Er macht seinen Traum wahr und geht aus Leidenschaft in die Luft
Christian Schindler arbeitet in Erstfeld auf einer der 15 Basen von Swiss Helicopter. Er ist mit Leib und Seele Unterlastpilot. Ob auf Baustellen in urbanem Gebiet oder in den Bergen, bei Rettungsmissionen für Mensch oder Tier – das Fliegen bedeutet ihm pure Freiheit.

Quelle: Simone Matthieu
Hat seinen Lebenstraum wahr gemacht: Christian Schindler im Cockpit eines Helikopters.
Schon als Kind träumte Christian Schindler davon,
Helikopterpilot zu werden. Und der gebürtige Glarner beliess es nicht bei der
Träumerei, sondern schmiedete einen Plan und setzte ihn konsequent in die Tat
um. Das heisst: Er absolvierte eine Zimmermannslehre und arbeitete vier Jahre
als «Hölziger», wie er es nennt. Tönt nicht nach dem direktesten Weg? Ist es
aber. «Ein angehender Lastenpilot muss einen erlernten Beruf vorweisen»,
erklärt der 44-Jährige. Zudem benötigte er für seinem Traumberuf zuerst einmal
ziemlich viel Geld. Genauer gesagt: rund 130 000
Franken. So viel kostete die Ausbildung zum Helikopterpiloten mit Berufslizenz.
Diese wiederum ist Voraussetzung für eine
Anstellung bei einem Helikopter-Unternehmen.
Bevor er einen solch hohen Betrag investierte, wollte
Schindler sicher sein, dass sein Traum sich nicht als Luftschloss entpuppt.
Deshalb ging er zuerst «Helikopter-Luft» schnuppern. Als Flughelfer fand er
2007 bei der Betreiberfirma Swiss Helicopter eine Stelle – in Erstfeld, wo er
heute noch stationiert ist. Nach einer Saison war für ihn klar: Das ist es.
2010 hatte er die Fluglizenz in der Tasche. Sein Arbeitgeber bildete ihn
während vier weiteren Jahren zum Unterlastpiloten aus.
Das Material an der Leine
Seit über einem Jahrzehnt nun führt Schindler sämtliche
Aufgaben aus, die zum Tätigkeitsbereich eines Unterlastpiloten gehören. Die
Berufsbezeichnung ist wörtlich zu verstehen: Was auch immer er mit seinem
Helikopter transportiert, hängt unter dem Fluggerät an einer Leine. Je nach
Einsatzort variiert deren Länge. In den Städten oder bei Holztransporten aus
dem Wald ist sie länger. In alpinem Gelände ist sie kürzer, da es dort mehr
Raum gibt und keine Hochhäuser oder andere Hindernisse den Flugweg einschränken.

Quelle: zvg
Bisweilen gehts ganz hoch hinaus: Ein Unterlast-Helikopter bringt Material auf eine Gebirgsbaustelle.
«Viele denken, Helikopter-Einsätze seien sehr teuer.»
Auf den ersten Blick stimmt das: Eine Minute kostet rund 45 Franken, ergo 2700
Franken pro Stunde. Andererseits ist der Helikopter um ein Vielfaches schneller
und effizienter als der Materialtransport am Boden. «Da müssen unter Umständen
Strassen gesperrt werden, und wenn noch Trams oder andere Verkehrsmittel
betroffen sind, wird es so richtig kompliziert.» Auch bei Dachsanierungen von
Hochhäusern ist der Helikopter klar im Vorteil. «Während ein Kran, der das
Material nach oben bringen soll, noch montiert wird, sind wir mit dem Heli
längst wieder weg», kommentiert Schindler. «Es braucht zwar Vorbereitung und
Abklärungen – aber wenn der Einsatz läuft, geht es zackig.»
Verkehrsachsen geben zu tun
Am häufigsten fliegt Christian Schindler Material zu
Baustellen in Städten und Gebirgsregionen. Doch auch die Waldbewirtschaftung
ist auf Hilfe aus der Luft angewiesen. Holz muss mitunter schnell rausgeschafft
werden. «Wenn Bäume vom Borkenkäfer befallen sind, muss sofort gehandelt
werden, sonst breitet sich der Schädling rasant aus», schildert Schindler. Dass
mit der Gotthard-Route eine wichtige Verkehrsachse durch den Kanton Uri führt,
spiegle sich in den Aufträgen wider. «Die Lage ist nicht mit einem abgelegenen
Tal vergleichbar», sagt er dazu. «Im Winter machen wir immer wieder
Rekognoszierungs-Flüge für die SBB, um die Lawinensituation zu beurteilen.»
Auch bei der Instandhaltung der Axenstrasse sind er und seine Kollegen gefragt:
Nach Steinschlägen helfen sie, die Strecke zu räumen, sichern Felswände mit
Netzen oder betonieren sie stellenweise zu.

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Herausforderung im Mittelland: In einer Stadt müssen Unterlastpiloten Kirchtürme, Hochhäuser oder - wie hier im Bild - Baukräne umfliegen und haben wenig Platz zum Manövrieren.
Wo auch immer der zweifache Vater unterwegs ist – er ist
stets auf sein Team angewiesen. Den Anfang macht der Einsatzleiter, welcher die
Aufträge für die vier Piloten und die drei Helikopter der Basis Erstfeld
koordiniert. «Er hat grossen Einfluss auf den Ablauf. Etwa indem er einen vom
Kunden vorgeschlagenen Termin verschiebt, wenn schlechtes Wetter droht»,
erläutert Schindler. «Das Wetter ist eine der grössten Herausforderungen:
Starker Wind oder Regen kann uns ausbremsen.»
Auf gute Teamarbeit kommts an
Ohne seine beiden Flughelfer ginge ebenfalls nichts. Einer
befindet sich am Aufnahme-, der andere am Abnahmeort der Fracht. «Das
punktgenaue Anfliegen ist entscheidend», betont er. Er sehe die Last zwar durch
ein Sichtfenster im Boden des Helikopters. «Aber die Flughelfer sind meine
Augen am Boden – sie weisen mich zentimetergenau ein.» Das eingeübte
Zusammenspiel ist so essenziell, dass Swiss Helicopter ausschliesslich mit
eigenen Flughelfern arbeitet. «Wir wissen voneinander, wie wir ticken», schildert
Schindler. «Wenn ein Flughelfer nicht richtig mitzieht, hat man als Pilot keine
Chance.»

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Gutes Teamwork ist das A und O: Flughelfer weisen den Helikopterpiloten als dessen Augen am Boden zentimetergenau ein.
Schindler zeigt sich froh, dass er selbst Erfahrungen als
Flughelfer sammeln konnte: «Für einen Unterlastpiloten ist das Gold wert:
Du kennst die Abläufe, die Probleme und Herausforderungen, mit denen es
die Kollegen am Boden zu tun haben, und kannst ihnen somit in die Hände
spielen.» Teamarbeit eben. Die ist besonders wichtig, wenn die Umgebung dem
Piloten die Orientierung erschwert. «Solange du so etwas hast wie eine Felswand
vor dir oder Bäume unter dir, kannst du deine eigene Position gut einschätzen»,
führt er aus. «Aber wenn wir zum Beispiel an einem Hochspannungsmasten etwas
montieren oder Menschen aus einer stecken-gebliebenen Gondel holen müssen,
hängst du als Pilot im wahrsten Sinne einfach draussen in der Luft.»
Tägliche Heli-Kontrolle
Die Helfenden am Boden sorgen auch dafür, dass Christian Schindler nicht ständig zur Basis zurückkehren muss, um Treibstoff zu tanken. «Im Sommer kommt es schon vor, dass ich bis zu 20 Einsätze pro Tag habe», erzählt er. «Dann hole ich etwa beim Bauern Heuballen ab, liefere Schalungsmaterial auf die nächste Baustelle, bringe Solarpanels an ihren Bestimmungsort, fliege Beton auf eine Gebirgsbaustelle, und so weiter. Das ist taff, muss gut vorbereitet und durchgetaktet sein.» An solchen Tagen folge ihm ein Flughelfer mit einem Tankfahrzeug, das spare Zeit.
Schindler bereitet sich
jeweils am Vorabend auf den kommenden Arbeitstag vor. Er prüft das Programm,
konsultiert bei Bedarf Karten – wobei seine guten Ortskenntnisse Letzteres oft
überflüssig machen. Am Morgen folgen der Wettercheck, die Kontrolle der
Flugverbotszonen sowie die Planung der Tankroute. Ist dann auch der
Routine-Check des Helikopters abgeschlossen, kann es losgehen.

Quelle: Simone Matthieu
Auch Helikopterpiloten arbeiten zeitweise im Büro: Wetterprognosen checken, Flugsperrgebiete studieren und sich aufs Tagesprogramm vorbereiten lauten ihre ersten Tätigkeiten am Morgen.
Dass Schindlers Arbeitsgerät in einwandfreiem Zustand sein
muss, versteht sich von selbst. Um technische Probleme und Abstürze zu
verhindern, wird der Helikopter täglich überprüft. Nach 100 Flugstunden folgt
eine eingehendere Wartung, nach rund 600 Stunden wird das Fluggerät während
zwei Wochen gründlich revidiert – inklusive Komponentenwechsel. «Das erledigen
unsere Mechaniker», sagt der Pilot. Im Hangar in Erstfeld steht gerade ein
Helikopter in Revision, daneben eine aufgebockte, neue Turbine, die eingebaut
wird. «So eine Turbine leistet 850 PS
und kostet rund eine Million Franken», verrät er mit leiser Ehrfurcht in der Stimme.
Alle sechs Monate zum Check-up
Neben dem Zustand des Helikopters kommt auch jener des
Piloten regelmässig auf den Prüfstand: Christian Schindler muss jährlich zwei
Checkflüge bestehen sowie einen Sicherheitskurs besuchen. Darüber hinaus wird
er alle sechs Monate eingehend vom Fliegerarzt durchgecheckt. «Im Sommer kann
dir die Hitze bei der Arbeit schon auf den Körper schlagen», berichtet
Schindler aus eigener Erfahrung. «Man muss sich selbst gut genug kennen und
darf nie mit einem mulmigen Gefühl fliegen.» Wenn rechtzeitig alles angeschaut
werde und die Bedenken jedes Teammitglieds ernst genommen würden, gebe es in
seinem Beruf jedoch kaum Risiken, kommentiert Schindler. «Ich muss diversen
Leuten mein vollstes Vertrauen geben – sie mir allerdings auch, wenn sie bei
mir mitfliegen.»

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Christian Schindlers eindrückliches Arbeitsgerät: Unterlast-Helikopter mit deutlich sichtbarem, rotem Transportseil.
Während der gewöhnlichen Arbeit sitzt er freilich stets
alleine im Cockpit. «Ich muss jedes unnötige Gewicht vermeiden, damit ich
mehr transportieren kann», erklärt er. Das sei mit der Grund, weshalb ein
Arbeitshelikopter weder mit Autopilot noch mit Navigationssystem oder Winde
ausgerüstet sei. «Ich erledige alles selbst», bringt es Schindler auf den
Punkt. Grundsätzlich kann sein Airbus HB-ZWT rund eine Tonne heben.
Er bleibt, wo er ist
Eine wichtige Ausnahme von der Ein-Personen-Praxis bilden
unter anderem Rettungsflüge: Swiss Helicopter unterstützt die Rega bei
Lawinenabgängen und anderen Notfällen. «Wir bringen Suchhunde und Helfer zum
Unglücksort oder evakuieren Seitentäler, die im Winter abgeschnitten sind»,
führt Schindler aus. Verirren sich im Sommer Tiere auf den Alpweiden, was bei
einem Gewitter ab und zu passiert, holt er sie mit einem Spezialnetz zurück.
Eine willkommene Abwechslung bieten Rundflüge für Privatpersonen: «Ich mag das,
weil ich da einfach mal fliegen und es geniessen kann. Sonst bin ich immer sehr
auf die Arbeit fokussiert.»
Christian Schindler sieht seinen Beruf als grosses Privileg an. «Ich bin total happy damit», sagt er. «Fliegen bedeutet für mich Freiheit – und durch die Vielfalt unserer Einsätze wird die Arbeit nie eintönig.» Als weiterer Karriereschritt könnte er beispielsweise zur Rega wechseln oder mit einem grösseren Helikopter arbeiten. «Doch dann wäre ich europa-, oder sogar weltweit unterwegs.» Als Familienvater schätze er es sehr, in der eigenen Wohnregion arbeiten zu können. Er lebt mit seiner Frau und seinen Zwillingen in Bürglen UR, ganze zehn Fahrminuten von der Basis entfernt. «So kann ich mittags zu Hause essen. Ausserdem bin ich am Abend gerne bei meiner Familie.»