08:37 BAUBRANCHE

EPFL-Doktorarbeit: Millionen Schweizer Dächer bieten Solarpotenzial

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Mit der Kombination zweier Photovoltaik-Ausbaustrategien könnte mehr als zwei Drittel der Schweizer Städte und Gemeinden energieautark werden. Zu diesem Schluss kommt eine Doktorarbeit an der EPFL, die das Solarpotenzial von Schweizer Dächern untersuchte.

Arbeiter montiert Solarpanels

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Installation von Solarpanels. (Symbolbild)

Im Rahmen seiner Energiestrategie 2050 strebt der Bund einen raschen Ausbau der Solar-Photovoltaik-Anlagen in der Schweiz an. 2035 sollen 35 Terawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) erzeugt werden, im Jahr 2050 sollen es 45 TWh sein. Wie können diese Ziele auf eine Weise erreicht werden, die sowohl effizient als auch für die einzelnen Städte und Gemeinden gerecht ist? 

Es sei allgemein anerkannt, dass die Solarenergie eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Schweizer Energiemixes spielen werde, hielt die ETH Lausanne (EPFL) kürzlich in einer Medienmitteilung dazu fest. Vor diesem Hintergrund ist das Energiepotenzial von Dächern seit längerem auch ein Forschungsthema im Labor für Solarenergie und Bauphysik (LESO-PB) an der EPFL-Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften (ENAC). Im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersuchte Alina Walch dort das Potenzial erneuerbarer Energiesysteme. Dabei verfolgte sie einen interdisziplinären Ansatz, der Big Data mit maschinellem Lernen kombiniert. 

Zusammen mit Martin Rüdisüli, Experte für Energiesystemmodellierung an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf, entwickelte Walch zwei Szenarien wie die Ziele der Energiestrategie 2050 im Zusammenhang mit dem Ausbau der Photovoltaik in der Schweiz erreicht oder gar übertroffen werden können. Darauf verglich sie diese miteinander. «Wir haben die Forschung gemeinsam durchgeführt: Ich brachte meine Kenntnisse in der Modellierung der Photovoltaik ein und Martin Rüdisüli seine Erfahrung in der Bewertung verschiedener Szenarien für den Ausbau dieser Energieform im Rahmen der Energiewende», sagt Walch. 

Grafik Solarpotenzial Schweizer Dächer

Quelle: 2023 EPFL / Alina Walch, Martin Rüdisüli - CC-BY-SA 4.0

Grafik: Lage und Eignung von Dächern zur Erreichung des nächsten PV-Installationsziels nach dem strategischen Ausbau für alle bewohnbaren Flächen in der Schweiz.

Nach Norden ausgerichtete Dächer 

Bevor das Team Prognosen über das Solarstrompotenzial auf Schweizer Dächern im Jahr 2050 erstellen konnte, musste Walch eine Grundlage für ihre Schätzungen schaffen und einige Annahmen treffen. Welche Arten von Dächern sollte sie für ihr Modell berücksichtigen? Sollte sie flexibel vorgehen und auch Dächer mit geringerer Sonneneinstrahlung oder mit Nordausrichtung miteinbeziehen? Zunächst beschloss sie, in ihrer Untersuchung nur Dächer zu berücksichtigen, die ganz oder überwiegend nach Süden angelegt sind. 

«Wir haben dann aber festgestellt, dass auch nach Norden ausgerichtete Dächer mit einem Neigungswinkel von weniger als 20 Grad für hochproduktive Solarstromanlagen in Frage kommen», erklärt Walch. Sie fügte daher auch diese Dächer in ihr Modell ein – und ihre Schätzung des gesamten Solarstrompotenzials der Schweiz stieg um 25 Prozent. «Wir haben das maximale Potenzial aller Schweizer Dächer berechnet», sagt Walch. «Aber angesichts der tickenden Uhr stellt sich eine dringlichere Frage: Welche Strategien sind nötig, um die Ziele des Bundes so schnell wie möglich zu erreichen?» 

Grafik Photovoltaik-Ausbaustrategien

Quelle: 2023 EPFL / Alina Walch, Martin Rüdisüli - CC-BY-SA 4.0

Grafiken zu den beiden untersuchten Strategien. Anzahl der Dächer, die benötigt werden, um ein PV-Ausbauziel zu erreichen.

Strategie 1: Grosse, flache Dächer bevorzugen

Der Schlüssel zu einer effizienten Stromerzeugung liegt laut Walch in der optimalen Nutzung der verfügbaren Dachfläche. Grosse, leicht geneigte Dächer – etwa von Industrie- und Landwirtschaftsgebäuden  – bieten eindeutig das grösste Solarpotenzial. Entscheidend sei dabei aber, dass es auf diesen Dächern nur wenige Oberlichter, Schornsteine und andere Aufbauten gibt und dass die Gebäude selbst in der Regel abseits von bebauten Gebieten liegen, so dass die Solarmodule weniger ins Auge fallen. 

Nach den Berechnungen von Walch würde die Installation von Photovoltaikanlagen von nur vier Prozent dieser Dächer die jährliche Stromerzeugung auf 15 TWh erhöhen. Darüber hinaus würde dieser Ansatz die Anzahl der einzelnen Anlagen auf ein Minimum reduzieren, was sowohl die Kosten als auch die Kohlenstoffemissionen senken würde. Und die Ausstattung von weiteren 2,5 Millionen Dächern mit Solarzellen wäre ein schneller und einfacher Weg, um das Ziel von 45 TWh für 2050 zu erreichen. 

Aber einen Nachteil gibt es: In städtischen Gebieten fehlt es laut Mit-teilung an den notwendigen Dachflächen, um den Strombedarf bei diesem Ansatz zu decken, was bedeutet, dass die Vorteile ungleichmässig verteilt wären. 

Strategie 2: Gleichgewicht der Stromerzeugung 

Walch stellte sich die Frage, wie diese erste Strategie verändert und damit die Solarstromerzeugung regional ausgewogener gestaltet werden könnte. Sie überlegte zum Beispiel, was passieren würde, wenn man auf den Dächern aller Wohngebäude Solarzellen anbrächte. «Wir haben Simulationen durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Strom jeder Bezirk erzeugen müsste, um sich selbst zu versorgen», sagt sie.

 «Ländliche Städte könnten ihren Strombedarf problemlos decken, ohne ihr volles Potenzial ausschöpfen zu müssen. Aber für Städte ist die Selbstversorgung ein fast unmögliches Ziel, so dass es ein Ungleichgewicht gibt, das wir nicht ausgleichen können.» Während diese zweite Strategie den Strombedarf auf regionaler Ebene besser deckte, müssten auf vier Millionen Dächern Solarzellen installiert werden, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen.

Maximale Selbstversorgung 

Angesichts des Klimawandels, der aktuellen geopolitischen Lage und anderer globaler Probleme ist die Energiesicherheit zu einem wichtigen Thema geworden. Walch glaubt, dass die Antwort darin liegt, dass Energie dort produziert wird, wo man sie braucht: «Unsere neueste Analyse zeigt, dass die beste Option ein Kompromiss zwischen den beiden Strategien ist – eine, die das Potenzial sowohl von Industrie- als auch von Hausdächern nutzbar macht.» Der ideale Ansatz bestehe darin, zunächst die grössten Dächer in jeder Stadt mit Solarzellen zu bestücken, bis die Ziele erreicht seien. «Sobald der Energiebedarf einer Stadt durch erneuerbare Energien gedeckt ist, sollten neue Anlagen nur noch begrenzt möglich sein.» 

Autor: Sandy Evangelista, EPFL-Wissenschaftsredaktorin / Bearbeitung Redaktion: pb. Dieser Artikel erschien zuvor bei den EPFL-News. 

Literaturhinweis

Das Paper zur Forschungsarbeit wurde bereits 2019 im «Journal of Physics» publiziert. 

A critical comparison of methods to estimate solar rooftop photovoltaic potential in Switzerland
Alina Walch, Nahid Mohajeri and Jean-Louis Scartezzini

https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1742-6596/1343/1/012035/meta

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