08:27 VERSCHIEDENES

Ausstellung «Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter» im Vitra Design Museum

Geschrieben von: Katrin Ambühl (ka)
Teaserbild-Quelle: Vitra Design Museum / Alex Lesage mit Genehmigung des Hancock Shaker Village.

Eine Freikirche aus dem 18. Jahrhundert erschuf eine eigene Welt, baute Häuser, Möbel und Gegenstände von verblüffender Schlichtheit und Schönheit. Die Shaker waren mit ihren Produkten nicht nur in ihrer Zeit erfolgreich, sondern sie beeinflussen bis heute Generationen von Designern. Das Vitra Design Museum widmet der Bewegung nun die Ausstellung «Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter».  

Gemeinschaftshaus Shaker Village in Massachusets

Quelle: Vitra Design Museum / Alex Lesage mit Genehmigung des Hancock Shaker Village.

Gemeinschaftshaus des Hancock Shaker Village in Massachusets (1793).

«Air and Simple Gifts». So hiess ein eigens für die Inauguration von Barack Obama im Jahr 2009 komponierter Song. Er war eine Adaption eines Shaker-Songs, den es seit 1848 gibt und der Bestandteil des amerikanischen Kulturguts ist. Nicht nur die Musik der Shaker hallt immer noch nach, insbesondere auch die Gestaltung von Möbeln und Objekten gilt nach wie vor als herausragend. Die handwerklich hochwertigen, formal einfachen Möbel werden manchmal sogar mit dem japanischen Stil verglichen. Bei den Shakern gab es allerdings keinen eigentlichen Gestaltungsansatz, dieser war vielmehr ein logischer Bestandteil ihres Weltbilds. Das betont auch das italienische Designbüro Formafantasma, das die Shaker-Ausstellung gestaltete, im abschliessenden Interview. 

Die Stühle, Kommoden, Tische und Bänke, die an der Ausstellung zu sehen sind, bestehen alle aus einheimischem Holz wie Ahorn, Kirsche oder Birke. Verzierungen fehlen komplett, dafür sind die Stuhlbeine oftmals gedrechselt, und die Verbindungen schlichte Zinken oder Zapfenverbindungen. Der Schaukelstuhl «Salem rocker» ist noch heute ein beliebtes Sammlerstück. Eine interessante Seitengeschichte dieses Möbels aus dem 19. Jahrhundert wird in der Ausstellung erzählt: Der Stuhl kam auch als Rollstuhl zum Einsatz: Für den Umbau ergänzten die Handwerker den Schaukelstuhl mit Holzrädern, die mit einer Eisenachse und Schrauben befestigt wurden. Erfindergeist bewiesen die Shaker auch beim Stuhl mit Kippmechanismus, der 1850 entwickelt wurde. Bei diesem setzten sie an den Stuhlbeinen ein raffiniertes Kugelgelenk ein, dank dem man sich beim Sitzen bewegen konnte, ohne dass der Stuhl kippte. 

Erfindertum und Pioniergeist

Die christliche Gemeinschaft war bezüglich Gestaltung erfinderisch und innovativ. Die Handwerker entwickelten das Dämpfen und Biegen von Holz, erfanden das erwähnte Kugelgelenk oder führten Werkzeuge wie die Kreissäge in den USA ein. Sie entwickelten sogar eine frühe Waschmaschine und ein effizientes Wasser- und Heizsystem, das sie in ihre Gebäude einbauten. Möbelstil und Erfindergeist machten die Shaker weit über die Gemeinschaft hinaus bekannt, ihre hochwertigen zeitgemässen Produkte waren beliebt und wurden zum Verkaufsschlager. Deshalb gingen die Shaker im 19. Jahrhundert zur Serienproduktion über. Mit ihrer Arbeit bewegten sie sich somit an der Grenze zwischen traditionellem Handwerk, aufkommender Industrialisierung und modernem Design, was eine eindeutige Einordnung schwierig macht. 

Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum

Quelle: Vitra Design Museum / Bernhard Strauss

Die schlichten Holzmöbel der Shaker wurden vom Studio Formafantasma ebenso schlicht in Szene gesetzt.

Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum

Quelle: Vitra Design Museum / Bernhard Strauss

Einblick in die Ausstellung, die mit einfachen Mitteln und Textilien vom Studio Formafantasma gestaltet wurde.

Auch bezüglich Gesellschaft waren die Shaker einzigartig. Es war eine inklusive Gesellschaft: Für behinderte Mitglieder fertigten sie extra Geräte oder Möbel an, etwa den erwähnten Rollstuhl oder orthopädische Schuhe. Auch schwarze Menschen waren willkommen, die Shaker lehnten die Sklaverei entschieden ab, welche im 18. Jahrhundert in vielen US-Bundesstaaten noch üblich war. Weiter sahen die Shaker die Geschlechter als gleichberechtigt. 

Viele Frauen führten Gemeinden an, schliesslich war die Bewegung von einer Frau gegründet worden – eine erstaunliche Tatsache für eine Freikirche im 18. Jahrhundert. Ann Lee, die von den Gemeinschaften später Mother Ann genannt wurde, wurde 1736 in England geboren. Nach vielen Schicksalsschlägen – einer unglücklichen Ehe und dem Verlust aller vier Kinder – wandte sie sich dem Glauben zu und entwickelte abgeleitet von den englischen Quäkern eine Theologie, aufgrund der sie aber verfolgt wurde und nach Amerika auswanderte. Bei Albany im Staat New York gründete sie 1774 schliesslich die Shaker-Bewegung. Der Name stammt übrigens von den ausdrucksvollen Tanzritualen während des Gottesdienstes mit den typischen Schüttelbewegungen. 

Da die Shaker Ehe und Fortpflanzung ablehnten, also strikt zölibatär lebten, mussten sie auf andere Weise zu Neumitgliedern kommen. Dies taten sie mit der Adoption von Waisenkindern und mit der Aufnahme von Erwachsenen, die oftmals nach Krisen bei den Shakern eine neue Heimat fanden. 

Patentierte Geräte

Die Ausstellung im Vitra Design Museum zeigt mit über 150 Originalexponaten die Breite des Shaker-Werkes. Dazu gehören neben Möbeln und Textilien auch Erfindungen und teils patentierte Geräte wie eine Bügelstation oder ein Radio aus den 1920er-Jahren. Weiter Saatgutkisten mit Gemüsesamen, die die Shaker ab 1880 mit viel Erfolg verkauften, was ebenso gilt für ihre Tinkturen und Heilmittel. Die Ausstellung zeigt neben den Shaker-Objekten aber auch einen zeitgenössischen Blick auf die Shaker: Werke von sieben internationalen Designern und Künstlerinnen, die die Shaker aus einer persönlichen oder auch kritischen Perspektive beleuchten. Die Ausstellung, die noch bis Ende September dauert, wurde vom Designstudio Formafantasma gestaltet, das 2023 bereits für die Ausstellungsgestaltung von «Garden Futures» verantwortlich gewesen war.

Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum

Quelle: Vitra Design Museum / Bernhard Strauss

Installationsansicht der Ausstellung mit einer Bügelstation, Originaltreppe und Bank.

Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum, Spanschachteln

Quelle: Vitra Design Museum / Alex Lesage mit Genehmigung des Shaker Museums, Chatham

Zeitlos schön, die Spanschachteln der Shaker.

Kunstprojekt Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum

Quelle: Vitra Design Museum /Bernhard Strauss

Eines von sieben zeitgenössischen Kunstprojekten, die die Shaker-Ausstellung abrunden: Amie Cunat mit «2nd Meetinghouse».

Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum, Dampfmaschine

Quelle: Vitra Design Museum / Alex Lesage mit Genehmigung des Shaker Museums, Chatham

Dampfmaschine, Sabbathday Lake, Maine, ca. 1867-88.


«Gestalten ist immer ein Abbild unserer Weltsicht»

Studio Formafantasma, Andrea Trimarchi und Simone Farresin

Quelle: Gregorio Gonella

Das Studio Formafantasma besteht aus Andrea Trimarchi (links, 1983) und Simone Farresin (1980). Die Gestalter sehen Design als allum-fassende Disziplin, bei der es nicht in erster Linie um Ästhetik, sondern um Umwelt, Gesellschaft und Politik geht.

Andrea Trimarchi und Simone Farresin studierten an der Design Academy Eindhoven und gründeten 2009 ihr Designbüro Formafantasma in Rotterdam. Tätig in den Bereichen Produktdesign, Ausstellungskonzepten oder Designberatung ist das Büro ein gefragter Partner von internationalen Marken wie Prada, Cassina, Flos oder die Fondation Cartier. Andrea Trimarchi gibt Einblick in das Konzept von Formafantasma für die Ausstellung über die Shaker.

Wie sahen Sie als zeitgenössisches Designstudio die Shaker vor Ihrer Arbeit für die Ausstellung?

Andrea Trimarchi: Unser Interesse für die Shaker war schon immer gross wegen der formal schönen Objekte und weil diese Objekte auf einem klaren Set von Ideologien beruhen. Diese an sich zu beurteilen, liegt nicht an uns, aber wir sehen, dass Design für die Shaker keine Frage der Ästhetik oder Form war, sondern eine Frage von Ideologien. 

Gab es für Gestaltung und Design eine bestimmte Philosophie bei den Shaker?

Es ist keine Designspilosophie, sondern Teil einer Weltsicht. Oft wird geschrieben, dass Shaker-Design deshalb speziell sei, weil es auf einer spezifischen Weltanschauung basiere, als sei dies etwas Spezielles. Als hätte der Kapitalismus oder liberale Märkte keinen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir Häuser oder Objekte gestalten. Design und Form waren und sind nie nur Oberfläche, das Gestalten ist immer ein Abbild unserer Weltsicht und der Realität, in der wir leben. 

Hatte Formafantasma schon Arbeiten, die sich explizit auf die Shaker bezogen?

Ja, zwar eher indirekt. Unsere Recherchearbeit «Autarchy» von 2010 ging von einem spekulativen Szenario aus, bei dem Menschen sich bewusst und radikal der heutigen materiellen Welt entziehen. Sie stellen alles selbst her, einfache Werkzeuge wie Schalen, eine Getreidemühle oder Lampen ohne künstliche Materialien, nur mit Ressourcen aus der Natur – also ähnlich wie die Shaker. 

Welche Überlegungen standen am Anfang Ihres Konzepts für die Shaker-Ausstellung im Vitra Design Museum?

Wir wollten die Ausstellung eher mit Gesten als mit Objekten gestalten. Sie sollte sehr einfach sein und wir starteten mit Textilien, mit Stoff am Boden, der verschiedenen Zonen definiert und auf dem dann die Ausstellungsobjekte stehen würden. Textilien sind eine Reverenz an die Shaker-Frauen, die diese herstellten. Schliesslich war die Gründerin der Shaker-Gemeinschaft eine Frau, weshalb wir diesen Bezug passend fanden. In unserem Konzept hätte es keine Podeste oder Plattformen gegeben, da eine Erhöhung der Objekte aus unserer Sicht nicht zur Realität der Shaker passt.  

Diese hat es aber heute, warum?

Weil dies vom Museum aus Sicherheitsüberlegungen so verlangt wurde. Das war für uns schwierig zu akzeptieren, aber wir mussten, denn als Designer hat man immer klare Vorgaben. Aufgrund dieser entwickelten wir dann die Ausstellung mit einfachen Gestaltungsmittel wie Nägeln oder eben Textilien. 

Wie hat dieses Projekt Ihre Beziehung zu den Shaker verändert?

Die Beziehung hat sie nicht verändert, weil wir schon vorher eine klare Haltung zu den Shaker hatten. Aber natürlich haben wir viel Neues über die Gemeinschaft gelernt und schätzen sie deshalb noch mehr. Was auch noch zu sagen ist: Oftmals wissen wir heute nicht, wie uns etwas beeinflusst. Der Effekt kommt manchmal erst später, viel später. Vielleicht fragen Sie mich also in 15 Jahren nochmals dazu… (Interview: Katrin Ambühl) 

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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