14:36 VERSCHIEDENES

Wenn schwindende Gletscher archäologische Funde freigeben

Teaserbild-Quelle: Wagner Cxxx, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,

Gelangen im Zuge der Gletscherschmelze archäologische Artefakte zum Vorschein, stellt dies Fachleute vor Herausforderungen. Ein Beispiel: die Überreste des 1944 am Tiroler Taschachferner-Gletscher abgestürzten US-Bombers.  Eine App kann helfen, solche Funde vor dem Zerfall zu retten.

Gletscherzunge des Taschachferners

Quelle: Wagner Cxxx, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,

Der Tasachachferner im Jahr 2022. Im Laufe der Jahre hat sich der einst gewaltige Gletscher stark zurückgezogen.

Vergangenen August machte sich Forscher an die erste systematische Begehung, Vermessung und Dokumentation der Absturz- und heutigen Fundstelle des US-Bombers vom Typ B-17 beim Gletscher. Die Maschine hatte sich auf dem Rückweg von einem Bombardement der Skoda-Werke in Tschechien befunden und war Schwierigkeiten geraten, wie der Hochgebirgsarchäologe Thomas Bachnetzer von der Universität Innsbruck und sein Kollege Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt (BDA) der österreichischen Nachrichtenagentur APA beim Aufstieg zur Absturzstelle erklärten. 

Über Sölden im Ötztal war die zehnköpfige Besatzung abgesprungen. Das Flugzeug flog noch bis zum Taschachferner, wo es auf einer Höhe von rund 2500 Metern zerschellte. Seit einigen Jahren befindet sich die Absturzstelle unterhalb der Eisgrenze. Heute ist vopm einst mächtigen Taschachferner ist nur noch wenig zu sehen: Zwischen 1970 und 1987 war der Gletscher am Ende des Tiroler Pitztales weit talwärts vorgestossen, nun liegt sein Ende Hunderte Höhenmeter über der damaligen Marke. Mit dem sich weiter beschleunigenden Klimawandel werden nun Flächen eisfrei, die es mitunter sehr lange nicht gewesen sind.

Trittfalle aus Zirbelholz aus dem 14. Jahrhundert

Für Pöll stellt die Lagefeststellung und Klassifikation der mittlerweile durch die früheren Eis- und nun Geröllbewegungen im steilen Gebiet unterhalb der mächtigen Seitenmoräne verteilten, eher kleineren Wrackteile die primäre und wichtigste denkmalpflegerische Aufgabe dar. Die Moräne häufte der Gletscher bei seiner Maximalausdehnung im Jahr 1855 auf, heute braucht es viel Fantasie, um sich das vorzustellen. 

Während der Bomber aus archäologischer Sicht noch sehr jung ist, ist es die im Jahr 2016 am nahen Seekarjoch auf rund 2900 Seehöhe gefundene Trittfalle aus Zirbenholz nicht: Gemäss Analysen von Bachnetzer und Kollegen stammt sie aus dem 14. Jahrhundert, man hatte sie damals - während des ausschleichenden mittelalterlichen Klimaoptimums - ausgelegt, um höchstwahrscheinlich Steinböcke zu fangen. Dies haben die Forscher auch durch eine detailgetreue Rekonstruktion der Falle herausgefunden. Dass das organische Material die Jahrhunderte beinahe unbeschadet überdauern konnte, liegt an der Konservierung durch Eis, Schnee und den insgesamt deutlich verlangsamten Abbauprozessen angesichts der dort niedrigen Jahresdurchschnittstemperaturen zu. Das ist jetzt weg: "In einigen 10'000 Jahren kommt es vielleicht wieder", so Bachnetzer lapidar.

Schneller Zerfall archäologischer Fundstücke

In den kommenden Jahren dürften nicht nur die Tiroler Gletscher noch einige alte Artefakte freigeben. Wie der Hochgebirgsarchäologe betont, überdauen die Funde, wenn sie aus organischem Material bestehen, teilweise nicht lange. Die langjährige Ansicht, dass im Gebirge für seine Zunft kaum etwas zu holen wäre, gehöre mittlerweile der Vergangenheit an. Heute ist vielerorts klar, dass die harschen Gebiete in der Vergangenheit immer für dieJagd, für die  Hochweidewirtschaft oder füp den Abbau von Rohstoffen aufgesucht worden sind, wenn sofern die klimatischen Bedingungen gerade günstig, respektive warm waren. Am Eingang ins Taschachtal gebe es sogar Nachweise menschlicher Anwesenheit aus der mittleren Steinzeit, so Bachnetzer.

Viele Artefakte liegen nach dem Eis-Rückzug in der Regel einfach herum. Dementsprechend werden sie nur in absoluten Ausnahmefällen von Experten entdeckt. Darum bräuchte es ein breiter bekanntes System, mit dem etwaige Funde von Laien auf einfache Art und Weise gemeldet würden, und sich Archäologen dann zur Fundstelle auf den Weg machen könnten, so Pöll. Dem trägt die von der Walliser Kantonsarchäologie lancierte App "IceWatcher" Rechnung. Sie kann  in den Kantonen Bern, Wallis, Graubünden, Uri und Waadt angewandt werden; Ebensoin den Alpengebieten von Frankreich, Italien und Österreich.

Denkmalschutz für Absturzstelle am Taschachenferner?

Dass die Zeit tatsächlich drängt, wird auch am Taschachferner klar: Die seit einiger Zeit deutlich leichter erreichbaren Fliegerteile verschwinden zusehends, wie die Begehung zeigte. Dies liegt nicht nur an vielen Sammlern, die sich für Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg oder frühen Epochen der Luftfahrt interessieren, sondern auch an zahlreichen Tourengängern, die Dinge gedankenlos mitnehmen. Die grossen Teile des Bombers, wie etwa die Motorblöcke, wurden übrigens bereits vor einiger Zeit mit einem Helikopter geborgen. Überbleibsel, die ganz klar zeigen, dass hier ein grosser Flieger abgestürzt ist, fehlen mittlerweile fast gänzlich. Manche davon könnten heutzutage auch von Steinen bedeckt sein. 

"In ein paar Jahrzehnten wird man dort oben aber möglicherweise gar nichts mehr finden, weil Leute immer wieder Kleinteile mitnehmen", so der Archäologe. Gerade um das Bewusstsein für die Besonderheit dieser Fundstelle bei der Bevölkerung zu wecken und den weiteren Schwund an Wrackteilen zu unterbinden, kann Pöll sich vorstellen, dass der Ort unter Denkmalschutz gestellt werden könnte. (apa/sda/mai)

App "IceWatcher"

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Quelle: zvg

Logo der "IceWatcher"-App.

Berggängerinnen und Berggänger sollen mit Hilfe der App "IceWatcher" Funde in wenigen Schritten den zuständigen kantonalen Fachstellen melden können. 

Wer einen Fund macht, wählt in der App wird zuerst die Art des Fundes aus, zum Beispiel Holz, Textil oder Metall. Dann erstellt man eine Nahaufnahme des Stücks, zusammen mit einem anderen Gegenstand wie etwa einem Sackmesser zur Grössenangabe daneben. Zusätzlich lädt man noch eine Aufnahme der Umgebung hoch. Die App versieht die Daten automatisch mit dem Standort und übermittelt die Fundmeldung anschliessend dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern, wo die Funde beurteilt und die geeigneten Massnahmen für ihre Bergung und fachgerechte Konservierung eingeleitet werden. 

Generell sollten die Objekte nicht berührt werden. Zudem sollte die Fundstelle mit Steinen oder Stangen markiert werden, damit sie einfach wieder gefunden wird.

Die App "IceWatcher" ist kostenlos für Smartphones (iOS, Android) erhältlich. (mgt/mai)

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