Stadtbäume schlagen früher aus und verlieren später ihre Blätter als Landbäume
Ist ein Stadtbaum nachts Kunstlicht und urbaner Wärme ausgesetzt, kann seine Vegetationsperiode im Vergleich zu einem Artgenossen auf dem Land bis zu drei Wochen länger dauern. Diesen Schluss zieht ein internationales Forschungsteam in einer Studie. Die Basis für die Untersuchungen: Satellitendaten zu 428 Städten auf der Nordhalbkugel.

Quelle: Robert Bye, Unsplash
Auch diese Bäume, die hier am Arnold Cirucs in London wachsen, dürften etwas früher ausgeschlagen haben als Bäume ausserhalb der Themsestadt.
Die fortschreitende Urbanisierung führt zu grösseren, heisseren und heller erleuchteten Städten. Weil sich Gebäude, Beton und Asphalt aufheizen und in der Folge Wärme abstrahlen, bilden sich städtische Wärmeinseln. Die Lufttemperaturen liegen dort sowohl bei Tag als auch bei Nacht über jenen der Umgebung. Hinzu kommt die Lichtverschmutzung oder vielmehr die wegen künstlicher Lichtquellen immer helleren Nächte. – Die Lichtverschmutzung hat im vergangenen Jahrzehnt in den Städten jährlich um 6 bis10 Prozent zugenommen.
Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Pflanzenwelt, da deren Gedeihen massgeblich von Licht und Temperatur beeinflusst wird. So beginnen Bäume in den Städten wegen der stärkeren nächtlichen Beleuchtung und wegen der höheren Temperatur im Gegensatz zu ihren Artgenossen auf dem Land früher zu auszuschlagen und zu blühen und sie verlieren auch später ihre Blätter. Doch in welchem Umfang wirken sich die Faktoren von mehr Licht und mehr Wärme in Städten tatsächlich auf Stadt-Pflanzen aus? Dies war Gegenstand der Studie eines deutsch-amerikanisch-chinesischen Forschungsteams mit Beteiligung des deutschen Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Um dies herauszufinden, untersuchte das Team Satellitenbeobachtungen von insgesamt 428 Städten der nördlichen Hemisphäre aus den Jahren 2014 bis 2020, sowie Daten zur nächtlichen künstlichen Beleuchtung, oberflächennahen Lufttemperatur und zu den Wachstumsperioden der Pflanzen.
Stadt-Pflanzen haben einen kürzeren Winter als Land-Pflanzen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass die Emissionen des nächtlichen Kunstlichts mit zunehmender Nähe zum Stadtzentrum exponentiell steigen. Ausserdem zeigte sich: Die erhöhte Lichtmenge in der Stadt beeinflusst offenbar den Beginn und das Ende der Vegetationsperiode stärker, als die erhöhte Temperatur. Zusammengenommen bewirken diese beiden Faktoren, dass die Vegetationsperiode in den untersuchten Städten im Durchschnitt 12,6 Tage früher startet und 11,2 Tage später endet als in ländlichen Gebieten. «Für die Pflanzen wird der Winter also gewissermassen verkürzt», sagt Franz Hölker von der IGB, Mitautor der Studie und weltweit führender Experte für die ökologischen Auswirkungen von Lichtverschmutzung. «Dies kann den Energie- und Wasserhaushalt von Pflanzen belasten, die in zunehmend trockenen Städten zudem mit Wassermangel zu kämpfen haben.»
Dieses Phänomen dürfte sich mit der Umstellung der Strassenbeleuchtung auf LED verstärken: «Wir vermuten, dass die Auswirkungen des künstlichen Lichts auf die Vegetationsperiode in Zukunft noch weiter zunehmen werden. Aktuell werden aus Energieeffizienzgründen beispielsweise weltweit Strassenbeleuchtungen auf LED-Beleuchtung umgestellt. Das führt jedoch leider oft aufgrund von Rebound-Effekten zu höheren Lichtemissionen», erklärt Höller.
Um solches zu verhindern, müssen laut den Studienautoren nicht alle Lichter ausgeschaltet werden: Schon kleine Veränderungen – wie eine bessere Ausrichtung des Lichts durch ein verändertes Leuchtendesign, sowie eine Anpassung der Lichtstärke und Wellenlänge, könnten die Lichtverschmutzung deutlich reduzieren. (mai/mgt)