15:24 BAUPRAXIS

Was hinter dem Schub für die See-Energie steckt

Geschrieben von: Peter Weiss (pew)
Teaserbild-Quelle: Jehiel Affolter/Energie 360°

Wenn es um die Umsetzung der Energiestrategie 2050 des Bundes geht, liegt in einigen Schweizer Städten und Agglomerationen ein Teil der Lösung vor der Haustür: das Wasser aus Seen und Flüssen. Verbünde, die seine Energie zum Heizen und Kühlen nutzen, werden vielerorts geplant, neu erstellt oder ausgebaut. Zum Beispiel in Luzern.

Anergieverbund Lengg in Zürich und Zollikon: Bau der Seeleitung

Quelle: Jehiel Affolter/Energie 360°

Ein Bild vom Zürichsee, das sich so oder ähnlich auch an anderen Schweizer Seen in den nächsten Jahren zeigen dürfte: Leitungsverlegung zur Seewasserfassung für den Energieverbund Lengg vor Zollikon .

Am schmalen, langgezogenen Gebäude aus den 1980er-Jahren, das an das Uni-/PH-Gebäude neben dem Luzerner Bahnhof grenzt, deutet nichts auf das Geschehen im Untergrund hin. Türschilder oder eine Klingel zur See-Energiezentrale am Inseliquai, in der seit 1984 ein kleiner Teil der im Wasser des benachbarten Vierwaldstättersees gespeicherten Energie zum Heizen und Kühlen nutzbar gemacht wird, sucht man vergebens. Einzig ein Hinweisschild an einer Tür in einem der Hauseingänge verweist auf eine Einrichtung des lokalen Versorgers EWL (Energie Wasser Luzern). Neben der gebotenen Diskretion hat das Fehlen von Schild und Klingel auch einen praktischen Grund: Die meiste Zeit wäre ohnehin niemand da, um zu antworten. «Unsere Leute kommen hier zweimal pro Woche zur Inspektion vorbei, ansonsten läuft die Anlage vollautomatisch», erklärt Marcel Vogel, Teamleiter Betrieb Wärme von EWL, als er zur Besichtigung die Tür öffnet.

See-Energiezentrale in Luzern: Expansionsgefäss

Quelle: Peter Weiss

Kessel und Rohre, Regler und Anzeigen – der Betrieb in der See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern wird seit dem Umbau rund um die Uhr von der EWL-Zentrale aus gesteuert und überwacht.

Die vollautomatische Steuerung und Überwachung aus der Ferne ist eine von vielen Neuerungen, welche der umfangreiche Umbau der See-Energiezentrale 2018/2019, kurz nach deren Erwerb durch EWL, brachte. Die früheren Eigentümer SBB und Post nahmen die ursprüngliche Anlage auf derselben Fläche wie heute – im zweiten und dritten Untergeschoss – in Betrieb. Sie diente dazu, das nahe Bahnhofsgebäude sowie das damalige Postgebäude, an dessen Stelle heute der grosse Uni-/PH-Bau steht, im Winter zu heizen und im Sommer zu kühlen. Rund um die Uhr musste dabei ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin vor Ort sein.

Technische Sprünge

«Seit den 1980er-Jahren haben die Ventile, die Umwälz- und die Wärmepumpen grosse technologische Fortschritte gemacht, die grössten Sprünge gab es aber bei der ganzen Elektronik und Steuerungstechnik», kommentiert Vogel. «Dadurch lässt sich so eine Anlage heutzutage viel effizienter betreiben.» Wie zum Beweis beschallt plötzlich ein lautes, durchdringendes Rauschen den Schulungsraum, in dem Mitarbeitende aus Vogels Team regelmässig interessierte Gäste empfangen. «Das Rauschen kommt von einem der beiden Seewasserfilter, der mittels Seewasserpumpen die Rückspülung respektive Reinigung der Filter gestartet hat», sagt er und deutet auf den Raumteil, in dem sich die Seewasserfilter befinden. «Das geschieht automatisch nach programmierten Zeitintervallen, oder auch, wenn die Messinstrumente einen erhöhten Wasserdruck feststellen», führt er weiter aus.

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: die Seewasserfilter

Quelle: Peter Weiss

Ein Blick auf die zwei Seewasserfilter, die abwechselnd in Betrieb sind. Fällt einer unerwartet aus, wird der andere eingeschaltet, um den lückenlosen Fluss des Seewassers im Primärkreislauf sicherzustellen.

Der Vorgang diene dazu, Schmutzpartikel auszuspülen und so Verstopfungen im Primärkreislauf zu verhindern. Darunter versteht man den Weg des Seewassers von dessen Fassung durch die Leitungsrohre mit ihrer Nennweite von 700 Millimetern zum Wärmetauscher und zurück zum See. Die Leitung, durch die es zur Energiezentrale fliesst, wurde während des Umbaus neu verlegt. Während die Fassung mit dem Seiher, welcher das Eindringen von groben Schmutzteilen und auch von Fischen verhindert, zuvor in Ufernähe verankert war, befindet sie sich nun 1,9 Kilometer vom Ufer entfernt. Dort, in 35 Metern Tiefe, sind sowohl der Einfluss auf das Ökosystem des Sees als auch die Verstopfungsgefahr deutlich geringer. 

Verschraubte Platten-Wärmetauscher

Vor allem aber schwankt die Wassertemperatur dort im Jahresverlauf lediglich zwischen sechs und neun Grad. Das wiederum macht den Betrieb der Wärmepumpen effizienter. Alle vier Wärmepumpen werden auch zur Kühlung eingesetzt und befinden sich allesamt in einem grossen Raum im dritten Untergeschoss, dem Herzstück der See-Energiezentrale. Ihre Energie beziehen sie nicht direkt aus dem Seewasser, sondern aus dem Wasser eines zweiten Kreislaufs. Dieses wird in insgesamt vier Platten-Wärmetauschern um rund drei Grad erwärmt, während das Seewasser etwa drei Grad abgekühlt wird und anschliessend zurück in den See fliesst. Dabei kommen beide Wasserströme nicht miteinander in Berührung, die Wärmeübertragung erfolgt durch die dünnen Platten im Innern. Im Sommer, wenn die im Seewasser gespeicherte Energie für die Kühlung via Freecooling verwendet wird, verhält es sich genau umgekehrt.

See-Energiezentrale in Luzern: Wärmetauscher

Quelle: Peter Weiss

Zentrales Anlagenteil: Einer von insgesamt vier Platten-Wärmetauschern in der See-Energiezentrale Inseliquai. In ihnen wird ein Teil der im Seewasser gespeicherten Energie auf das Wasser im Sekundärkreislauf übertragen.

«Früher hat man oft Rohrbündeltauscher verbaut, die Plattentauscher haben aber einen besseren Wirkungsgrad, sodass man heute stärker darauf setzt», führt Vogel aus. Genauer gesagt, baut EWL auf verschraubte Platten-Wärmetauscher. Ihre Platten liessen sich einfach herausnehmen und mechanisch reinigen. Im Gegensatz zu gelöteten Platten-Wärmetauschern kämen dabei keinerlei chemische Stoffe zum Einsatz. «Bei einer Anlage, die mit Seewasser betrieben wird, ist das natürlich viel besser und wichtig», fügt Vogel an.

Besonderheiten mit Geschichte

Was die Wärmepumpen angeht, so sind in der Luzerner See-Energiezentrale zwei verschiedene Typen verbaut: je zwei Nieder- und Hochtemperatur-Wärmepumpen, in denen Ammoniak als natürliches Kältemittel dient. Die Besonderheit hat mit der Geschichte der Anlage zu tun. So beliefern die Hochtemperatur-Wärmepumpen nach wie vor das Bahnhofs- und das Uni-/PH-Gebäude sowie das Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) direkt: mit rund 65 Grad warmem Wasser für Heizung und Warmwasseraufbereitung sowie mit Kälte für die Kühlung.  

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: Wärmepumpen

Quelle: Peter Weiss

Das Herzstück der Anlage: Blick in den Wärmepumpen-Raum im dritten Untergeschoss.

Die Niedertemperatur-Wärmepumpen dagegen erwärmen das Wasser in den Leitungen des neuen, zusätzlichen Anergie-Netzes Luzern Zentrum nur auf rund 13 Grad. Die restliche Erwärmung auf rund 65 Grad erfolgt via externe Wärmepumpen. Diese befinden sich entweder in Quartierzentralen, an die mehrere Gebäude angeschlossen sind, oder – im Fall von grösseren Liegenschaften oder Grosskunden – in Gebäude-Energiezentralen. Im Endausbau soll das neue Netz, das sich unter anderem über das Quartier Tribschen erstreckt, rund 20 solcher Quartier- oder Gebäudezentralen bedienen. Neben dem Seewasser dient auch die Abwärme des Rechenzentrums Stollen Luzern von EWL als Energiequelle für das neue Anergienetz. Dessen Aufbau ist noch immer in vollem Gang.

Intensive Phase im Netzausbau

«Die neuen Leitungen im Boden unterzubringen, ist die grösste Herausforderung in der dichtbebauten Stadt, da es neben den bestehenden Leitungen oft eng ist», kommentiert Vogel. «Zudem wollen wir unsere Arbeiten möglichst gleichzeitig mit anderen Tiefbauarbeiten ausführen, weshalb die Planung von Stadt Luzern und EWL gezielt abgestimmt wird.»

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: Pumpen

Quelle: Peter Weiss

Nicht weniger als 50 Pumpen sind in der See-Energiezentrale Inseliquai verbaut: jene im Vordergrund dient zur Kühlung im Bereich des Bahnhofs.

Es bestehe eine enge Zusammenarbeit. «Wir sind auf gutem Weg», konstatiert Vogel. «Stand jetzt ist etwa die Hälfte des neuen Netzes realisiert. In einem bis anderthalb Jahren werden wir schon sehr viel weiter sein, im Moment bauen wir gerade sechs Quartierzentralen gleichzeitig.» Wenn das neue Netz komplett ist, soll die See-Energiezentrale Inseliquai für einen Energieabsatz von rund 48 GWh Wärme und 30 GWh Kälte sorgen. Das heisst: etwa viermal so viel wie die alte Anlage.  

Von Verschleiss und Wartung 

EWL ging die Sanierung der See-Energiezentrale nach deren Erwerb 2016 auch deshalb an, weil sich einzelne Anlagenteile nach über 30 Betriebsjahren dem Ende ihres Lebenszyklus näherten. «Gewisse Rohrleitungen und Kessel konnte man übernehmen, auch die Wärmetauscher hätten noch länger gehalten, aber Wärmepumpen und Umwälzpumpen sind nach rund 30 Jahren einfach fällig», zählt Marcel Vogel auf, «generell kann man sagen: Alles, was sich bewegt, sowie die ganze Elektronik sind Verschleiss unterworfen.»Der Aufwand für Wartung und Instandhaltung sei insgesamt aber sehr gering. Das gelte auch für die Leitungen des Primärkreislaufs mit dem Seewasser – zumindest im Moment noch.

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: Warmwasserspeicher-Kessel aus der alten Anlage

Quelle: Peter Weiss

Diese drei Warmwasserspeicher zählen zu den wenigen Anlagenteilen, die schon in der ursprünglichen See-Energiezentrale in Betrieb waren.

«35 Meter unter der Wasseroberfläche trifft man keine einheimischen Muscheln an, und es entsteht auch kaum Biofilm, das hat ein Tauchgang vor zwei Jahren gezeigt», erklärt Vogel, «die Quaggamuschel breitet sich aber auch in dieser Tiefe aus.» Darauf bereite sich sein Team nach der ersten Sichtung der invasiven Art im Vierwaldstättersee vor. «Wir können da auf Erfahrungen von Betreibern an Seen bauen, die schon heute stark von der Muschel befallen sind.»

Das Generationenprojekt

Die umfassende Erneuerung der imposanten See-Energiezentrale – mit ihren 50 Umwälzpumpen, je vier grossen Wärmetauschern und -pumpen, riesigen Speicherkesseln, vielen Motoren sowie unzähligen Leitungen und Armaturen in den labyrinthartig verbundenen unterirdischen Räumen – hat die erwähnte Kapazitätssteigerung möglich gemacht. Diese wiederum bildet einen bedeutenden Baustein in der Strategie von EWL zur Nutzung der nachhaltigen Energiequelle direkt vor der Haustür. So errichtete das Luzerner Versorgungsunternehmen zwischen 2018 und 2020 in Horw eine zweite See-Energiezentrale, die über das angeschlossene Anergienetz im Endausbau rund 9 MW Anergieleistung liefern soll.

Von der Baugrube in Horw aus sieht man nicht nur den See, sondern auch den Luzerner Hausberg Pilatus.

Quelle: Stefan Breitenmoser

In Horw baute EWL von 2018 an ein Wärmenetz, das seine Energie aus dem Wasser des Vierwaldstättersees bezieht. In der Stadt Luzern plant das Unternehmen weitere See-Energiezentralen.

Und im Februar 2025 präsentierten EWL und die Stadt Luzern Pläne für den Bau von fünf weiteren Energiezentralen sowie drei grosser Wärmenetze in der Leuchtenstadt. So sollen die See-Energie und die weiteren Quellen der Wärmenetze im Endausbau rund die Hälfte des Heizwärmebedarfs der Stadt decken und etwa ein Viertel ihrer CO2-Emissionen einsparen. Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich auf rund eine Milliarde Franken. «Es ist ein Grossprojekt, aber auch ein Generationenprojekt», brachte es Martin Arnold, der Leiter des Bereichs Realisierung von EWL, an der damaligen Medienkonferenz auf den Punkt.

Das grosse Potenzial

Luzern und sein Energieversorgungs-Unternehmen sind beileibe nicht die Einzigen im Lande, welche die Energie in den Gewässern vor ihrer Haustür verstärkt nutzen möchten. Die drei Forscher Martin Schmid, Adrien Gaudard und Alfred Wüest vom ETH-Wasserforschungsinstituts Eawag veröffentlichten 2018 eine Studie zum Potenzial dieser nachhaltigen, einheimischen Energiequelle in der Schweiz. Ein vielzitierter Befund daraus lautete: Wenn auch nur die Hälfte der geschätzten Nachfrage dem jeweiligen See oder Fluss entnommen würde, liesse sich allein damit rund 40 Prozent des jährlichen Energiebedarfs für Heizung und Kühlung decken.

Schema Seethermie

Quelle: Eawag (2022): Factsheet Wärmenutzung aus Seen und Fliessgewässern.

So funktionierts: Schematische Darstellung der Seethermie-Nutzung zur Wärmegewinnung via Hochtemperatur-Wärmepumpen mit direkter Leitung zur Endkundschaft, das heisst ohne Quartierzentrale.

Dass hierzulande in den Jahren seit der Publikation zahlreiche neue Projekte geplant, gebaut oder gar bereits realisiert wurden, haben die Studienautoren wohlwollend bemerkt. Ob dies mit ihrer Arbeit zusammenhänge, auf die Energiestrategie 2050 des Bundes oder gar mit dem Ukraine-Krieg und den zeitweise enorm gestiegenen Preisen für fossile Brennstoffe zu tun habe, könne er nicht einschätzen, schreibt Martin Schmid. «Das hat wohl alles dazu beigetragen», fügt er an. «Bei den Anlagen, die bereits im Bau oder in Planung sind, ist wohl der Ukraine-Krieg noch nicht mitverantwortlich.»

Bezüglich des Potenzials relativiert der Eawag-Gruppenleiter: «Es ist auf jeden Fall zu bedenken, dass wir hier vom gewässerseitigen Potenzial aus ökologischer Sicht sprechen. Welcher Anteil davon technisch und ökonomisch sinnvoll nutzbar ist, ist eine ganz andere Frage.» Ausserdem seien die Annahmen zur Potenzialrechnung in der Studie sehr grob gewesen. «Wenn man sich bei einem See mit der Nutzung diesem Potenzial annähern will, dann braucht es auf jeden Fall eine umfassende Prüfung», fügt Schmid an. Generell begrüsst er die seit 2018 verstärkte Nutzung: «Ein starker und schneller Ausbau des Klimaschutzes ist auf jeden Fall notwendig. Die Wärmenutzung von Seen und Flüssen kann dazu einen kleinen Teil beitragen.»

Kühlung mit Vorsicht

Der Seenforscher und seine Kollegen hatten in ihrer Studie die Auswirkungen einer thermischen Nutzung des Zürich-, und des Bodensees modelliert. Dies unter der Annahme, dass etwa die Hälfte des Wärme- und Kältebedarfs der umliegenden Gemeinden aus dem See gedeckt würde. Das Ergebnis der Simulation: Im Bodensee wären die Effekte kaum messbar, während sich im Zürichsee die Wassertemperatur lediglich um rund 0,5 Grad verändern würde. Insgesamt würden die Seen über das Jahr hinweg eher abgekühlt, da der Heizbedarf den Kühlbedarf übersteigt.

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: die Seewasserfilter

Quelle: Peter Weiss

Diese vier Pumpen befördern das Seewasser in den Leitungen des Primärkreislaufs zur See-Energiezentrale am Luzerner Inseliquai. Dabei sind jeweils nur zwei gleichzeitig in Betrieb.

«Grundsätzlich sind Kühlungen kritischer zu beurteilen als Wärmenutzungen, weil die Erwärmung durch eine Kühlnutzung potenziell die Folgen des Klimawandels verstärkt», warnt Schmid heute. «Dies sollte aber immer im lokalen Kontext bewertet werden.» So hatten er und seine Mitautoren in der Studie etwa darauf verwiesen, dass in Flüssen im Schweizer Mittelland die Kälteentnahme nicht bewilligt werden könnte, solange deren Temperaturen zu hoch seien. In Bezug auf die aktuellen Schweizer Projekte gibt er Entwarnung. «Die mir bekannten aktuell geplanten Anlagen haben bezüglich Wärmeeinleitung oder -entnahme kaum negative Folgen für die Ökosysteme», konstatiert Schmid. «Dazu sind die Veränderungen der Temperaturen in den Gewässern zu klein.»

Mammutvorhaben in Zürich

Einer jener Schweizer Energieversorger, die seit einigen Jahren verstärkt auf Seethermie setzen, ist die Energie 360° AG. Ihr Portfolio in diesem Bereich reicht vom Genfersee, wo sie heuer den Energieverbund EnerLac in der Gemeinde Toloschenaz in Betrieb nahm, über den Wohlensee, wo der Wärmeverbund Kappelenring seit 2024 ein Quartier in der Berner Agglomerationsgemeinde Hinterkappelen beheizt, bis zum Zürichsee. Dort stellte das Unternehmen zwischen 2021 und 2024 in Meilen, Thalwil und Tiefenbrunnen gleich drei Energieverbünde in Betrieb.

Anergieverbund Lengg: Aushub für die unterirdische See-Energiezentrale

Quelle: zvg/Energie 360

Hier entsteht auf fünf Stockwerken unter der Erde eine Energiezentrale: Bild vom Aushub der Seewasserzentrale in Zollikon von Anfang 2025.

In unmittelbarer Nähe des letztgenannten realisiert die ehemalige Erdgas Zürich AG aktuell ein veritables Mammutprojekt: den Energieverbund Lengg. Dieser wird künftig von der See-Energiezentrale in Zollikon aus die Universitätsklinik Balgrist, die Kliniken Hirslanden und Lengg, die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, die Schulthess Klinik, die Schweizerische Epilepsie-Stiftung sowie die Mathilde-Escher-Stiftung und das Kinderspital heizen und kühlen. Das Gesundheitscluster Lengg, wie sich die Vereinigung dieser Institutionen nennt, avanciert damit zur grössten Spitallandschaft Europas, die klimaneutrale Energie nutzt.

Kostenfaktor Leitungsbau

Die Inbetriebnahme des Energieverbunds ist für Herbst 2027 vorgesehen. Die Arbeiten haben im Frühling 2023 begonnen und schreiten laut Energie-360°-Mediensprecher Michael Walser wie geplant voran. «Für die Kliniken des Gesundheitsclusters war es entscheidend, dass der Energieverbund sowohl Wärme als auch Kälte liefert», erläutert Walser.

Auch Zollikon wird an den Verbund angeschlossen. Energie 360° wird dafür künftig die Seewasser-Energie in die bereits im Bau befindliche Energiezentrale in Zollikon leiten. Dort werde sie in Heizenergie umgewandelt und von den Werken am Zürichsee an die Haushalte verteilt.

See-Energiezentrale in Luzern: Expansionsgefäss

Quelle: Peter Weiss

Wichtige Komponenten im Sekundärkreislauf: In diesen Expansionsgefässen kann sich das erwärmte Wasser ausdehnen. So bleibt der Druck konstant.

Von den rund 79 Millionen Franken, die Energie 360° in den Bau des Verbunds investiert, entfalle ein grosser Teil auf die See-Energiezentrale. Gründe dafür seien ihre Lage in unmittelbarer Seenähe sowie die unterirdische Bauweise, reicht sie doch bis 22 Meter unter die Erde. «In unseren anderen Fernwärmeprojekten schlägt in der Regel der Netzbau, sprich Trassenführung, Tiefbau, Rohrmaterial und Hausanschlüsse, eher stärker zu Buche», ergänzt Walser.

Ein gewichtiger Pluspunkt

Die Attraktivität der Seethermie hat neben ihren Vorteilen als saubere, erneuerbare Energiequelle auch einen technisch-physikalischen Grund: ihre hohe Effizienz. Denn die Leistungszahl (COP) einer Wärmepumpe hängt von der Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Heizsystem ab, sprich: Je kleiner diese Differenz, desto besser ist die Effizienz. «See‑ und Flusswasser weisen im Winter in der Regel höhere und stabilere Temperaturen auf als Aussenluft, sodass Wasser‑Wärmepumpen deutlich bessere COPs erreichen als Luft‑Wärmepumpen», erklärt Walser. Verglichen mit Erdsonden als Wärmequelle fielen die Unterschiede geringer aus und hingen stark vom Standort ab. 

Dazu kommt, dass die Energiedichte von Wasser viel höher ist als diejenige von Luft. «Um ein Kilowatt (kW) Wärme aus Wasser zu erhalten, ist ein relativ kleiner Wärmetauscher nötig», erläutert Matthias Bendig, Fachspezialist für erneuerbare Wärme im Bundesamt für Energie (BFE). «Für 1 kW aus Luft braucht es einen grösseren Wärmetauscher, und Platz ist im urbanen Bereich meist Mangelware.»

See-Energiezentrale Inseliquai in Luzern: Gaskessel für die Spitzenlast

Quelle: Peter Weiss

Die Reserve für die Spitzenlast: Dieser beim Umbau der Zentrale neu eingebaute Gas-Heizkessel wird zu Beginn der Heizperiode oder an besonders kalten Wintertagen zugeschaltet. In der jüngeren Vergangenheit war das gemäss EWL nur noch an wenigen Tagen der Heizsaison nötig.

Grundsätzlich befürwortet Bendig die stärkere Nutzung des See- und Flusswassers als Energieträger. «Aus Sicht des Gesamtenergiesystems der Schweiz ist es sinnvoll, dass lokale Wärmequellen genutzt werden für die Raumwärme – Oberflächengewässer oder Abwärme-Quellen», schreibt Bendig. «Wo man Seewasser in grossem Mass erschliessen kann, macht diese Energiequelle Sinn.» Das gelte insbesondere, wenn die Schweiz ein resilientes Energiesystem anstrebe, das nicht auf Brennstoff-Importe angewiesen sei. «Zumal auch die Schweizer Holzmengen begrenzt sind», fügt Bendig an.

Vom Markt unabhängiger

Den aktuellen Ausbau-Schub in der Nutzung der Seethermie erklärt sich der Experte vom BFE mit drei Faktoren: erstens dem Bekenntnis der Versorgungsunternehmen, Gemeinden und Kantone zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, zweitens der Erkenntnis, dass man nichts verbrennen müsse, um Räume auf 22 Grad Celsius zu heizen, und drittens mit der Preisstabilität. «Wer eine Umweltwärmequelle wie Oberflächengewässer nutzt, ist den Marktpreisen für Energie weniger ausgeliefert», führt Bendig aus. «Verdoppelt sich der Strompreis, so steigen die Grenzkosten für eine kWh Wärme einer Wärmepumpe lediglich um rund ein Drittel». Dies kann, laut Bendig, ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Wärmequellen sein: «Wenn sich zum Beispiel der Holzpreis verdoppelt, verdoppeln sich auch die Grenzkosten für eine kWh Wärme bei einer Holzheizung.»

Für die Endkundinnen und Kunden muss das aber nicht zwingend zu tieferen Preisen führen. «Die Baukosten sind oft hoch, aber liefert ein Anbieter Wärme in Gebiete, die wenige oder nur sehr aufwändige erneuerbare Alternativen haben, kann er die Preise für die Wärme auch höher ansetzen und trotzdem wettbewerbsfähig sein», gibt Bendig zu bedenken. 


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