Bautaucher David Wiederkehr: «In der Freizeit schnorchle ich nur noch»
Lieber in stinkender Abwasserschlacke abtauchen oder im tiefblauen Meer auf Entdeckungsreise gehen? David Wiederkehr hätte beides haben können. Er entschied sich für die «dreckige» Variante und wurde Berufstaucher.Der Beruf ist anspruchsvoll, die Arbeitstage lang – und doch liebt der Zürcher seinen Job nach vier Jahrzehnten noch immer.

Quelle: zvg, David Wiederkehr
Im Faulturm einer Abwasserreinigungsanlage nach dem Rechten zu sehen, ist eine spezielle Herausforderung: Keinerlei Sicht unter Wasser, 43 Grad Umgebungstemperatur. Das ist schwer auszuhalten im Tauchanzug und kann auch nur von einer Handvoll Bautaucher in der Schweiz erledigt werden.
Leben am Tropenstrand. Das klingt überaus attraktiv und dürfte eines der Ausstiegs-Szenarios schlechthin sein – vor allem für Leute aus kälteren Klimazonen. David Wiederkehr ging mit Freunden Ende der 1980er-Jahre regelmässig in Israel oder Ägypten tauchen. Weil er neben dem Tauchpatent auch einen Skipper-Bootsführerschein für grosse Schiffe besitzt, wollte ihn ein Bekannter unbedingt als Tauchlehrer auf seinem Schiff in der Karibik anheuern.
Doch das entsprach nicht dem Vorstellungen des Zürchers, wie er dem Baublatt an seinem Firmensitz in Fisibach erzählt: «Das hast du schnell einmal gesehen, ich wollte das nie.» Er bevorzuge einen Beruf, der Herausforderungen mit sich bringt.
Nach 21 Jahren als angestellter Bautaucher machte sich Wiederkehr selbstständig. «Ich wollte mehr Einblick in die Abläufe. Und arbeiten auf die Art und Weise, wie ich es für richtig halte.» 2006 gründete er die «David Wiederkehr Unterwasserbau AG».
Beobachtung führt zu Tauchberuf
Ursprünglich hatte Wiederkehr eine Maurerausbildung gemacht – im Wissen, dass er diesen Beruf nicht bis zur Pensionierung ausüben würde. Eine Perspektive bot sich ihm, als er in einer Badeanstalt am See in Stäfa ZH an einer Mauer arbeitete: «Ich sah Leute, die ständig mit einem Schiff vom Ufer zu einem grossen Floss im See fuhren.» Was er da beobachtete, faszinierte ihn. Eine Nachfrage bei der Seepolizei klärte ihn auf, dass er Zeuge der Verlegung einer Gasleitung von Männedorf nach Richterswil geworden war.
Er meldete sich im Sommer 1984 bei der Firma, die diese Arbeit ausgeführt hatte, und wurde sofort eingestellt. «Damals wie heute sind Bautaucher sehr gesucht. Es gibt leider viel zu wenige. Du musst vorzugsweise über eine abgeschlossene Handwerks-Lehre verfügen und zusätzlich ein Tauchbrevet für Fortgeschrittene mitbringen.» Wer als Bautaucher anfängt – selbst wenn er schon auf dem Bau gearbeitet hat – braucht noch einmal fünf Jahre, bis er von seiner Firma vis er vollständig ausgebildet ist: «Was normalerweise von verschiedenen Spezialisten erledigt wird, macht ein Bautaucher alles selbst: Schweissen, Beton-, Stahl- und Leitungsbau, Betonschneiden, Sprengungen, Schalungen anbringen und so weiter. Aber auch Kontrollgänge und Reinigungen in Kläranlagen oder Kernkraftwerken.»

Quelle: Simone Matthieu
David Wiederkehr vor Hilfsfloss-Elementen, ohne die sein Unternehmen viele Einsätze nicht wahrnehmen könnte.

Quelle: zvg, David Wiederkehr
Ein Hilfsfloss in offenem Wasser, zusammengesetzt aus Elementen, die die Bautaucher selbst mitbringen. Von da aus sind sie näher am Einsatzort und können auf dem Floss bei Bedarf zusätzlich Baumaschinen platzieren.
So arbeiten Bautaucher
Tätigkeiten unter Wasser gestalten sich natürlich ganz anders als «oben». «Das Wasser bremst alles. Hämmern braucht viel mehr Kraft – aber es geht.» Statt mit Lichtbogen oder Gasflammen wie an Land wird unter Wasser meist mit Elektroden geschweisst, die am vorderen Ende um die 5700 Grad heiss sind. Ein ähnliches Verfahren wird zum Stahlschneiden eingesetzt.
Eine spezielle Arbeit ist die Kontrolle in tiefen Baugruben oder Faultürmen von Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Bei den ARAs testen die Bautaucher, ob Temperatursensoren und Rührwerke funktionieren, alles richtig sitzt und läuft, die Schrauben angezogen sind. Leitungen werden überprüft auf Verzopfungen – das sind aufgewickelte Haarbüschel. «Bereits zwei Zentimeter unter Wasser hat der Taucher keinerlei Sicht, da nützt selbst eine Lampe nichts.» In den Faultürmen herrscht eine Wärme von 43 Grad. Das wird nach dreissig bis vierzig Minuten im Tauchanzug unerträglich. Die psychischen und physischen Anforderungen sind enorm. Kaum eine Handvoll Arbeitstaucher in der Schweiz sind in der Lage, solche Einsätze auszuführen. «Der Taucher muss sich die Baupläne einprägen – ein fotografisches Gedächtnis ist von Vorteil. Das kann man sich bis zu einem gewissen Grad antrainieren. Und ansonsten heisst es: sich vorantasten.» Die körperliche Fitness bestätigt ein jährlicher Medizincheck, jedes zweite Mal ist die Untersuchung zudem ausführlicher. «Solange der Taucharzt seine Zustimmung gibt, existiert kein Altersgrenze für unseren Beruf.»
Taucheinsätze sind Teamarbeit: Neben dem Taucher ist immer mindestens ein Helfer vor Ort. Er bereitet die Ausrüstung vor, bedient Maschinen an der Oberfläche und sichert den Arbeitsbereich. Ein Luftschlauch mit integriertem Kommunikationskabel verbindet beide, der Sprechkontakt bleibt durchgehend aktiv. «Der Tauchhelfer muss merken, wenn der Kollege ausser Atem gerät, weil er gestresst ist oder überfordert. Dann heisst es von oben: ‹Mach mal kurz Pause›.»
«Leider denkt man bei vielen Bauten nicht daran, dass irgendwann in Zukunft einmal ein Taucher nach dem Rechten sehen muss. Bei ARAs messen die Zustiege in der Regel gerade mal sechzig Zentimeter im Durchmesser. Das ist wenig für einen Mann mit Tauchausrüstung», weiss Wiederkehr aus eigener Erfahrung.

Quelle: zvg, David Wiederkehr
Schweissen geht auch unter Wasser. Nicht mit Lichtbogen oder Gasflammen, sondern mit Elektroden, die 5700 Grad heiss werden. Auch über Wasser wird heute oft mit Elektroden geschweisst.
Ein einziger Unfall in Firmengeschichte
Heute setzen die Baustellen mehr auf Sicherheit, als früher: «Niemand möchte einen Unfall riskieren. Gerade, wenn schwere Bauteile unter Wasser montiert werden, müssen sich die Beteiligten gut absprechen. Via Tauchhelfer gibt der Taucher Anweisungen – etwa an den Kranführer. «Wenn der Taucher sagt ‹Jetzt Stopp› müssen alle sofort die Hände von ihren Maschinen nehmen. Sonst passiert so etwas, wie der einzige Unfall, den wir in unserer Firmengeschichte je hatten: Ein Baggerarbeiter befolgte das Kommando nicht. Deshalb riss es dem Taucher beinahe eine Fingerkuppe ab.» Das Ganze konnte zum Glück leicht gerichtet werden. Der Arzt habe gesagt: «Wir tun etwas Salbe drauf und verbinden den Finger.» Inzwischen sei der wieder wie neu.
Nicht selten rufen Kunden mit Notfällen an, da müssen Wiederkehr und seine Leute sofort reagieren. Steht etwas still – ein Kraftwerk oder eine Kläranlage – geht schnell ein Haufen Geld verloren. Um auf alles vorbereitet zu sein, was vor Ort auf sie zukommen könnte, geht jeder Taucher mit seinem eigenen Kleinbus voller Spezial-Tauchanzüge, Schläuche und Flaschen an den Einsatzort. So kann er in verschiedenen Ausführungen tauchen und hat alles dabei, was es dafür braucht.
Die Auftragslage ist hervorragend: Bei der «David Wiederkehr Unterwasserbau AG» gehen mehr Anfragen ein, als die neun Mitarbeitenden bewältigen können. Man beschränkt sich auf die Region – selbst das Wallis gilt als zu abgelegen: «Das lohnt sich nicht – wir haben hier mehr als genug Arbeit.» Hin und wieder müssen Berufstaucher aus dem Ausland geholt werden. «Unsere Fachleute kommen aus Chile, Südafrika, Spanien oder aus dem Norden Europas. Ihre Basisausrüstung bringen sie mit – Spezialanzüge stellen wir zur Verfügung.»

Quelle: zvg, David Wiederkehr
Bautaucher renovieren einen Steg. Sie übernehmen sowohl die Über- als auch die Unterwasser-Arbeiten, da sie darin ausgebildet worden sind. Zur Hilfe und vor allem, um Bagger und ähnliches Gerät aufstellen zu können, wir oft ein temporäres Hilfsfloss eingesetzt.
Falsche Vorstellungen vom Job
Wiederkehr sucht stets neue Angestellte, doch es sei ein Problem, die Richtigen zu finden: «Viele haben falsche Vorstellungen vom Job. Wenn ich einem Anwärter sage: ‹Es ist kalt und schmutzig, der Tag beginnt in aller Früh und endet spät›, merke ich gleich an der Reaktion, ob er oder sie geeignet ist. Lässt sich jemand darauf ein, ist es hingegen ein toller, abwechslungsreicher Beruf, der gut bezahlt wird.» Selbst nach bald vierzig Jahren im Geschäft ist Wiederkehr glücklich mit seiner Berufswahl. «Ich mache es heute noch gerne. Der Bau liegt mir, das ist immer spannend es kommen immer wieder andere Aufgaben auf dich zu.» Der Chef ist in der Regel als Springer im Einsatz, macht Kontrollen: «Meist übernehme ich Kleinbaustellen, da dort nicht alles so klar geregelt ist, und man stets mit Unvorhergesehenem rechnen muss.» Da braucht es jemanden mit Wiederkehrs Erfahrungsschatz. Grossbaustellen seien da besser eingerichtet.
Bei den gut gefüllten Auftragsbüchern sind Wiederkehr und seine Mitarbeiter froh, wenn einmal einen Tag ohne Einsatz ansteht: «Es gibt immer etwas zum Flicken und Revidieren. Das darf nicht zu kurz kommen. «Wenn alle dermassen beschäftigt sind, erledige ich das oft allein übers Wochenende.» Zudem muss der Chef seine Administrativ-Aufgaben vor und nach einem Tag im Taucheinsatz erledigen – früh morgens und spät abends, wenn die anderen nach Hause gehen.
Solche «Frei»-Tage sind für das Team ebenfalls wichtig, um Routinearbeiten wie die Sicherung in der Höhe oder das Anbringen von Material an einem Kran erneut durchzugehen. «Routine kann gefährlich werden. Man denkt ‹Komm, das mach ich jetzt noch schnell›. Doch das ist trügerisch. Jeder Tauchgang muss gut durchgeplant sein.»

Quelle: Simone Matthieu
David Wiederkehr in seinem Büro. Der Chef muss seine Administrativaufgaben oft früh morgens und spät abends erledigen, da er während des Tages am Bautauchen ist.
Keine Lust auf Tauchen in Montur während der Freizeit
In der Freizeit verzichtet Wiederkehr meist aufs Tauchen mit kompletter Ausrüstung – es sei denn, es gäbe etwas Spezielles zu sehen. «Ich würde extrem gerne einmal einen Walhai aus der Nähe beobachten, dazu hatte ich bisher nie die Chance. Wobei ich für eine Begegnung mit diesen sanften Riesen gar nicht abtauchen müsste, sie schwimmen oft an der Wasseroberfläche.» Das kommt ihm entgegen: Die Unterwasserwelt fasziniert ihn immer noch, doch heute erkundet er sie lieber schnorchelnd mit seinen Kindern in den Ferien.
David Wiederkehr wird im August 65 Jahre alt. Wenn die Gesundheit mitspielt, möchte er noch rund drei Jahre weitermachen. Bis dahin hofft er, jemanden zu finden, der seine Firma übernimmt. «Das ist genauso schwierig, wie gutes Personal zu finden.» Nach dem Verkauf will er weitere zwei bis drei Jahre zur Verfügung stehen, um den Nachfolger einzuarbeiten. Wiederkehr freut sich auf diese Phase: «Dann ist meine Arbeitslast nicht mehr so gross wie jetzt – und der ganze Druck fällt weg.» Von seinen fünf Kindern will leider keines in Vaters Fussstapfen treten. «Die Interessen gehen bei allen in eine andere Richtung.»
Wiederkehr blickt dem Ruhestand mit Freude entgegen. Dann kann er endlich einen lang gehegten Wunsch verwirklichen: «Ich möchte mit dem Wohnmobil den Norden Europas bereisen und andere Welten entdecken. Vor allem aber freue ich mich darauf, mein Leben zu entschleunigen – nicht mehr ständig unter Strom zu stehen, sondern mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben.»

Quelle: Simone Matthieu
Jeder Bautaucher verfügt über einen solchen Einsatzbus, mit dem er zu seinen Aufgaben fährt. Das Fahrzeug ist voller Spezial-Tauchanzüge, Schläuche und Flaschen. So kann er vor Ort in verschiedenen Ausführungen tauchen und hat alles dabei, was er braucht.