08:25 BAUBRANCHE

Solothurn: Krampf mit der Steuerreform

Geschrieben von: Stefan Gyr (stg)
Teaserbild-Quelle: RoyBuri, Pixabay, Public Domain-ähnlich

Die Tiefsteuerstrategie erlitt an der Urne Schiffbruch. Jetzt versucht der Kanton Solothurn sein Glück mit einer geringeren Senkung der Unternehmensgewinnsteuern. Eine neue Volksinitiative fordert aber auch eine Entlastung für die unteren und mittleren Einkommen.

Solothurn gehört zu den unattraktivsten Wirtschaftsstandorten in der Schweiz, was die Steuerbelastung angeht. Nur vier Kantone haben einen noch höheren Gewinnsteuersatz. Die Gewinnsteuerbelastung von 21,4 Prozent im Kanton Solothurn liegt um fast vier Prozentpunkte über dem schweizerischen Mittel. Mit einer ehrgeizigen Vorwärtsstrategie wollte Solothurn die eigene Konkurrenzfähigkeit im interkantonalen Steuerwettbewerb erhöhen.

Bei der kantonalen Umsetzung der Steuervorlage 17 sollte der Gewinnsteuersatz von heute 21,4 auf 13,1 Prozent gesenkt werden. Damit wäre Solothurn ins Mittelfeld der Kantone vorgestossen. Doch die Steuervorlage erlitt an der Urne Schiffbruch: Die Solothurner Stimmberechtigten hiessen am gleich Tag die eidgenössische Vorlage zur Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf) mit 58,6 Prozent Ja gut, doch sie verwarfen deren kantonale Umsetzung mit 51,4 Prozent Nein.

Das Resultat war für die Regierung und den Kantonsrat, aber auch für die bürgerlichen Parteien sowie für die mächtigen Wirtschaftsverbände und die Mehrzahl der Gemeindebehörden eine herbe Enttäuschung. Dabei hatten der Regierungsrat und das Parlament ein Paket mit einer Gegenfinanzierung für Steuerausfälle bei den Gemeinden und mit sozial- und bildungspolitischen Massnahmen zum Interessenausgleich geschnürt.

Doch der ursprüngliche «Solothurner Kompromiss» war schon zuvor durch das Ausscheren der Gewerkschaften gescheitert, denen das Steuertreiben zu bunt geworden war. Zudem «waren die Zweifel über die Ausgewogenheit und die Finanzierbarkeit der massiven Absenkung der Gewinnsteuer nicht nur bei Linken, Grünen und Gewerkschaftern verbreitet, sondern erfassten still und leise auch den bürgerlichen Mittelstand und das mittelständische Gewerbe», wie die «Solothurner Zeitung» kommentierte.

Weg von der Tiefsteuerstrategie

Knapp zwei Monate nach dem Volks-Nein legte dieKantonsregierungeine Neuauflage der Steuerreform vor, mit der sie von der Tiefsteuerstrategie abkehrte. Danach sollte die Gewinnsteuerbelastung für juristische Personen von heute 21 auf 16 Prozent gesenkt werden. «Unsere Vorwärtsstrategie fand beim Stimmvolk keine Mehrheit – diesen Volksentscheid nehmen wir sehr ernst und präsentieren eine Lösung mit wirklich markant weniger Mindererträgen», erklärte Finanzdirektor Roland Heim (CVP).

«Wir gehen davon aus, mit dieser Vorlage die Abwanderungsgefahr zumindest zu minimieren», sagte Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss (Grüne). «Der Mut und die Euphorie haben die Regierung verlassen», meinte die «Solothurner Zeitung». Gleichsam über Nacht seien die «standortstrategischen Ziele für einen blühenden Wirtschaftskanton ohne den Schwefelgeruch der Steuerhölle» über Bord geworfen worden.

Denn mit der neuen Steuervorlage konnte Solothurn im Vergleich mit anderen Kantonen nicht mehr punkten. Mit dem angepeilten Gewinnsteuersatz von 16 Prozent hätte sich der Mittelland-Kanton gerade mal um einen Rang verbessert, statt ins Mittelfeld vorzurücken. In der Nordwestschweiz ist Basel-Stadt mit einer massiven Reduktion des Gewinnsteuersatzes auf 13,04 Prozent vorgeprescht.

Im Baselbiet wird eine gestaffelte Steuersenkung von 20,7 auf 13,45 Prozent angestrebt. Einzig im Aargau ist – auch wegen der schwierigen Finanzlage – keine Reduktion der Gewinnsteuern vorgesehen. Der Satz wird dort bei 18,6 Prozent verharren. Gewinne unter 250 000 Franken werden allerdings weiterhin zu 15,1 Prozent besteuert. Der durchschnittliche Steuersatz für juristische Personen in der Schweiz wird ab 2020 bei 14 Prozent liegen.

Kommission greift ein

Die Solothurner Wirtschaft lief Sturm gegen die 16-Prozent-Gewinnsteuer. Damit Solothurn als Wirtschaftsstandort und Werkplatz wettbewerbsfähig bleiben kann, müsse sich der Steuersatz im Bereich von 14 Prozent bewegen, erklärten die Handelskammer und der Gewerbeverband. Derweil verlangte die Linke mehr sozialpolitischen Ausgleich und eine Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen. Und die Gemeinden zeigten schieres Unverständnis für den mutlosen Umsetzungsvorschlag der Regierung für die Unternehmenssteuerreform. Ein neuerlicher Scherbenhaufen drohte.

Doch die Finanzkommission des Kantonsrats nahm an der Regierungsvorlage erhebliche Änderungen vor, die auch bei der Volksabstimmung im kommenden Jahr mehrheitsfähig sein könnten. Demnach soll die Gewinnsteuerbelastung nicht wie von der Regierung vorgeschlagen auf 16 Prozent festgesetzt, sondern bis 2022 schrittweise auf 15 Prozent gesenkt werden. Die vorberatende Kommission will zudem die Steuer für Vermögen von über drei Millionen Franken bloss auf 1,3 statt 1,4 Promille anheben und den Umfang der Ausgleichszahlungen an die Gemeinden um fast 80 auf 196 Millionen Franken erhöhen.

Die Solothurner Handelskammer trägt den Kompromissvorschlag der Finanzkommission mit, obwohl sie weitergehende Forderungen gestellt hatte. Die Lösung entspreche der «aktuellen politischen Realität». Die bürgerlichen Parteien hoffen, «dass Wegzüge in engem Rahmen bleiben». Auf der politischen Gegenseite erklärt die SP, es seien «wichtige Ziele erreicht» worden. Auch der Einwohnergemeindeverband stellte sich hinter den Kommissionsvorschlag.Der Kantonsrat hiess die Ideen der Kommission mit grossem Mehr gut. Das letzte Wort wird dasSolothurner Stimmvolk voraussichtlich am 9. Februar 2020 sprechen.

Mindereinnahmen «verkraftbar»

Die Mindererträge für den Kanton und die Gemeinden sind in den Augen der Finanzkommission «verkraftbar».Die Steuereinbussen des Kantons werden für 2020 auf 41,7 Millionen und für 2022 auf 44 Millionen Franken veranschlagt, die Ausfälle in den Gemeinden auf 15,1 beziehungsweise 15,3 Millionen. In Solothurn hat sich nach der Einschätzung des Finanzdirektors der Staatshaushalt stabilisiert. Allerdings hängt der Kanton nach wie vor am Tropf des eidgenössischen Finanzausgleichs. 371,5 Millionen Franken erhält er 2020 aus dem Ausgleichstopf. Er gehört damit zu den grossen Profiteuren des Finanzausgleichs.

Der Voranschlag 2020 sieht einen Ertragsüberschuss von 17 Millionen vor, wobei die Regierung noch mit einer Gewinnsteuerbelastung von 16 Prozent rechnet. Die Solothurner Gemeinden stehen zu einem grossen Teil finanziell gut da. Acht von zehn Gemeinden haben im vergangenen Jahr Überschüsse erwirtschaftet, zum Teil sehr satte. Die Lage ist laut dem kantonalen Amt für Gemeinden «seit mehreren Jahren anhaltend gut».

Aufhorchen liess die Kommission mit einem dringlichen Auftrag an die Kantonsregierung: Die Exekutive soll «dem Kantonsrat im Jahr 2020 eine Gesetzesvorlage unterbreiten mit dem Ziel, die Steuerbelastung der kleinen und mittleren Einkommen dem Schweizer Mittel anzunähern». Die Entlastungen durch diese weitere Steuerreform sollen insgesamt maximal 20 bis 30 Millionen Franken Mindererträge verursachen.

«Jetz si mir draa»

Mitten in die Diskussion um den zweiten Anlauf für die Unternehmenssteuerreform platzte nämlich ein überparteiliches Komitee mit einer Volksinitiative, die Steuersenkungen für die unteren und mittleren Einkommen fordert – Motto: «Jetz si mir draa». Konkret soll gemäss der Initiative spätestens ab 2023 die Steuerbelastung für alle Steuerpflichtigen auf maximal 120 Prozent des schweizerischen Durchschnitts gesenkt werden. In einem zweiten Schritt soll niemand im Kanton Solothurn mehr Steuern bezahlen müssen als der Schweizer Durchschnitt.

Seit Jahren würden Regierung, Kantonsrat und Parteien aller Couleur wohl das Ziel ausrufen, die überdurchschnittlich hohe Steuerbelastung auch für natürliche Personen zu lindern, doch sie hätten den Worten keine Taten folgen lassen, kritisieren die Initianten. Solothurn gehört nicht nur bei der Gewinnbesteuerung der Unternehmen zu den Hochsteuerkantonen, sondern zählt auch für die natürlichen Personen zu den teuersten Pflastern. Vor allem in den unteren Einkommenskategorien zahlt man zum Teil nirgends so viel Steuern wie im Kanton Solothurn. «Solothurn ist nicht die Steuerhölle für die Unternehmen», schrieb die «Solothurner Zeitung», sondern eben gerade für die Bürgerinnen und Bürger mit mittleren und kleinen Einkommen.»

Geschrieben von

Ehemaliger Redaktor Baublatt

Stefan Gyr war von April 2015 bis April 2022 als Redaktor für das Baublatt tätig. Seine Spezialgebiete waren politische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen sowie Themen der Raumentwicklung.

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