Ein Baukünstler und seine ganz persönlichen Memoiren
Niklaus Fritschi hat viel erlebt. Nach einer Lehre als Bauzeichner in Rorschach zog er in die Welt – und landete in Düsseldorf. In dieser Grossstadt am Rhein wirkte er als Professor und Städtebauer. In einem Buch erzählt er von seinen Erlebnissen und Empfindungen.
Quelle: Nicola Roman Walbeck
Das Projekt, das Niklaus Fritschi international bekannt machte: die Rheinuferpromenade. Sie rückte Düsseldorfs Stadtraum an den Rhein zurück.
Wenn Architekten Bücher schreiben, geht es darin meist um
Philosophie und den geplanten und gebauten «Output». Beim Buch «Über leben und
bauen. Vom Bauzeichner in Rorschach zum Städtebauer in Düsseldorf» ist das
anders – nicht ganz, aber schliesslich doch erheblich. Niklaus Fritschi hat
einen Eintrag bei Wikipedia, wo er als Architekt, Maler und Zeichner bezeichnet
wird. Man erfährt dort, dass er nach einer Lehre als Bauzeichner von 1969 bis
1975 das Fach Baukunst an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Mit einem
seiner Lehrer, dem berühmten Österreicher Hans Hollein, erarbeitete er dort
eine Sanierungsstudie für eine Bergarbeiterkolonie in Recklinghausen im
nördlichen Ruhrgebiet.
Düsseldorf und der Umgang mit dem Baubestand liessen ihn
nicht mehr los: 1984 gründete er in der Hauptstadt des deutschen Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen ein eigenes Architekturbüro. Als Architekt wurde er vor
allem durch das Projekt Rheinuferpromenade international bekannt, das er um
1990 zusammen mit Benedikt Stahl und Günter Baum entwickelt hatte. Von 1986 bis
2010 unterrichtete Niklaus Fritschi an der Fachhochschule Düsseldorf. 2005
wurde er in den Konvent der Baukultur der Bundesstiftung Baukultur berufen.
Ehrenamtlich engagiert er sich im Verein Förderkreis Industriepfad
Düsseldorf-Gerresheim.
Aus der Not heraus zum Erzähler
Für sein rotes, handliches Buch über Leben und Bauen wählte
dieser Tatmensch einen ausgesprochen unakademischen Ansatz: Er bediente sich
des Stilmittels der Anekdote. Thematisch steht das eigene Schaffen nicht im
Zentrum. Vielmehr denkt der Autor über seine Erlebnisse und Eindrücke nach, die
er im Laufe seines 80-jährigen Lebens empfangen hat. Sie reichen von der
Kindheit bis hin zum Schaffen seiner eigenen Kinder – unter anderem jenem
seiner Tochter, die ebenfalls Architektin ist. Die Anekdoten sind angereichert
durch Bildmaterial, das teilweise vom malenden und skizzierenden Autor selbst
stammt, andererseits ganz allgemein den dokumentarischen Aspekt des Werks
unterstützt.
Quelle: Alice Wiegand / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
Buntes Leben am Rhein: Im Bild ist deutlich zu sehen, wie die mehrspurige Strasse im Tunnel verschwindet und so Platz für die Rheinuferpromenade macht.
Die Texte sind bei diesem Buch die Hauptsache. «Mein
Erblinden hat mir einen Sinneswandel abverlangt», erklärt Niklaus Fritschi im
Klappentext, «ich begann zu schreiben. Das Zeichnen und Malen und auch die
Architektur waren nicht mehr möglich.» So entstanden Memoi-ren, sprich:
Anstelle einer Monographie hat Fritschi ein positiv und fröhlich gefärbtes
Erinnerungsbuch geschaffen, das sich aus Dutzenden Kapiteln zusammensetzt. Das
lässt sich gut kreuz- und querlesen.
Eigensinnige Erinnerungskultur
Dem Wort Erinnerungskultur begegnen wir dieser Tage immer
häufiger. Meistens bezieht es sich auf dunkle Flecken in der gemeinschaftlichen
Geschichte. Sie sollen generationenübergreifende Scham aus-lösen und zu
Busshandlungen animieren. Diese Erinnerungskultur zieht sich bekanntlich weit
in den Bereich der Architektur und der mit ihr verbundenen Symbolik hinein. Das
kann manchmal ganz schön deprimierend sein. Das Buch von Niklaus Fritschi
stellt quasi ein Gegenmittel dazu dar: Es konzentriert sich auf die Neugier,
die Freude und die Zuneigung für andere Menschen. Der Grundtenor ist positiv.
Fritschis Anekdoten können als Zeugnis dafür gelten, wie unterschiedlich man
die Vergangenheit betrachten und beurteilen kann. Und auch dafür, wie man den
nachkommenden Generationen in Erinnerung bleiben möchte.
Auf das Kapitel «Kindheit und Jugend» folgt «Vom Bauzeichner
zum Städtebauer». Das erste erzählt von der aufkeimenden Neugierde und
Faszination für die gebaute und lebendige Umwelt, die zu einer Karriere in
einer kreativen Tätigkeit erwachsen konnte. Man liest von der
Washington-strasse 27 in Rorschach, vom gebauten Rorschach überhaupt, bis in
die Gegenwart, von der verhexten Katze, dem Badhüsli und dem Entscheid zur
Bauzeichnerlehre.
Blick hinter die Kulissen
Die Anekdoten im Folgekapitel handeln von Fritschis
Weiterbildung sowie von bekannten Persönlichkeiten, wie etwa dem Künstler Josef
Beuys oder dem erwähnten Hans Hollein. Andere sind bestimmten Bauten und
Projekten gewidmet, etwa dem Stadtmuseum Düsseldorf, dem Pumpwerk in Oberhausen
oder der Casa Margherita in Pino Torinese, die später von seiner Tochter
erweitert wurde. Häufig erlauben diese Geschichten einen Blick hinter die
Kulissen des Bauens und Planens in einem der dynamischsten Siedlungsgebiete Europas.
Zusätzlich widmet sich Fritschi bestimmten architektonischen Themen in Form
persönlicher Erläuterungen, etwa der Post-moderne, die Stadt der Moderne oder
polychromer Architektur.
Der persönliche, intime Charakter des Buches erstreckt sich
bis auf die letzten Seiten, den «Abspann», wie sie der Autor nennt. Neben
chronologischen Daten zur Biographie, zu Ausstellungen und einer Bibliographie
enthält dieser Schlussteil auch die Ankündigung eines Folgewerks. Dieses soll
«Gedankensplitter» zu Ideen enthalten, die Niklaus Fritschi heute umtreiben, zu
Politischem und Gesellschaftlichem – «also diffizilen Dingen», wie der Autor
meint. Falls die zur Besinnlichkeit anregende Lektüre Lust auf mehr Lesestoff
von ihm auslöst, könnte diese demnächst befriedigt werden. ■
Buchtipp
Quelle: PD
Niklaus Fritschi – Vom Bauzeichner in Rorschach zum Städtebauer in Düsseldorf.
Über Leben und Bauen
Niklaus Fritschi – Vom Bauzeichner in Rorschach zum
Städtebauer in Düsseldorf
Gebunden, 232 Seiten, 15,5 × 21 cm,
ISBN 978-3-7700-6049-8, 1. Aufl., August 2025, 35 Euro, Droste Verlag GmbH