Römisches Strassennetz war weit grösser als gedacht
Das römische Reich erstreckte sich über drei Kontinente. Dabei war das Strassennetz wesentlich grösser als bisher vermutet. Das zeigt eine im Fachmagazin «Scientific Data» veröffentlichte Studie. Eine digitale Karte gibt zudem Einblick in die einstige Infrastruktur.
Quelle: Gemeinfrei
Die Via Appia in Rom, wie man sie sich Ende des 19. Jahrhunderts vorstellte. (Aus: Strafforello Gustavo, La patria, geografia dell’Italia. Provincia di Roma. Unione Tipografico-Editrice, Torino, 1894)
Die Studie zeigt: Das Strassennetz des Römischen Reichs war rund 100'000 Kilometer länger als bislang vermutet. Auf dem Höhepunkt seiner Macht, vor grob 2000 Jahren, verbanden diese Strassen ein Imperium, das sich über drei Kontinente erstreckte und mehr als 55 Millionen Einwohner enthielt.
Auf der Webseite itiner-e.org gibt es eine hochauflösende Karte, die das römische Strassennetz nachzeichnet – auch in der Schweiz, etwa bei Vindonissa oder Turicum. Die Karte sei wesentlich präziser als bisherige Messungen, schreibt das Team um Studienautor Tom Brughmans von der dänischen Universität Aarhus: «Wir präsentieren den detailliertesten und grössten offenen digitalen Datensatz zu Strassen im gesamten Römischen Reich.»
Das internationale Team untersuchte dafür Daten aus etwa 40 Ländern. «Die daraus resultierende Karte umfasst insgesamt 299'171,31 Kilometer Strassen auf einem Gebiet von etwa 4 Millionen Quadratkilometern», heisst es.
Routen wurden angepasst
Strassen waren bereits damals von enormer Bedeutung und bildeten ein Fundament der römischen Macht: Sie verbanden Provinzen vom Atlantik bis zum Euphrat und ermöglichten schnelle Truppenbewegungen ebenso wie den Austausch von Gütern und Ideen.
Einige davon – darunter die Via Appia in Rom oder die Via Egnatia durch Griechenland und den Balkan – sind bis heute sichtbar oder bilden teilweise sogar die Basis für moderne Verkehrsachsen. Trotzdem war das Strassennetz im Römischen Reich bisher eher fragmentarisch erfasst.
Die neue Karte zeigt nun das rekonstruierte Strassennetz für Italien, Nordafrika, Vorderasien oder Germanien. Die Hauptstrassen – sogenannte viae publicae – machen etwa 34 Prozent aus, also rund 100'000 Kilometer. Nebenstrassen stellen knapp zwei Drittel, etwa 195'000 Kilometer.
Dass nun deutlich mehr Kilometer gezählt wurden als in älteren Untersuchungen, begründen die Forschenden so: «Vor allem wurden die Routen an die geografische Realität angepasst.» Um beispielsweise einen Berg zu überqueren, folgen die Strassen nun eher einer kurvenreichen Passstrasse als einer direkten Linie.
Quelle: Screenshot
Auf der Webseite itiner-e.org gibt es eine hochauflösende Karte zum römischen Strassennetz.
Rekonstruktion schwierig
Doch wie findet man heraus, wo Strassen vor etwa 2000 Jahren entlangliefen? Um dies zu klären, sichtete das Team zunächst die entsprechende Literatur und identifizierte Strassen anhand von historischen und archäologischen Quellen, Ortsverzeichnissen und anderen Landmarken wie Flüssen und Siedlungen.
Anschliessend konzentrierte es sich auf moderne Luft- und Satellitenbilder, um den möglichen Verlauf der Strassen besser zu rekonstruieren und dabei auch die jeweilige Landschaftsform zu berücksichtigen. Im letzten Schritt wurden die Daten dann digitalisiert.
«In vielen Regionen wie Norditalien oder Tunesien sind die römischen Landaufteilungen, zu denen auch der Bau von Strassen gehört, oft im modernen Strassennetz erhalten geblieben», schreibt die Gruppe. Vor allem kleinere Strassen sind hier wichtige Indizien für alte Römerstrassen. Moderne Autobahnen und Schnellstrassen würden dagegen eher selten mit historischen Strassen übereinstimmen.
Dennoch war es schwer, den genauen Verlauf der Strassen zu rekonstruieren: Bei der überwiegenden Mehrheit, rund 90 Prozent der Strecken, ist der Verlauf nicht genau bekannt, bei rund 7 Prozent handelt es sich sogar nur um Vermutungen.
Aus Strassennetz lassen sich Informationen ableiten
Wirklich sicher sind sich die Forschenden nur bei knapp 3 Prozent. Ein wichtiger Fakt, den das Team auch in der nun veröffentlichten Karte transparent macht: «Wir wissen, dass alle in unserer Karte enthaltenen Strassen zu irgendeinem Zeitpunkt während der Römerzeit genutzt wurden, aber ihre genaue Lage ist nicht sicher», heisst es.
«Eine grosse Herausforderung ist das Fehlen chronologischer Belege für die Entstehung und Veränderung von Strassen. Wir wissen, dass Verkehrsnetze organisch wachsen, neue Strassen auf alten Strassen gebaut werden, sie ihre Funktion ändern und manche auch irgendwann nicht mehr genutzt werden.»
Detaillierte zeitliche Belege für Bau, Nutzung und Wandel von Strassen lagen demnach nur für wenige Fälle vor. «Eine evidenzbasierte Rekonstruktion der Veränderungen des Strassennetzes während der gesamten Römerzeit auf Reichsebene ist derzeit nicht möglich», schreibt die Gruppe.
Hier sehen die Wissenschaftler Potenzial für weitere Forschung, denn aus dem Verlauf der Strassennetze lassen sich viele andere Informationen herauslesen. Zum Beispiel zur Verbreitung von Krankheiten entlang von Handelsrouten oder wirtschaftlichen Netzwerken. Und auch die moderne Verkehrsplanung kann profitieren: Vergleiche zwischen antiken Passstrassen und heutigen Trassen zeigen oft erstaunliche Übereinstimmungen bei optimalen Geländeverläufen durch Gebirge oder Flusstäler. (sda dpa / pb)
Zur digitalen Karte des römischen Strassennetzes: itiner-e.org
Zur Studie: www.nature.com