09:57 BAUPRAXIS

Sanierung der Stauanlage Gigerwald: Fit für weitere 40 Jahre

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Axpo

Pünktlich zur Schneeschmelze wurde die Sanierung der Stauanlage Gigerwald im Kanton St. Gallen abgeschlossen. Diese umfasste als Haupteingriff einen neuen, höher gelegten Grundablass. Dank den 25 Millionen Franken teuren Arbeiten wird die Anlage nun wieder 40 Jahre lang ihren Dienst tun.

Sanierung Stausee Gigerwald, neues Einlaufwerk

Quelle: Axpo

Das fertige neue Einlaufbauwerk des Stausees Gigerwald: Dank höher gelegtem Grundablass wird die Anlage nun wieder 40 Jahre lang Strom liefern.

Das Jahr 2022 hatte es in sich: Die Welt litt unter Corona, seit einigen Tagen tobte der Ukrainekrieg und in der Schweiz machte der Begriff «Strommangellage» die Runde. Da unter anderem einige französische Kernkraftwerke nicht am Netz waren, ergriff der Bundesrat Massnahmen, um einer drohenden Energieverknappung entgegenzuwirken.

Unter anderem war auch die Mitarbeit der Stromversorger gefragt. Die Kraftwerke Sarganserland AG,  ein Partnerunternehmen der Axpo und des Kantons St. Gallen, verschoben deshalb die bereits eingeleitete Teilsanierung der Stauanlage Gigerwald im Kanton St. Gallen um zwei Jahre. Denn das vom Stausee gespiesene Kraftwerk Mapragg ist mit einer Kapazität von bis zu 160 Gigawattstunden Winterstrom wertvoll. Die Turbinen versorgen seit 48 Jahren rund 120’000 Haushalte mit Elektrizität. Zudem ist die zwischen 1971 und 1977 erbaute Anlage ein Pumpspeicherwerk und kann als eine Art Batterie eingesetzt werden. Wenn zum Beispiel nachts der Stromkonsum massiv sinkt, kann mit der überschüssigen Energie Wasser in den Stausee hochgepumpt werden. Bei Verbrauchsspitzen steht es dann wieder zur Stromgewinnung zur Verfügung.

Sanierung Stausee Gigerwald, Gesamtansicht Installationsplatz

Quelle: Axpo

Der Installationsplatz am Fusse der Staumauer, mitsamt Betonwerk: Die fertig eingerichtete Baustelle konnte erst nach zwei Jahren Verzögerung ihre Arbeit aufnehmen.

10 Millionen Mehrkosten

Nach dem Stopp des Teilsanierungsprojekts blieben die bereits installierten Kräne auf der Mauerkrone der Einfachheit halber stehen, genauso die Betonanlage und das Camp, worin während der Bauphase rund 50 Personen wohnen würden. Insgesamt führte die Verschiebung zu Mehrkosten von rund 10 Millionen Franken bei einem geschätzten Projektvolumen von 25 Millionen.

Letzten Herbst konnten die Arbeiten an der Hochgebirgs-Baustelle wieder aufgenommen werden. Sie wurden nötig, weil die Ablagerungen im See nach mehreren Jahrzehnten die Höhe des Grundablass der Staumauer erreicht hatten. Dieser ist quasi der Stöpsel in der Badewanne – die tiefste verschliessbare Öffnung der Mauer, welche bei einem Notfall zur schnellen Seeabsenkung eingesetzt werde kann. Das Sanierungsprojekt sah deshalb vor, diesen Grundablass und das dazugehörige Einlaufbauwerk für das Triebwasser nach oben zu versetzen. Ein Ausbaggern des Sees kam nicht in Frage: Der Aufwand hierfür wäre gigantisch, ökologisch sehr problematisch  und nicht bezahlbar.

Sanierung Stausee Gigerwald, Arbeiten im Schlamm

Quelle: Axpo

Der Boden des Stausees war mit einer dicken Schicht aus Schlamm bedeckt, der für die Arbeiter äusserst beschwerliche Bedingungen schuf. Derselbe Schlamm hatte auch den Grundablass teilweise blockiert.

30 Milliarden Liter abgelassen

Die Arbeiten begannen damit, dass der Bach Tamina unterhalb der Stauanlage abgefischt wurde, bevor der Stausee entleert werden konnte. Danach wurden ab Ende letzten Sommers die rund 30 Milliarden Liter Wasser abgelassen. Die eigentlichen Bauarbeiten waren bewusst auf den Winter gelegt, weil in dieser Zeit weniger Wasser fliesst, das durch die Baustelle geleitet werden muss. «Im Sommer käme hier das Zehn- bis Zwanzigfache herunter und wir hätten keine Chance, das alles abzulassen», so Projektleiter Erich Schmid. 

Die Entleerung des Stausees erfolgte in mehreren Schritten, damit zuvor Arbeiten an den Talflanken des Sees ausgeführt werden konnten. «Der grösste Teil des Wassers wurde abturbiniert, nur bei der Restentleerung haben wir das Wasser via Grundablass in die Tamina geleitet.» Diese Restentleerung dauerte rund zwei Wochen; etwas länger als erwartet. Grund war die Verlandung des bestehenden Rechens, die zu einem teilweisen Verstopfen führt. «Dieser Problematik waren wir uns bewusst, waren dann aber trotzdem vom Ausmass überrascht.»

Sanierung Stausee Gigerwald, Schneiden Betondecke

Quelle: Axpo

Das Entfernen der zwei Meter dicken Betondecke stellte einen der massivsten Eingriffe der Sanierung dar.

Betonrückbau per Diamantseilsäge

Der Einbau der sogenannten Wasserhaltung, welche das Nass an der Baustelle vorbeiführt, begann anschliessend Ende September letzten Jahres. Damit hatte auch der terminkritische Teil der Arbeiten begonnen, denn bis zum Mai 2025 musste alles fertig sein. Danach wurden die Anbauten beim bestehenden Grundablass rückgebaut, unter anderem eine zwei Meter mächtige Betondecke, die mittels Seilschnitten entfernt wurde: Diamantseilsägen ermöglichten hier ein präzises und rasches Arbeiten.

Eine weitere technische Lösung brauchte es für die Versorgung der Baustelle mit dem reichlich benötigten Beton: Die Betonanlage befand sich unterhalb des Stausees; das Einlaufbauwerk aber auf der anderen Seite der Staumauer. Der Einsatz von Kran und Kübel kam damit nicht in Frage; ebenso das Hochpumpen des Betons über die knapp 150 Meter hohe Betonwand. Deshalb bohrte man ein 18 Meter langes Loch durch die Mauer, durch welches der Beton über ein 30 Zentimeter dickes Rohr an seinen Einsatzort gelangte. Trotz des hohen Aufwands zur Vorbereitung brachte die Pumplösung eine deutliche Zeitersparnis; eine Erleichterung für die Verantwortlichen angesichts des extrem engen Fahrplans.

Gigerwald-11

Quelle: Axpo

Die Decke des alten Grundablasses ist offen und bereit, das Rohr des nun höher gelegten Grundablasses aufzunehmen.

Nutzbares Volumen reduziert

Der neue Grundablass wurde zweigeteilt und 18, beziehungsweise 23 Meter höher gelegt: Eine Öffnung dient dazu, das Triebwasser via Stollensystem zu den Turbinen zu führen. Die zweite, 350 Zentimeter dicke Maueröffnung dient für Notfälle: Hierdurch kann bei einem Erdbeben oder einem Kriegsfall der Stausee rasch entleert werden. Auf die Leistung der Anlage hat dieser Umbau keinen Einfluss, wie Erich Schmid erläutert. «Durch die Erhöhung müssen wir aber den minimalen Betriebswasserspiegel leicht anheben, dadurch reduziert sich das nutzbare Wasservolumen und somit der Energieinhalt.»

Verbunden mit der Höherlegung dieser beiden Maueröffnungen war die Errichtung eines 20 Meter hohen Betonturms mit neuer Triebwasserfassung: Durch dieses neue Bauwerk fliesst das Wasser zukünftig aus dem Stausee, im Normalbetrieb auf die Turbinen oder im Notfall direkt in den Bach. Durch die Höherlegung des Grundablasses ist auch der Betrieb des Kraftwerks für die nächsten 40 Jahre sichergestellt, denn der Seegrund steigt pro Jahr um rund 40 Zentimeter. «Das ist ein nicht zu beeinflussender Prozess: Starkregen und aufgetauter Permafrost führen dem See ständig Schlamm und Steine zu. So werden die Alpen kontinuierlich abgebaut», so Erich Schmid.

Sanierung Stausee Gigerwald SG

Quelle: Axpo

Arbeiten am neuen Grundablass: Um den Beton an seinen Einsatzort zu bekommen, wurde dieser durch ein temporäres Loch in der Staumauer gepumpt.

Gutmütige Natur

Die Arbeiten rund um den Stausee Gigerwald konnten Ende März, früher als geplant, abgeschlossen werden. Der enge Zeitplan machte einen Schichtbetrieb von 4 bis 24 Uhr nötig, an 6 Tagen die Woche, wobei jeweils 40 bis 50 Personen auf der Baustelle waren. Begünstigt wurden die Arbeiten dadurch, dass während der Bauphase keine Extremwetterereignisse eintraten. «Die Natur war gutmütig mit uns», bilanziert der Projektleiter, was im Hochgebirge oft nicht der Fall ist. So mussten denn auch die verschiedenen Szenarien, die zum Beispiel für einen Hochwasseralarm existierten, nicht angewendet werden. «Auf der Baustelle haben unsere Konzepte sehr gut funktioniert», so Erich Schmid. Als Beispiele nennt er den Rückbau der Decke, die Bauumleitung und Wasserhaltung oder den Einbau der Fertigbetonelemente. «Das resultierte auch in der frühzeitigen Fertigstellung des Bauwerks.»

Das Einhalten der gesetzten Termine war aus betrieblichen Gründen unverzichtbar: Im Frühling bringt die Schneeschmelze jeweils grosse Wassermassen, die den See füllen und für die Stromgewinnung unverzichtbar sind. Pünktlich konnte also am zweiten April mit dem neuerlichen Aufstau des Sees begonnen werden. «Die Rückbauarbeiten der Installationen sind in vollem Gange, der erste Baukran wurde Ende April bereits abtransportiert.» Danach folgt noch die Wiederherstellung der ursprünglichen Umgebung, die voraussichtlich Mitte Juni abgeschlossen sein wird. Bereits Anfang Mai erfolgte die neuerliche Inbetriebnahme des Kraftwerks Mapragg.

Gigerwald-15

Quelle: Axpo

Kurz vor der Fertigstellung: Das Stahlrohr des Einlaufbauwerks ist einbetoniert. Hierdurch wird in Zukunft das Wasser in die Tiefe stürzen.

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Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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