceano Freixo (links) und Gian Reto Lazzarini: Zum Glück ist der Verunfallte heute wieder voll einsatzfähig.

Merceano Freixo (links) und Gian Reto Lazzarini: Zum Glück ist der Verunfallte heute wieder voll einsatzfähig.

Gian Reto Lazzarini übernahm 2011 die Butti Bauunternehmung AG mit 110 Mitarbeitenden in Pfäffikon SZ. Der studierte Bauingenieur war vorher als Berater für die Firma tätig und entdeckte dabei, wie spannend eine Übernahme wäre. Bei seinem Start lagen die Unfallzahlen im Unternehmen mit 34 Unfällen pro Jahr rund 50 Prozent über dem Branchenschnitt. Da es sich jedoch um Bagatellunfälle handelte, blieben die Prämien konstant auf dem gleichen Niveau. "Ich war überzeugt, dass wir in Sachen Arbeitssicherheit auf einem Top-Level sind", sagt Gian Reto Lazzarini rückblickend. "Wir machten einmal pro Jahr eine Mitarbeiterschulung und ich fand, das sei grossartig."

Veränderung bitter nötig
Allerdings störte es den Geschäftsführer, dass die Unfälle konstant über dem Branchenschnitt lagen. Wie man diesen Umstand ändern könnte, war ihm aber schleierhaft. Dass eine Veränderung bitter nötig war, musste Gian Reto Lazzarini 2013 auf die harte Tour erfahren. Er war in Zürich an einer Sitzung, als sein Telefon klingelte. Ein Mitarbeiter informierte ihn, dass der Bauarbeiter Merceano Freixo einen Unfall hatte. Er sei in einen Liftschacht abgestürzt.

Anfangs sah es noch nicht so dramatisch aus. Der Bauarbeiter war bei Bewusstsein, äussere Verletzungen gab es keine. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft seien jedoch vor Ort, wird Lazzarini weiter informiert. Erst im Spital in Zürich im MRI entdeckten die Ärzte die inneren Verletzungen. Die Leber und die Nieren waren völlig zerquetscht. Das Leben von Merceano Freixo hing an einem seidenen Faden. Es war die Aufgabe von Gian Reto Lazzarini, die Frau des Verunfallten anzurufen und ihr zu erklären, dass der Mann am Abend nicht nach Hause komme. "Es war das Schwerste, was ich bisher in meinem Berufsleben tun musste."

Glückliche Rückkehr
Der Mitarbeiter lag zwei Wochen im künstlichen Koma. Der Bauch wurde in dieser Zeit gar nicht mehr geschlossen, weil die Ärzte so viele Operationen durchführen mussten. Zwei Wochen lang war unsicher, ob der Mitarbeiter überleben wird. Dann kam die grosse Erleichterung: Merceano Freixo ist über den Berg. Zur Rehabilitation kam er in die Klinik der Suva nach Bellikon. "Um ihn zu unterstützen, brachten ich oder die Arbeitskollegen ihn am Sonntagabend jeweils nach Bellikon und holten ihn am Freitagabend wieder ab», erzählt Gian Reto Lazzarini.

Nach drei Monaten kam Merceano Freixo ins Geschäft zurück. Obwohl er zu Beginn nur gerade fünf Kilogramm anheben durfte, versuchte Lazzarini, ihn sofort wieder zu integrieren. Er bot ihm an, im Magazin den Bus zu fahren und neben seinen Therapien noch einen Deutschkurs zu machen. Mittlerweile arbeitet der Bauarbeiter wieder 100 Prozent und hat sogar noch die Ausbildung zum Kranführer gemacht.

Massive Selbstüberschätzung
"Der Unfall war kein Pech. Wir haben ganz klar Fehler gemacht." Das ist Gian Reto Lazzarini im Nachhinein völlig bewusst. Der Liftschacht ging über mehrere Stockwerke und war eingeschalt. Die Schaltafeln haben also das klaffende Loch verdeckt. Während Tagen sind die Bauarbeiter sorglos über dieses Loch spaziert. Am Tag des Unfalls wurde die Verschalung von unten gelöst. Gleichzeitig stand jedoch Merceano Freixo oben auf den Schaltafeln und machte Messungen. Er stürzte zusammen mit dem gesamten Material sechs Meter in die Tiefe. "Natürlich hätte um diese Liftschachtverschalung herum eine Absperrung gemusst – von Anfang an."

Als sich der Zustand von Merceano Freixo verbesserte, wird dem Geschäftsführer klar: "Jetzt muss sich etwas ändern." Gian Reto Lazzarini telefonierte mit der Suva und bat um Hilfe. Die Suva verlangte daraufhin eine Selbsteinschätzung des Unternehmens in verschiedenen Bereichen der Arbeitssicherheit. Das Ergebnis: Die Butti Bauunternehmung überschätzte sich massiv. Um die Arbeitssicherheit in den Griff zu bekommen, stellte Gian Reto Lazzarini zusammen mit seinem Team einen Massnahmenkatalog zusammen. 50 verschiedene Punkte beinhaltete dieser. So wurden beispielsweise alle Dreitritte im Unternehmen durch sichere Treppen ausgewechselt, ein Schutzbrillenobligatorium eingeführt und ab sofort durften nur noch ausgebildete Mitarbeiter den Hubstapler bedienen.

Gespräche unter vier Augen
Das Schutzbrillenobligatorium liess sich nicht so einfach einführen. Viele Mitarbeiter wollten zuerst keine Brille tragen. Sie würden damit nicht richtig sehen. Also gab es vom Optiker angepasste Brillen. "Dieses Geld muss man zu investieren bereit sein", sagt Lazzarini, "sonst steht man auf verlorenem Posten." Wer sich bei der Butti AG nicht an die Sicherheitsvorschriften hält, muss ins Chefbüro. "Diese Gespräche unter vier Augen und die Aussicht auf eine fristlose Entlassung wirken Wunder." Während vor dem Unfall nur einmal im Jahr eine Schulung zur Arbeitssicherheit stattfand, werden heute monatlich die lebenswichtigen Regeln geschult und instruiert. Die Schulungen finden auf den Baustellen statt und jeder Mitarbeiter muss mit seiner Unterschrift die Teilnahme bestätigen.

Die grösste und wirksamste Veränderung brachten jedoch die Audits. Dabei müssen die Bauführer und Poliere im Monat viermal eine Gefahrenquelle auf der Baustelle dokumentieren, diese mit einem Arbeitskollegen besprechen und im Anschluss dem Chef darüber berichten. "So entwickelt jeder auf dem Bau ein Auge für brenzlige Situationen."

Unfallzahlen gingen sofort zurück
Nicht alle waren vom neuen harten Durchgreifen des Chefs in Sachen Arbeitssicherheit begeistert. Zuerst rümpften die meisten Poliere die Nase. Die Wende brachte ein zweitägiges Seminar, welches die Suva durchführte. "Ich dachte, es würde eine staubtrockene Veranstaltung. Doch das Gegenteil war der Fall. Es machte bei den Bauführern und Polieren Klick." Die Mitarbeiter hätten bei diesem Event verstanden, dass es um ihr eigenes Wohl gehe.

Der grösste Motivator für Gian Reto Lazzarini und seine Mitarbeiter war die Tatsache, dass die Unfallzahlen im Unternehmen zu sinken begannen – und zwar massiv. Während im Jahr 2013 die Unfallzahlen noch bei 34 lagen, gab es im Jahr 2016 nur noch 10 Unfälle. Die dadurch entstandenen Ausfalltage konnten von 630 auf 220 gesenkt werden. "Das zeigt mir und meinen Mitarbeitenden, dass sich der Aufwand bei weitem lohnt."

Eine Million pro Jahr eingespart
Gian Reto Lazzarini investiert nicht nur Zeit, sondern auch Geld in die Arbeitssicherheit. Die Initialkosten beliefen sich auf 160 000 Franken. Jährlich kommen rund 70 000 Franken dazu. "Wenn ich pro Ausfalltag mit realistischen Kosten von 2500 Franken rechne", erklärt der Geschäftsführer, "dann habe ich bis jetzt durch die Reduktion der Unfälle eine Million pro Jahr eingespart." Möglicherweise sei diese theoretische Rechnung etwas zu hoch. Aber Gian Reto Lazzarini ist überzeugt: "Die Einsparungen sind um ein Mehrfaches höher als die Ausgaben!" Und das Leid, welches durch mehr Arbeitssicherheit verhindert wird, ist sowieso unbezahlbar. (Regula Müller)

Weitere Informationen zur Arbeitssicherheit finden Sie hier

Das Baublatt hat diesen Artikel aus dem Suva-Magazin "Benefit" in der neuen Rubrik "Management" abgedruckt. In der Rubrik "Management" bereits erschienen: Kostenermittlung nach Arbeitsgattung oder Bauteilen

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