08:06 BAUPROJEKTE

Kantonsschule im Kloster Wettingen: Im Westen was Neues

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Mitte August fand der Spatenstich für den erweiterten Westflügel der Kantonsschule Wettingen statt. Er muss sich in die historische Klosteranlage einpassen, in der die Lernstätte untergebracht ist. Das Projekt wurde in einem Planerwahlverfahren ermittelt. Es vervollständigt die Anlage selbstbewusst.

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Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Der erweiterte Westflügel erstreckt sich entlang des Klosterparkgässli und hat unter der Giebelfront einen eigenen Eingang.

Unter den sieben Kantonsschulen des Kantons Aargau gehört die Kantonsschule Wettingen (KSWE) mit dem Eröffnungsjahr 1976 zu den jüngsten. Sie besitzt allerdings die geschichtsträchtigste Anlage: das einstige Kloster in einer Schlaufe der Limmat. Dieses wurde im 13. Jahrhundert mit dem Namen «Stella Maris» (Stern des Meeres) für den Zisterzienserorden errichtet und bestand mit kurzen Unterbrüchen bis ins Jahr 1841, als der Kanton das Kloster in einem kontroversen Entscheid aufhob. Ab 1843 diente die Anlage als Lehrerseminar, bevor 1976 die Kantonsschule einzog.

Der innere Klosterbereich mit dem Kreuzgang des ehemaligen Klosters sowie dem Kapitelsaal, der als Aula genutzt wird, steht dem Unterrichtsbetrieb zur Verfügung. Er stammt im Wesentlichen aus der Zeitperiode zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert. Zum Campus gehören auch eine benachbarte ehemalige Baumwollspinnerei, wo die Schule zur Miete ist, diverse Scheunen und ein repräsentativer «Palazzo» mit Treppengiebeln aus dem 19. Jahrhundert. 

Die Sportanlagen der Schule befinden sich etwas abgesetzt von diesem Baubestand mit seinen historischen Gartenanlagen im Nordwesten, zwischen dem Kloster und dem Bahnhof. Hier, am Ansatz der Flussschlaufe, konnte 2018 eine weitgehend unter Terrain liegende Dreifachsporthalle eingeweiht werden. Sie entspricht dem «Masterplan Klosterhalbinsel Wettingen», der von Kanton und Gemeinde in den Jahren 2009 bis 2013 entwickelt wurde. Eines von dessen Zielen ist die integrale Erhaltung der geschützten Klosteranlage, ein «A-Objekt» im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler Bedeutung.

Situation

Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Der Situationsplan zeigt die Anlage in der Schlaufe der Limmat. Auch verschiedene Nachbargebäude werden von der Kantonsschule genutzt.

Bauen in sensibler Umgebung

Die bestehende Anlage soll möglichst nicht gestört werden, aber die Zahl der Schülerinnen und Schüler an der KSWE wächst. Mit diesem Dilemma mussten sich die Ausschreibenden und die Projektierenden beim Planerwahlverfahren auseinandersetzen. Der Kanton Aargau suchte mit diesem ein Generalplanerteam für die Aufgabe «Umbau und Erweiterung Westflügel». Das Verfahren wurde lanciert, weil der Kanton damit rechnet, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an den Aargauer Mittelschulen bis 2045 um über ein Viertel ansteigen wird. Ein Teil von ihnen muss auch die Anlage in Wettingen «absorbieren» können. Heute liege die Auslastung der Aargauer Kantonsschulen deutlich über 100 Prozent, sagte Landammann und Bildungsdirektor Alex Hürzeler (SVP) anlässlich des Spatenstichs im vergangenen August.

Projektiert werden mussten der Umbau und die Erweiterung des Westflügels, der einst dem Turnunterricht diente. Dieser historische Bauteil gehört zum weitgehend zwei- bis dreigeschossigen, mit Satteldächern gedeckten inneren Klosterbereich. Er grenzt an die Südwestecke des Kreuzgangs, welcher die Klosterkirche im Norden neben dem Westtrakt auch mit einem Ost- und einen Mitteltrakt verbindet, die alle an einen Quertrakt am Kreuzgang angeschlossen sind.  Westlich angrenzend verläuft das Klosterparkgässli, das von einer Zeile älterer, niedriger Wohnhäuser begleitet wird. Für die Erweiterung des Westtrakts stand die Parzelle des einstigen Hönggerhauses zur Verfügung. Dieses erhob sich unmittelbar bei der nördlichen Giebelseite des Westtraktes, unter anderem nutzte man es zur Lagerung von Wein und Getreide aus der Limmattaler Gemeinde Höngg, heute ein Teil der Stadt Zürich. Das Haus wurde 1883 abgerissen und nicht ersetzt.

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Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Auf den Westtrakt folgten ein Mittel- und ein Osttrakt. Sie sind an einen Verbindungstrakt auf der Südseite des Kreuzgangs angeschlossen. Das Erweiterungsprojekt führt den First des Verbindungstrakts weiter bis ins Giebelfeld über dem Eingang.

Das Raumprogramm umfasste zwölf Klassenzimmer im Erd- und Obergeschoss sowie offene Arbeitsplätze auf den rund 380 Quadratmetern im Dachstuhl. Die zu projektierende Erweiterung hatte sich bezüglich Lage, Perimeter und Querschnitt am Hönggerhaus zu orientieren, das ausreichend dokumentiert ist. Dessen Grundmauern bestehen noch und mussten wie ein historischer Keller in das Projekt eingebunden werden. Der Freiraum entlang dem Klosterparkgässli war ebenfalls Bestandteil der Aufgabenstellung.

Von den sich bewerbenden Generalplanerteams wurden Erfahrungen im Bereich Bauen im denkmalgeschützten oder historischen Kontext sowie in der Planung von Schulbauten vorausgesetzt. Insgesamt gingen 30 Bewerbungen zur Teilnahme ein, von ihnen wurden nach einer Präqualifikation acht Teams eingeladen, Projekte zu entwickeln. Die Begutachtung wurde als Punktwertung organisiert. 

Gestützt auf die Beurteilung erfolgte die Empfehlung des (in diesem Falle anonymen) Preisgerichts an die Auftraggeberin zur Beauftragung des Generalplanerteams mit der höchsten Punktzahl. Dies war das Team Waeber / Dickenmann / Partner AG, Zürich, mit PBK AG, Zürich (Baumanagement), Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure AG, Zürich, Andy Wickart Haustechnik AG, Finstersee, und Kuster + Partner AG, Lachen (Bauphysik).

Laengsschnitt

Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Im Längsschnitt ist zu erkennen, wie das Eingangsfoyer unter dem First des verlängerten Quertrakts mit gestaffelten Treppenläufen zwischen den unterschiedlichen Geschossniveaus vermittelt.

Eine Vervollständigung

Das siegreiche Projekt bildete vom Honorarangebot her das im Quervergleich drittgünstigste Angebot. Es überzeugte das Preisgericht durch eine «sehr fundierte Analyse der baulichen Entwicklung» und einer «sehr präzisen Herleitung eines möglichen Lösungsansatzes». Treffsicher seien auch die für die denkmalpflegerische Qualität relevanten Parameter wie die Setzung und die Körnigkeit kritisch hinterfragt worden.

Der Entwurf präsentiert einen nach Norden, entlang dem Kreuzgang verlängerten Westflügel, in dem der Bestand und die Ergänzung nach aussen als homogene Einheit erscheinen. Der Bauteil wird  durchstossen durch eine Verlängerung des höheren Firsts des Verbindungstraktes entlang der Südseite des Kreuzgangs. Er endet nun als Giebelfront in der Westfassade des erweiterten Traktes. Unter ihm befindet sich der Eingang und eine grosszügige Erschliessungsanlage, in der nebeneinander geführte Treppenläufe die unterschiedlichen Niveaus zwischen dem Bestand und der Erweiterung miteinander verbinden. 

Die einheitliche, verputzte Fassade ist nach Westen mit einer regelmässigen Abfolge von geschossübergreifenden Schlitzen gegliedert; in der Mitte sind sie etwas breiter, und durch die seitlichen Versätze der schmalen oberen und unteren Enden erhalten sie eine auffällige, zeichenhafte Wirkung. Die Lage der breiteren Öffnungspartien lässt die unterschiedlichen Geschossniveaus in der Erweiterung und im Bestand erkennen. Das Satteldach des erweiterten Traktes orientiert sich am Bestand und ist mit keinerlei Öffnungen oder Lukarnen versehen.

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Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Ein historischer Keller unter der Erweiterung ist als Lesehalle und Gemeinschaftsraum konzipiert.

Das Erdgeschoss ist über eine Passage entlang der Westfassade schwellenfrei zu erreichen. Der Eingang führt in ein Foyer mit der Treppenanlage und dem Lift. Links befindet sich eine Treppe in den als Lesesaal reaktivierten historischen Keller, der vom Kreuzgang her über kleine Öffnungen mit Tageslicht versehen wird. Auf dieser Ebene befinden sich auch sämtliche Sanitäranlagen. Die neuen Klassenräume sind in der Erweiterung über dem Kellerraum und dem Eingangsniveau in zwei Obergeschossen untergebracht. Sie verfügen über einbündige Erschliessungen, wobei im ersten Obergeschoss der Korridor auf der Seite des Kreuzgangs erfolgt und darüber, wo sich die Klassenräume bis in den Dachraum ausdehnen, entlang der Westfassade, da die Fensterfront über dem Dach des Kreuzgangs für ausreichend Tageslicht sorgt. Die Geschossniveaus in der Erweiterung sind so angelegt, dass eine einfache Umbaubarkeit möglich sein soll.

Der Gesamteindruck des Klosters erfährt durch diese Sanierung und Erweiterung eine Bereinigung und ein Update. Die Aufwertung des Klosterparkgässli durch eine Verlegung von Parkplätzen bekräftigt diesen Eindruck.

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Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Die Aussenwände sind in Massivbau geplant, Decken und innere Trennwände in Holz und Glas.

Nachgefragt... bei Daniel Dickenmann

Architekt Daniel Dickenmann

Quelle: Waeber / Dickenmann / Partner AG

Daniel Dickenmann ist Architekt und beteiligt am Architekturbüro Waeber / Dickenmann / Partner AG, Zürich.

Wie konnten Sie bei der Bewerbung im Planerwahlverfahren Ihre Kompetenz für eine derartige Aufgabe im denkmalgeschützten Bestand überzeugend darlegen?

Unsere Bauaufgaben standen verschiedentlich im Kontext mit Schutzobjekten, zum Teil mit solchen, die im Bundes­inventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung der Schweiz (ISOS) vermerkt sind. Beispielsweise beim Neubau des Staatsarchivs Schwyz als Erweiterung des ehemaligen Kollegium Schwyz oder bei den Bauten der Oberstadt 24, 26 in Sursee, dem Tor zur Altstadt.

Weshalb eignet sich Ihrer Meinung nach ein Planerwahlverfahren mit Punktwertung für ein solches Projekt?

Ein Projekt in einem solchen geschichts- und kulturträchtigen Umfeld benötigt einen intensiven Dialog mit sämtlichen Beteiligten, im Besonderen mit der Denkmalpflege, um so in einem Prozess in Schritten auf ein allseitig abgestütztes Projekt zu gelangen. Ein Planerwahlverfahren ­erachten wir bei diesem Projekt als zielführender als einen Projektwettbewerb.

Wie erlebten Sie die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege vor und nach dem Verfahren?

Als Glücksfall in der Person von Reto Nussbaumer, dem Denkmalspfleger des Kanton Aargau.

Die Gestaltung der Fassaden hebt den Westtrakt deutlich von der restlichen Klosteranlage ab. Welche gestalterischen Überlegungen standen dahinter?

Der Kontext beeinflusst die Wahrnehmung. Die Westfassade befindet sich in einer schmalen Gasse, dem Klosterparkgässli. Dadurch wird die Fassade perspektivisch verkürzt wahrgenommen. ­Zusammen mit der Wahl von tiefen Leibungen erscheint die Westfassade als durchgehende Mauer. Die Fenster sind lediglich in einem reduzierten Blickwinkel sichtbar. Die geschossweise versetzten, vertikalen Schlitze mutieren perspektivisch zu einer Lochfassade. Gut erkennbar ist dieses Phänomen bei den beiden Aussenvisualisierungen. Durch das ­Verweben der Oberfläche der Bestandesbauten und des Neubaus und der geschilderten Transformation der Westfassade wird sich der Neubau des Westtrakts in das historische Zisterzienserkloster einfügen. Die Unterscheidung von Alt und Neu wird richtigerweise bleiben, jedoch sublim artikuliert. Ähnlich den Kirchenbauten im Burgund, die über mehrere Jahrhunderte und Epochen entstanden.

Der historische Keller an der Stelle des einstigen Hönggerhauses soll zum Lesesaal werden. Könnte man sich auch noch andere Nutzungen vorstellen?

Wie alle gut proportionierten Räume, lässt auch der Lesesaal im historischen Keller des ­ehemaligen Zisterzienserkloster verschiedene Nutzungen zu. Wir sind überzeugt, dass die räumliche Qualität Begehrlichkeiten wecken wird.

Das zweite Obergeschoss wird auch als Dach- und Galeriegeschoss bezeichnet. Worin besteht der Galeriecharakter?

Das Charakteristikum des Galeriegeschosses ist der Ausgangspunkt respektive im Umkehrschluss der Schlusspunkt der versetzt aufgespannten Treppenanlage, die den Blick diagonal durch das Gebäude gewährt.

Welche Teile des Projektes sollen mit Holz ausgeführt werden?

Die Aussenwände sind analog zu den Bestandesbauten zusammen mit der Treppenanlage, die gleichzeitig als «nichtbrennbarer Fluchtweg» dient, und den Bruchsteinmauern der Lernhalle aus «Stein». Die übrigen Bauteile sind aus Holz. Dies umfasst ­unter anderem die Decken- und Dach­konstruktion, die Innenwände, die Fenster sowie den Sonnenschutz.

Worauf freuen Sie sich bei der Realisierung des neuen Westtrakts am meisten?

Auf den Prozess, die Fertigstellung und letztendlich auf die Rückmeldungen der Nutzerschaft, die unsere Gedanken einer Prüfung unterziehen.

(Manuel Pestalozzi)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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