15:47 BAUPRAXIS

Holzwolle ist nicht nur als Drainage wieder gefragt

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: zvg

Lindner Suisse ist der einzig verbliebene Holzwolle-Hersteller in der Schweiz. Unter dem CEO Thomas Wildberger hat sich das Unternehmen zu einem vielseitigen Spezialisten entwickelt. Das Angebot reicht von Euterwolle über Drainagen für den Bau bis zu Anwendungen im Verpackungsbereich.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse AG im Firmenporträt.

Quelle: zvg

Holzwollvliese – von Lindner Suisse mit Fäden aus Buchen hergestellt statt mit importierter Jute oder Kokosfasern – schützen steile Stellen wie diese vor Erosion.

Die Holzwolle von Lindner Suisse wird ausschliesslich aus Schweizer Holz, das aus regionalen Wäldern stammt, in der Schweiz hergestellt. Geschäftsführer Thomas Wildberger betont das gerne. Schliesslich soll Schweizer Qualität für ihn keine hohle Phrase und schon gar kein irreführendes Label sein. Am Firmensitz in Wattwil SG werden jährlich rund 2000 Ster Durchforstungsholz verarbeitet, darunter Fichten, Buchen, Lärchen, Föhren, Eschen und Pappeln. Wichtig ist dabei der hohe Standard: Geliefert wird nur astfreies Holz aus dem Winterschlag, da es in dieser Jahreszeit am wenigsten Saft enthält und sich optimal trocknen lässt.

Nach dem Entrinden und Zuschneiden lagern die Stämme rund 18 Monate, bis der Wassergehalt auf etwa 13 Prozent gesunken ist. Mobile Schälmaschinen verarbeiten die Stämme auf dem Firmengelände. Nebenprodukte wie Rinde, Sägemehl oder Holzreste werden ebenfalls genutzt. Sie dienen als Mulch im Gartenbau, Tierstreu oder Heizmaterial. Lindner Suisse verfolgt eine klare Nachhaltigkeitsstrategie, die auf Regionalität und Ressourcenschonung setzt. «Wir brauchen alles vom Baum, Reste werden thermisch zur Energiegewinnung verwertet», erklärt Wildberger.  «Die Logistik ist kurz, die Herstellung braucht wenig Energie.»

Alte Maschinen arbeiten präzise

Eines der wichtigsten Erzeugnisse des Unternehmens ist die Euterwolle. Sie dient der natürlichen Reinigung des Euters von Kühen oder Ziegen und erzielt in wissenschaftlichen Untersuchungen bessere Resultate als herkömmliche Eutertücher. Das gilt insbesondere im Hinblick auf das Wachstum von Bakterien, wenn der immer gleiche Lappen benutzt wird. Dabei schonen die weiche Struktur der Holzwolle sowie ihre natürliche, antiseptische Wirkung die strapazierten Zitzen der Tiere. Dies trägt zu einer besseren Milchqualität bei. «Unsere Euterwolle ist splitterfrei, kann also weder Tiere noch Menschen verletzen», ergänzt Wildberger.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse GmbH im Firmenporträt.

Quelle: Simone Matthieu

Alt und bewährt: Thomas Wildberger begutachtet den Produktionsfortschritt an einer der Holzwolle-Maschinen aus den 50er- bis 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Die besondere Güte der Holzwolle aus Wattwil gründet in der Kombination aus präziser Technik und Handwerk: Hobelmaschinen werden auf den Hundertstel-Millimeter genau eingestellt, Messer im Vier-Stunden-Takt ausgetauscht und geschliffen. Hinzu kommt das Fingerspitzengefühl des Hoblers, der Druck und Geschwindigkeit individuell anpasst. So entstehen verschiedene Qualitäten: von der besonders weichen Euterwolle bis zur robusten Gartenwolle. Für gewisse Einsatzgebiete ist eine Mischung verschiedener Hölzer sinnvoll. Deren Rezepturen seien ein Betriebsgeheimnis, merkt Wildberger augenzwinkernd an.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse GmbH im Firmenporträt.

Quelle: Simone Matthieu

Je nach Bedarf wird die Holzwolle aus unterschiedlichen Baumsorten gemischt. Die Rezepturen sind ein gut gehütetes Geheimnis der von Thomas Wildberger geleiteten Lindner Suisse GmbH.

Der Chef führt durch die Produktionshalle und erklärt Erstaunliches: Die Holzwolle-Maschinen stammen aus den 1950er-, bis 1970er-Jahren und werden heute nicht mehr hergestellt. «Die sind uralt, arbeiten aber immer noch mit absoluter Präzision», schildert er. In den Nachkriegsjahren kam Plastik auf als Füll-, Dämm- und Verpackungsmaterial. Niemand interessierte sich mehr für Holzwolle. So konnte Wildberger das Inventar von stillgelegten Holzwolle-Betrieben aufkaufen. Dadurch hat er nun diverse Maschinen als «Ersatzteillager». Sollte sich ein kaputtes Teil nicht aus diesem Fundus ersetzen lassen, stellen es die Lindner-Mitarbeitenden kurzerhand selbst her. «Wir haben eine eigene Werkstatt mit Schweissanlage und daneben Partner, die uns bei der Elektrik helfen», sagt Wildberger.

Breite Produktpalette

Das Unternehmen stellt heute rund 180 verschiedene Produkte her – vom Kaminanzünder über Holzwollvliese für den Erosions- und Winterschutz bis hin zu Verpackungspolstern oder Drainagen für Landwirtschaft und Bau. Auch im Wein- und Gartenbau findet Holzwolle vielfältige Anwendung. 

Dank des wachsenden Umweltbewusstseins ist Holzwolle heutzutage wieder stark gefragt. Ihre Renaissance zeigt sich besonders im Bereich Verpackung: Direktvermarkter und Detailhändler setzen wieder verstärkt auf den natürlichen Rohstoff, um empfindliche Waren wie Früchte oder Gemüse ökologisch zu transportieren, zu lagern, zu präsentieren – und länger haltbar zu machen. «Im Laden werden Früchte und Gemüse mit Wasser besprüht, damit sie schöner aussehen», erklärt Wildberger. «Auf Plastik gelagert, faulen sie natürlich schnell. Holzwolle hingegen nimmt die Feuchtigkeit auf. Die Detaillisten können so ihre Produkte ein bis zwei Tage länger verkaufen.»

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse AG im Firmenporträt.

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Beliebt im Kuhstall: Dank der sterilisierenden Eigenschaften ist die feine Euter-Holzwolle sehr gut geeignet, um die strapazierten Zitzen der Tiere zu pflegen.

In Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Praxis hat Lindner Suisse in den vergangenen Jahren mit innovativen Produkten neue Einsatzgebiete erschlossen. Besonders die Entwicklung von Holzwollvliesen für den Erosionsschutz sowie von Faschinen und Drainagerohren brachte dem Unternehmen zusätzlichen Aufschwung. Diese Produkte kommen in der Renaturierung, im Hochwasserschutz, im Infrastruktur- und im Landschaftsbau zum Einsatz. Die Effizienz dieser Holzwolle-Produkte wurde in Studien von Hochschulen, begleitet von Bundesämtern, wissenschaftlich nachgewiesen.

Holzwolle zu Plastik und zurück

Lindner Suisse existiert seit den 1920er-Jahren. Schon damals produzierte das Unternehmen Holzwolle. Der Gründer war ein Liechtensteiner, nach seinem Tod übernahmen die beiden Töchter die Leitung. Mit dem Aufkommen von Kunststoffen, setzte die Firma aus Wattwil SG wie die Konkurrenz auf das neue, vielfältig einsetzbare Produkt. Die Holzwolle-Produktion dümpelte daneben vor sich hin, ganz eingestellt wurde sie im Toggenburg jedoch nie.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse GmbH im Firmenporträt.

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Einsatzfeld Landwirtschaft: Drainagen aus Holzwolle beseitigen Staunässe und tragen so zu einer besseren Bodendurchlüftung und Nährstoffsituation sowie zu einem aktiveren Bodenleben bei.

Nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren suchten viele nach Alternativen zum umweltschädlichen Kunststoff. So auch Lindner Suisse, deren CEO Wildberger 1996 wurde. «Ich hatte eigentlich eine Stelle bei einer namhaften Firma in Aussicht», verrät er. «Als ich trotzdem zu Lindner Suisse gegangen bin, haben alle gedacht, ich spinne. Aber ich habe das grosse Potenzial der Holzwolle gesehen.» Darum besann sich Wildberger auf das ehemalige Kerngeschäft und stellte Holzwolle-Produkte nach und nach wieder in den Vordergrund.

Qualität hat ihren Preis

Heutzutage exportiert das Unternehmen die Hälfte seiner Erzeugnisse in über 20 Länder. Trotz des Erfolgs wünscht sich Thomas Wildberger, dass auch Schweizer Akteure der Holzwolle offener gegenüberstünden. «Es gibt keinen konservativeren Bereich, als die Schweizer Baubranche. Grosse Baufirmen wählen immer die billigste Variante.» Höhere Preise hielten sowohl den Detailhandel wie auch die öffentliche Hand oft davon ab, auf Schweizer Qualität zu setzen. Der Unternehmer hält dagegen: «Das deutlich grössere Volumen pro Kilogramm Holzwolle (etwa im Vergleich zu Kunststoff-Erzeugnissen, Anm. d. Red.) hebt die Preisdifferenz in der Anwendung praktisch auf, von der Langlebigkeit und den funktionalen Vorteilen eines Qualitätsprodukts ganz zu schweigen.»

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse AG im Firmenporträt.

Quelle: zvg

Das Areal der Firma Lindner Suisse im sanktgallischen Wattwil. Vorne im Bild sind mehrere Beigen aus Holzstücken zu sehen, die für die Weiterverarbeitung zurechtgeschnitten wurden.

Lindner Suisse hat zwölf fixe Mitarbeiter. Ein Mann kann vier Maschinen gleichzeitig bedienen. «Die haben alle bereits einen Beruf, wenn sie zu uns kommen: Maschinenmechaniker, Landwirte, Bauleute», berichtet Wildberger. «Hier im Betrieb lernen sie während eines halben Jahres ihr neues Handwerk.» Daneben arbeitet Lindner Suisse mit externen Zulieferern zusammen und sozialen Einrichtungen, in denen permanent 20 Personen die versandfertige Ware verpacken. Ein Beispiel dafür sind Anzündhilfen.

Die stetige Suche nach Neuem

CEO Thomas Wildberger sagt, er wünsche sich, Bund und Kantone würden vorschreiben, dass in der Schweiz konsequenter auf heimisches Holz gesetzt werde, statt auf importierte Güter. So müssten etwa Jute- oder Kokosfasern für Erosionsschutzvliese bei der Einfuhr am Zoll mit hochgiftigen Chemikalien besprüht werden, damit keine Schädlinge mit der Ware ins Land gelangen. Das wäre gemäss dem Lindner-Suisse-CEO gar nicht nötig.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse GmbH im Firmenporträt.

Quelle: zvg

Diese Textilmaschine webt das Trägernetz für Holwollvliese. Das Know-How für die Textilherstellung musste sich Lindner-CEO Thomas Wildberger bei Pensionierten holen, die noch wussten, wie sie funktioniert.

Auf der steten Suche nach möglichst nachhaltigen Produkten, die sich in das Sortiment aufnehmen lassen, sei er auf eine Firma gestossen, die aus Buchenholz-Cellulose robuste Fäden zwirnt. Jetzt fehlte nur noch die Maschine, um aus den Holzfäden die Trägernetze von Erosionsschutzvliesen zu produzieren. Eine gebrauchte Textilmaschine stand bald in Wattwil. Wildberger musste allerdings seine Vorstellungen und sein Wissen über Textiles und die Textilmaschine zuerst zusammentragen: «Es wusste doch keiner mehr, wie man diese Maschinen bedient – heute werden Textilien ja hauptsächlich in Asien hergestellt. Wir mussten unseren neuen Betriebszweig quasi neu erfinden.» 

Wildberger holte sich dafür ungewöhnliche Hilfe. Er sei in ein lokales Altersheim gegangen und habe ein Fest für die Bewohner veranstaltet, schildert er. Bei der Gelegenheit habe er mit Leuten über 70 gesprochen, die sich noch auskannten, vielleicht einmal bei Lindner Suisse angestellt waren. «Als sie gemerkt haben, dass ihre Erfahrung gefragt ist, haben sie glänzende Augen bekommen und waren total motiviert, ihr Wissen zu teilen.» Dank ihnen gehört textiles Vlies inzwischen zum Kerngeschäft von Lindner Suisse.

Mit Holzwolle gegen Coronaviren 

Ein weiteres Beispiel für Thomas Wildbergers Fähigkeit, rasch und pragmatisch auf neue Bedürfnisse zu reagieren, stammt aus der Zeit der Pandemie. Zwei Tierärzte schlugen ihm unabhängig voneinander vor, Mundschutz-Masken mit Holzwolle zu produzieren. Er erinnerte sich an die hygroskopischen und antiseptischen Eigenschaften des Holzes – es kam in früheren Zeiten sogar in der Medizin zum Einsatz. Kurzerhand entwickelte das Unternehmen eine Holzwolle aus dem speziell antiseptischen Kernholz als Füllmaterial für Schutzmasken. «Ich habe Frauen im Dorf angefragt, ob sie mir Masken nähen würden, in die man dann eine Portion Holzwolle hineinlegen konnte», schildert Wildberger. «Das ging zack, zack, die Frauen haben sich untereinander organisiert, vor allem, als die Nachfrage so gross wurde, dass die Käufer hier bei uns um den Block Schlange gestanden sind.» In kurzer Zeit wurden mehrere Tausend Masken produziert – ein Beleg für die Flexibilität und Innovationskraft des Betriebs.

Schweizer Holzwolle aus Wattwil von der Lindner Suisse GmbH im Firmenporträt.

Quelle: Simone Matthieu

Auch in ihm steckt Holzwolle aus Wattwil: einer von Millionen Steiff-Teddybären.

Übrigens: Sogar die berühmten Teddybären von Margarete Steiff und der Zürcher Sechseläuten-Böögg sind mit Holzwolle von Lindner Suisse gefüllt. Und nicht zuletzt benutzen rund 80 kleinere bis mittlere Schweizer Schokolade-Hersteller das umweltfreundliche Verpackungs-Material für den Versand ihrer Ware. Swiss Made – von A bis Z.

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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