12:04 BAUPRAXIS

Torres de Colón: Ein Hochhaus, das von oben nach unten gebaut wurde

Geschrieben von: Pascale Boschung (pb)
Teaserbild-Quelle: Estudio Lamela

Für die einen ist es das hässlichste Gebäude in Madrid, für die anderen Baukunst: Die rund 117 Meter hohen «Torres de Colón». Hinter der Fassade des Hochhauses versteckt sich eine besondere Bauweise. Denn das Gebäude wurde von oben nach unten gebaut.

Torres de Colón in Madrid

Quelle: César Caracuel flickr CC BY-NC 2.0

Für einige ist es das hässlichste Gebäude in Madrid: Die zwischen 1967 und 1976 erbauten «Torres de Colón».

Das Zwillingsturm-Gebäude, das aufgrund seiner markanten, grün oxidierten Kupferspitze im Volksmund gerne «El Enchufe», also «der Stecker» genannt wird, steht am zentralen Plaza de Colón, einem wichtigen Handelszentrum in der spanischen Hauptstadt. Das rund 117 Meter hohe Hochhaus setzt sich aus zwei hohen Türmen zusammen und wurde zwischen den Jahren 1967 und 1976 gebaut. 

Ursprünglich hätte mit dem Projekt nach Plänen des Stadtrates eigentlich ein einziges, wesentlich höheres Hochhaus entstehen sollen. Jedoch hätte ein solches etwa 40 anstatt der heute 23 Stockwerke pro Turm umfasst und das Stadtbild gestört. So wurde schlussendlich eine Variante mit zwei Türmen realisiert. 

Stockwerke von oben nach unten gebaut

Das spezielle Design des Wolkenkratzers – insbesondere eine in den 90er-Jahren im Zuge einer Renovation hinzugefügte Spitze aus Kupfer sowie die  Glasfassade – gefällt nicht allen. Einige erachten das markante Hochhaus als hässlichstes Gebäude der Stadt, während es für andere ein Wahrzeichen ist, das die Skyline von Madrid seit 1976 prägt. 

Bauarbeiten am Torres de Colón in Madrid

Quelle: Estudio Lamela

Die 117 Meter hohen Torres de Colón in Madrid wurden mittels einer Hängestruktur von oben nach unten gebaut.

Berühmtheit erlangten die «Torres de Colón» aber weniger durch ihr Aussehen, als vielmehr durch ihre «hängende Struktur»: Der für das Projekt verantwortliche Madrider Architekt Antonio Lamela und die Bauingenieure Leonardo Fernàndez Troyano, Javier Manterola und Carlos Fernàndez Casado wählten für den Wolkenkratzer eine sehr unkonventionelle Bauweise – die Türme wurden mittels einer Hängestruktur von oben nach unten konstruiert.

Hängende Struktur ohne Stahlträger

Die Technik der hängenden  Bauweise an sich war in den 70er-Jahren tatsächlich nicht neu und war damals bereits bei anderen Projekten auf der Welt angewandt worden. Das gilt etwa für ein Gebäude der Central Bank of Ireland in Dublin oder das «Standard Bank Centre»-Hochhaus im südafrikanischen Johannesburg. 

Für den Bau des «El Enchufe» in Madrid kam aber eine abgewandelte Variante der gängigen Bautechnik zum Einsatz, bei der unter anderem keine Stahlträger gebraucht wurden. Diese Herangehensweise stellte damals eine technische Neuheit im Bauwesen dar und sorgte dementsprechend für viel Aufmerksamkeit. 


Eine Animation illustriert die unkonventionelle Bauweise des Hochhauses.

Kernsäulen aus Stahlbeton als Tragwerk

Für den Bau der «Torres de Colón» wurden zunächst ein Betonfundament und als Tragwerk zwei hohe Kernsäulen aus Stahlbeton, respektive hochfestem Spannbeton, errichtet. Auf beiden Säulen wurde oben als Kopfstück dann eine Plattform installiert, an der über Schrägseilkabel nach und nach und von oben nach unten 20 der insgesamt 23 Turmetagen angebracht wurden – die restlichen drei Stockwerke im unteren Bereich wurden herkömmlich gebaut, von unten nach oben. 

An der Aussenseite werden die Decken der 20 hängenden Geschosse zusätzlich von mehreren an der Kopfplattform angebrachten, externen Streben gestützt, die gegen die Spannbetonstruktur gedrückt werden. Auf diese Weise trägt die oberste Struktur der beiden Türme gewissermassen die Last der 20 Platten und leitet diese an den Kern weiter, von dem sie zu den Fundamenten im Boden abfällt. 

Grund für die Bauweise war laut dem mittlerweile verstorbenen Architekten Antonio Lamela das eher kleine und unebene Grundstück beim Plaza de Colón sowie die Typologie der beiden schlanken und hohen Türme, die auf einer kleinen Fläche stehen sollten. Lamela sah in der Hängekonstruktion die einzig mögliche, funktionale Lösung für den Bau.

Streit mit Stadt um Gebäudehöhe 

Ursprünglich hätten im Hochhaus Luxuswohnungen Platz finden sollen. Nach Baubeginn entbrannte 1970 aber ein Streit zwischen dem Bauträgerunternehmen und dem Stadtrat hinsichtlich der Gebäudehöhe. Denn nach Ansicht der Stadt hatte man die zulässige Höhe der Türme um neun Meter überschritten. Die Behörden ordneten in der Folge einen Baustopp an und forderten den Rückbau zweier Stockwerke. 

Zuletzt landete der Streit vor Gericht. Die Stadt verlor den Prozess jedoch und hätte daraufhin eigentlich eine hohe Entschädigung an den Bauträger leisten sollen. Anstatt diese zu zahlen, einigten sich die Parteien aber darauf, dass die Stadt stattdessen eine vom Bauträger angestrebte Umwandlung der ursprünglichen Nutzung von einem Wohn- in ein Bürogebäude genehmigte.   

Deshalb hielten die «Torres de Colón» bis zur Fertigstellung des 156 Meter hohen Wolkenkratzers «Torre Picasso» im Jahr 1989 den Rekord des höchsten Bürogebäudes von Madrid.


Das originale Gebäude (links) verfügte noch über keine Spitze. Erst in den 90er Jahren wurde diese hinzugefügt. Aktuell wird der Turm erneut umgebaut und sogar aufgestockt (rechts). 

Grüne Spitze weicht neuen Stockwerken

Aktuell wird der Wolkenkratzer seit 2020 umfassend renoviert. Im Zuge dieser Arbeiten, die noch in diesem Jahr abgeschlossen werden sollen, wird unter anderem die markante grüne Dachspitze sowie die orangefarbene Verkleidung des «Torres de Colón» entfernt. Anstelle der Spitze wird der «El Enchufe» auf beiden Seiten mit zwei Kuben jeweils um vier Etagen aufgestockt. 

Doch auch diesem Baustart gingen wieder kontroverse Diskussionen voraus, da das in den 90er-Jahren aufgesetzte grüne Dach von Carlos Lamela, dem Sohn des ursprünglichen Architekten Antonio Lamela, angebracht worden war. Nach Ansicht einiger Gegner wird mit dessen Entfernung nun das Aussehen des historisch wertvollen Gebäudes verfremdet. 

Ob der Wolkenkratzer dann noch immer seinen Spitznamen «der Stecker» trägt, wird sich zeigen. 

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Redaktorin Baublatt

Zeichnet, schreibt und kreiert gerne. Themenbereiche: Bauprojekte sowohl international als auch regional, News aus Wissenschaft, Forschung, Technik, Architektur und Design.

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