Bergsturz: Schweiz bei Prävention von Naturgefahren gut aufgestellt
Die Schweiz hat ihre Hausaufgaben bei der Prävention von Naturgefahren laut Experten gemacht. Der Bund, die Kantone und die Gemeinden hätten ab den 1990er-Jahren viele Versäumnisse aus früheren Jahrzehnten ausgebügelt. Der Klimawandel stellt die Behörden indes vor neue Herausforderungen.

Quelle: Wandervogel wikimedia CC BY-SA 3.0
Bergsturz von Randa.
Boris Boris Previšić, Direktor des Urner Instituts Kulturen der Alpen, präzisiert seine frühere Aussage in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung", wonach die Schweiz beim Schutz vor Naturgefahren in der Vergangenheit zu nachlässig gewesen sei. Diese Feststellung beziehe sich vor allem auf die sogenannten Boom-Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er-Jahre, sagte er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Damals sei selbst in eigentlichen Risikogebieten gebaut worden, obwohl man wusste, dass diese immer wieder von Steinschlag, Murgängen oder Überschwemmungen betroffen gewesen waren. So seien auch im Kanton Uri etwa Industriegebäude und Infrastrukturbauten an Orten errichtet worden, wo diese Ge-fahren drohten. Doch habe gerade im Kanton Uri nach dem Hochwasser 1987 in der Reussebene, wobei auch die Indust-riezone im Urner Talboden unter Wasser stand, ein radikales Umdenken stattgefunden, so Previšić. Nach dieser und weiteren Extremwetterereignissen sei die Forderung nach einer systematischen Erfas-sung in Gefahrenkarten laut geworden. Diese habe die Schweiz ein paar Jahre später dann auch umge-setzt.
Laut dem Berner Geologen und Mineralogen Hans-Rudolf Keusen war der Bergsturz von Randa 1991 der eigentliche Auslöser für die Naturgefahrenprävention in der Schweiz. Mittlerweile sei die Gefahrenprä-vention hierzulande "sehr weit fortgeschritten und vorbildlich", zeigte sich Keusen überzeugt. Dies verdeutliche auch die Tatsache, dass es hierzulande eigentlich sehr wenige Todesopfer durch Naturgefahren gebe. Seinerseits wies Previšić wies darauf hin, dass die Gefahrenprävention bei Überschwemmungen und Murgän-gen zwar gut funktioniere, bei Bergstürzen jedoch sehr schwierig sei. Das liege daran, dass Bergstürze im Prinzip sehr seltene Ereignisse seien. Zu Überschwemmungen und Murgängen hingegen komme es über Jahrhunderte gesehen oft immer wieder an derselben Stelle. Deshalb sei die Erfassung solcher Risiken auf den Naturgefahrenkarten auch einfacher.
Temperatur des Permafrosts um 0,5 Grad pro Jahrzehnt erhöht
Mit dem Klimawandel steige die Gefahr vor Naturgefahren vor allem im Zusammenhang mit Extremnie-derschlägen und hohen Temperaturen, sagte Previšić. Bei den Bergstürzen sei das Auftauen des Permafrosts ein möglicher Faktor. Seit dem Jahrhundertsommer 2003 mit einer Nullgradgrenze über 5000 Metern Jahr für Jahr und fehlender Nachtabkühlung könne man in der Schweiz aus Permafrostgebieten her-aus eine Häufung von Felsabbrüchen und Bergstürzen feststellen. Laut dem Experten zeigen Studien, dass sich die Temperatur des Permafrosts 0,5 Grad pro Jahrzehnt erhöht hat, was die die bereits vorhandene geologische Instabilität nochmals erhöhte.
Wie genau sich die Temperaturerhöhung des Permafrosts aber genau auf die Stabilität der Gebirge auswirkt, muss laut Previšić wohl noch weiter erforscht werden. Aber Vergleichsstudien mit anderen Gebirgsräumen auf der Erde zeigen auf, dass es einen Zusammenhang zwischen den steigenden Temperaturen und der zunehmenden Häufung von Bergstürzen aus Permafrostgebieten und von Gletscherbersten gebe. "Dass die Erderwärmung zu einem Auftauen des Permafrosts führt, ist eine Tatsache", sagte Keusen. Permafrost sei aber ein "Reizwort" und es gebe diesbezüglich viele Missverständnisse. "Eine differenzierte Betrachtung des Phänomens ist wichtig", sagte der 84-Jährige, der die Naturgefahren in den Alpen seit Jahrzehnten beobachtet.
Für das Entstehen grosser Bergstürze ist die Geologie entscheidend
Die landläufige Meinung, dass der Permafrost wie ein Kleber wirkt und das Gebirge zusammenhält ist laut Keusen falsch: Für das Entstehen von grossen Bergstürzen sei der geologische Zustand des Felses entscheidend. "Hat das Felsmaterial Risse oder ist es brüchig, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Bergsturzes höher", erklärte Keusen. Ein wichtiger Faktor für die Instabilität sei das Wasser. "Taut der Permafrost auf, hat es das Wasser leich-ter, in Felsspalten- und Ritzen einzudringen, Wasserdruck aufzubauen und den Berg zu destabilisieren", führte Keusen aus. Am Kleinen Nesthorn oberhalb von Blatten im Wallis habe es aber schon vor 30 Jahren ständig Stein-schlag gegeben. "Das zeigt nichts anderes, als dass dieser Berg schon seit Langem eine geologisch un-günstige Disposition aufweist", fuhr Keusen fort. Auftauender Permafrost könnte ein zusätzlicher Auslöser gewesen sein.
Die Aussage, dass sich das Bergsturzrisiko in der Schweiz innerhalb von fünfzig Jahren wegen des Klima-wandels verzehnfacht habe, bezeichnet Keusen als nicht haltbar. Dies sei statistisch nicht erwiesen. Hin-gegen werde eine Zunahme von extremen Unwettern mit Starkniederschlägen vermutet. Und diese be-günstigten auch Ereignisse wie Erdrutsche, Murgänge und kleinere Felsabbrüche, nicht aber Bergstürze. (Christian Hunkeler, Keystone-SDA)