11:05 BAUPROJEKTE

Neuer Aussichtsturm in den Thurauen: Der Holzturm, der rundum gut ankommt

Geschrieben von: Peter Weiss (pew)
Teaserbild-Quelle: Peter Weiss

Er ist 15 Meter hoch, Hyperbel-förmig und aus Holz – der neue Aussichtsturm im Mündungsgebiet der Thur in den Rhein. Der Entwurf zu dem besonderen Bauwerk stammt von einem damals noch an der ETH Zürich studierenden Bauingenieur. Das Resultat seiner Masterarbeit gefällt Bauherrschaft und Publikum gleichermassen.

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Quelle: Peter Weiss

Fügt sich harmonisch in die grösste Auenlandschaft des Schweizer Mittellands ein: der neue Beobachtungsturm aus Holz in den Thurauen.

Südlich der Thurbrücke in der Nähe des zürcherischen Flaach weist ein Schild mit der Aufschrift «Zum Turm» auf einen schmalen Pfad durch den Auenwald. Wer auf diesem an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Frühling einmal kurz innehält, bekommt ein eindrücklich vielstimmiges Vogelkonzert zu hören. Aus der Ferne dringt der Ruf eines Kuckucks durch das mannigfaltige Gezwitscher, vom Fluss her tönt es nach Möwen. Vom angekündigten Turm ist auf dem weiteren Weg durch den dichten Wald lange nichts zu sehen. Doch dann dringen von oben her menschliche Gespräche ans Ohr, mit jedem Schritt ein wenig deutlicher. Schliesslich mündet der Weg auf eine Lichtung. Dort taucht mit einem Schlag der neue Beobachtungsturm auf – und zieht das Auge des Besuchers förmlich an sich.

Dabei beeindruckt der neue Turm in den Thurauen, dem Mündungsgebiet der Thur in den Rhein, Im Gegensatz zu anderen Bauwerken seines Typs weniger mit seiner Höhe. Die fällt mit 15 Metern eher bescheiden aus und bleibt gar hinter jener von einigen der benachbarten Bäume zurück. Vielmehr sind es sein Material, das helle Holz, die Hyperbel-Form mit ihren schwungvollen Rundungen sowie die luftige Bauweise, welche den Beobachtungsturm zum Blickfang machen. Von den Menschen, die sich hoch in seinem Inneren so angeregt miteinander unterhalten, ist indes auch mit freiem Blick auf den Turm noch nichts zu sehen. So geschickt verdecken die langen Balken aus Holz, welche die tragende Aussenhülle bilden, die Sicht. Gemäss dem Projektbeschrieb auf der Webseite des Kantons Zürich ist das auch so gewollt. Die Holzstäbe auf der Aussenseite schirmten die Bewegungen der Menschen ab, so dass die Störungen auf die Tierwelt reduziert würden, steht dort zu lesen.

69 Stufen und zwei Plattformen

Über das robuste Betonfundament, welches den Turm auch vor den Folgen eines grossen Thurhochwassers schützen soll, geht es zum Eingang. Durch eine Öffnung in der runden Konstruktion aus vertikalen Fichtenholzbalken, die als Treppenhaus dient, betritt man die breite Wendeltreppe aus demselben Holz. 69 Stufen später – die untere Aussichtsplattform in acht Metern Höhe mitgerechnet – ist man am höchsten zugänglichen Punkt angekommen: der oberen Plattform auf zwölf Metern über dem Grund.

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Quelle: Peter Weiss

Hereinspaziert: der offene Eingang zur Wendeltreppe im neuen Beobachtungsturm.

Von der breiten runden Plattform aus geniesst man einen Rundum-Panoramablick über die grösste Auenlandschaft des Schweizer Mittellands. Im Uhrzeigersinn reicht das Auge vom letzten Abschnitt der Thur vor ihrer Mündung in den Rhein über das gegenüberliegende Ufer zur schmalen Strassenbrücke über den Fluss. Der Rest der optischen Rundreise führt über Baumstämme und Wipfel diverser Arten und Höhen. Die späte Nachmittagssonne taucht einen guten Teil des Plattform-Raums unter seiner lamellenförmigen Holdzecke in ein helles, gleichsam warmes Licht.

Ein Bau für alle Altersklassen

In diesem Ambiente fühlen sich auch die Menschen offenkundig wohl. So verweilen jene, deren Stimmen schon vom Waldweg aus zu hören waren, noch lange. Sie entpuppen sich als zwei je dreiköpfige Familien, die hier oben einander begegnet sind und sich nun ausgiebig über gemeinsame Bekannte und andere Begebenheiten aus ihrer Umgebung austauschen. Bald darauf kommen die Nächsten auf der oberen Holzplattform an, die wie ihr vier Meter tiefer gelegenes Pendant zugleich als Horizontalaussteifung des Tragwerks dient. «Oh, wie schön», «Das ist ja mega cool hier», oder «Wow, was für ein Blick» lauten, je nach Alter, ihre spontanen Kommentare. Ein Mann nimmt mit einem Fernglas den Raum bis zum Flussbett unter die Lupe. Womöglich sieht er auf der Kiesbank zwischen dem Turm und der Thur den Flussregenpfeifer oder andere Arten, die auf Kies brüten. Mit blossem Auge ist im Fluss, der an diesem Tag wenig Wasser führt und rund 50 Meter entfernt gen Rhein fliesst, ein Kanute in seinem Boot zu beobachten.

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Quelle: Peter Weiss

Weite Blicke hinter hellen Holzbalken, um die Tiere im Wald nicht zu stören: die obere Plattform.

Bei der nächsten Gruppe, welche die Aussichtsplattform erreicht, scheint es sich um Ortskundige zu handeln. «Hier war doch vorher eine Plattform, oder?», fragt eines der Kinder im Teenager-Alter. «Ja, das Holz war morsch, die ist keine zehn Jahre gestanden», antwortet eine ältere Frau, möglicherweise das Grosi. «Ja, aber der Turm jetzt ist doch mega schön», schliesst ein Mann aus der Altersgruppe zwischen den Beiden. Alle nicken zustimmend.

Ersatz für Plattform

Tatsächlich handelt es sich beim neuen Beobachtungsturm nicht um das erste Bauwerk an dieser Stelle in der geschützten Auenlandschaft. Auf der Webseite des Kantons Zürich ist das Projekt als «Ersatzneubau» klassifiziert. Der neue Turm ersetzt gemäss dem Beschrieb eine Holzplattform, die im Zuge des Projekts «Hochwasserschutz und Auenlandschaft Thurmündung» im Jahr 2011 gebaut wurde und wegen ihres schlechten Zustands aus Sicherheitsgründen im Jahr 2021 abgesperrt werden musste. «Die Konstruktion der ersten Plattform war simpel gehalten, die Tragkonstruktion war vor Witterung ungeschützt», schreibt Mediensprecherin Isabelle Rüegg von der kantonalen Baudirektion dazu auf Anfrage. «Für den jetzigen Beobachtungsturm wird eine deutlich längere Lebensdauer angestrebt.»

Jene Plattform, welche die Abteilung Wasserbau des Zürcher Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) im Jahr 2022 als Ersatz für die ursprüngliche Plattform errichtet hatte, sei dagegen von Anfang an als Provisorium vorgesehen gewesen. «Es soll aber zu gegebener Zeit einen definitiven Platz an einem anderen, attraktiven Standort an einem Fliessgewässer erhalten», kündigt Rüegg an.

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Quelle: Peter Weiss

Freier Bilck auf den letzten Abschnitt der Thur vor ihrer Mündung in den Rhein: der neue Turm ermöglicht ihn.

Die ursprüngliche ebenso wie die provisorische Aussichtsplattform waren weniger hoch als der neue Turm. Augrund der geringen Höhe hätten sie durch den aufkommenden Bewuchs zwischen der Plattform und der Thur nur einen eingeschränkten Blick auf den Fluss ermöglicht, führt Rüegg aus. So stand für das AWEL als Bauherrschaft fest: Als Ersatz sollte ein Turm her. Um diesen zu errichten, schlug das Amt einen neuen Weg ein. Anstelle eines klassischen Architektur-Wettbewerbs schrieb das AWEL den Entwurf eines Turms mit der Aussicht auf eine spätere Umsetzung als Wettbewerb unter Master-Studierenden der ETH Zürich aus. Genauer gesagt, arbeitete die Abteilung Wasserbau des AWEL für dieses Projekt eng mit dem Lehrstuhl für Holzbau am ETH-Institut für Baustatik und Konstruktion zusammen. Im Frühjahr 2023 reichten vier damals noch Studierende der Bauingenieurwissenschaft ihre Entwürfe ein.

Erstmals ein Wettbewerb

Die Abteilung für Wasserbau stehe mit der ETH oder auch mit Fachhochschulen regelmässig im Austausch und liefere ihnen Themen für studentische Arbeiten.
«Die Form eines Wettbewerbs wie hier war aber eine Premiere», schreibt Isabelle Rüegg. Das AWEL habe dieses Vorgehen im Sinne der Nachwuchsförderung gewählt. Kosten zu sparen, sei dabei nicht im Vordergrund gestanden, betont die Mediensprecherin der Baudirektion. Und fügt an: «Die Finanzierung war über das Projekt #hallowasser gesichert». Dieses verwendet einen Teil der Jubiläumsdividende, welche die Zürcher Kantonalbank (ZKB) 2020 ausgeschüttet hatte, um zusätzliche Zugänge zu Flüssen und Bächen zu schaffen. Gemäss der #hallowasser-Webseite sollen dadurch möglichst viele Menschen leicht zugängliche Erholungsräume am Wasser erhalten. Oft sei damit auch eine ökologische Aufwertung verbunden. Das trifft auch auf den neuen Beobachtungsturm in den Thurauen zu.

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Quelle: Peter Weiss

Markante Gitterstruktur: die äussere, tragende Hülle der hyperbolischen, neuen Turms in den Thurauen.

Neben den Holzstäben auf der Aussenseite, welche die Bewegung der Menschen abschirmen, verspricht auch das Dach einen Mehrwert für die Tierwelt. Denn dessen begrünte, rund 85 Quadratmeter grosse Fläche bildet eine ökologische Nische für Insekten. Die Entwässerung des Dachs ist in die Konstruktion integriert. Sie und die gleichartigen, langen Stäbe an der Aussenseite aus besonders witterungsbeständigem Lärchenholz sollen den Turm wartungsfreundlich und langlebig machen. All diese Qualitäten überzeugten die Bauherrschaft und die Fachjury und trugen dem Projekt «Hyperbolausguck» den Sieg ein. Der damalige Master-Student Jan Hess hatte es mit Unterstützung des Holzbau-Unternehmens Blumer Lehmann erarbeitet. Bis hin zur Baubewilligung wurden neben dem Holzbauer weitere Fachexperten beigezogen, wie etwa ein Spengler sowie ein Bauingenieur für die aufwändigen Fundationen.

Alles nach Plan

Das Fazit des AWEL fällt überaus positiv aus. «Die intensive und interaktive Erarbeitung der Entwürfe mit regelmässigem Austausch zwischen Studierenden, Fachexperten aus dem Holzbau sowie einer Fachjury war sehr bereichernd», kommentiert Mediensprecherin Isabelle Rüegg. Auch beim Bau lief ihr zufolge alles rund. So sei der enge Zeitplan von den Vorarbeiten ab November 2024 bis zum Abschluss, der Ende März vor dem Beginn der Vogelschonzeit erfolgen musste, eingehalten worden. «Die Koordination der verschiedenen Unternehmen vor Ort hat hervorragend geklappt», führt Rüegg aus. «Die Baustelle mitten in der Waldschutzzone wurde vorbildlich geführt, und es gab keine Beanstandungen.»

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Quelle: Peter Weiss

Verschmilzt förmlich mit seiner Umgebung: der Beobachtungsturm vom gegenüberliegenden Thur-Ufer aus.

Schliesslich stimmt das Ergebnis die Bauherrschaft mehr als nur zufrieden. «Das AWEL ist begeistert vom Resultat», schreibt Rüegg. «Der Turm ist architektonisch wunderbar gelungen und bettet sich gut in die Landschaft ein.» Im Moment steche das frische Holz hervor und mache den Turm zu einem besonderen Blickfang. «Wir sind gespannt, wie sich die Patina in den nächsten Jahren verändert und wie dann sein Erscheinungsbild in der Landschaft ist.»

Die Eröffnung des Turms, dessen Gesamtprojektkosten auf der Webseite mit 530 000 Franken angegeben werden, erfolgte Anfang April, gleichzeitig mit dem Saisonstart im nahen Naturzentrum Thurauen. Auch aus dessen Reihen habe das AWEL positive Rückmeldungen erhalten, schildert Rüegg. Last but not least fallen die bisherigen Rezensionen auf Google Maps genauso positiv aus wie die Reaktionen der Besuchenden beim Augenschein vor Ort.

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Quelle: Baudirektion Kanton Zürich

Besuch auf der Baustelle: Links im Bild Jan Hess, der Verfasser des Siegerprojekts, mit einer weiteren Teilnehmerin am damaligen Wettbewerb und inzwischen fertig ausgebildeter Bauingenieurin an der Aufrichtung.

Angehende Bauingenieure nutzen einmalige Chance

Vom neuen Beobachtungsturm in den Thurauen zeigen sich nicht nur das Publikum und die Bauherrschaft höchst angetan, sondern auch die für das Projekt Verantwortlichen der ETH.  Der Wettbewerb und sein Resultat stellten einen grossen Erfolg für alle Beteiligten dar, schreiben Andrea Frangi und Marcel Muster vom Lehrstuhl für Holzbau.

Die einmalige Chance, an einem realen Projekt mitzuwirken, habe die ETH-Master-Studierenden von Anfang an begeistert.  «Für Bauingenieur-Studierende ist eine Entwurfsarbeit etwas Spezielles», betont Muster. «Häufig geht es ja eher um die Überprüfung eines bestehenden Entwurfs und um die Anpassungen der Struktur, damit die Tragfähigkeit funktioniert und die Verformungen im zulässigen Bereich liegen. Ich fand diesen Wettbewerb eine sehr gute Idee, weil es eine herausfordernde Aufgabe für die Studierenden war.» Der Impuls dazu sei durch einen persönlichen Kontakt zwischen ETH und Kanton gekommen. Eine Kooperation zwischen der Zürcher Kantonsverwaltung und der Hochschule in Form eines solchen Wettbewerbs komme eher selten vor. Die vier teilnehmenden Studierenden erarbeiteten zuerst je drei Entwürfe, die Fachjury und das AWEL wählten jeweils ein Projekt zur Weiterbearbeitung aus. Alle vier am Ende eingereichten Arbeiten seien von höchster Qualität gewesen.

Ästhetisch und wartungsfreundlich

Zur Frage, warum der Sieg an Jan Hess und sein Projekt «Hyperbol-Ausguck» ging, zitieren Muster und Frangi aus dem Bericht der Fachjury: «Der Turm überzeugt durch seine offene Gestaltung und damit gelungene Einbettung in die Landschaft, die modulare Sprache für eine Weiterverwendung in den Thurauen sowie durch die innovative und auf die Essenz reduzierte Bauweise. Trotz der grössten Dachfläche aller Entwürfe wirkt der Turm durch seine geschwungene und schlanke Form ästhetisch ansprechend. Besonders hervorzuheben ist die durchdachte Minimalisierung der Verbindungen, die zu einem sehr einfachen und wartungsfreundlichen Unterhalt führt.» Der Entscheid der Jury sei einstimmig ausgefallen.

Natürlich wäre es auch denkbar, ergänzen Frangi und Muster, solch eine Arbeit in Kooperation mit Studierenden aus dem Departement Architektur auszuführen. «Das würde aber wahrscheinlich zur klassischen Rollenverteilung (Entwurf/Statik) führen, wodurch ein wichtiger Teil der Erfahrung, nämlich der Blick fürs Ganze, für die Bauingenieur-Studierenden verloren ginge.» (pew)

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