17:06 BAUBRANCHE

Neuartige Analyse von instabilen Berghängen

Teaserbild-Quelle: Christoph Nänni

Die Bewegungs- und Deformationsprozesse instabiler Berghänge sind komplex – und oft nicht genau bekannt. Ein Forschungsteam des hat an drei Orten in Graubünden respektive im Kanton Bern eine neue Analysemethode getestet, die laut SLF das Gefahren-Monitoring entscheidend verbessern könnte. 

Luftbild des Dorfs Brienz/Brinzauls

Quelle: Christoph Nänni

Luftbild des Dorfs Brienz/Brinzauls, Gemeinde Albula/Alvra (GR), im Zentrum mit dem darüber gelegenen instabilen Rutschhang.

Rutschen, kippen, sacken: Die Bewegungs- und Deformationsprozesse instabiler Berghänge sind komplex – und oft  nicht genau bekannt. Ein SLF-Forschungsteam hat am Pizzo Cengalo im Bergell, am „Spitze Stei“ im Berner Oberland und oberhalb von Brienz/Brinzauls eine neuartige Analysemethode getestet. Sie könnte laut SLF das Gefahren-Monitoring entscheidend verbessern. 

Der Pizzo Cengalo im Bergell, der „Spitze Stei“ im Berner Oberland und der Hang ob dem Bündner Dorf Brienz/Brinzauls haben eines gemeinsam: Sie sind seit Jahren in Bewegung und eine Gefahr für Mensch und Infrastruktur. Sie werden darum rund um die Uhr überwacht. Zusätzlich werden die Hänge regelmässig mittels Laserscanner oder vielmehr Lidartechnologie vermessen. Dabei wird die Erdoberfläche auf einem regelmässigen Raster abgetastet und für jeden erfassten Punkt im Gelände die Laufzeit des Laserstrahls in eine Distanz umgerechnet. Aus der Gesamtheit dieser Messpunkte – der sogenannten Punktwolke – lässt sich anschliessend ein Modell der Geländeoberfläche berechnen.

Punktwolken zeigen das Gelände

Werden die zu verschiedenen Zeitpunkten gemessenen Punktwolken einer Software miteinander verglichen, werden Veränderungen im Gelände sichtbar. Dies übernimmt eine Software. Allerdings gibt es verschiedene Methoden, die Punktwolken miteinander zu vergleichen und die Differenzen zwischen ihnen zu berechnen. Je nach Frage, die beantwortet werden soll, wird ein anderer Ansatz gewählt. Das Problem daran: Von den gängigen Methoden bildet keine die Bewegungs- und Deformationsprozesse im Hang ganzheitlich und dreidimensional ab. Sie zeigen zwar, dass sich die Oberfläche verändert hat und mit welcher Geschwindigkeit, aber nicht, wie dies geschieht.

«Eine Aussage darüber zu treffen, wie genau sich die Gesteinsmassen deformieren – ob sie rutschen, sacken, auseinanderreissen oder kippen – und wie diese Prozesse in den unterschiedlichen Bereichen des Hangs zusammenspielen, war bisher oft mit grösseren Unsicherheiten verbunden», wird Robert Kenner in der Medienmitteilung des SLF zitiert, er ist Mitarbeiter der Forschungseinheit Alpine Umwelt und Naturgefahren am SLF. Diese Informationen wären für das Gefahren-Management jedoch sehr wertvoll. Deshalb weckte ein kürzlich am Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich entwickelter Algorithmus zur Analyse von Punktwolken Robert Kenners Interesse.

Lidar-Messung der Hanginstabilität oberhalb des Dorfs Brienz/Brinzauls GR

Quelle: SLF

Lidar-Messung der Hanginstabilität oberhalb des Dorfs Brienz/Brinzauls. Die Farben geben die Deformation des Hangs in Millimetern pro Tag an (5. August 2020 – 30. November 2020).

Mit der neuartigen Methode lässt sich nahezu jedem Punkt ein 3D-Deformationsvektor zuordnen. Man kann also genau sagen, wie die einzelnen Punkte ihre Lage verändert haben und daraus die Deformations- und Bewegungsprozesse in verschiedenen Bereichen des Hangs ableiten. „Das Interessante an diesen 3D-Deformationsvektoren ist ausserdem, dass wir daraus in einigen Fällen die Gleitflächen modellieren können.“ Diejenigen im Untergrund verborgenen Schichten also, auf denen die Erd- und Gesteinsmassen ins Rutschen kommen.

 Kipp-Prozess bei Brienz/Brinzauls und

Den um das Gleitflächenmodell ergänzten Algorithmus haben Kenner und sein Projektteam an den Beispielen Pizzo Cengalo, „Spitze Stei“ und Brienzer Rutsch getestet. Dies mit zum Teil unerwarteten Ergebnissen.

So ist man bei Brienz/Brinzauls, wo sich 1878 ein grosser Bergrutsch ereignet hat, ist man lange davon ausgegangen, dass es sich um einen durchgehenden Rutschprozess handelt. „Im oberen und unteren Teil der Instabilität hat unsere Analyse das Rutschen bestätigt. Dazwischen jedoch konnten wir keine Gleitfläche nachweisen. Stattdessen deuten unsere Daten hier auf einen Kippprozess hin“, so Kenner. Bohrungen, die der Kanton kurz darauf im Gelände machte, bekräftigten die Ergebnisse der SLF-Forscher, dass keine durchgängige Gleitfläche vorhanden ist.

Relative Deformation des Rutschhangs oberhalb Brienz/Brinzauls GR

Quelle: SLF

Relative Deformation des Rutschhangs oberhalb Brienz/Brinzauls: Die roten Zonen deformieren sich besonders stark im Vergleich zum übrigen Hang. Die Pfeile zeigen Grenzen zwischen verschiedenen Hangteilen, die sich unterschiedlich schnell oder in verschiedene Richtungen bewegen (27. September 2019 – 30. November 2020).

Neue Erkenntnisse brachte die Analyse auch für die Situation am „Spitze Stei“ oberhalb vom bei Touristen beliebten Oeschinensee: Hier könnte ebenfalls ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Deformations- und Bewegungsprozesse festgestellt werden. Wie Kenner erklärte, haben die Untersuchungen von ihm und seinen Kollegen gezeigt, dass es in dieser Instabilität gleich zwei verschiedene Gleitflächen gibt. Aus den Bewegungsdaten konnten die Forscher die Form und Lage dieser Gleitflächen teilweise nachmodellieren und so das Volumen der instabilen Gesteinsmasse genauer abschätzen.

Beim Pizzo Cengalo hat die neue Analysemethode das bestehende geologische Modell weitgehend bestätigt: Es findet ein Kippprozess statt – die Scherzonen im Hang konnten exakt nachgewiesen werden.

Neue Methode fürs Gefahren-Monitoring

Die Ergebnisse ihrer Studie waren so überzeugend, dass Robert Kenner und seine Kollegen bereits dabei sind, die neue Methode ins laufende Gefahren-Monitoring-Programm zu integrieren. „Die 3D-Analyse der Punktwolke bringt einen erheblichen Informationsgewinn für das Verständnis von Bewegungs- und Deformationsprozessen in Felshängen, und das wiederum verbessert die Gefahrenbeurteilung entscheidend“, sagt Kenner. Um die Methode und insbesondere das Gleitflächenmodell auch unter anderen Gegebenheiten zu validieren, werden die Forscher diese in naher Zukunft auch an weiteren Standorten testen. (mgt/mai)

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