Holzwolle ist nicht nur als Drainage wieder gefragt
Lindner Suisse ist der einzig verbliebene Holzwolle-Hersteller in der Schweiz. Unter dem CEO Thomas Wildberger hat sich das Unternehmen zu einem vielseitigen Spezialisten entwickelt. Das Angebot reicht von Euterwolle über Drainagen für den Bau bis zu Anwendungen im Verpackungsbereich.
Quelle: zvg
Holzwollvliese – von Lindner Suisse mit Fäden aus Buchen hergestellt statt mit importierter Jute oder Kokosfasern – schützen steile Stellen wie diese vor Erosion.
Die Holzwolle von Lindner Suisse wird ausschliesslich aus
Schweizer Holz, das aus regionalen Wäldern stammt, in der Schweiz hergestellt.
Geschäftsführer Thomas Wildberger betont das gerne. Schliesslich soll Schweizer
Qualität für ihn keine hohle Phrase und schon gar kein irreführendes Label
sein. Am Firmensitz in Wattwil SG werden jährlich rund 2000 Ster
Durchforstungsholz verarbeitet, darunter Fichten, Buchen, Lärchen, Föhren,
Eschen und Pappeln. Wichtig ist dabei der hohe Standard: Geliefert wird nur astfreies
Holz aus dem Winterschlag, da es in dieser Jahreszeit am wenigsten Saft enthält
und sich optimal trocknen lässt.
Nach dem Entrinden und Zuschneiden lagern die Stämme rund 18
Monate, bis der Wassergehalt auf etwa 13 Prozent gesunken ist. Mobile
Schälmaschinen verarbeiten die Stämme auf dem Firmengelände. Nebenprodukte wie
Rinde, Sägemehl oder Holzreste werden ebenfalls genutzt. Sie dienen als Mulch
im Gartenbau, Tierstreu oder Heizmaterial. Lindner Suisse verfolgt eine klare
Nachhaltigkeitsstrategie, die auf Regionalität und Ressourcenschonung setzt.
«Wir brauchen alles vom Baum, Reste werden thermisch zur Energiegewinnung
verwertet», erklärt Wildberger. «Die Logistik ist kurz, die
Herstellung braucht wenig Energie.»
Alte Maschinen arbeiten präzise
Eines der wichtigsten Erzeugnisse des Unternehmens ist die
Euterwolle. Sie dient der natürlichen Reinigung des Euters von Kühen oder
Ziegen und erzielt in wissenschaftlichen Untersuchungen bessere Resultate als
herkömmliche Eutertücher. Das gilt insbesondere im Hinblick auf das Wachstum
von Bakterien, wenn der immer gleiche Lappen benutzt wird. Dabei schonen die
weiche Struktur der Holzwolle sowie ihre natürliche, antiseptische Wirkung die
strapazierten Zitzen der Tiere. Dies trägt zu einer besseren Milchqualität bei.
«Unsere Euterwolle ist splitterfrei, kann also weder Tiere noch Menschen
verletzen», ergänzt Wildberger.
Quelle: Simone Matthieu
Alt und bewährt: Thomas Wildberger begutachtet den Produktionsfortschritt an einer der Holzwolle-Maschinen aus den 50er- bis 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Die besondere Güte der Holzwolle aus Wattwil gründet in der Kombination aus präziser Technik und Handwerk: Hobelmaschinen werden auf den Hundertstel-Millimeter genau eingestellt, Messer im Vier-Stunden-Takt ausgetauscht und geschliffen. Hinzu kommt das Fingerspitzengefühl des Hoblers, der Druck und Geschwindigkeit individuell anpasst. So entstehen verschiedene Qualitäten: von der besonders weichen Euterwolle bis zur robusten Gartenwolle. Für gewisse Einsatzgebiete ist eine Mischung verschiedener Hölzer sinnvoll. Deren Rezepturen seien ein Betriebsgeheimnis, merkt Wildberger augenzwinkernd an.
Quelle: Simone Matthieu
Je nach Bedarf wird die Holzwolle aus unterschiedlichen Baumsorten gemischt. Die Rezepturen sind ein gut gehütetes Geheimnis der von Thomas Wildberger geleiteten Lindner Suisse GmbH.
Der Chef führt durch die Produktionshalle und erklärt
Erstaunliches: Die Holzwolle-Maschinen stammen aus den 1950er-, bis
1970er-Jahren und werden heute nicht mehr hergestellt. «Die sind uralt,
arbeiten aber immer noch mit absoluter Präzision», schildert er. In den
Nachkriegsjahren kam Plastik auf als Füll-, Dämm- und Verpackungsmaterial.
Niemand interessierte sich mehr für Holzwolle. So konnte Wildberger das
Inventar von stillgelegten Holzwolle-Betrieben aufkaufen. Dadurch hat er nun
diverse Maschinen als «Ersatzteillager». Sollte sich ein kaputtes Teil nicht
aus diesem Fundus ersetzen lassen, stellen es die Lindner-Mitarbeitenden
kurzerhand selbst her. «Wir haben eine eigene Werkstatt mit Schweissanlage und
daneben Partner, die uns bei der Elektrik helfen», sagt Wildberger.
Breite Produktpalette
Das Unternehmen stellt heute rund 180 verschiedene Produkte her – vom Kaminanzünder über Holzwollvliese für den Erosions- und Winterschutz bis hin zu Verpackungspolstern oder Drainagen für Landwirtschaft und Bau. Auch im Wein- und Gartenbau findet Holzwolle vielfältige Anwendung.
Dank des
wachsenden Umweltbewusstseins ist Holzwolle heutzutage wieder stark gefragt.
Ihre Renaissance zeigt sich besonders im Bereich Verpackung: Direktvermarkter
und Detailhändler setzen wieder verstärkt auf den natürlichen Rohstoff, um
empfindliche Waren wie Früchte oder Gemüse ökologisch zu transportieren, zu
lagern, zu präsentieren – und länger haltbar zu machen. «Im Laden werden
Früchte und Gemüse mit Wasser besprüht, damit sie schöner aussehen», erklärt
Wildberger. «Auf Plastik gelagert, faulen sie natürlich schnell. Holzwolle
hingegen nimmt die Feuchtigkeit auf. Die Detaillisten können so ihre Produkte
ein bis zwei Tage länger verkaufen.»
Quelle: zvg
Beliebt im Kuhstall: Dank der sterilisierenden Eigenschaften ist die feine Euter-Holzwolle sehr gut geeignet, um die strapazierten Zitzen der Tiere zu pflegen.
In Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Praxis hat Lindner
Suisse in den vergangenen Jahren mit innovativen Produkten neue Einsatzgebiete
erschlossen. Besonders die Entwicklung von Holzwollvliesen für den
Erosionsschutz sowie von Faschinen und Drainagerohren brachte dem Unternehmen
zusätzlichen Aufschwung. Diese Produkte kommen in der Renaturierung, im
Hochwasserschutz, im Infrastruktur- und im Landschaftsbau zum Einsatz. Die
Effizienz dieser Holzwolle-Produkte wurde in Studien von Hochschulen, begleitet
von Bundesämtern, wissenschaftlich nachgewiesen.
Holzwolle zu Plastik und zurück
Lindner Suisse existiert seit den 1920er-Jahren. Schon
damals produzierte das Unternehmen Holzwolle. Der Gründer war ein
Liechtensteiner, nach seinem Tod übernahmen die beiden Töchter die Leitung. Mit
dem Aufkommen von Kunststoffen, setzte die Firma aus Wattwil SG wie die
Konkurrenz auf das neue, vielfältig einsetzbare Produkt. Die
Holzwolle-Produktion dümpelte daneben vor sich hin, ganz eingestellt wurde sie
im Toggenburg jedoch nie.
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Einsatzfeld Landwirtschaft: Drainagen aus Holzwolle beseitigen Staunässe und tragen so zu einer besseren Bodendurchlüftung und Nährstoffsituation sowie zu einem aktiveren Bodenleben bei.
Nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren suchten viele nach
Alternativen zum umweltschädlichen Kunststoff. So auch Lindner Suisse, deren
CEO Wildberger 1996 wurde. «Ich hatte eigentlich eine Stelle bei einer
namhaften Firma in Aussicht», verrät er. «Als ich trotzdem zu Lindner Suisse
gegangen bin, haben alle gedacht, ich spinne. Aber ich habe das grosse
Potenzial der Holzwolle gesehen.» Darum besann sich Wildberger auf das
ehemalige Kerngeschäft und stellte Holzwolle-Produkte nach und nach wieder in
den Vordergrund.
Qualität hat ihren Preis
Heutzutage exportiert das Unternehmen die Hälfte seiner
Erzeugnisse in über 20 Länder. Trotz des Erfolgs wünscht sich Thomas
Wildberger, dass auch Schweizer Akteure der Holzwolle offener gegenüberstünden.
«Es gibt keinen konservativeren Bereich, als die Schweizer Baubranche. Grosse
Baufirmen wählen immer die billigste Variante.» Höhere Preise hielten sowohl
den Detailhandel wie auch die öffentliche Hand oft davon ab, auf Schweizer
Qualität zu setzen. Der Unternehmer hält dagegen: «Das deutlich grössere Volumen
pro Kilogramm Holzwolle (etwa im Vergleich zu Kunststoff-Erzeugnissen, Anm. d.
Red.) hebt die Preisdifferenz in der Anwendung praktisch auf, von der
Langlebigkeit und den funktionalen Vorteilen eines Qualitätsprodukts ganz zu
schweigen.»
Quelle: zvg
Das Areal der Firma Lindner Suisse im sanktgallischen Wattwil. Vorne im Bild sind mehrere Beigen aus Holzstücken zu sehen, die für die Weiterverarbeitung zurechtgeschnitten wurden.
Lindner Suisse hat zwölf fixe Mitarbeiter. Ein Mann kann
vier Maschinen gleichzeitig bedienen. «Die haben alle bereits einen Beruf, wenn
sie zu uns kommen: Maschinenmechaniker, Landwirte, Bauleute», berichtet
Wildberger. «Hier im Betrieb lernen sie während eines halben Jahres ihr neues
Handwerk.» Daneben arbeitet Lindner Suisse mit externen Zulieferern zusammen
und sozialen Einrichtungen, in denen permanent 20 Personen die versandfertige
Ware verpacken. Ein Beispiel dafür sind Anzündhilfen.
Die stetige Suche nach Neuem
CEO Thomas Wildberger sagt, er wünsche sich, Bund und
Kantone würden vorschreiben, dass in der Schweiz konsequenter auf heimisches
Holz gesetzt werde, statt auf importierte Güter. So müssten etwa Jute- oder
Kokosfasern für Erosionsschutzvliese bei der Einfuhr am Zoll mit hochgiftigen
Chemikalien besprüht werden, damit keine Schädlinge mit der Ware ins Land
gelangen. Das wäre gemäss dem Lindner-Suisse-CEO gar nicht nötig.
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Diese Textilmaschine webt das Trägernetz für Holwollvliese. Das Know-How für die Textilherstellung musste sich Lindner-CEO Thomas Wildberger bei Pensionierten holen, die noch wussten, wie sie funktioniert.
Auf der steten Suche nach möglichst nachhaltigen Produkten, die sich in das Sortiment aufnehmen lassen, sei er auf eine Firma gestossen, die aus Buchenholz-Cellulose robuste Fäden zwirnt. Jetzt fehlte nur noch die Maschine, um aus den Holzfäden die Trägernetze von Erosionsschutzvliesen zu produzieren. Eine gebrauchte Textilmaschine stand bald in Wattwil. Wildberger musste allerdings seine Vorstellungen und sein Wissen über Textiles und die Textilmaschine zuerst zusammentragen: «Es wusste doch keiner mehr, wie man diese Maschinen bedient – heute werden Textilien ja hauptsächlich in Asien hergestellt. Wir mussten unseren neuen Betriebszweig quasi neu erfinden.»
Wildberger holte sich dafür ungewöhnliche Hilfe. Er sei in ein lokales Altersheim gegangen und habe ein Fest für die Bewohner veranstaltet, schildert er. Bei der Gelegenheit habe er mit Leuten über 70 gesprochen, die sich noch auskannten, vielleicht einmal bei Lindner Suisse angestellt waren. «Als sie gemerkt haben, dass ihre Erfahrung gefragt ist, haben sie glänzende Augen bekommen und waren total motiviert, ihr Wissen zu teilen.» Dank ihnen gehört textiles Vlies inzwischen zum Kerngeschäft von Lindner Suisse.
Mit Holzwolle gegen Coronaviren
Ein weiteres Beispiel für Thomas Wildbergers Fähigkeit,
rasch und pragmatisch auf neue Bedürfnisse zu reagieren, stammt aus der Zeit
der Pandemie. Zwei Tierärzte schlugen ihm unabhängig voneinander vor,
Mundschutz-Masken mit Holzwolle zu produzieren. Er erinnerte sich an die
hygroskopischen und antiseptischen Eigenschaften des Holzes – es kam in
früheren Zeiten sogar in der Medizin zum Einsatz. Kurzerhand entwickelte das
Unternehmen eine Holzwolle aus dem speziell antiseptischen Kernholz als
Füllmaterial für Schutzmasken. «Ich habe Frauen im Dorf angefragt, ob sie mir
Masken nähen würden, in die man dann eine Portion Holzwolle hineinlegen
konnte», schildert Wildberger. «Das ging zack, zack, die Frauen haben sich
untereinander organisiert, vor allem, als die Nachfrage so gross wurde, dass
die Käufer hier bei uns um den Block Schlange gestanden sind.» In kurzer Zeit
wurden mehrere Tausend Masken produziert – ein Beleg für die Flexibilität und
Innovationskraft des Betriebs.
Quelle: Simone Matthieu
Auch in ihm steckt Holzwolle aus Wattwil: einer von Millionen Steiff-Teddybären.
Übrigens: Sogar die berühmten Teddybären von Margarete Steiff und der Zürcher Sechseläuten-Böögg sind mit Holzwolle von Lindner Suisse gefüllt. Und nicht zuletzt benutzen rund 80 kleinere bis mittlere Schweizer Schokolade-Hersteller das umweltfreundliche Verpackungs-Material für den Versand ihrer Ware. Swiss Made – von A bis Z.