05:05 BAUMARKT

Gotthardröhre im Bau: Rasch und sicher durch die Störzone

Teaserbild-Quelle: Marti

Für den Ausbruch der geologischen Störzone Guspis beim Bau der zweiten Gotthardröhre setzt die Marti Gruppe auf eine innovative Lösung. Kernstück ist ein eigens entwickeltes Vortriebsportal, das eine erhöhte Sicherheit und Qualität bietet und gleichzeitig die Bauzeit verringert.

Vortriebsportal in der zweiten Gotthardröhre

Quelle: Marti

Für den Ausbruch der Störzone Guspis in der zweiten Gotthardröhre hat die Marti Gruppe ein Vortriebsportal der Superlative entwickelt: Sie hat ein Gewicht von 285 Tonnen, die Arbeitsbühne ist 31 Meter lang und 11,3 Meter breit.

Ein Konsortium der Unternehmen Marti Tunnel AG, Marti AG Bern, Mancini & Marti SA und Ennio Ferrari SA ist vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) mit dem Bau des Haupttunnels Süd der zweiten Gotthardröhre beauftragt. Dieses Los 341 umfasst den Ausbruch des neuen Strassentunnels auf einer Länge von ungefähr 7,8 Kilometern aus südlicher Richtung. Ein besonders anspruchsvoller Teil der Arbeiten ist die Durchörterung der geologischen Störzone Guspis, die sich 4,9 Kilometer vom Portal in Airolo TI entfernt befindet. 

Konkret handelt sich dabei um einen rund 380 Meter langen Abschnitt mit mehreren Bändern aus Kakirit, einem weichen, äusserst zermahlenen Gestein. Dieses Gestein steht tektonisch unter Spannung. Solche «druckhaften» Zonen haben die Tendenz zur Konvergenz – das heisst, der Gesteinsdruck verengt den ausgebrochenen Hohlraum wieder. Würde man eine solche Zone mit einer Tunnelbohrmaschine durchörtern, könnte sie in dem deformierten Gestein steckenbleiben und damit den Bau verzögern. Aus diesem Grund wird die Störzone – über einen separaten Zugangsstollen – vor der Ankunft der Tunnelbohrmaschine konventionell ausgebrochen. Das Ausbruchsprofil ist mit einem Durchmesser von 15 Metern deutlich grösser als die Tunnelbohrmaschine mit ihren 12,39 Metern Durchmesser. Der Mehrausbruch erlaubt es, die Deformationen des Felses zuzulassen. Die entstehenden Kräfte werden umgeleitet durch geschlossene, schwere Stahlbogen, Anker und Spritzbeton. Erst wenn sich das Gestein in einem Druckgleichgewicht befindet, wird die Röhre mit einem Ortbetongewölbe ausgekleidet.

Ein Vortriebsportal der Superlative


Stahlbogen werden mittels Manipulator eingesetzt.

Quelle: Marti

Mithilfe des eigens entwickelten Manipulators werden die Stahlbogen zur Sicherung des Ausbruchs Segment für Segment eingesetzt. Das maximale Ladegewicht des Manipulators beträgt 1,2 Tonnen, was vier Bogensegmenten entspricht.

Ein derart grosses Ausbruchsprofil bringt einige Herausforderungen mit sich: Selbst mit den grössten verfügbaren Geräten erreichen die Mineure von der Sohle aus die Firste des Tunnels nicht. Meist wird bei solchen Profilen ein Kalotten-Strossen-Vortrieb angewandt: Dabei wird abschnittsweise zuerst der obere Teil des Tunnelquerschnitts ausgebrochen, danach der untere. Um die Deformationen des Gebirges aufzunehmen, braucht es in der Störzone Guspis aber einen raschen Ringschluss: Die Strosse (der untere Teil des Tunnelquerschnitts) muss gleich nach der Kalotte (oberer Teil) ausgebrochen und gesichert werden. Daher müsste nach jedem Abschlag von 1 bis 1,6 Metern eine Rampe aufgeschüttet werden, um in der Kalotte arbeiten zu können. Das ist aufwändig und zeitraubend.

Die Marti Gruppe hat sich deshalb in Absprache mit der Bauherrin für ein neues, innovatives Vorgehen entschieden: Ingenieure der Marti Tunnel AG und der Marti Technik AG entwickelten und bauten ein Vortriebsportal, dessen Komplexität seinesgleichen sucht. Die 285 Tonnen schwere Konstruktion erlaubt die Arbeit auf einer Höhe von 6,6 bis 7,8 Metern – und damit einen parallelen Vortrieb im unteren und im oberen Tunnelquerschnitt.

Ein Schreitwerk mit acht hydraulisch anhebbaren Stützfüssen sorgt dafür. dass sich das Portal auf einem Rollenbock vorwärts oder rückwärts zu bewegen lässt; die maximale Schrittlänge beträgt 3,1 Meter. Die Arbeitsbühne ist 31,0 Meter lang und 11,3 Meter breit (Mehr dazu in der Box mit Kenngrössen). Ein Fahrzeuglift mit einer Nutzlast von 24 Tonnen und ein Materialkran dienen dazu, die Baumaschinen und Baumaterialien auf die Bühne zu bringen. Die Plattform ist mit Neigungssensoren ausgerüstet und nivelliert sich von selbst, so dass sie stets horizontal ausgerichtet ist.

Innovatives Bogenversetzgerät

Sicherungs-Stahlbogen wird zusammengesetzt.

Quelle: Marti

Jeder Sicherungs-Stahlbogen besteht aus acht Segmenten.

Eine grosse Innovation ist der von der Marti Technik AG entwickelte Manipulator: ein Bogenversetzgerät, mit dessen Hilfe die Stahlbogen zur Sicherung des Ausbruchs rasch und exakt eingesetzt werden. Er ähnelt einem überdimensionalen Uhrzeiger und ist in der Lage, bis zu vier Segmente des achtteiligen Bogens direkt vom Transportfahrzeug aufzunehmen und mit einem Teleskoparm in einem einzigen Arbeitsschritt in die richtige Position zu drücken. 

Die Arbeitsverteilung auf zwei Ebenen führt zu Vorteilen beim Maschineneinsatz: Statt 50- bis 60-Tonnen-Bagger, die den gesamten Tunnelquerschnitt ausfüllen, kann mit kleineren Modellen gearbeitet werden. Auf der oberen Ebene kommt ein Avesco TEC 20 Tunnelbagger zum Einsatz, auf der unteren Ebene ein Liebherr 950 Tunnelbagger welcher durch Marti elektrifiziert und umgebaut wurde. Erstmals setzt Marti dabei auf einer Baustelle auf Elektrobagger: Beim elektrifizierten Avesco TEC 20 handelt es sich sogar um eine Sonderanfertigung im Auftrag von Marti. Im Betrieb sind die Bagger am Stromnetz angeschlossen. Die Baustelle ist dafür mit je einer 1000-Volt und einer 400-Volt-Leitung ausgerüstet. Die Herausforderung besteht darin, Behinderungen der Arbeiten durch die Stromkabel zu vermeiden. Im Gegenzug macht die Elektrifizierung die Arbeit unter Tag deutlich umweltfreundlicher, angenehmer und kostengünstiger. Der Lärmpegel sinkt und es werden einige Dutzend Liter Diesel pro Einsatzstunde der Bagger eingespart. Dank der geringeren Russ- und Staubentwicklung sinkt auch der Belüftungsaufwand markant.

Sicherer, genauer, schneller

Das Vortriebsportal auf Stützfüssen, von unten gesehen.

Quelle: Marti

Das Vortriebsportal steht auf einem Schreitwerk mit acht hydraulisch anhebbaren Stützfüssen. Dank ihnen lässt sich das Portal mit Schrittlängen von bis zu 3,1 Metern vorwärts und rückwärts bewegen.

Insgesamt verspricht die innovative Vortriebsstrategie der Marti Gruppe unterschiedliche Vorteile: So steigt die Arbeitssicherheit deutlich. Durch das Portal werden sich laut Berechnungen rund 14‘000 Fahrkilometer mit schweren Geräten einsparen lassen, vor allem weil keine Rampenschüttungen nötig sind. Das vermindert die Unfallgefahr. Zudem bleiben alle Arbeitsplätze im Parallelvortrieb jederzeit sicher zugänglich und optimal beleuchtet. Auch die Qualität kann besser gewährleistet werden: Weil sich die Mineure nahe an den Ausbruchsflächen befinden, steigt die Arbeitsgenauigkeit. Und die Mannschaft kann rascher auf anspruchsvolle, veränderliche Situationen reagieren. Die Konvergenz in der Störzone Guspis wird auf bis zu einem Meter geschätzt. Genau in diesen Bereichen sind die Vorteile des Vortriebsportals am grössten: Mit dem neu entwickelten Manipulator lassen sich die schweren Stahlbogen rascher einsetzen und allfällige Korrekturen sind besser möglich.

Nicht zuletzt wird der Parallelvortrieb auf zwei Ebenen einen positiven Einfluss auf die Bauzeit haben: Die Marti Tunnel AG geht von Zeiteinsparungen zwischen 15 und 20 Prozent aus. Statt einem täglichen Vortrieb von 50 bis 60 Zentimetern durch diese schwierige Zone sollen mit der neuartigen, mutigen Bauausführung bis zu 75 Zentimeter pro Tag möglich werden.

Vortriebsportal in Betrieb auf der Baustelle der Gotthardröhre.

Quelle: Marti

Das Vortriebsportal erlaubt die gleichzeitige Arbeit auf zwei Ebenen – und damit den raschen, parallelen Vortrieb im unteren und im oberen Tunnelquerschnitt.

Das Vortriebsportal in Zahlen

Das von der Marti Gruppe entwickelte Vortriebsportal für das Los 341 beim Bau der zweiten Gotthardröhre auf einen Blick und in Zahlen:

Arbeitsbühne und Traggestell
Länge: 31,0 Meter, Breite: 11,3 Meter
Höhe Arbeitsplattform: 6,6 bis 7,8 Meter
Stahlbaugewicht: 285 Tonnen
 Schreitwerk mit 8 Stützen, maximale Schrittlänge 3,1 Meter
Hydraulischer Querverschub: +/- 2,0 Meter

Lagerbock
Gewicht: 3 Tonnen/Stück
Tragfähigkeit: 1600 kN

Fahrzeuglift
Eigengewicht: 16 Tonnen
Nutzlast: 24 Tonnen
Länge x Breite Liftplattform: 13 Meter x 3,5 Meter
Zeit pro Hub: ca. 6 Minuten

Materialkran
Horizontale Reichweite: 10.05 Meter
Traglast bei 10.05 Metern: 1,37 Tonnen
Schwenk- und teleskopierbar

Manipulator
Hub Schlitteneinheit: 4,3 Meter
Hub Manipulator: 4,2 Meter
Maximales Ladungsgewicht: 1,2 Tonnen (4 Bogenelemente)

Elektro-Tunnelbagger auf der Baustelle der Gotthardröhre.

Quelle: Marti

Erstmals setzt Marti auf einer Baustelle auf Elektro-Tunnelbagger: Für den Ausbruch auf beiden Arbeitsebenen kommt ein Liebherr 950 und ein TEC 20 von Avesco zum Einsatz.

Elektro-Tunnelbagger auf der Baustelle der Gotthardröhre.

Quelle: Marti

Erstmals setzt Marti auf einer Baustelle auf Elektro-Tunnelbagger: Für den Ausbruch auf beiden Arbeitsebenen kommt ein Liebherr 950 und ein TEC 20 von Avesco zum Einsatz.

Drei Fragen an Stefan Wyss, Produktionsleiter Sprengvortrieb, Marti AG

Herr Wyss, wie kamen Sie auf die Idee für das Vortriebsportal?
Die Vorgabe war, den Vortrieb im Vollausbruch mit komplettem Ringschluss zu machen. Ich überlegte mir, wie sich die Arbeitssicherheit verbessern und der Ausbau beschleunigen liessen. Da entstand die Idee, dafür parallel auf zwei Ebenen zu arbeiten. Inspirieren liess ich mich von historischen Berichten zum ersten Tunnel, der im 19. Jahrhundert unter der Themse in London hindurch gebaut wurde: Schon damals wurden die Arbeiten ab einer Bühne ausgeführt – natürlich noch ohne grosse Geräte. Das erlaubte es, auf drei Ebenen mit je zehn Mann zu arbeiten.

Was sind die wichtigsten Vorteile des Vortriebsportals?
Das Vortriebsportal hat enorm positive Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit. Es wird weniger Pneuverkehr mit schweren Maschinen geben, das senkt die Unfallgefahr. Indem wir Elektrobagger einsetzen, verringern wir zudem die Russ- und Staubentwicklung und den Belüftungsaufwand. Gleichzeitig steigt die Qualität der Arbeiten, weil sich die Mineure näher an den Ausbruchsflächen befinden und somit die Bauabläufe präziser ausführen können.

Wie wirkt sich das Vortriebsportal auf die Bauzeit aus?
Wir gehen davon aus, dass der Parallelvortrieb zu Zeiteinsparungen von 15 bis 20 Prozent führen kann. Unser Ziel ist es, einen täglichen Vortrieb von bis zu 75 Zentimeter zu erreichen. Mit einem herkömmlichen Kalotten-Strossenvortrieb – und dem dabei erforderlichen Aufschütten von Rampen – wären in dieser schwierigen Zone kaum mehr als 50 bis 60 Zentimeter pro Tag möglich.

Drei Fragen an Toni Hauert, Bereichsleiter Schalungs- und Sondermaschinenbau, Marti Technik AG

Herr Hauert, wie ist das Vortriebsportal aufgebaut?
Das Portal hat ein Gewicht von 285 Tonnen und erlaubt die Arbeit auf einer Höhe von 6,6 bis 7,8 Metern. Die Arbeitsbühne ist 31,0 Meter lang und 11,3 Meter breit. Sie steht auf einem Schreitwerk mit acht hydraulisch abhebbaren Stützfüssen. So lässt sich das Portal auf einem Rollenbock mit Schrittlängen von bis zu 3,1 Metern vorwärts und rückwärts bewegen. Die Plattform ist mit Neigungssensoren ausgerüstet und nivelliert sich von selbst. Baumaschinen und Materialien werden mit einem Fahrzeuglift und einem Materialkran auf die Arbeitsbühne gebracht.

Was ist besonders innovativ an dem Portal?
Der von Marti Technik AG eigens entwickelte Manipulator. Dabei handelt es sich um ein Bogenversetzgerät, das die Stahlbogen zur Sicherung des Ausbruchs rasch und exakt einsetzt. Es ist ein Unikat und in der Lage, bis zu vier Segmente direkt vom Transportfahrzeug aufzunehmen und mit einem Teleskoparm in einem einzigen Arbeitsschritt in die richtige Position zu drücken.

Wie montiert man eine Konstruktion solchen Ausmasses im Tunnel?
Die Montage war eine Herausforderung. Die einzelnen Elemente mussten in einer Grösse gefertigt werden, damit sie sich auf Lastwagen in den Tunnel transportieren und dort mit speziellen Kränen bewegen liessen. Die Arbeitsbühne mussten wir nach der Montage nach und nach durch Unterstellen auf die Arbeitshöhe von über 7 Metern emporpressen. Weil derart wenig Platz vorhanden ist im Tunnel, gab es eine genaue Montageabfolge: Jedes Teil musste exakt am richtigen Platz bereitstehen.

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