10:25 BAUPROJEKTE

Einhausung Schwamendingen: Mehr als blosser Lärmschutz

Geschrieben von: Corinne Pitsch-Obrecht (cpo)
Teaserbild-Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Nach sechs Jahren Bauarbeiten und insgesamt über 25 Jahren Planung ist das Jahrhundertprojekt «Einhausung» Realität: Die Autobahn A1 in Schwamendingen wurde nicht nur mit einer simplen Überdachung versehen, sondern vielmehr mit einer ausgeklügelten Einhausung, auf welcher ein Park für die Quartierbevölkerung entstanden ist. Am Wochenende wurde das vollendete Projekt nun eröffnet.

940 Meter. So lang ist die erste Einhausung der Schweiz. 940 Meter, für welche die Anwohner lange kämpfen mussten: Mehr als 25 Jahre nachdem die Quartierbewohnerinnen und Bewohner ihre Volksinitiative mit der Forderung nach einer Überdeckung der Autobahn eingereicht haben, wurde diese nun am 9. Mai 2025 feierlich eröffnet. Das Megaprojekt war ein Schulterschluss und dies nicht nur auf politischer Ebene: insbesondere die Quartierbewohner tragen einen grossen Mitverdient daran, dass die Einhausung der Autobahn erfolgreich realisiert werden konnte. Waren es doch sie, welche jahrelang dafür kämpften, dass sich etwas ändert. 

Engagement von links bis rechts für die Einhausung und gegen Abgase und Lärm

Die Diskussionen um die Einhausung sind so alt wie die Autobahn selbst. Seit die Autobahn 1980 eröffnet wurde, regte sich Widerstand gegen den immer stärker zunehmenden Verkehr, die Abgase und den Lärm. Über 120'000 Fahrzeuge brettern tagtäglich durchs Quartier, dreimal mehr als beim berühmt-berüchtigten Osterstau am Gotthard. Eine Belastung sondergleichen für alle Anwohner. Bei der Eröffnung der Autobahn war der Bevölkerung zwar eine Kanalisierung des Verkehrs versprochen worden, ebenso wie «ästhetisch gefällig gestaltete» Lärmschutzwände, wie es im soeben erschienen Taschenbuch zum Überlandpark nachzulesen ist (siehe Infobox).

Es kam jedoch anders als erhofft und so wurden die Schwamendinger selbst aktiv. In den folgenden Jahren gab es verschiedene Versuche, die lärmige Autobahn-Problematik anzugehen. So hatte beispielsweise der Architekt Pierre Zoelly die Idee gehabt, die Schnellstrasse (welche bereits vor der Autobahn existiert hatte), mit Gewerbe- und Wohnbauten zu überbauen. 1991 schliesslich reichte der Kantonsrat Peter Roth ein Postulat ein mit der Forderung, die Autobahn mit einem «Glashaus» zu ummanteln. Diese Idee wurde jedoch sowohl vom Kantonsrat wie auch von der Stadt abgelehnt. Das Projekt war städtebaulich sehr umstritten, finanziell nicht realisierbar und wurde nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Stattdessen schlug der Stadtrat vor, entlang der Autobahn drei Meter hohe Lärmschutzwände aufzubauen. 

Für die Schwamendinger war dies lediglich ein Tropfen auf dem heissen Stein. Sie organisierten sich und gründeten 1997 den Verein «Einhausung Autobahn Schwamendingen». Ziel des Vereins sollte es sein, eine Volksinitiative zu lancieren, welche von sämtlichen Seiten abgestützt werden würde. Von links bis rechts, von Mietern und Hausbesitzern, Investoren und Genossenschaften: Der Verein schaffte es, alle betroffenen Parteien ins Boot zu holen und die Volksinitiative im März 1999 bei der Staatskanzlei einzureichen. Niemand konnte zu jenem Zeitpunkt ahnen, dass es ein Vierteljahrhundert dauern würde, bis das Grossprojekt endlich vollendet sein würde. 2001 gründeten die Schwamendinger Baugenossenschaften zudem zusammen den Verein «IG pro zürich 12». Der Verein besteht aus 15 gemeinnützigen Wohnbauträgern, welche insgesamt über ein Wohnungsvolumen von über 5'200 Wohnungen im Quartier verfügen. Zusammen mit dem Verein für die Einhausung leisteten sie essenzielle Arbeit und wurden nicht müde, bei den unterschiedlichen politischen Ebenen für ihr Projekt zu kämpfen.
«Deckel drauf» 

Massgabend für künftige Infrastrukturprojekte


Gruppenbild mit Carmen Walker-Späh, Jürg Rüegger, Albert Rösti und Simone Brander

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Ein grosser Tag für Alle: Regierungsrätin Carmen Walker-Späh, Stadtpräsidentin Corine Mauch, Vereinspräsident Jürg Rüegger («Einhausung Autobahn Schwamendingen»), Bundesrat Albert Rösti, Stadträtin Simone Brander und Vereinspräsident Thomas Lohmann («IG pro zürich 12») (v.l.n.r.)

Am letzten Freitag schliesslich konnte die Einhausung endlich eröffnet werden. Bei einem feierlichen Anlass vor Medienvertretern wurde das Projekt vorgestellt und eingeweiht, bevor es dann am Samstag der Öffentlichkeit übergeben wurde. Bundesrat und UVEK-Vorsteher Albert Rösti war ebenfalls vor Ort dabei und erklärte, dass das Projekt massgebend sei für künftige Infrastrukturprojekte in der Schweiz; aufgrund der gesteigerten Mobilität im Land würden wohl weitere Verkehrsknotenpunkte folgen müssen.

Regierungsrätin Carmen Walker-Späh fügte in ihrer Ansprache an, dass der «Deckel» den Charakter des Quartiers sofort verändern werde. Als Analogie gab sie den High-Line-Park in Manhattan an, welcher heute ein Touristenmagnet ist und für viel «Grossstadt-Feeling» sorge. Offen bleibt, wie sich die Veränderung im Quartier auf die Bevölkerung auswirken wird. Eine derartige und offensichtliche Veränderung kann potenziell eine regelrechte «Gentrifizierungs-Welle» auslösen, welche nicht nur mehr Lebensqualität mit sich bringt, sondern in erster Linie höhere Mieten. Alteingesessene Schwamendinger könnten möglicherweise aus dem Quartier vertrieben werden, wenn sie sich die neuen Mieten nicht mehr leisten können. Tatsächlich sind entlang des Überlandparks bereits eine Vielzahl von Ersatzneubauten geplant und teilweise auch bereits ausgesteckt. Wie Jürg Rüegger, Präsident des Vereins «Einhausung Autobahn Schwamendingen» erklärt, bestünde für die Projekte entlang der Einhausung ein Bauvolumen von 1,5 Milliarden Franken. Ohne Zweifel wird dies den Charakter des ehemaligen Arbeiterquartiers Schwamendingen stark verändern. 

Wie entwickelt sich Schwamendingen mit der Einhausung weiter?

Stadtpräsidentin Corine Mauch hingegen ist zuversichtlich und betonte, dass die Einhausung eine «grosse Wunde» sei, welche «endlich geschlossen werden könne». «Was lange währt, wird endlich gut» meinte sie und spielte damit auf die schwierige und vor allem langwierige Geschichte an. Auch sie vermerkte, dass es keine Einhausung geben würde ohne die Hartnäckigkeit der Anwohner. Stadträtin Simone Brander war ebenfalls erfreut und zeigte sich optimistisch in ihrer Ansprache. Sie betonte, dass dies der Beginn einer neuen Ära sei für Schwamendingen und dass die Einhausung ein Geschenk sei, welches nun an die Bevölkerung übergeben werden könne. 

Thomas Lohmann, der Präsident der «IG pro zürich 12» hingegen zeigte sich kampflustig: «Wir sind noch nicht am Ziel» sagte er und erklärte, dass die Einhausung ein Meilenstein am Start vieler weiterer Meilensteine sei. Er ist sich der Gefahr durchaus bewusst, welche vom Erfolg dieser Meilensteine ausgeht. Er betonte, dass eine Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen drohen könnte. Ihm zufolge sei es aber auch weiterhin der Wunsch, die soziale Durchmischung im Quartier zu fördern. So würden die Genossenschaften den Anwohnern aktiv die neuen Wohnungen anbieten, damit diese weiterhin bleiben, respektive nach dem Umbau zurückkehren könnten. Dank der Tatsache, dass die Genossenschaften circa 50 Prozent der Wohnungen im Quartier besitzen, dürften so manche Hoffnungen auf nicht allzu astronomische Mieten möglicherweise erfüllt werden.

Buch zum Überlandpark

Pünktlich zur Eröffnung des Überlandparkes ist das Buch «Einhausung & Hochpark: Gestaltung der Autobahneindeckung und des Ueberlandparks in Zürich Schwamendingen» erschienen. Das vom Journalisten und Historiker Adi Kälin in Zusammenarbeit mit agps architecture sowie Krebs und Herde Landschaftsarchitekten verfasste und im Taschenbuch-Format gehaltene Werk führt den interessierten Leser durch die Entstehungsgeschichte des Überlandparks. Auf insgesamt 192 Seiten und mit über 330 Bildern illustriert erläutert der «Exkursionsführer» auf interessante Weise die Problematik der Situation und das Bauwerk und seinen dazugehörigen Park.

Ausserdem werfen die Autoren auch einen interessanten Blick auf die naturkundlichen Aspekte des Parkes: So werden die vielfältigen Bepflanzungen und Refugien für Tiere erklärt; ist es doch gerade die im Überlandpark herrschende Fauna-Situation eine spezielle Herausforderung für die Pflanzenwelt. 

Einhausung und Hochpark. Gestaltung der Autobahneindeckung und des Ueberlandparks in Zürich
Autoren: Adi Kälin, agps Architecture, Krebs und Herde Landschaftsarchitekten
192 Seiten;  kartoniert; erlag: Park Books; ISBN 978-3-03860-425-9; Preis zirka 21 Franken

Das Buch kann für 19 Franken beim Verlag «Park Books» erworben werden.
Mehr Infos unter: www.park-books.com

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

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