Eine kleine Kinderstadt aus Holz für Schaffhausen
Die Stadt Schaffhausen will eine neue Schulraumstrategie umsetzen. Im Quartier Geissberg sollen ergänzend zu den zwei bestehenden Kindergartenklassen zwei zusätzliche hinzukommen. Zusammen mit einer Krippe und einem Hort ergibt das ein «Kinderzentrum Geissberg». Das siegreiche Wettbewerbsprojekt setzt auf eine Neubauzeile am Rand des Areals.

Quelle: 2023 Nightnurse Images
Das Siegerprojekt des Wettbewerbs erstreckt sich beim Hang der Hornberg-Hügelkuppe entlang eines öffentlichen Grünraums.
Auf dem Gebiet der Stadt Schaffhausen treten verschiedene Bäche aus ihren engen Tälern und fliessen in den Rhein. Das Siedlungsgebiet wuchs in den vergangenen 150 Jahren in diese Täler hinein und in die bewaldeten Hügelzüge hinauf. Der Geissberg befindet sich exakt nördlich der Altstadt, wo das Mühlen- und das Herblingertal zusammenfinden. Auf der Anhöhe errichtete der Unternehmer Georg Fischer III im frühen 20. Jahrhundert an ziemlich idyllischer Lage eine metallurgische Versuchsanstalt und dann ein Elektrostahlwerk.
Das Areal wurde in den 1980er-Jahren dem Erdboden gleichgemacht und später neu bebaut. Seither ist der Geissberg vollumfänglich ein gut durchgrüntes, naturnahes Wohnquartier mit Villen, Ein- und Mehrfamilienhäusern. In den Nullerjahren sah sich die Stadt veranlasst, mit dem Geissberg am Programm «Projets urbains» des Bundes teilzunehmen. Das Programm hatte die gesellschaftliche Integration in Wohngebieten zum Ziel. Mit dem Projekt rückten die Seniorinnen und Senioren in den Mittelpunkt, im Fokus stand eine Förderung der Begegnungen zwischen den Generationen und den Kulturen, da man auf dieser Ebene Mängel konstatierte.
Beim Kinderzentrum geht es hingegen um die Kleinsten im Quartier. Von denen gibt es auf dem Geissberg immer mehr. Deshalb musste im Schuljahr 2020 /21 eine Kindergartenabteilung in der Liegenschaft einer Kindertagesstätte eröffnet werden. Diese Mietlösung kann für die Stadt nur ein Provisorium sein, denn sie erfüllt die Anforderungen an einen Kindergarten in Bezug auf die Nutzfläche und den Aussenraum nicht. Erkenntnisse aus der Schulraumplanung zeigten, dass im Gebiet Geissberg sowohl mittel- als auch langfristig ein Bedarf von vier Kindergartenabteilungen besteht.
Dies bildete den Hintergrund für die Planung eines Kinderzentrums Geissberg. Dessen Basis bilden die beiden bestehenden Kindergärten Geissberg 1 und 2. Geissberg 1 steht am Weinsteig, welcher der bewaldeten, steil ins Mühlental abfallenden Hangkante folgt. Der Pavillonbau wurde 1992 realisiert. Geissberg 2 befindet sich in einem historischen Objekt mit Baujahr 1910 wenige Schritte weiter nördlich, bei der Einmündung der Finsterwaldstrasse. Die beiden Kindergärten liegen an einem gemeinsamen Park, der dem ganzen Quartier als Spielwiese und Aufenthaltsraum zur Verfügung steht und an ein Gebiet mit Familiengärten grenzt. Der Park steigt nach Südosten zur Hornberg-Hügekuppe leicht an, nach Osten fällt es sanft in Richtung Herblingertal ab.

Quelle: ARGE CRESCENDO
Die Schnitte zeigen, dass die Räume in den Obergeschossen bis ins Dach reichen. «Lichtkanonen» bringen auf beiden Geschossen Tageslicht in die tiefen Raumschichten.
Mit einem Projektwettbewerb im einstufigen offenen Verfahren suchte die Stadt Schaffhausen nach einer Lösung für das Kinderzentrum, das neben der bestehenden Anlage zusätzlich zwei Kindergartenabteilungen sowie eine neue Tagesstruktur mit Kinderkrippe und Hort für 65 Kinder im Alter von 4 Monaten bis 6 Jahre umfassen soll. Der Pavillon-Kindergarten von 1992 konnte für die Neubauten abgerissen werden.
Verlangt wurden die Entwicklung städtebaulicher und architektonischer Ideen, einschliesslich der erforderlichen Ergänzung der bestehenden Schulinfrastruktur, sowie eine nachhaltige Freiraumeinbindung und -gestaltung. Der Projektperimeter erstreckte sich über den westlichen Teil der Freifläche am Weinsteig mit den beiden Bestandesbauten und erstreckte sich über die Finsterwaldstrasse hinweg auf eine kleinere Parzelle nördlich der Einmündung, der für einen Spielplatz als Teil der Gesamtanlage reserviert war.
Auf und ab
Es wurden 46 Projektbeiträge eingereicht. Nach einer Vorprüfung verblieben deren acht in der engeren Wahl. Leitende von Krippe / Hort und der bestehenden Kindergärten 1 und 2 beurteilten die betrieblichen und funktionalen Aspekte, die kantonale Energiefachstelle die Umsetzung der geforderten Überlegungen zur Nachhaltigkeit. Das Verfahren endete mit der Empfehlung des Preisgerichts an die Auftraggeberin, das von ihm auf dem ersten Rang platzierte Verfasserteam des Projekts «Crescendo», die ARGE CRESCENDO, Marceline Ruckstuhl GmbH + Masson Tarsoly Architectes Sàrl, mit der Weiterbearbeitung und Ausführung zu beauftragen.
Die baulichen Interventionen des Projekts konzentrieren sich auf den südwestlichen Bereich des Hauptgrundstücks. Entlang des Weinsteigs, in ihrem Verlauf nach Süden leicht in östlicher Richtung abgedreht, reihen sich neue zweigeschossige Raumeinheiten. Sie sind alle miteinander verbunden und bilden eine Zeile. Im Norden beginnt diese mit den drei identischen, nicht unterkellerten Kindergarten-Einheiten. Es folgt in der Südwestecke des Areals ein unterkellertes Volumen mit den Büros und der Küche. Dieses ist in den Hang der Hügelkuppe hineingebaut und leicht nach Osten versetzt, so dass am Weinsteig eine Vorzone für die Anlieferung und den Eingang der Mitarbeitenden entsteht.
Die Eingänge zu den Kindergärten befinden sich ebenfalls am Weinsteig. Die Kindertagesstätte mit Krippe und Hort, die sich durch das Obergeschoss der gesamten Zeile erstreckt, ist direkt und barrierefrei erschlossen von der Hornbergstrasse. Sie begrenzt das Areal nach Süden. Ein inneres Treppenhaus im südlichen Volumen mit zwei Aufzügen und eine Aussentreppe an der Nordfassade ergänzen die Erschliessung des Obergeschosses.

Quelle: ARGE CRESCENDO
Eine Neubauzeile ergänzt den bestehenden Kindergarten 2 in einem über 100jährigen Haus.

Quelle: ARGE CRESCENDO
Sowohl die Kindergärten im Erdgeschoss wie auch die Räumlichkeiten der Kindertagesstätte im Obergeschoss sind untereinander verbunden.
Für die Neubauten wird der Kindergarten 1 entfernt. Das Entwurfsteam schlägt einen sorgfältigen Rückbau des Pavillons vor. Die Mehrheit der Elemente sollen dem Re-use-Markt zugeführt werden, einige liessen sich auf dem Spielplatz als Gartenhäuser und Baumhäuser verwenden. Den Erker des Pavillons sieht es als «Nachbarschaftspavillon» im südöstlichen Bereich des Areals, direkt unterhalb der Hügelkuppe.
Besonderes Merkmal des Projekts ist seine Silhouette; die Kindergarteneinheiten sind mit Satteldächern versehen, deren Firste von West nach Ost verlaufen. Das südliche Volumen verfügt über ein analoges, identisch dimensioniertes Dach, auf das noch ein nach Süden ansteigendes Pultdach folgt. So ergibt sich von der Strasse und dem Grünraum her ein regelmässiges Auf und Ab der schrägen Dachflächen. Überragt wird dieses durch drei Lukarnen über den Kindergärten, die steil nach Süden ansteigen. Das Entwurfsteam nennt sie «Lichtkanonen», sie versehen die tiefen Volumen dank Deckendurchbrüchen auf beiden Etagen mit Tageslicht.
Die Ausstattung der Kindergärten mit Haupt- und Gruppenräumen entspricht dem Kindergarten 2, der senkrecht zur Zeile bei deren nördlichen Ende steht und nur sanft renoviert werden soll. Den öffentlichen Charakter der parkartig gestalteten Spiel- und Erholungslandschaft möchte das Entwurfsteam inklusive Schlittelhang am Hornberghang erhalten. Es schlägt ein vielfältiges, biodiverses und ausreichend mit Bäumen beschattetes Freiraumangebot mit hoher Aufenthaltsqualität und vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten vor.

Quelle: 2023 Nightnurse Images
In der Kindertagesstätte erstreckt sich eine Enfilade entlang der Ostfassade.
Holz als prägendes Material
Über der Bodenplatte und dem Keller sollen die Neubauten als Holzkonstruktion in Rahmenbauweise entstehen. Die Raumoberflächen sollen aus natürlichen und naturbelassenen Materialien bestehen, die Fassade ist mit vertikalen und horizontalen Nut- und Kamm-Schalungen geplant, die in geometrische Felder gegliedert sind. Lehmsteinwände sollen helfen, im Innern das Gebäudeklima zu regulieren. Indem es sowohl Temperatur- als auch Feuchtigkeitsschwankungen ausgleicht, verspricht dieses Baumaterial ein angenehmes und gesundes Raumklima. Zwischen den Dachbalken sind ebenfalls Lehmelemente vorgesehen.
Auch die Zirkularität wurde ins Konzept integriert: Als Beschwerung für die Decke über dem Erdgeschoss schlägt das Entwurfsteam rückgebautes Abbruchmaterial vor. Die Bodenplatte ist als schlaff bewehrte Ortbetonkonstruktion mit möglichst hohem Anteil an Recyclingbeton geplant.
Das Beurteilungsgremium überzeugte bei «Crescendo» die geschickte Anordnung des Raumprogramms in einem kompakten, quartierverträglichen Neubauvolumen entlang des Weinsteigs. Die ebenerdige Anordnung der drei Kindergärten und des Horts sowie die direkte Erschliessung der übrigen Nutzungseinheiten versprächen einen übersichtlichen Betrieb, meinte es, und die rationale und flexible Grundrissgestaltung ermöglichten auch im Innern optimierte betriebliche Abläufe.

Quelle: 2023 Nightnurse Images
Die Fassaden aus Holz weisen auf die Konstruktion hin. Ihre Gliederung schafft eine Kleinteiligkeit, die gut in die Umgebung passt.
Nachgefragt... bei Musa Miftari

Quelle: Patrick Stoll
Musa Miftari ist Bereichsleiter Hochbau bei der Stadt Schaffhausen und beteiligte sich in dieser Funktion als Experte ohne Stimmrecht an der Jurierung.
Für diesen Wettbewerb wurden nicht weniger als 46 Projektbeiträge eingereicht. Wie stellt man da bei der Jurierung sicher, dass keine «Perle» durchs Netz fällt und nicht näher begutachtet wird?
Alle eingereichten Wettbewerbsbeiträge wurden im Rahmen der
Beurteilung nach folgenden Kriterien beurteilt: Gesamteindruck, Organisation,
Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Dadurch wurde die gleiche
Begutachtungstiefe für alle Projekte sichergestellt. Die Jurierung erfolgte in
mehreren Durchgängen. Der erste Rundgang fand in vier Gruppen jeweils unter der
Leitung eines Fachpreisrichters und der Vertretung eines Sachpreisrichters
sowie der beratenden Experten statt. Jedes Projekt wurde dabei von jedem Mitglied
des Preisgerichts in seiner Gesamtheit begutachtet und unter Berücksichtigung
der Beurteilungskriterien bewertet.
Bei den Kindergärten fällt im Siegerprojekt auf, dass die
Aussenbereiche zusammenfliessen und direkt in den öffentlichen Parkraum
übergehen. Braucht es nicht mehr Abgrenzungen oder Einfriedungen, um ein
sicheres Umfeld zu schaffen?
Alle Kindergarteneinheiten verfügen über direkt zugeordnete
ebenerdige Gartenzimmer, die jeweils via Garderoben erreichbar sind. Diese sind
als eigenständige Einheiten gut separierbar und gleichsam in eine durchgehende
Kiesfläche integriert. Zur Finsterwaldstrasse und dem Weinsteig durch die
Gebäude geschützt, wird der Freiraum der Kindergärten Richtung Fussballwiese
durch eine geschickte Terrainmodellation in Form einer grünen Tribüne kreativ
und überzeugend gestaltet. Während des Kindergartenbetriebs bildet der
Terrainversatz eine natürliche Grenze, die eine Nutzung der Quartierkinder
ausserhalb der Kindergartenzeiten jedoch nicht verhindert. Der Aussenbereich
für die Tagesstruktur ist gegenüber dem Freiraum für die Kindergärten etwas
erhöht gelegen und, wie im Wettbewerbsprogramm gefordert, durch eine
Einfriedung geschützt.
Die Neubauten des Siegerprojektes haben ein ziemlich tiefes
Volumen. Wie prüften Sie bei der Beurteilung die Tageslichtversorgung durch die
vorgeschlagenen «Lichtkanonen»?
Durch die Positionierung der Haupträume an der Ost- und
Westfassade werden diese über grosszügige Fensterfronten belichtet. In der
Gebäudemitte sorgen die darüberliegenden Oberlichter für Tageslicht. Zudem
wurden in diesem Bereich mit den Material- und Sanitärräumen die Nebennutzungen
angeordnet, die weniger Tageslicht bedürfen.
Das Siegerprojekt setzt auf einheimische natürliche
Materialien und den Einsatz von rezyklierten Baustoffen. Wie realistisch ist
das aus Ihrer Sicht?
Der Neubau ist als nachhaltiger Holzbau geplant. Beton kommt
als Recyclingbeton nur dort zum Einsatz, wo kein anderer Baustoff möglich ist
(wie zum Beispiel unter Terrain). Über die Bedienungen in den Ausschreibungen
kann sichergestellt werden dass möglichst viel einheimische Baumaterialien
verwendet werden. Die Vorgabe des Bauzusatzes ECO sorgt zusätzlich dafür das
eine ökologische, kreislauffähige und gesunde Bauweise realisiert wird.
Welches ist der aktuelle Stand des Bauvorhabens? Wann darf
man mit dem Spatenstich rechnen?
Das Wettbewerbsprojekt wird nun zu einem Vorprojekt
ausgearbeitet, welches bis zum Herbst dieses Jahres vorliegen sollte und
anschliessend in den politischen Prozess geht. Nach einer erfolgreichen
Volksabstimmung ist der Weg frei für die Baugesuchseingabe und die Umsetzung.
Aufgrund von vielen Unwägbarkeiten ist es noch zu früh, um einen Termin für den
Spatenstich zu definieren. (Interview: Manuel Pestalozzi)