07:26 BAUPROJEKTE

Eine Achtsamkeits-Stadt: Bhutan baut ein «Anti-Dubai»

Geschrieben von: Pascale Boschung (pb)
Teaserbild-Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Im Himalaya-Königreich Bhutan wird aktuell eine neue Stadt gebaut, um der Abwanderung junger Menschen entgegenzuwirken. Statt einer Mega-City mit Wolkenkratzern prägen aber Holz, Reisfelder und eine buddhistische Architektur das Konzept.

Masterplan der Gelephu Mindfulness City in Bhutan

Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Masterplan der Gelephu Mindfulness City in Bhutan: Die Achtsamkeits-Stadt soll Arbeitsplätze schaffen sowie Innovationen fördern und gleichzeitig ein nachhaltiges, bhutanisches Modell für moderne Entwicklung bilden.

Als einziges Land der Welt hat Bhutan einen Index fürs Glücklichsein eingeführt: Das kleine Himalaya-Königreich, eingebettet zwischen dem Tibet und Indien, setzt beim Wirtschaftswachstum auf das «Bruttonationalglück» (BNG). Ökologische, spirituelle und soziale Aspekte werden im Index den ökonomischen gleichgestellt. Das spirituelle Wohlergehen der Bevölkerung sowie der Erhalt von Kultur und Natur stehen im Fokus.

Das spiegelt sich auch darin, dass über 50 Prozent der Landesfläche von Bhutan unter Schutz stehen. Darüber hinaus ist in der Verfassung verankert, dass mindestens 60 Prozent der Fläche für immer bewaldet bleiben müssen. Obwohl Bhutan vor diesem Hintergrund das einzige Land mit einer negativen CO2-Bilanz ist und in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein eine Pionierrolle einnimmt, kämpft das Königreich mit einem anderen Problem: der Abwanderung.

Viele junge Menschen zieht es ins Ausland. Ein Hauptgrund dafür ist die weiterhin stark von der Landwirtschaft geprägte Wirtschaft des Landes, die nur wenige attraktive Arbeitsplätze für die zunehmend gut ausgebildete, junge Generation bietet. Als Antwort darauf hat Bhutans König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck Ende 2023 ein ambitioniertes 100-Milliarden-Dollar-Projekt ins Leben gerufen: die Gelephu Mindfulness City (GMC).

Das Mega-Projekt erklärt im Video. (Quelle: Gelephu Mindfulness City, Youtube)

Eine Stadt der Achtsamkeit

Dabei handelt es sich um einen neuen Stadtteil, der im Süden des Landes nahe der indischen Grenze entstehen soll. Die GMC soll Arbeitsplätze schaffen, Innovationen fördern und gleichzeitig ein nachhaltiges, bhutanisches Modell für moderne Entwicklung bilden. Im Endausbau soll die Stadt als selbstverwaltete Wirtschaftszone eine Fläche von 1000 Quadratkilometer umfassen, was in etwa der Fläche von Hongkong entspricht.

Eine dicht bebaute Mega-City mit imposanter Skyline und riesigen Bauten soll die GMC aber nicht werden. Im Gegenteil: Geplant ist eine «Stadt der Achtsamkeit», die Ökonomie, Ökologie und Kultur miteinander kombiniert. Sie steht damit im krassen Kontrast zu Städten wie Dubai mit künstlichen Inseln, Hochhaus-Skylines mit immer höheren Wolkenkratzern und scheinbar grenzenlosem Wachstum – oder zu Giga-Projekten wie «The Line», die als Teil der geplanten Wüstenstadt Neom aktuell im Nordwesten Saudi-Arabiens gebaut wird. 

Das Konzept der Mindfulness-City ist geprägt von buddhistischen Werten, setzt auf langsames, organisches Wachstum, eine enge Verbindung zur Natur und den Erhalt der kulturellen Identität. Die Stadt soll dereinst im Endausbau Universitäten, Gewächshäuser, Krankenhäuser, Biomärkte, eine mit Wasserkraft betriebene Infrastruktur sowie ausschliesslich Elektrofahrzeuge umfassen.

Vajrayana-Zentrum Gelephu Mindfulness City

Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Visualisierung: So könnte das spirituelle Vajrayana-Zentrum auf einer der Brücken aussehen.

Masterplan von BIG und Arup

Der Masterplan der Achtsamkeits-Stadt stammt von der Bjarke Ingels Group (BIG) in Kooperation mit Arup und Cistri. Vorgesehen sind elf Quartiere, die über neun multifunktionale Brückenbauwerke miteinander verbunden sind. Diese fungieren nicht nur als Verkehrsinfrastruktur, sondern beherbergen auch städtische Einrichtungen. Darunter ein spirituelles Vajrayana-Zentrum, eine Universität sowie ein Gesundheitszentrum.

Gebaut werden soll die Mindfulness-City als «Flachbau-Metropole» – alle Gebäude sollen demnach maximal sechs Stockwerke hoch sein. Darüber hinaus wird beim Bau möglichst auf CO2-intensiven Beton und Stahl verzichtet. Ein weiteres zentrales Element der Stadtplanung ist der Umgang mit den klimatischen Herausforderungen: Die Region am Fusse des Himalayas ist während der Monsunzeit anfällig für Überschwemmungen.

Anstatt nun aber massive Betonkanäle zu bauen, setzen die Planer auf eine traditionelle Lösung: Um die Flüsse herum werden inmitten der GMC landwirtschaftliche Pufferzonen mit Reisfeldern angelegt. Diese dienen als natürliche Schwämme, die das überschüssige Wasser aufnehmen und die Stadt bei starken Regenfällen vor Überflutungen schützen. Gleichzeitig soll mit der Integration von Reisfeldern ins Stadtbild die agrarische Identität Bhutans erhalten bleiben.

Sankosh-Tempel-Damm Gelephu Mindfulness City

Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Visualisierung: Der Sankosh-Tempel-Damm soll Energieproduktion mit Spiritualität verbinden – in seiner Mitte ist ein buddhistischer Tempel geplant.

Sankosh-Tempel-Damm Gelephu Mindfulness City

Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Architektonisch ist das Bauwerk von indischen Stufenbrunnen inspiriert. Das terrassierte, stufenförmige Design macht den Staudamm begehbar.

Ein Damm mit Tempel

Ein Grossteil der Architektur ist von den traditionellen Bauwerken Bhutans inspiriert. Etwa von den «Dzongs», befestigten Klosteranlagen oder den sogenannten «Kachen» – kunstvoll geschnitzte und bemalte Holzsäulen. Gleichzeitig setzen die Planer beim Bau auf lokale Materialien wie Holz und Stein. Die Gestaltung soll einen fliessenden Übergang zwischen Architektur und Landschaft schaffen, sodass sich die Stadt wie ein organisches Gefüge in die Reisfelder, Wälder und Hügel einbettet.

Eine weitere Besonderheit der Achtsamkeits-Stadt ist der Sankosh-Tempel-Damm. Das markante Bauwerk soll Energieproduktion mit Spiritualität verbinden: In seiner Mitte ist ein buddhistischer Tempel eingebettet. Seine Architektur ist von indischen Stufenbrunnen inspiriert: Das terrassierte, stufenförmige Design aus bunten Abschnitten macht den Staudamm begehbar und schafft gleichzeitig Aussichts- und Begegnungsorte.

Reisfelder Gelephu Mindfulness City Bhutan

Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG)

Visualisierung: Inmitten der Mindfulness City sollen Reisfelder angelegt werden, unter anderem, um die Quartiere vor Überschwemmungen zu schützen.

Zeitplan für Fertigstellung ist zweitrangig

Ein Schlüsselelement des Projekts ist der Bau eines internationalen Flughafens. Die Bauarbeiten dazu starteten in diesen Tagen. Der Flughafen wird sich über vier Quadratkilometer über den Paitha-Fluss erstrecken und unter anderem eine 3000 Meter lange Start- und Landebahn sowie ein komplett aus Holz gebautes Terminal umfassen. Die Eröffnung ist im Jahr 2029 geplant.  

Die Fertigstellung der Gelephu Mindfulness City wird mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Bhutan betont jedoch, dass der Zeitplan für das Projekt zweitrangig ist. Entscheidend sei, dass die Stadt den Werten der Nachhaltigkeit, der kulturellen Bewahrung und des Wohlbefindens von Bhutan treu bleibe.

Gelephu soll zeigen, dass Fortschritt, Spiritualität und ökologische Verantwortung kein Widerspruch sein müssen. Nach ihrer Fertigstellung könnte die Achtsamkeits-Stadt vielleicht zu einem neuen Modell für nachhaltige Stadtentwicklung werden.

Weitere Informationen zum Projekt unter: https://gmc.bt

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Redaktorin Baublatt

Zeichnet, schreibt und kreiert gerne. Themenbereiche: Bauprojekte sowohl international als auch regional, News aus Wissenschaft, Forschung, Technik, Architektur und Design.

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