Der God da Tamangur, ein Arvenwald im Wandel
Als höchstgelegener, geschlossener Arvenwald Europas war der God da Tamangur im Unterengadin Projektionsfläche für verschiedenste Anliegen. Im letzten Jahrhundert hat er sich stark verändert. Ein soeben erschienener Bericht der WSL erzählt von seiner Geschichte und seinem Wandel.

Quelle: Markus Bolliger / WSL
Abgestorbene Arven im God da Tamangur sind sehr witterungsbeständig.
Ein lockerer Wald aus mächtigen, wettergegerbten Arven. Einige der mehrere Hundert Jahre alten Bäume sind bereits abgestorben; ihre verdrehten Äste und silbergrauen Stämme ragen kahl in den Himmel. Holzreste liegen am Boden. Ein den Naturgewalten der Alpen und dem Tod trotzender Verband uralter Arven, ein Wald aus mächtigen Einzelbäumen: So wirkte der God da Tamangur im Unterengadin, am Ende des Val S-charl auf 2300 Metern Höhe, über Jahrhunderte. Und er diente damit Dichterinnen und Dichtern, Patrioten und Forstleuten, Kunstschaffenden und Naturschützern als Inspiration und Symbol. Sowohl für den Tod als auch für die Widerstandskraft und die Schönheit der Natur. «Dabei starb der Wald gar nicht, auch wenn es für manche so aussah», sagt WSL-Forscher Matthias Bürgi. «Arven werden uralt. Er verjüngte sich nur nicht, weil er als Waldweide diente und das Vieh nachwachsende Bäume auffrass.»
Der Forscher und Susan Lock, ebenfalls von der WSL, sind der Geschichte des God da Tamangur nachgegangen und haben sie im neu erschienenen WSL-Bericht «God da Tamangur – ein Wald und seine Geschichte(n)» zusammengefasst. Sie nutzten dafür Quellen, die von alten Forstberichten über Fotografien bis zu Interviews reichen.
Dem Kahlschlag entgangen

Quelle: Markus Bolliger / WSL
Der God da Tamangur.
Der rätoromanische Dichter Peider Lansel war einer, der das mächtige
Bild der sterbenden Baumriesen verwendete. Sein Gedicht «Tamangur»
(s.o.) endet mit den Worten: «Rettet mit eurer Liebe unsere Sprache vor
dem Schicksal von Tamangur!» Dass der Wald damals allerdings überhaupt
noch existierte, dürfte laut den Forschenden der Unzugänglichkeit seines
Standortes zu verdanken gewesen sein. «Im Tal gab es ein Blei- und
Silberbergwerk», erzählt Bürgi, «für das die ganze Umgebung
kahlgeschlagen wurde.» Der God da Tamangur sei diesem Schicksal wohl
entgangen, weil es nicht möglich war, die mächtigen Stämme bis dorthin
zu transportieren.
So blieben seine Arven stehen und konnten als
Projektionsfläche für die verschiedensten Anliegen dienen. So auch für
den Naturschutz. Die landschaftliche Schönheit seiner Lage, die
Seltenheit eines reinen Arvenwaldes und seine Faszination. «Der God da
Tamangur wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Standort eines
Schweizerischen Nationalparks propagiert», berichtet Bürgi. So weit kam
es zwar nicht, aber er wurde 2007 zum Naturwaldreservat erklärt. Die
Waldweide, die ihn über Jahrhunderte geprägt hatte, war bereits in den
Jahrzehnten zuvor stark zurückgegangen, was das Aufkommen junger Bäume
begünstigte.
Dadurch hat sich das Bild des Waldes drastisch gewandelt. Dies zeigen eindrückliche Vorher/Nachher-Fotografien: Der God da Tamagur präsentiert sich heute als lebendiger, geschlossener Bestand, in dem unterschiedlich junge Arven zwischen uralten Riesen wachsen. Der Wald und die ihn umgebende Landschaft werde sich weiter verändern, heisst es im Bericht , etwa weil sich die Nutzungsansprüche wandeln, und die Klimaerwärmung Spuren hinterlassen werde. Es sei zu hoffen, dass der God da Tamangur, seine Schönheit und Faszination erhalten bleibe, um weitere Generationen zu inspirieren. (WSL, Stephanie Kusma / Der Text wurde leicht redigiert. Hier im Original lesen.)
God da Tamangur – ein Wald und seine Geschichte(n) kann kostenlos auf www.wsl.ch heruntergeladen werden.

Quelle: Susan Lock / WSL
Arve im God da Tamangur.

Quelle: Susan Lock / WSL
Arve im God da Tamangur.