Die Künstliche Intelligenz nähert sich den Baustellen
Fehlende Digitalisierung in Unternehmen und Behörden gilt als wesentliches Hemmnis für das Wirtschaftswachstum. Für die Baubranche gilt dies besonders. Künstliche Intelligenz soll Abhilfe schaffen. Das Zürcher IT-Unternehmen Smino kündigt nun eine eigene KI an.

Quelle: zvg
Sandor Balogh prüft vor Ort auf einer Baustelle, ob das Online-Hilfstool Smino seinen Erwartungen gerecht wird.
Dass die Künstliche Intelligenz (KI) in der Baubranche noch in den Kinderschuhen steckt, darüber sind alle einer Meinung. Die Unternehmen tun sich schon bei der intelligenzfreien Digitalisierung schwer, denn Bauen ist nach wie vor weitgehend Handarbeit und zudem traditionsbehaftet. Viel Arbeitskraft verpufft, weil immer noch viele Prozesse mit hohem Personalaufwand erledigt, wichtige Informationen verstreut oder gar nicht digital erfasst sind.
Das führt zum Hauptproblem: Die Grundbedingung, um eine (bau)fachspezifische KI zu trainieren, sind homogen aufbereitete Daten. In der Bauwirtschaft sind diese kaum vorhanden: «Jeder Architekt, jedes Bauunternehmen und jeder Bauingenieur arbeitet nach eigenen Methoden, verfolgt individuelle Methodiken. Dies führt zu einer Vielzahl inkompatibler Datenformate, Softwarelösungen und Fachbegriffe», erklärte der digitale Berater Gianluca Genova von Bauen digital Schweiz und Building Smart Switzerland neulich gegenüber dem Baublatt. Diese Inkompatibilitäten erschweren den Aufbau gemeinsamer Datenpools und machen es äusserst schwierig, allgemein gültiges Wissen für eine Bau-KI zusammenzutragen.
Von Anfang an KI im Sinn
Das war auch den Machern von Smino, ein auf Software für die Baubranche spezialisiertes Schweizer IT-Unternehmen, bewusst. Das Unternehmen wollte dafür eine Lösung finden. «Wir haben Smino 2016 mit der Überlegung gegründet, daraus eine KI entstehen zu lassen», sagt Gründer Sandor Balogh beim Besuch des Baublatt in der Firmenzentrale in Zürich. «Vor zehn Jahren sprach allerdings noch niemand von Künstlicher Intelligenz, sondern von Machine Learning, die sehr viel weniger zu leisten vermochte.»
Sie hätten ihren Plan dennoch bereits damals den grossen Playern in der Schweiz vorgestellt. «Die Antwort war in der Regel: ‹Das klingt gut, aber nicht mit unseren Daten.›» Zwar gibt es seit Jahren das Building Information Modeling (BIM). Es vernetzt Planung, Bau und Bewirtschaftung von Bauwerken mithilfe von Software. Dabei werden alle relevanten Informationen digital modelliert, kombiniert und erfasst. Das Bauwerk ist so als objektorientiertes Modell im Zusammenhang seiner Elemente abgebildet, digital gespeichert und die Informationen sind für alle Beteiligten verfügbar.
Smino führte BIM auf eine neue Ebene und entwickelte eine Kollaborationslösung dafür: Auf einer einzigen cloudbasierten Plattform stehen alle Informationen zu einem Bauprojekt allen Beteiligten konsolidiert zur Verfügung. So weiss jeder Projektbeteiligte genau, was wann zu tun ist und wie die Arbeit protokolliert werden soll. «Wenn die Kommunikation und das Informationsmanagement funktionieren, funktioniert auch das Bauprojekt», so Balogh.
Und nun ist auch die Technik da, welche Smino mit seiner gleichnamigen Plattform zur Verwaltung von Bauprojekten schon von Anfang an ins Auge gefasst hatte: Künstliche Intelligenz. «KI kam plötzlich und schnell. Viele benutzen sie schon privat, das liess die Bedenken schrumpfen.» Und der Weg für Athena – der KI-Lösung von Smino – stand offen.

Quelle: Simone Matthieu
Auch ohne KI-Erweiterung ist Smino ein übersichtliches Hilfstool für Bauprojekte: 36'000 Firmen weltweit nutzen die Software.
Noch in der Testphase
Bei Smino sind die für eine KI benötigten, homogenen Daten innerhalb eines Projekts bereits vorhanden. «Wer Smino nutzt, hat alle Werte, Zahlen und Details bereits gesammelt und strukturiert. Es gibt nur ein Tool, alle Infos sind an einem Ort. Athena muss nur alles einmal durcharbeiten und kann sofort loslegen.» Die Smino-KI erkenne etwa Risiken, offene Aufgaben, Denkfehler und sehe sogar Mängel, noch bevor sie zum Problem werden. Zudem analysiert Athena Planungsunterlagen, Konzepte und Rahmenbedingungen, stellt entscheidungsrelevante Informationen bereit und liefert Antworten, Analysen und Empfehlungen – als Vorbereitung für einen Pitch oder eine Bauherrensitzung etwa. Die KI warnt aber auch, wenn beispielsweise vergessen wurde, einen wichtigen Teilnehmer an ein Meeting einzuladen.
«Wir sehen, dass Bauprojekte immer komplexer werden. Gleichzeitig wünschen sich Nutzer einfache Werkzeuge, die ihnen wirklich Arbeit abnehmen», erklärt Balogh. Athena braucht keine Einführung, die Bedienung ist intuitiv. Die Kommunikation erfolgt über einen integrierten Chat. «Die an einem Projekt Beteiligten können Athena Fragen stellen wie etwa ‹Gibt es Verzögerungen› oder ‹Wie sieht die aktuelle Aufgabenverteilung aus?›». Sollten Nutzer darüber hinaus Hilfe benötigen, stehe ihnen zusätzlich menschlicher Support zur Verfügung.
Für die rund 36'000 Unternehmen, die Smino weltweit nutzen, ist es ein kleiner Schritt, Athena zu nutzen. «Wir können sie ihnen einfach aufschalten.» Vorerst steht die KI aber erst ein paar Early Users zur Verfügung: «Wir können Athena nur dann gross ausrollen, wenn wir wissen, dass sie einwandfrei funktioniert. Deshalb suchen wir mit langjährigen Smino-Kunden nach Stolperfallen, ob die Daten richtig analysiert oder Grenzen gesetzt werden – beim Abruf von Informationen darf etwa ein Bauarbeiter nicht sehen, wie viel der Architekt verdient.» Datenschutz ist laut dem Smino-Gründer ein grosses Thema, da die EU diesbezüglich sehr rigoros ist: «Wir können nicht auf Wildwest machen, sondern müssen schauen, dass Athena den strengsten Vorschriften genügt.»

Quelle: Simone Matthieu
Athena analysiert alle Dokumente, Pläne sowie Daten eines Bauprojekts und weist auf drohende Fehler hin.
Das Unternehmen hat die Athena-KI selbst entwickelt. «Zum Glück», sagt Balogh, «ist Athena vollständig unabhängig entwickelt und nicht an bestehende Systemumgebungen wie SAP oder Microsoft gebunden.» Sonst müsste man alles in der entsprechenden Umgebung erledigen und könnte etwa in Verbindung mit dem Microsoft-Universum Termine nur über Outlook festlegen. Technische Entwicklungen führt Smino oft gemeinsam mit Schweizer Universitäten durch. «Der Vorteil ist, dass der Arbeitsanteil der Universitäten von Förderprogrammen des Staates bezahlt wird.»
Noch sind die KI, die im Bausektor angewendet werden, lediglich für einzelne Aufgaben trainiert. So ist Athena jeweils innerhalb eines einzelnen Projekts anwendbar. Sandor Balogh sieht allerdings bereits eine Zukunft, in der es normal ist, dass jede Person die eigenen Daten für fähigere, firmenübergreifende KIs hergibt. «Das wäre dann der nächste Schritt.»
”Viele Tätigkeiten werden sich stark verändern. Es entstehen jedoch auch neue Chancen und Rollenprofile.
Sandor Balogh, Gründer von Smino
Sandor Balogh, Gründer von Smino
Viel Optimierungspotenzial
KI kommt langsam aber sicher im Bausektor an. Die Hoffnungen sind gross, dass die Künstliche Intelligenz viele «Baustellen» in der Branche löst: den Fachkräftemangel, steigende Produktions-, Rohstoff- und Energiekosten, Terminverzögerungen wegen mangelhaftem Projektmanagement oder strengere Qualitätsstandards und Umweltauflagen. «Ich bin gespannt, wo es hingeht», sagt Balogh. «Kann eine KI dereinst selbstständig ein Bauprojekt realisieren? Auf jeden Fall gibt es unglaublich viel Optimierungspotential.» Klar sei: viele Tätigkeiten würden sich stark verändern. Es entstünden jedoch auch neue Chancen und Rollenprofile.
International wächst der Markt für KI im Bauwesen rasant. Laut Verified Market Research soll der Umsatz von aktuell 1,5 Milliarden US-Dollar auf über 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2031 steigen. Neben Smino arbeiten auch andere Unternehmen an Lösungen: So entwickelt etwa das US-amerikanische Start-up Built Robotics KI-gestützte Steuerungen für autonome Baumaschinen. In der Schweiz wurde derweil letztes Jahr eine Basis für immer bessere, fachspezifische KI-Modelle geschaffen: ein neuer Branchenstandard, der das Bauen in Projektallianzen fördert. Das Gärtchendenken in der Baubranche scheint laufend zurückzugehen.