08:32 BAUPRAXIS

Spitalneubau Anna-Seiler-Haus: Neues Wahrzeichen für die «Insel»

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: HG Esch Photography

Diesen Sommer eröffnete das neue Hauptgebäude des Berner Inselspitals. 670 Millionen Franken flossen in den Neubau, der zugleich das grösste Minergie-P-Eco-zertifizierte Krankenhaus der Schweiz ist. Die milliardenschwere Neugestaltung des Spitalgeländes nähert sich damit ihrem Abschluss.

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern

Quelle: HG Esch Photography

Das Anna-Seiler-Haus, neues Hauptgebäude des Inselspitals und grösstes Minergie-P-Eco-Spitalgebäude der Schweiz.

Die Schweizer Spitallandschaft ist geprägt von altehrwürdigen Bauten, die das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. In den 1970er Jahren wurden zahlreiche neue Spitalgebäude hochgezogen, die nach rund 50 Jahren saniert oder ersetzt werden müssen. Oft erlaubt die damalige Bauweise keine Sanierung mit sinnvollem Aufwand. Deshalb boomt hierzulande gerade der ­Spitalbau. 

Aktuell sind Projekte im Umfang von gegen 14 Milliarden Franken in der Planung oder Realisierung. Der Aargau hat gerade zwei neue Spitäler in Baden und Aarau für rund 900 Millionen Franken fertiggestellt. In Basel wurden für 1,1 Milliarden drei neue Bauten hochgezogen. In Luzern beträgt die Summe für aktuelle und zukünftige Projekte 1,2 Milliarden, in Zürich werden 2,1 Milliarden ins neue Unispital gesteckt. Und noch einmal 600 Millionen ins Kinderspital.

2013 mit Planung begonnen

In Bern realisiert derzeit das Inselspital sein «Programm Infrastrukturentwicklung», mit einem Investitionsvolumen von 1,8 Milliarden Franken. Es ist dies das dritte umfassende Bauprogramm des Spitals nach 1880 und 1957. Einer der Meilensteine war die Fertigstellung des neuen Hauptgebäudes, das vor Kurzem seinen ­Betrieb aufnahm. Das Anna-Seiler-Haus, das rund 670 Millionen Franken gekostet hat, löst das alte Bettenhochhaus von 1970 ab. Bereits 2013 war mit der Planung für das Projekt begonnen worden.

Die Zahlen des Neubaus beeindrucken: Auf 18 Geschossen findet sich Platz für 532 Betten, 204 Behandlungsräume, 57 Konferenzräume, 30 Aufenthaltsbereiche für Mitarbeitende, 18 Lifte, 11 ausgerüstete OP-Säle und zwei Restaurants. Zugleich ist das Anna-Seiler-Haus das grösste Spital­gebäude der Schweiz mit Minergie-P-Eco-Zertifizierung.

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern

Quelle: Ben Kron

Alt neben neu: Das frühere Hauptgebäude (rechts) wird bis 2028 rückgebaut.

Bauherr bestimmt Materialisierung

Diese Zertifizierung gehört zu einem Konzept, das hohe Ansprüche an Nutzung und Funktionalität stellt und die späteren Benutzerinnen und Benutzer, wie auch die Kranken, in den Mittelpunkt stellt. Zugleich wurden beim Projekt der Berner Architektengemeinschaft «Archipel», bestehend aus den Büros GWJ Architektur, IAAG Architekten und ASTOC Architects and Planners, zum Label passend Materialien verbaut, die über den gesamten Lebenszyklus minimale Umweltauswirkungen generieren.

«Diese Materialisierung wurde von Seiten des Bauherrn vorgegeben», erklärt Bruno Jung anlässlich einer Begehung. Jung ist bei der Insel-Gruppe der Leiter Projektmanagement Infrastruktur und Hauptprojektleiter Anna-Seiler-Haus. «Wir haben 2016 eine Fachgruppe gebildet, worin Planer, Betreiber und Facility Management zusammen festlegten, wo die Architekten welche Materialien einplanen sollen. Dafür, so die Abmachung, reden wir dann den Architekten bei der Gestaltung nicht mehr drein.»

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern, Skyline

Quelle: HG Esch Photography

Skyline mit Spitalbauten: Das Anna-Seiler-Haus ist das neue Wahrzeichen des geschichtsträchtigen Spitalareals.

«Nur nichts Poppiges»

Diese Materialien wurden in erster Linie nach ihrer Funktion ausgesucht. So sind die Wände mit einem stossfesten Anstrich versehen. Alle Handläufe sind aus hygienischen Gründen aus Chromstahl. Farblich dominieren Naturtöne: Die Wände sind braun, wie auch das vielerorts eingesetzte Holz. Daneben dominieren Weiss und Grau. «Wir wollten eine neutrale, möglichst unabhängige Farbgebung», so Jung. «Nur nichts Poppiges.»

Ein wichtiger Aspekt war die Kostenverteilung innerhalb der einzelnen Gebäudeteile: «Wir haben uns bewusst entschieden, Elemente wie die Treppenhäuser möglichst günstig zu gestalten. Dafür investierten wir dort mehr, wo es den Patienten und den Mitarbeitenden zugute kommt.» So wurden unter anderem die Hälfte der Eck­zimmer im neuen Bettenhaus zu Aufenthaltsräumen fürs Personal gemacht. «So entstehen Räume mit hoher Aufenthaltsqualität fürs Personal.» Dieses freut sich gemäss Jung auch darauf, im neuen Gebäude zu arbeiten.

Intuitive Orientierung

Fürs Personal wie die Patienten wurde im Inneren eine klare Struktur geschaffen, welche die Orientierung intuitiv und einfach macht. «Ein Gebäude von dieser Grösse kann einen am Anfang erschlagen«, erklärt Ingo Kanehl von ASTOC Architects and Planners stellvertretend für die drei Architekturbüros. «Deshalb haben wir im Inneren eine klare Abstufung vorgenommen. Wer aus einem Lift tritt, hat stets einen Empfangsbereich vor sich.»

Diese Empfangsbereiche sind auch so platziert, dass die Pflegenden ihrerseits Tageslicht und damit einen Blick nach draussen haben. «Patienten und Mitarbeitende haben zudem von überall her rasch Zugang zu einem der grünen Aussenbereiche, unter anderem die zwei Terrassen und sieben Balkone», so Kanehl. «In einem Spital ereignen sich täglich ganz dramatische Situationen. Da ist es wichtig, dass Patienten wie Mitarbeitende rasch nach draussen ins Grüne und an die frische Luft können, um etwas Ruhe zu haben.»

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern, Korridor, Lichtgestaltung

Quelle: Ben Kron

Leuchtkörper in Längsrichtung der Korridore verhindern für Patienten einen Stroboskopeffekt und ermöglichen eine intuitive Orientierung im Gebäude.

Stroboskopeffekt vermeiden

Ein wichtiger Aspekt der Orientierung sind auch die Leuchten, deren Anordnung intensiv diskutiert worden ist. Diese verlaufen in den Gängen in Längsrichtung, doch bei jeder Einmündung in einen Quergang hängt auch die Leuchte quer. «Das ist ein einfaches Hilfsmittel, um sich intuitiv zu orientieren, wo die nächste Abzweigung ist», so Ingo Kanehl. Die längs angebrachten Leuchtstoffröhren haben einen weiteren Nutzen: «Wenn ein Patient auf einem Bett liegend durch den Gang gefahren wird, könnte eine Querlichtquelle einen Stroboskopeffekt erzeugen. Das kann bei Neuropatienten ein Problem sein.»

Das Feedback der künftigen Benutzerinnen und Benutzer ist gemäss Bruno Jung positiv. Vor der Eröffnung wurden bereits 3600 Personen im neuen Gebäude geschult, und diese lobten die klaren, offenen Strukturen und das überall dominierende Tageslicht. Auch die Materialisierung und das Minergie-P-Eco-Konzept seien gut aufgenommen worden. «Bei Temperaturen über 30 Grad während der Schulung freuten sich natürlich alle über die klimatisierten Räume.» 

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern, Aussenbereich

Quelle: HG Esch Photography

Mehrere Aussenbereiche dienen als Rückzugsort, sowohl für Patienten und deren Angehörige, als auch fürs Personal.

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern, Gebäudetechnik Radiologie, MRT

Quelle: HG Esch Photography

Einbau eines Magnetresonanz-Tomographen: BIM erlaubte den Fachplanern, auch solch komplexe Installationen kollisionsfrei zu bewältigen.

Nutzer in Planung eingebunden

Die guten Rückmeldungen des Personals kommen dabei nicht von ungefähr, waren doch alle späteren Nutzer von Anfang an in die Planung eingebunden. Jedes Fachgebiet und jede Klinik definierte im Vorfeld mehrere Personen, die in fünfzehn Nutzer­gruppen zu drei Personen gefasst wurden, wobei jeweils medizinische, therapeutische und administrative Aspekte abgedeckt wurden.

Steve Weissbaum, der Projektleiter Klinische Inbetriebnahme Anna-Seiler-Haus, erklärt die Vorgehensweise: «Wir haben zusammen einzelne Punkte vorab besprochen, wobei die Benutzer ihre Bedürfnisse und Wünsche ­einbrachten. Darauf basierend entwarfen die Planer Lösungen, die wiederum von den Nutzergruppen angeschaut und mit Änderungswünschen versehen wurden.» Je nach Komplexität der Situation ging so ein Projekt­teil drei- bis zehnmal hin und her, bis für alle ein Konsens gefunden war. «Dann erst ging das Element in die Ausführungsplanung.»

Diese Kommunikation zwischen Planern und Nutzern gestaltete sich anspruchsvoll, wie Ingo Kanehl ausführt. «Die Nutzer wollten von Anfang an die genaue Nutzung des Raumes definieren und zum Beispiel die Platzierung von ­Möbeln festlegen. Wir als Planer aber wollten zuerst über das Layout der Räume diskutieren, über die Platzierung von Türöffnungen, über Bewegungsabläufe, und so vom Groben ins Feine planen.» Da die Benutzer keine Baumenschen sind, gingen ihre Überlegungen aber schon viel früher ins Detail. 

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Schnitt

Quelle: Insel Gruppe AG

Schnitt durch den Neubau: Auf 18 Geschossen findet sich Platz für 532 Betten, 204 Behandlungsräume, 57 Konferenzräume...

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Grundriss Hochbau

Quelle: Insel Gruppe AG

Grundriss auf Höhe des Bettentraktes: Dank der Zweiteilung kommt viel Tageslicht in alle Patientenzimmer.

Anfangs Papierpläne

Steve Weissbaum ergänzt: «Die Krux dabei: Die Mitarbeitenden kennen ihre bisherige, funktionierende Arbeitswelt und möchten diese natürlich in gewisser Weise am neuen Ort kopiert haben. Aber wir müssen die ­Entwicklung mitdenken, Flexibilität für sich ändernde Arbeitsabläufe schaffen. Die Aufgabe war, einerseits Fachverständnis der klinischen Abläufe einfliessen zu lassen, und daneben die eigenen, architektonischen Aspekte wie Raumanordnung oder Lichtführung unter einen Hut zu bringen.»

Anfangs arbeitete man bei diesem Prozess mit Papierplänen und nicht mit 3D-Modellen. «Unsere Ansprechpartner waren keine Leute aus der Baubranche», so Weissbaum. «Um sie für den Umgang mit solchen digitalen Modellen vorzubereiten, wäre ein grosser Schulungsaufwand nötig gewesen.» Deshalb wurden anfangs Änderungswünsche ganz konventionell mit Post-it-Zetteln auf den Plänen festgehalten.

Digitale Ausführungsplanung

Natürlich wäre das Gebäude als 3D-Modell vorhanden gewesen, wie Toussan Souchon, der Geschäftsführer der Archipel-Arge, ergänzt. «Die Nutzer hätten mit einer VR-Brille durchs ganze Gebäude laufen können. Aber im Modell kann man zum Beispiel auch durch eine Wand gehen. Die Orientierung mit so einer Brille in einem digitalen Modell ist deshalb recht anspruchsvoll.» 

Sehr intensiv kamen digitale Methoden bei der Ausführungsplanung zum Einsatz, sagt Steve Weissbaum. «Zum Beispiel ist die haustechnische Koordination in den Operationssälen extrem aufwendig. Da gibt es viele Schichten Technik, die man aneinander vorbei führen muss.» All diese Gewerke klassisch auf Papier zu planen, wäre ein Albtraum gewesen. «Das digitale Planen ist hier eine grosse Hilfe. Durch automatisierte Abfragen können wir Kollisionen früh aufspüren und im Plenum diskutieren, welches Gewerk sich wohin verschieben muss.» Es gab auch eine digitale Zuteilung von Tasks: Der Planer sah auf seinem Rechner, an welchem Punkt welches Problem auftrat. Er erarbeitete hierfür eine Lösung, das neue Detail wurde wieder in den Koordinationsplan hochgeladen und dort abermals überprüft. «So sind wir iterativ von anfangs Tausenden von Kollisionen zu einem komplett kollisionsfreien Resultat gekommen», ergänzt Toussan Souchon.

Das Resultat, das neue Hauptgebäude des Berner Inselspitals, hat am 18. September seinen Betrieb aufgenommen. Als nächster und letzter Programmpunkt der Neugestaltung folgt nun bis 2028 der Rückbau des ­alten Bettenhochhauses. Daneben finden noch Umgebungsarbeiten statt. «Am Ende haben wir ein Areal, auf dem sich ältere ­Gebäude kontrastieren mit Neubauten, die wir für die angestrebte Verdichtung brauchten», so Ingo Kanehl. «So entsteht ein reizvolles Gegenüber von Jung und Alt. Und wenn wir in zehn Jahren schauen, ist das ganze Areal in eine attraktive Begrünung eingebettet.» 

Neubau Inselspital, Anna-Seiler-Haus, Bern, Empfangsbereich, Naturmaterialien, Erdtöne

Quelle: HG Esch Photography

Erdfarben und Naturmaterialien prägen das Innere, hier einer der Empfangsbereiche.

Frühe Wohltäterin

Nur wenige Details aus dem Leben von Anna Seiler sind überliefert. Wir wissen, dass sie eine Bernburgerin war und während der Pest um 1350 Kranke im «Spital vor den Predigern» pflegte. Davon wohl beeindruckt, stiftete sie in ihrem Testament ein Spital, «stets und ewig für dreizehn bettlägerige Personen, gepflegt von drei ehrbaren Personen». 

Und tatsächlich wurde das «Spital vor den Predigern», das an der heutigen Zeughausgasse in der Berner Altstadt lag, nach ihrem Tod weitergeführt als «Seilerin Spital». Wenngleich man beim Personal bald aufstocken musste. Das Seilerin Spital bildete die Grundlage für das heutige Insel-Spital, weshalb man das neue Bettenhaus nach der Gründerin ­benannte. 

In der Berner Altstadt erinnert auch ein Anna-Seiler-Brunnen an der Marktgasse an die spätmittelalterliche Wohltäterin. Und 2020 erschien im Zytglogge­verlag der historische Roman «Anna Seilerin – Stifterin des Inselspitals» von Therese Bichsel. (bk)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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