15:07 BAUBRANCHE

Tageslicht und Sicht ins Freie: Diese Rechte haben Angestellte

Geschrieben von: Stefan Gyr (stg)
Teaserbild-Quelle: Artistic Operations, Pixabay, Public Domain-ähnlich

An manchen Arbeitsplätzen fehlt es an Tageslicht. Die Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, diese Mängel durch bauliche oder organisatorische Massnahmen auszugleichen. Am Tageslicht-Symposium war auch zu erfahren, wie Architekten die natürliche Beleuchtung in ihre Bauten einbeziehen.

Hochhäuser Verdichtung Tageslicht

Quelle: Artistic Operations, Pixabay, Public Domain-ähnlich

Durch die Verdichtung entstehen immer mehr Arbeitsplätze mit zu wenig Tageslicht und Sichtverbindungen nach aussen.

«Tageslicht und Sicht ins Freie am Arbeitsplatz werden für die Arbeitsinspektorate des Bundes und der Kantone immer mehr zum Thema», sagt Joseph A. Weiss, stellvertretender Leiter der eidgenössischen Arbeitsinspektion im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Der Grund seien bauliche Trends. Durch die Verdichtung würden viele Arbeitsplätze in Untergeschosse oder Grossraumbüros mit grosser Raumtiefe und wenig Tageslicht verlegt. Zudem würden wegen der «Selbstverwirklichungswut einiger Architekten» viele Gebäude mit vorgehängten Fassaden versehen, die oft den Blick ins Freie beeinträchtigen.

An Arbeitsplätzen fehle es deshalb oft an Tageslicht und Blickbezügen nach aussen, so Weiss. Die gesetzlichen Vorgaben für die Tageslichtversorgung und die Sicht ins Freie seien bei den Architekten und Arbeitgebern oft nicht bekannt. Die rechtlichen Grundlagen stellte Weiss am zweiten Schweizer Tageslicht-Symposium vor. Die Fachveranstaltung wurde vom Departement Technik und Architektur der Hochschule Luzern (HSLU) und der Velux Schweiz AG online ausgerichtet. Geleitet wurde sie von Björn Schrader, Dozent im Bereich «Gebäudetechnik – Kunst- und Tageslichttechnik» an der HSLU.

Für den Gesundheitsschutz

Gemäss dem Arbeitsgesetz beziehungsweise der dazugehörigen Verordnung soll in den Arbeitsräumen Tageslicht vorhanden sein und eine künstliche Beleuchtung, die der Art und den Anforderungen der Arbeit angepasste Sehverhältnisse gewährleistet, was die Gleichmässigkeit, Blendung, Lichtfarbe und das Farbspektrum anbelangt. In Arbeitsräumen ohne natürliche Beleuchtung müssen besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen ergriffen werden, damit den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist. Zudem muss von ständigen Arbeitsplätzen aus die Sicht ins Freie vorhanden sein. In Arbeitsräumen ohne Fassadenfenster sind ebenfalls besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen für den Gesundheitsschutz der Angestellten vorgeschrieben.

Ein weiterer Artikel gilt allein für industrielle Betriebe. Danach muss die Fläche aller Fassadenfenster und Dachlichter ein Verhältnis zur Bodenfläche von mindestens eins zu acht aufweisen, wenn normal durchsichtiges Glas verwendet wird. Weiter muss mindestens die Hälfte der vorgeschriebenen Fensterfläche in Form von durchsichtig verglasten Fassadenfenstern ausgeführt werden. Von den Arbeitsplätzen aus ist der Blick ins Freie durch Fassadenfenster zu gewährleisten, soweit es Betriebseinrichtungen und Produktionstechnik gestatten. Die Behörden können geringere Fensterflächen bewilligen, vor allem wenn Gründe der Sicherheit oder der Produktionstechnik es erfordern. Mit der Bewilligung können besondere Auflagen zum Schutz der Arbeitnehmer verbunden werden.

Das Licht beeinflusse nicht nur das Sehen selbst, sondern auch die Aktivität und die Psyche, erklärt das Seco. Damit übe es einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Motivation des Menschen aus. Als bauliche Kompensationsmassnahmen für fehlendes Tageslicht werden in einer Wegleitung zu den Gesetzesvorgaben eine tageslichtähnliche künstliche Beleuchtung des Arbeitsplatzes, die strikte Einhaltung arbeitshygienischer Richt­werte zu Luftvolumen, Raumklima und Lärm sowie Ess- und Aufenthaltsräume mit Tageslicht aufgeführt. Arbeitsplatzrotation zu Plätzen mit hohem Ta­geslichtanteil wird als organisatorische Massnahme vorgeschlagen. Die in fensterlosen Räumen beschäftigten Angestellten sollen dadurch während min­destens der Hälfte ihrer Arbeitszeit eine Tätigkeit an Plätzen mit hohem Tageslichtanteil ausüben können.

Ersatzlösungen möglich

Daneben gibt es Ersatzlösungen für direktes Tageslicht wie Spiegelschacht- und Lichtleitsysteme, wie Weiss weiter erklärt. Adaptive Beleuchtungen gleichen fehlendes Tageslicht durch Zuschalten von künstlichem Licht aus – entsprechend den Lichtverhältnissen eines Tagesverlaufs. Als Kompensationsmassnahmen für fehlende Sichtverbindungen nach aussen nennt die Wegleitung das Freilegen von verdeckten Aussenfenstern, helle Farben der Decken und Wände, Pausenräume mit Blick ins Freie, Arbeitsplatzrotationen und die Möglichkeit, zum Beispiel auf dem Weg zur Toilette Kontaktfenster zur Aussenwelt aufzusuchen. Technische Ersatzlösungen wie Grossbildschirme mit Webcam-Aufnahmen werden laut Weiss «amtlich nicht akzeptiert». Lassen sich mit den baulichen und organisatorischen Kompensationsmassnahmen die Ziele nicht erreichen, hat das Personal Anspruch auf zusätzliche Pausen, die als Arbeitszeit gelten.

Demnächst in die Wegleitung eingebaut werden sollen die Anforderungen der neuen Norm SN EN 17037:2019. Demnach müssen in neuen oder renovierten Gebäuden mit vertikalen oder geneigten Fenstern während der Hälfte der Tageslichtstunden pro Jahr auf 85 Zentimetern über dem Fussboden mindestens 300 Lux in 50 Prozent und 100 Lux in 95 Prozent des Raums erreicht werden. Sind horizontale Oberlichter vorhanden, müssen im Minimum 300 Lux in 95 Prozent des Raums gemessen werden. Denn um Sehaufgaben zu lösen, ist eine Beleuchtungsstärke von mindestens 300 Lux erforderlich. Bei allen Sichtöffnungen muss zudem das Verglasungsmaterial eine Aussicht bieten, die als klar, unverzerrt und neutral gefärbt wahrgenommen wird.

Nach der Meinung des Zürcher Lichtgestalters Christian Vogt zählen aber nicht allein die Lux-Werte. Entscheidend seien auch die Wirkung und Atmosphäre eines Raums. Beim Umbau des Bahnhofs Oerlikon zum Beispiel habe sich die Frage gestellt, wie sich die gestalterische Wirkung der grünen Glasbaldachine bei grauem Himmel oder bei strahlendem Sonnenschein verändert. Das Abwägen zwischen Tages- und Kunstlicht prägt den Arbeitsalltag des Lichtgestalters. Vogt spricht sich dafür aus, zuerst Lösungen mit Tageslicht zu suchen, bevor künstliches Licht eingesetzt wird. Dabei erhellt von oben einströmendes Tageslicht einen Raum um ein Vielfaches intensiver und in einer anderen Farbe als seitlich einfallendes Licht. Vogt setzt auch Lenkungssysteme ein, die Tageslicht ins Gebäudeinnere führen.

Altes Wissen ging verloren

Viel altes Wissen über das Bauen mit Tageslicht sei verloren gegangen, stellt Vogt fest. Heute begegne man zum Beispiel auch bei vielen Architekten oft dem Irrglauben, auf Nordfassaden gelange kein Sonnenlicht. Tatsächlich könne das ganze Sommerhalbjahr die Sonne auf eine nach Norden ausgerichtete Fassaden scheinen – und das bis zu acht Stunden am Tag. Noch vor 100 Jahren seien die Fenster von Sheddächern im Frühling mit Kalkfarbe behandelt worden, damit im Sommer nicht zu viel direkte Sonnenwärme in die Räume gelangen konnte. In den Kellerräumen von Privathäusern sei es für die Planer bis in die 1950er-Jahre selbstverständ­lich gewesen, die Simse unter den oft kleinen Fenstern zum Raum hin abzuschrägen. Die Mehrausbeute an Tageslicht beträgt etwa 300 Prozent gegenüber dem heutigen Standard eines rechtwinkligen Simses. «Dabei wäre ein einfacher Keil beim Betonieren ein sehr günstiges Mittel», so Vogt.

Sunlighthouse Pressbaum bei Wien Tageslicht

Quelle: Velux

Das Sunlighthouse in Pressbaum bei Wien. Eine Reihe von Dachflächenfenstern leiten das Tageslicht von allen Seiten tief in den Wohnraum.

Der österreichische Architekt Juri Troy sieht Tageslicht als Werkstoff, der Materialien und Oberflächen zu besonderer Wirkung verhilft. Für ihn ist der Einbezug des Tageslichts Teil einer ganzheitlichen Architekturauffassung. Das Tageslicht spiele eine massgebliche Rolle, wenn es um die Aufenthaltsqualität in Innenräumen, den Aussenbezug, den Energiehaushalt von Gebäuden und die Lesbarkeit von Oberflächen und Materialien gehe. Sein Büro hat beispielsweise das Sunlighthouse in Pressbaum bei Wien entworfen, das erste CO2-neutrale Einfamilienhaus Österreichs mit überdurchschnittlich hohem Tageslichtanteil. Es entstand im Rahmen des europaweiten Projekts «Model Home 2020», das vom Dachfensterhersteller Velux gestartet wurde. Die Form des Baukörpers wurde von Überlegungen bestimmt, wie sich die Lichtverhältnisse über den Tag und das Jahr verändern. So wird der Dachraum von einer Reihe von Dachflächenfenstern geprägt, die Tageslicht von allen Seiten tief in den Wohnraum leiten.

Haus ohne Heizung und Lüftung

Dass ein Haus ohne Heizung und Lüftung auskommt, beweist der Graubündner Solararchitekt Andrea Rüedi. Bereits 1993 baute er in der Bündner Gemeinde Trin eines der ersten Passivhäuser Europas. Seither erstellte er zahlreiche Wohn- und Geschäftsgebäude, die auf die direkte Nutzung der Sonneneinstrahlung ausgelegt sind. Benötigt werden laut Rüedi bloss grosse Fensterfronten gegen Süden und massive Oberflächen zur Speicherung der gewonnenen Sonnenwärme. Hightech ist einzig die Steuerung des Sonnenschutzes, der das Haus vor Überhitzung schützt. Für die Nachtauskühlung im Sommer sorgt nächtliche Querlüftung. Der verbleibende Energiebedarf, etwa für Warmwasser, kann mit erneuerbaren Energien gedeckt werden, zum Beispiel aus Photovoltaikanlagen.

Licht löse aber nicht nur visuelle, sondern auch nicht-visuelle Reaktionen aus, die für das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen wichtig sind, erklärt Christian Cajochen, Leiter des Zentrums für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Erst 2002 wurden lichtempfindliche Zellen in der Netzhaut des Auges entdeckt, die nicht dem Sehvermögen dienen, sondern direkt mit einem Nervenknäuel im vorderen Hypothalamus des Gehirns verbunden sind. Diese Hirnregion, gerade einmal so gross wie ein Reiskorn, gibt den inneren Uhren aller unserer Körperzellen einen 24-Stunden-Takt vor, den sogenannten circadianen Rhythmus. Geraten diese Zeitmesser aus dem Tritt, können Schlafprobleme, psychische Störungen oder verschiedene Krankheiten die Folge sein.

Licht-Dosimeter entwickelt

Messgeräte zur Erfassung der Lichtexposition einer Person fehlten bisher in der Forschung. Ein interdisziplinäres Team aus Fachleuten der HSLU und externen Experten hat nun in einem dreijährigen Projekt ein sogenanntes Licht-Dosimeter entwickelt: Ein Messgerät, das die Lichtmenge und Zusammensetzung der Wellenlängen über längere Zeiträume aufzeichnet.

Licht-Dosimeter Hochschule Luzern

Quelle: Licht@hslu

Das an der Hochschule Luzern entwickelte Licht-Dosimeter zeichnet die Lichtmenge und Zusammensetzung der Wellenlängen über längere Zeiträume auf.

Es handle sich um eine Art Schrittzähler für Licht, erklärt Janine Stampfli, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HSLU. Das rund 30 Gramm schwere Gerät miss alle zehn Sekunden auf Augenhöhe: Es wird an einer Brille getragen. Eine massgeschneiderte Software wertet die Messdaten aus. Das neue Licht-Dosimeter wurde bereits vom eidgenössischen Institut für Metrologie (Metas) getestet. Man hoffe, es bald in Labor- und Feldversuchen einsetzen zu können, sagt Stampfli. Die Erkenntnisse könnten helfen, in der Gesellschaft das Bewusstsein für den Einfluss von Licht zu schärfen. Tages- und Kunstlicht sollen genutzt werden, um positive Entwicklungen zu unterstützen und negativen vorzubeugen.

Die finanziellen Mittel für das Projekt stellte die Velux-Stiftung bereit. Die gemeinnützige Stiftung fördert Forschungsprojekte, die sich mit Tageslicht-Technologie und der Bedeutung der natürlichen Helligkeit für den Menschen und die Natur auf biologischen und medizinischen Gebieten beschäftigen. Der grösste Teil der Einnahmen des Unternehmens fliesse in Stiftungen, sagt Lone Feifer, Direktorin für Nachhaltigkeit und Architektur bei Velux. Der Gebäude-Designer sei wichtiger für unsere Gesundheit als der Arzt, zitiert sie den Harvard-Professor Joseph G. Allen.

Klimaneutralität als Ziel

Velux gehört auch zu der wachsenden Zahl von Firmen, die sich klimaneutrale Geschäfte zum Ziel gesetzt haben. Der weltweit grösste Dachfensterhersteller bekennt sich nachdrücklich zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutz-Abkommens. Bis 2030 will er ein zu 100 Prozent CO2-neutrales Unternehmen werden und die CO2-Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette auf die Hälfte senken. Dazu will Velux an seinen Produktionsstandorten die Investitionen in Energieeffizienz verstärken und wo immer möglich auf erneuerbare Energien umstellen und zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen nutzen. Zudem sollen die Produkteanforderungen und der Einkauf von Materialien grundlegend geändert werden.

Bis zu seinem 100-jährigen Bestehen im Jahr 2041 will das Unternehmen sogar «lebenslang klimaneutral» werden. Das heisst: Es will bis dahin seine gegenwärtigen und vergangenen CO2-Emissionen wieder einfangen. Insgesamt 5,6 Millionen Tonnen CO2 hat es nach eigenen Angaben seit seiner Gründung ausgestossen.

Eine altbewährte Art, Treibhausgase zu binden, ist der Waldschutz. Mit der Naturschutzorganisation WWF hat Velux eine 20-jährige Partnerschaft für Wald- und Naturprojekte in der ganzen Welt geschlossen. In Uganda zum Beispiel sollen geschädigte Wälder aufgeforstet, Naturwälder geschützt und ausserhalb von Schutzgebieten Nutzholz-Plantagen angelegt werden. In Myanmar werden Stiftungsgelder eingesetzt, um die vielen wichtigen Wildtierkorridore entlang des Singkhon-Passes zu sichern und die einzigartige biologische Vielfalt dieses Gebiets zu erhalten.

Geschrieben von

Ehemaliger Redaktor Baublatt

Stefan Gyr war von April 2015 bis April 2022 als Redaktor für das Baublatt tätig. Seine Spezialgebiete waren politische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen sowie Themen der Raumentwicklung.

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