10:19 BAUBRANCHE

Berner Verein rettet bedrohte Architektur-Schätze

Geschrieben von: Stefan Gyr (stg)
Teaserbild-Quelle: Architektur Archive Bern

Immer wieder enden Nachlässe von bedeutenden Architekten des 20. Jahrhunderts als Abfall. Der Verein Architektur Archive Bern rettet Werkbestände von Baukünstlern aus dem Raum Bern-Mittelland. Er sichtet und bewertet die Dokumente, bevor er sie an geeignete Archive vermittelt.

Entwurf für ein mondänes Haus im Berner Oberland

Quelle: Architektur Archive Bern

Entwurf für ein mondänes Haus im Berner Oberland, gezeichnet vom Architekten Ernst E. Anderegg.

Er war ein Schüler der amerikanischen Architekturlegende Frank Lloyd Wright. Doch er erlangte nie die Berühmtheit seines Lehrers oder schweizerischer Architekturgrössen wie Le Corbusier oder Otto Rudolf Salvisberg. Dabei setzte Ernst E. Anderegg schon mit seinen ersten Bauwerken in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren neue Massstäbe für Bauten im alpinen Raum.

Er verband das traditionelle Haslihaus mit Grundzügen des Präriehauses von Wright zu einer zeitgemäss modernen Form und fügte die Gebäude harmonisch in die Landschaft ein. Zu seinen späten Hauptwerken nach 1980 gehören die Bauten auf dem Jungfraujoch und jene für das Freilichtmuseum Ballenberg.

Viele seiner Entwürfe, zum Beispiel die Skizze eines mondänen Hauses im Berner Oberland, wären um ein Haar in der Abfalltonne verschwunden. Der Verein Architektur Archive Bern hat den Nachlass von Ernst E. Anderegg gerettet. Nach einer langen Vorgeschichte konnte er die Werkbestände an das Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (GTA) an der ETH Zürich vermitteln.

Zwischen Stuhl und Bank

Der Verein ist aus einer Arbeitsgruppe des Bundes Schweizer Architekten (BSA) hervorgegangen, genauer: der BSA-Ortsgruppe Bern Solothurn Freiburg Oberwallis. Er zählt heute rund 40 Mitglieder, zumeist Architekten. Als Präsidentin amtet Nina Mekacher, stellvertretende Leiterin der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur. Zu den treibenden Kräften zählt auch der Architekturhistoriker Daniel Wolf.

Um die Werke von Baukünstlern nationalen oder internationalen Rangs kümmern sich die ETH in Zürich und die EPFL in Lausanne. Die Nachlässe von Le Corbusier oder von Otto Rudolf Salvisberg zum Beispiel werden im GTA-Archiv der ETH Zürich aufbewahrt. Zwischen Stuhl und Bank drohen hingegen jene Architekten zu fallen, die von lokaler, regionaler oder kantonaler Bedeutung sind.

«Wichtiges Kulturgut verloren»

«Immer wieder landen Nachlässe von wichtigen Architektinnen und Architekten des 20. Jahrhunderts in der Schuttmulde», schreibt der Verein Architektur Archive Bern auf seiner Webseite. Oft würden Planunterlagen, Entwürfe, Bauakten oder Fotos einfach entsorgt, zumeist dann, wenn Architekten sterben oder ihre Büros an Nachfolger übergeben. «Ihr Wert wurde nicht erkannt. Wichtiges Kulturgut ging verloren.»

Dagegen kämpfe der Verein Architektur Archive Bern an. Er rette Archive und Nachlässe von bedeutenden Architekten, Ingenieurinnen, Landschaftsarchitekten und weiteren Bauschaffenden des 20. Jahrhunderts, die aus dem Raum Bern-Mittelland stammen und in aller Welt tätig waren. Diese Archive umfassen Pläne, Zeichnungen, Entwürfe, Skizzen und Lichtpausen auf Papier, Bauakten, Korrespondenz und Tagebücher, Fotografien, Negative und Dias sowie Modelle und digitale Daten.

Um dieses Material langfristig zu sichern, arbeitet der Verein mit öffentlichen und privaten Archiven im Kanton Bern und in angrenzenden Regionen zusammen. Er will dabei nach eigenen Angaben «eine Brücke zwischen den Baufachleuten und den Archiven herstellen». Nach einer Sichtung und Bewertung vermittelt er die Dokumente an das geeignete Archiv, das die dauerhafte Aufbewahrung und Erschliessung übernimmt.

Vertreter der Nachkriegsmoderne

Obwohl der Verein erst im Februar 2019 ins Leben gerufen wurde, konnte er bereits mehrere Erfolge verbuchen. So gelangte ein namhafter Teilbestand des Werknachlasses von Edwin Rausser in die Burgerbibliothek Bern. Rausser war ein Vertreter der Nachkriegsmoderne. Eines seiner Hauptwerke ist das 1969 bis 1970 erbaute Verbandsgebäude des Fleckviehzuchtverbands in Zollikofen.

Markante Solitärbauten wie die Kirchen Bichelsee und Urtenen kennzeichnen sein Werk ebenso wie interpretierendes Weiterbauen im historischen Bestand, etwa mit der Neukonzeption der Anstalt St. Johannsen in Gals oder den Umbauten der Schlösser Sumiswald und Bümpliz. Für die UNO entwarf Rausser modulare Ergänzungsbauten in der Altstadt der jemenitischen Hauptstadt Saana, die allerdings Papier blieben.

Dem Berner Staatsarchiv konnte der Verein Werkbestände von Max Egger übergeben. Egger wirkte von 1928 bis 1950 als Berner Kantonsbaumeister. In seine Amtszeit fallen zahlreiche Renovationen von bernischen Staatsbauten, vor allem die prägende Erneuerung des Berner Rathauses.

An das Stadtarchiv Bern ging ein Teil des Werknachlasses der Architekten Haltmeyer + Flückiger. Hans Haltmeyer und Peter Flückiger wurden in Bern ab Mitte der 70er-Jahre vor allem mit Umbauten und Restaurierungen bekannt, beispielsweise mit den denkmalpflegerisch begleiteten Sanierungen des Kornhauses, der Französischen Kirche und des Rathauses. Das Stadtarchiv Bern übernahm auch die Werke von Frank Geiser, der zu den bedeutendsten Vertretern des Schweizer Stahlbaus zählt.

Skizze Zentrale Handeck der Kraftwerke Oberhasli

Quelle: Architektur Archive Bern

Skizze von Jacques Wipf: Zentrale Handeck der Kraftwerke Oberhasli.

Gesicht von Thun geprägt

Für den umfangreichen Büronachlass von Jacques Wipf und seines Nachfolgers Karl Müller-Wipf ist eine Übergabe an das Stadtarchiv Thun vorgesehen. Wipf war ab 1925 als Hausarchitekt der Kraftwerke Oberhasli tätig und gestaltete die verstreut liegenden Bauwerke mit charakteristischem Granitmauerwerk als Teil einer Gesamtanlage. Viele von ihm entworfene Wohn- und Geschäftshäuser in der Region Thun sind einem moderaten Heimatstil verpflichtet.

Karl Müller-Wipf übernahm 1947 das Büro seines Schwiegervaters Jacques Wipf. Er gehörte zu den wichtigsten Thuner Architekten des 20. Jahrhunderts. Mit seinen zurückhaltend eleganten und unaufgeregten Bauten prägte er das Gesicht der Stadt zwischen früher Nachkriegszeit und Hochkonjunktur massgeblich mit. Zu seinen Thuner Hauptwerken zählen die Sekundarschule Länggasse und das Kantonalbank-Gebäude am Maulbeerplatz.

Projekt von Karl Müller-Wipf

Quelle: Architektur Archive Bern

Projekt von Karl Müller-Wipf, einem der wichtigsten Thuner Architekten des 20. Jahrhunderts.

Ebenfalls an das Stadtarchiv Thun vermittelte der Verein den Nachlass der Architekten-Dynastie Lanzrein, die unter anderem die Bauten des Selve-Industrieareals prägte. In der Region Biel hat er sich beispielsweise der Bestände von Otto Suri, Alain Tschumi und der Gebrüder Bernasconi angenommen. Die Gebrüder Bernasconi bauten in Biel etwa das Sporting-Gebäude am Neumarktplatz, einen wichtigen Zeugen der Baukultur der 50er-Jahre.

Der Weg in die alpine Moderne

Gegenwärtig ist es vor allem der umfangreiche Nachlass des Architekturbüros Urfer & Stähli aus Interlaken, der den Verein Architektur Archive Bern in Atem hält. Alfred Urfer und Walter Stähli erbauten zwischen 1910 und 1950 im Berner Oberland gepflegte Heimatstilvillen und Geschäftshäuser, vor allem aber zahlreiche Hotelbauten. Ihre Bauten zeichnen den Weg von der Reformarchitektur in die alpine Moderne nach, die vom Bauhaus beeinflusst wurde. Als Hauptwerke gelten die Strandbäder in Interlaken und Wengen sowie das Parkhotel Bellevue in Adelboden. Der radikal moderne Hotelbau in der Nachbarschaft konventioneller Holzchalets löste damals Kontroversen aus, doch er prägt Adelboden.

Auf die Planbestände von Urfer & Stähli stiess der Verein im Wohn- und Geschäftshaus des langjährigen Mitarbeiters und Büronachfolgers Karl Ryser. Nach dem Tod von Ryser musste das Gebäude geräumt werden. In jedem der drei Stockwerke und in der Dachwohnung war je ein ganzer Raum gefüllt mit Kisten, Kartons und Müllsäcken voll alter Pläne, Zeichnungen, Skizzenbüchern, Fotografien und Aktenordnern, wie die Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete.

Das ganze Archivmaterial wurde in einer nahe gelegenen Zivilschutzanlage zwischengelagert, bevor es in einen gemieteten Raum in Bern verfrachtet wurde. Dort sichtet und bewertet der Verein im Auftrag des Staatsarchivs Bern die Pläne und Aktenberge. Das Staatsarchiv Bern wird später den Nachlass übernehmen und Interessierten, vorab der Forschung, zur Verfügung stellen.

Ehrenamtliche Arbeit

Für die Kosten des Vereins Architektur Archive Bern kam bislang die BSA-Ortsgruppe Bern Solothurn Freiburg Oberwallis auf. Das heisst: Die Mitglieder trugen den Verein mit ihren Beiträgen. Es konnten aber keine Vergütungen an den Vorstand oder den wissenschaftlichen Beirat bezahlt werden. Allein 2019 leisteten Vorstand und Beirat über 650 Stunden unentgeltlicher Arbeit, wie im Jahresbericht zu lesen ist. Um weiterwachsen und die Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können, müsse der Verein dringend neue Finanzierungsquellen erschliessen, heisst es weiter. Geplant ist ein Fundraising, um die Einnahmen zu steigern.

Denn der Verein will seine Tätigkeit ausbauen. Zum einen soll ein Zwischenlager entstehen, um akut bedrohten Beständen ein «temporäres Asyl» bieten zu können. «Schlecht konservierte Archivalien sind kaum vermittelbar», erklärt der Verein. Er sucht derzeit nach geeigneten Räumlichkeiten, die ebenerdig zugänglich und mit Tageslicht versorgt sind.

Zum anderen will der Verein seine Webseite www.aa-b.ch zu einer Dokumentationsstelle ausbauen, die nicht nur aufzeigt, welche Nachlässe wohin vermittelt werden konnten, sondern auch Möglichkeiten bietet, Bestände in Bild und Wort zu erschliessen. Zudem schweben ihm Ausstellungen und Publikationen über die an Archive vermittelten Dokumente vor.

Geschrieben von

Ehemaliger Redaktor Baublatt

Stefan Gyr war von April 2015 bis April 2022 als Redaktor für das Baublatt tätig. Seine Spezialgebiete waren politische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen sowie Themen der Raumentwicklung.

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