10:14 BAUBRANCHE

Atomendlager in Stadel: 68 Prozent der Betroffenen akzeptieren Tiefenlager

Teaserbild-Quelle: Nagra

Eine Umfrage der Nagra hat ergeben, dass eine deutliche Mehrheit der Einwohner das Tiefenlager in Stadel ZH akzeptiert. In der betroffenen Standortregion Nördlich Lägern zeigten sich 68 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Lager. 

Visualisierung Oberflächenanlage beim Habertal

Quelle: Nagra

Visualisierung der Oberflächenanlage: Unter dem Haberstal in der Zürcher Gemeinde Stadel soll das Tiefenlager für Atommüll gebaut werden.

Schweizweit liegt die Bereitschaft, ein Lager am eigenen Wohnort zu dulden, leicht tiefer: 66 Prozent würden dies gemäss der am Dienstag von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) vorgestellten Umfrage hinnehmen. 

60 Prozent der 1006 schweizweit befragten Personen finden, die betroffene Region Nördlich Lägern im Zürcher Unterland habe die Solidarität der Schweiz verdient, wie die Nagra am Dienstag mitteilte. 

71 Prozent finden auch eine finanzielle Kompensation für die Region in Ordnung, solange diese nicht «übertrieben» ausfällt. Das zeige, dass die Mehrheit anerkenne, welchen Beitrag die Region zur Lösung einer nationalen Aufgabe leiste, heisst es von der Nagra. 

In der Region selber, in der zusätzlich 800 Personen befragt wurden, fühlen sich 17 Prozent von den Behörden zu wenig ernst genommen. Sie fordern mehr Transparenz und zusätzliche Informationen. Die Nagra eröffnet darum nun ein Büro in Stadel, um den Austausch mit der Bevölkerung zu verbessern. 

Befragte rechnen mit Unruhen 

Bedenken haben die Bewohner der Region wegen möglicher finanziellen Folgen. 53 Prozenten befürchten, dass Liegenschaften an Wert verlieren und die Region für Neuzuzüger weniger attraktiv wird. 

So soll das Tiefenlager dereinst aussehen. (Video: Nagra)

In der Umfrage zeigte sich auch, dass ein grosser Teil soziale Spannungen erwartet (73 Prozent der Befragten). Die Befragten könnten sich auch vorstellen, dass es zu Unruhen durch Proteste oder Chaoten kommen könnte (68 Prozent). «Man sieht im Thema durchaus ein Konfliktpotenzial und nimmt ein gewisses Brodeln wahr», heisst es im Schlussbericht zur Umfrage. 

Eine Mehrheit aus der Region stimmte allerdings auch der Frage nach positiven Folgen zu, etwa steigende Einnahmen für die Gemeinden und neue Arbeitsplätze (84 und 79 Prozent). Fast einig sind sich die Befragten, dass die Schweiz ihren selber produzierten Atommüll hier endlagern muss. Beinahe 90 Prozent stimmten dieser Aussage zu. 

Vertrauen in technische Lösung 

Gefragt wurde in der Umfrage weiter, ob die Schweiz eine Lösung für das Atommüllproblem findet. 71 Prozent schätzten dies technisch als machbar ein, 61 Prozent politisch. Insgesamt wussten jüngere Befragte weniger Bescheid über die Diskussion um ein Tiefenlager. 

Die Umfrage hat das Forschungsinstitut GFS Bern durchgeführt. Der Standort Nördlich Lägern war einer von drei möglichen Orten für das Tiefenlager. Der Entscheid im Jahr 2022 kam eher überraschend, lange galt das Zürcher Weinland als sicherster Ort für den Atommüll. (sda)

Standortvorschlag Atommüllendlager Nagra

Quelle: Nagra

Der Standortvorschlag: Nördlich Lägern, das Gebiet bei der zürcherischen Gemeinde Stadel, sei der beste Standort mit der grössten Sicherheitsreserve.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Atommüll-Endlager

Seit September 2022 ist bekannt, dass das Atommüll-Endlager in der Zürcher Gemeinde Stadel gebohrt werden soll, genauer im Haberstal. Was seither passiert ist:

Wie reagierte die lokale Bevölkerung?

Der Standortentscheid der Nagra war für die Bevölkerung ein Schock. Angst und Skepsis wich bei vielen aber rasch einer pragmatischen Haltung. Ausschlaggebend sei die Sicherheit des Tiefenlagers, und irgendwo müsse der Abfall schliesslich hin. Die Gemeinden Stadel, Weiach und Glattfelden versuchen inzwischen, das Beste aus der Situation zu machen.

Obwohl ein Teil der Bevölkerung nach wie vor das Lager ablehnt, gibt es kaum öffentlichen Protest. Deutlich empörter klingen die Einwohnerinnen und Einwohner des deutschen Hohentengen, das nur drei Kilometer Luftlinie entfernt liegt. Schon wieder werde ein Schweizer Problem an die Grenze verlagert.

Sind die Immobilienpreise eingebrochen?

Nach dem Standortentscheid war in Stadel kurzzeitig ein kleiner Immobilien-Knick zu beobachten. Vor allem Einfamilienhäuser kamen vermehrt auf dem Markt. Die Situation stabilisierte sich jedoch rasch. Für eine abschliessende Analyse ist es derzeit noch zu früh. Immobilienexperten rechneten nach dem Standortentscheid mit einer längerfristigen Wertminderung von bis zu zehn Prozent.

Hat das Endlager auch positive Effekte?

Das geplante Endlager könnte in der Region auch zu einer positiven Entwicklung führen. Dies nicht zuletzt wegen der Abgeltungen, die an Gemeinden und Kantone gezahlt werden. Die Kernkraftwerkbetreiber, die dafür aufkommen müssen, rechnen gemäss einer ersten Studie mit einem Betrag von 800 Millionen Franken. Im Dezember sollen die Verhandlungen dafür beginnen. Für mehrere Jahre dürfte das Endlager zudem die grösste Baustelle des Landes werden, mit entsprechend vielen Arbeitsplätzen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Nagra bereitet derzeit die Rahmenbewilligungsgesuche vor, die sie bis Ende 2024 beim Bund einreichen will. Ab 2029 werden Bundesrat und Parlament darüber entscheiden. Kommt ein Referendum zustande, wird das Volk darüber abstimmen. Der Baustart ist für

2045 vorgesehen. Etwa im Jahr 2050 sollen dann erste schwach- und mittelaktive Abfälle eingelagert werden. Der Bereich für hochaktive Abfälle soll um etwa 2060 in Betrieb genommen werden.

Wie lange dauerte die Suche nach einem Standort?

Fast 50 Jahre suchte die Nagra nach einem geeigneten Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle. Dabei gab es zuletzt drei potenzielle Standorte: Nördlich Lägern, die Region Zürcher Weinland und die Region Jura Ost im Aargau (Bözberg). Nördlich Lägern war vorübergehend aus dem Rennen gefallen, wurde aber dann wieder als möglicher Standort ins Auge gefasst und schliesslich ausgewählt.

Wo lagert der Schweizer Atommüll heute?

Der bisher angefallene Atommüll liegt derzeit noch in Hallen an der Erdoberfläche - bei den Kernkraftwerken selber und in zwei Zwischenlagern im Kanton Aargau. 

Weshalb braucht es ein Tiefenlager?

Atommüll entsteht bei der Stromproduktion in Atomkraftwerken, aber auch in Medizin, Forschung und Industrie. An der Erdoberfläche sollten hochradioaktive Abfälle nicht gelagert werden, weil niemand weiss, wie sich Gesellschaft und Erdoberfläche in den kommenden Jahrtausenden verändern werden, etwa was Kriege oder die Klimaerwärmung betrifft. Als sicherste Lösung gilt das Einlagern in mehreren hundert Metern Tiefe. In der Schweiz eignen sich dafür Gesteinsschichten aus Opalinuston, einem grauschwarzen Schieferton.

Was genau soll im Boden gelagert werden?

Eingelagert werden sollen vor allem hochradioaktive Brennelemente aus AKW. Dazu kommen schwach- und mittelradioaktive Abfälle wie kontaminierte Schutzkleidung, Rohre und Isolationsmaterial der AKW, sowie Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie. Der Bund rechnet damit, dass bis 2075 ein Volumen von rund 90'000 Kubikmetern anfällt.

Wie lange soll dieses Lager in Betrieb sein?

Ein Tiefenlager muss die Abfälle für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren einschliessen, bis sie zur Unschädlichkeit zerfallen sind. Plutonium-239 beispielsweise, das für den Bau von Atomwaffen genutzt wird, braucht mehr als 24'000 Jahre, bis die Hälfte der Atomkerne zerfallen ist (Halbwertszeit). (sda)

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