Semiyarka, eine bronzezeitliche Stadt in der Steppe von Kasachstan
Vor rund 3600 Jahren wurde inmitten der kasachsischen Steppe in industriellem Ausmass Zinnbronze hergestellt: Das zeigt die Analyse von Funden der Überreste von Semiyarka, einer nach Plänen angelegten Stadt von einerFläche von rund 140 Hektaren.
Quelle: Peter J. Brown - (18 November 2025). "A major city of the Kazakh Steppe" Investigating Semiyarka’s Bronze Age legacy". Antiquity: 1–9. DOI:10.15184/aqy.2025.10244.Provided under CC BY 4.0: "© The Author(s), 2025. Published by Cambridge University Press on
Semiyarka, aufgenommen mit einer Drohne im 2018.
Im Nordosten Kasachstans, auf einem Felsvorsprung über dem Irtysch, liegt Semiyarka. Oder vielmehr das, was von der Stadt die letzten 3600 Jahre überdauert hat: Ihr Name bedeutet so viel wie «Sieben Schluchten», von ihr aus blickt man auf ein Netz aus Tälern. Ihre strategische Lage weist darauf hin, dass sie eine Machtstellung in der Region gehabt haben dürfte. Zudem handelt es sich bei der Siedlung nicht etwa um eine mehr oder weniger willkürliche Ansammlung von Bauten, sondern um eine geplante Stadt, die sich über eine Fläche von 140 Hektaren gezogen hat: Vermutlich ist Semiyarka auch ein wichtiges regionales Zentrum für Zinnbronzeherstellung gewesen, von einem für die damalige Zeit industriellen Ausmass; den Rohstoff lieferten die Kupfer- und Zinnvorkommen im naheliegenden Altai-Gebirge. Davon erzählen die Überreste von Handwerk und Metallproduktion jener Zeit. Aber nicht nur, sie erzählen auch davon, wie die Nomadengemeinschaften der Gegend sesshaft zu werden begannen.
Semiyarka, ein urbanes Zentrum in der kasachischen Steppe
Semiyarka ist zwar schon anfangs der 2000er-Jahre entdeckt worden, aber sie wurde erst kürzlich im Rahmen einer Studie detailliert archäologisch untersucht. Laut Miljana Radivojević vom University College London und Hauptautorin (UCL) der Studie ist Semiyarka einer der bemerkenswertesten archäologischen Funde der Region seit Jahrzehnten: «Semiyarka verändert unsere Sichtweise auf Steppengesellschaften. Sie zeigt, dass mobile Gemeinschaften dauerhafte, organisierte Siedlungen aufbauen und unterhalten konnten, die sich wahrscheinlich um eine gross angelegte Industrie drehten – ein richtiges ‘urbanes Zentrum’ der Steppe.» Dennoch sind von der Stadt nur noch zwei Reihen rechteckiger, etwa ein Meter hoher Erdhügel übrig: Es sind laut dem Forschungsteam wohl die Fundamente geschlossener Häuser mit mehreren Räumen. Daneben stiessen die Archäologen auch auf die Überreste eines grösseren, zentralen Gebäudes, das doppelt so gross war wie die übrigen Häuser. Zwar ist sein genauer Zweck unklar, aber Radivojević und ihre Kollegen vermuten, dass er ein Ort für Rituale, als Gemeinschaftsraum oder als das Zuhause einer mächtigen Familie gewesen sein könnte.
«Die Grösse und Struktur von Semiyarka sind anders als alles, was wir bisher in der Steppenzone gesehen haben», erklärt Dan Lawrence von der Durham University die Besonderheit der Ruinen, Mitautor der Studie. «Die geradlinigen Anlagen und das möglicherweise monumentale Gebäude zeigen, dass die bronzezeitlichen Gemeinschaften hier geplante Siedlungen angelegt haben, vergleichbar mit denjenigen, die zur selben Zeit in traditionell ‘urbanen’ Teilen der antiken Welt entstanden sind.» - Bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass die Menschen in der Region halbnomadisch gelebt haben und in mobilen Lagern oder kleinen Dörfern wohnten.
Tiegel, Schlacken und Artefakte aus der Industriezone von Semiyarka
Bemerkenswert dürften wohl die Hinweise auf die «Industriezone» sein, auf die man am südöstlichen Ende der Stadt gestossen ist: Das Quartier war der metallurgischen Produktion von Zinnbronze vorbehalten, der wichtigsten Legierung der Bronzezeit. Das zeigen die mittels Ausgrabungen und geophysikalischer Untersuchungen ans Licht gebrachte Tiegel, Schlacken und Zinnbronze-Artefakte. Diese Funde liefern laut dem Forschungsteam den ersten eindeutigen Beweis dafür, dass die Metallurgen von Semiyarka komplexe Produktionssysteme betrieben haben und nicht nur kleine Werkstätten. -Diese Industriezone deutet laut dem Forschungsteam darauf hin, dass hier eine hoch organisierte, möglicherweise begrenzte oder kontrollierte Industrie der begehrten Legierung gegeben hat.
Wie das UCL in seiner Medienmitteilung schreibt, ist nur wenig über die Zinnbronzeherstellung in der eurasischen Steppe während der Bronzezeit bekannt, obwohl sich in Museumssammlungen Hunderttausende von Zinnbronze-Artefakten befinden. – Neben Semiyarka wurde bisher nur eine weitere Siedlung im Osten Kasachstans mit der Zinnbronzeherstellung in Verbindung gebracht: die spätbronzezeitliche Bergbaustätte Askaraly. (mai/mgt)