07:03 BAUPRAXIS

Wie aus einem Kranich im Kopf eine Kapelle erwächst

Geschrieben von: Robert Mehl (rm)
Teaserbild-Quelle: Lotta Schilgen/FH Aachen

Im Morschenich-Neu im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen bildet ein aussergewöhnlicher Kirchenbau das Zentrum des neugegründeten Orts. Die Entwurfsidee zur Lambertus-Kappelle basiert auf einem Origami-Kranich als neutraler Metapher. Der Bau, an den sich ein Friedhof anschliesst, soll allen Konfessionen offenstehen.

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Quelle: Robert Mehl/FH Aachen

Von Weitem schon gut sichtbar: der markante Glockenturm der Lambertuskapelle.

Die Bilder von der - durch massive Proteste begleiteten - Räumung des Hambacher Forsts sind auch in der Schweiz dem einen oder der anderen noch präsent. Sie entstanden im September 2018 beim Ausbau des Hambacher Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier westlich von Köln. Am Ende ist es nicht zur Rodung des fast zehn Kilometer langen und kaum zwei Kilometer breiten Waldstücks in der Nähe von Kerpen gekommen. Doch weil die Umsiedlung der betroffenen Menschen in den Gemeinden der Umgebung viel Vorlauf erforderte, war diese längst abgeschlossen, als die Entscheidung für den Erhalt des Waldes fiel.

Einer jener Orte, in denen die von 2015 bis 2022 Umgesiedelten ihre Häuser neu aufbauen konnten, ist Morschenich-Neu. Der Namens-Suffix wurde bewusst gewählt, damit der Ort im Alphabet nicht die vertraute Position wechseln muss. Die Neugründung ist ein östlicher Vorort von Merzenich, das wiederum zu Düren gehört. Tatsächlich nimmt sich Morschenich-Neu mehr wie ein Neubaugebiet aus. Die einzige Zufahrt erfolgt über ein kleines Einkaufszentrum. Dieses wiederum liegt an einer ebenfalls neu angelegten Ortsumgehungsstrasse von Merzenich.

Das emotionale Zentrum

Städtebaulich ist Morschenich-Neu schwer zu beschreiben. Es ist anzunehmen, dass das zuständige Bauamt bei der Genehmigung der zahlreichen Einfamilienhaus-Entwürfe zur Grosszügigkeit angehalten war, um den Vertreibungsschmerz der umgesiedelten Einwohnerschaft zu mildern. Jedenfalls zeichnet sich die Siedlung durch eine auffallende Durchmischung von Fassadenarten und Dachformen aus.

Das emotionale Zentrum von Morschenich-Neu bildet die Lambertuskapelle, welche die Aachener Architekten Paulssen + Schlimm entworfen haben. Der auf einem rautenförmigen Grundriss basierende Sakralbau wird dominiert von einem keilartig spitz nach oben ragenden, 21 Meter hohen Glockenturm. Dieser ist als neue Landmarke über die Felder hinweg auch aus der Ferne gut zu erkennen.

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Quelle: Cherine Atif/FH Aachen

Kirche mit Friedhofsanschluss: die Lambertuskapelle in Morschenich-Neu

Die Architekten erklären, bei ihren ersten Entwurfsüberlegungen für den Kirchenbau zunächst an einen Origami-Kranich gedacht zu haben. Im Zuge der weiteren Projektausarbeitung und der Suche nach einem realisierbaren Baukörper, in dem Räume sinnvoll angeordnet werden könnten, habe sich die Gebäudeform weg von einem gefalteten Vogel entwickelt. Und hin zu der bekannten Papierschiffchen-Form. Diese formale Entwurfsmodifikation war für die Architekten durchaus akzeptabel. Schliesslich sahen sie in der Schiffsform einen biblischen Bezug: jenen zur Arche Noah.

Der Mehrzweckraum für alle

Der Grundgedanke mit der Kranichfigur war indes überkonfessioneller Natur. Der Grund: An den Sakralbau schliesst sich auch der neue Friedhof der Ortschaft an, der bewusst Angehörigen aller Konfessionen offen stehen soll. Entsprechend weist der Kirchenbau neben dem eigentlichen, an der katholischen Liturgie orientierten Andachtsraum einen grossen Speiseraum mit Küchenzeile auf. Dieser wurde insbesondere geschaffen, damit andere Religionen hier ihre obligaten Totenmahle abhalten können. Die katholische Gemeinde ihrerseits nutzt diesen Mehrzweckraum überwiegend als Ort der Begegnung sowie zum Vorbereiten von Speisen für ihre verschiedenen Feierlichkeiten.

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Quelle: Emily Möller/FH Aachen

Offen für Anlässe aller Konfessionen: der durch eine grosse Glasscheibe einsehbare Mehrzweckraum.

Getrennt ist dieser kleine Multifunktionssaal vom eigentlichen Kirchenraum durch einen langen, quer durch das Gebäude laufenden Gang, über den beide Räume auch erschlossen sind. Dieser Verbindungsgang ist sowohl von der Strassen-, als auch von der rückwärtigen Friedhofsseite her zugänglich. Der Kapellenraum selbst besitzt zwei direkte Eingänge – von der Strasse sowie vom Friedhof her.

Der dreieckige Kapellenraum

Durch den Verbindungsgang, welcher den rautenförmigen Grundriss an seiner breitesten Stelle nahezu mittig durchschneidet, ergibt sich für den eigentlichen Andachtsraum ein dreieckiger Grundriss. Der Mehrzweckraum hat dagegen eine trapezförmige Grundfläche. Die spitze Ecke, die hier für einen dreieckigen Grundriss in vergleichbarer Grösse des Kapellenraums fehlt, bildet den Sockelbereich des Kirchturms. Dieser wird aber von aussen – abgesehen von seiner blossen Höhe – nicht weiter betont. Die gleichmässige Putzfassade zieht sich durch bis zur östlichen Gebäudeecke, in welcher der Kirchbau auch seinen höchsten Punkt hat.

Die dreieckige Anlage des Andachtsraums bezieht sich auf die Trinität des christlichen Glaubens aus Vater, Sohn und Heiligem Geist. Der spirituelle Ansatz spiegelt sich zudem in einem Dachoberlicht oberhalb des Altars wider. Bei entsprechendem Sonnenstand und Wetterverhältnissen sorgt es dafür, dass der Altar im wahrsten Wortsinne hell erleuchtet ist.

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Quelle: Yaren Akoglan/FH Aachen

Der dreieckige Kirchenraum: Blick ins Innere der Kapelle mit dem runden Skylight über dem Altarbereich.

Nach Süden, zur Strasse hin, findet sich in dem neun Meter hohen Kapellenraum eine gläserne Ecknische, in der eine Figur des Namenspatrons Sankt Lambertus steht. Sie wurde aus der alten Kirche mitgenommen. Bei den Fenstern dieser Nische handelt es sich um wiederverwendete Bleiglasscheiben des Glaskünstlers Ludwig Schaffrath. Sie stammen aus einer anderen, entwidmeten Kirche und waren zwischenzeitlich vom Bistum Aachen ausgebaut und eingelagert worden. Diese Schaffrath-Fenster weisen zahlreiche, nach innen orientierte Glaspyramiden auf, die prismenartig das Licht brechen. So wird die Ecknische diffus, aber hell ausgeleuchtett. Die hier platzierte Heiligenfigur sieht sich in ein besonderes Licht getaucht.

Der verwehrte Wunsch

Der Rohbau ist eine Ortbetonkonstruktion. Dabei war die Lambertuskappelle ursprünglich sogar in kerngedämmter Sichtbetonbauweise geplant. Aus Kostengründen wurde sie aber nur mit einer Aussendämmung versehen und darauf eine Putzfassade appliziert. Tatsächlich in Sichtbeton ausgeführt wurden die Innenwände des Kapellenraums. Zwar hatten die Architekten in der Ausschreibung hier auf die Erfordernis des Sichtbetonqualität verzichtet. Dadurch wollten sie es ermöglichen, das Thema des menschlich Fehlbaren zu visualisieren. Allerdings fühlte sich das ausführende Bauunternehmen bei diesem Detail an der Ehre gepackt. So blieb den Architekten die Erfüllung des formalen Wunsches verwehrt: Die fertige Betoninnenwand weist doch keine nennenswerten optischen Mängel auf. Ein Umstand, welchen die Planer aber durchaus akzeptieren konnten.

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Quelle: Svea Maier/FH Aachen

Ein Blick durch den langen Verbindungsgang in Richtung Friedhof: Über ihm ist die Abhangdecke aus Gipskarton erkennbar.

Das Dach wurde mit Stahlblechen und einer darauf platzierten Dämmung realisiert. Die der Dachkrümmung folgenden Bleche wiederum liegen auf durchlaufenden Doppel-T-Trägern auf, die quer zur Dachneigung angeordnet sind.

Von unten sichtbar sind sowohl im Kapellenraum, als auch über dem Verbindungsgang und im Mehrzwecksaal Abhangdecken aus Gipskarton. Darin sind technische Einheiten wie Deckenstrahler oder Akustikpaneele eingefügt. In die Deckenfläche oberhalb des Altars wurde zudem ein kreisrunder Ausschnitt für das bereits erwähnte Oberlicht eingelassen. Dessen aufgehende zylindrische Leibung wurde ebenfalls mit Gipskartonplatten geschlossen.

Schliesslich wurden die beiden Glocken der mittlerweile abgerissenen Lambertuskirche in Alt-Morschenich in den neuen Sakralbau überführt und um eine neue Glocke ergänzt. So bildet das Geläut nunmehr einen wohlklingenden Dreiklang – einen Akkord.

Der begeisterte Bischof

Gleich neben der Lambertuskapelle, nur durch einen schmalen Parkplatz getrennt, schliesst sich die Kindertagesstätte der Gemeinde an. Auch wenn bei genauerem Hinsehen die Detailsprache der Architektur eine andere ist, bilden der Sakralbau und die Kita eine formale Einheit, welche die vorgelagerte Strassenkreuzung nach Norden hin optisch schliesst.

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Quelle: Acelya Sari/FH Aachen

Architektonisches Juwel an der Südseite der Kapelle: die Glasnische mit einer Figur des Namenspatrons Lambertus und den Schaffrath-Fenstern.

Am 4. Februar 2024 weihte der Aachener Bischof Helmut Dieser die Lambertuskapelle offiziell ein. Dabei zeigte er sich sehr angetan vom neuen Sakralraum und erhob die Kapelle in den Stand einer Kirche. In dieser neuen Kirche können somit von Anbeginn an alle katholischen Sakramente gespendet werden.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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