Children’s Hospital «Sant Joan de Déu»: Menagerie für die Genesung
Das Kinderspital in Barcelona behandelt besonders langwierige Fälle. Umso wichtiger, dass die kleinen Patienten es als angenehmen Lebensort annehmen. Seit einem Jahrzehnt läuft deshalb die Transformation des Spitalbaus in einen familienfreundlichen Wohlfühlort.
Quelle: Victoria Gil
Einer der Elefanten besteht der Anzahl Vögel, die ihn pro Monat anfliegt, um Parasiten aus seiner Haut zu picken.
Eine feuerrote Röhrenrutsche windet
sich durchs zentrale Treppenhaus. Kinder sausen zwischen zwei Säulen hindurch,
in denen bei jedem Durchlauf ein Gebläse Bälle aufwirbelt. Andere flitzen durch
eine begehbare Skulptur, die mit Leuchten reagiert. Ältere Kinder tippen eifrig
auf einem Bildschirm herum und freuen sich, dass ihre Botschaft über ihnen auf
Leuchtbändern erscheint. Und wenn die Eltern irgendwann darauf bestehen, dass
nun weitergegangen wird, so ist sogar die Liftfahrt kurzweilig. Die komplette Decke
ist über einen riesigen Bildschirm animiert. Das ganze Gebäude wirkt wie für
Kinder geschaffen.
Das war nicht immer so. Beim Kinderspital handelte sich
ursprünglich um ein gewöhnliches Klinikgebäude, das sich in nichts von anderen
unterschied. Das Kinderspital «Sant Joan de Déu» in Barcelona hat zahlreiche
hochspezialisierte Abteilungen, darunter ein Kinderkrebszentrum. Viele der
Kinder müssen hier über viele Wochen ihre Zeit verbringen.
Die Idee hinter dem umfassenden Transformationsprozess, den
das Gebäude seit zehn Jahren durchläuft, ist, ihnen eine Umgebung zu schaffen,
in der sie sich wohl fühlen. Die Atmosphäre soll eben nicht wie ein
Krankenhaus wirken. Das Resultat ist mehr als gelungen. Längst hat das Projekt
mehrere renommierte Design-Preise gewonnen.
Kindergerechte Umgebung
Abgeschlossen ist die Umgestaltung noch lange nicht. Das
alles konnte Innenarchitekt Raimond Pinto Estrada nicht ahnen, als er den
Auftrag bekam, in dessen Rahmen er eigentlich nur die 2012 frisch renovierte
Notaufnahme «pädiatrisieren», also kindgerecht ausstatten sollte.
Die Verantwortlichen des Krankenhauses stellten sich
darunter vor, dass die Räume so gestaltet werden sollten, dass sie den Komfort
der Kinder erhöhen und die Interaktion und das Spiel in normalerweise nicht als
angenehm empfundenen Klinikräumen fördern. Raimond Pinto Estrada mit seinem
«Rai Pinto Studio» spannte mit Dani Rubio Arauna zusammen, wobei das Team vom
«Arauna» Designstudio den graphischen Teil ausarbeiten sollte.
«Das Krankenhaus wollte sich optisch kindgerechter präsentieren. Wir haben uns dann aber überlegt, dass wir auf keinen Fall ein rein kindertümelndes Design entwerfen würden. Schon weil unter den Patienten auch Teenager sind. Und den begleitenden Eltern und dem Personal sollte es ebenfalls gefallen und von ihnen als ästhetisch ansprechend und angenehm empfunden werden. Immerhin verbringen auch sie sehr viel Zeit in diesen Räumen», erzählt Pinto.
Quelle: Pol Viladoms
Mit dem Rollstuhl befahrbares Spielhaus
«Tiere spielen verstecken»
So entstand die Idee, jedem Stockwerk ein eigenes Tiermotiv zuzuweisen, das dort immer wieder auftaucht. Das Grundthema heisst: «Tiere spielen verstecken». Die Tiere tauchen auch an überraschenden Stellen auf. Sie sind, etwa da sie aus einzelnen Strichen oder Rastern bestehen, nicht immer gleich zu erkennen.
Teils bestehen sie aus plastischen Elementen, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils unterschiedlich bemalt sind, sodass sich im Vorbeigehen auch noch die Farben ändern. «Das Ganze sollte verspielt sein und zu den schon vorhandenen Farben im Spital passen, also zu blau, grün und hellen Hölzern. Entsprechend sind unsere Figuren durchwegs gelb, orange, rot, pink und violett und immer aus irgendeiner Art Raster zusammengesetzt. So schmelzen sie sich überall ein.»
Die Rasteridee wird häufig spielerisch genutzt. So ist eine Giraffe beispielsweise aus so vielen Akazienblättern zusammengesetzt, wie sie in einer Woche frisst, was in einem kleinen Text nebenan auch erklärt wird. Einer der Elefanten ist aus der Anzahl Vögel stilisiert, die ihn in freier Natur pro Monat anfliegen, um Parasiten aus seiner Haut zu picken. Oder Tierbilder, die für Patienten wichtige Räume zieren, sind auch einmal aus den Zahlen der jeweiligen Zimmernummer zusammengesetzt.
Projekt entwickelt Eigendynamik
«Niemals hätten wir gedacht, dass wir immer mehr davon machen würden. Wir arbeiten seit zehn Jahren mit sechs Leuten an der Umgestaltung», erzählt der Innenarchitekt. Längst designt das Team auch die Möbel der Aufenthalts- und Warteräume, die Uniformen des Personals, die Beschilderung im gesamten Spital sowie ganze Spielzimmer. Einfach alles. «Es ist wie ein riesiges Puzzle, bei dem wir immer wieder neue Teile einfügen. Wir dürfen eine Umgebung schaffen, die vergessen macht, dass es sich um ein Spital handelt, zu Interaktion und zum Entdecken einlädt und dabei einen grossen Wiedererkennungswert hat», Pinto sagt weiter.
Ständig kamen neue Details hinzu, wie etwa die animierten Decken in den Aufzügen. Kinder, die in Rollbetten in den Lift geschoben werden sehen nun einmal nach oben. Warum ihnen nicht die Wartezeit verkürzen? Die Zusammenarbeit zwischen Innenarchitektur- und Designstudio funktioniert bis heute derart gut, dass immer mehr Bereiche gestaltet wurden.
Mittlerweile hat sich daraus ein so starkes Identifikationsmerkmal für das Spital entwickelt, dass das Design auf die ganze Corporate Identity übertragen wurde. Beschilderung, Möbel, interaktive Installationen, Textildesign, Orientierungshilfen sind alle ganz klar nach den erarbeiteten Merkmalen gestaltet und sorgen für ein rundum stimmiges Bild.
Quelle: Art Sanchez
Eingangshalle mit interaktiver Skulptur. Über einen Monitor lassen sich Nachrichten eintippen, die dann für alle lesbar im unter der Decke montierten «Gehirn» zirkulieren.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Der «Verdauungstrakt» in der Eingangshalle lädt zum Hindurchrennen und Spielen ein.
Möglichst Bilder in Originalgrösse
«Die Tiere bilden wir immer in Originalgrösse ab. In der Kardiologie haben wir uns für Oktopusse entschieden, weil sie ja gleich drei Herzen haben. An gewissen Stellen bringen wir Beschriftungen an, die solche Dinge erklären. Einer der Oktopusse besteht natürlich aus lauter Herzen. Es gibt in den Gängen auch halbrunde Tische, von denen Bänder hängen, so dass sie wie Quallen wirken und zum Spielen einladen. Im Transplantationszentrum, in dem die Kinder oft über Monate bleiben müssen, haben wir Bären. Diese bleiben ja auch monatelang in ihrer Höhle, bis wieder Frühling ist.»
In der Neurologie befinden es viele Kinder, die ihre Zeit im Rollstuhl verbringen müssen. Ihr Spielraum wurde auf eine Weise gestaltet, dass man die Häuschen befahren kann, die auf Bewegung mit Lichteffekten reagieren. «Diese Kinder brauchen auch viel sensorische Stimulation. Also haben wir einen bunten Vorhang aus Ketten zum Spielen montiert. Ursprünglich gab es auch ein Bällebad. Es war sehr beliebt. Aber da offenbar zu viele Kinder begeistert an den Bällen schleckten wurde es aus hygienischen Gründen wieder entfernt», bedauert Pinto.
Die Tiere müssen einiges aushalten. Daher sind sie aus lackieren MDF-Platten und Hochdruck-Laminat gestaltet, teilweise auch aus Sperrholz. Letzteres darf zum Beispiel in der Onkologie nicht verwendet werden, da die Kinder dort häufig ein stark unterdrücktes Immunsystem haben und jede Keimquelle vermieden werden muss.
Video zur Eingangshalle und den bespielbaren Skulpturen zum menschlichen Körper. (Video: Rai Pinto Studio)
Rund hundert Tiersilhouetten
Das Tierschema füllt mittlerweile alle Stockwerke des Krankenhauses. Etwa hundert Tiersilhouetten sind überall verteilt. Nur die erwähnte Eingangshalle wollte das Management nicht auch noch mit Tierbilder verziert sehen. Also nahmen sich Pinto und Rubio den menschlichen Körper zum Thema. Durch Bewegungssensoren können die Kinder Ballzylinder in Gang setzen, deren Gebläse die Lunge darstellen. Oder lichtanimierte Bögen zum Hindurchrennen stehen für das Verdauungssystem. Und Bänder mit den durchlaufenden Buchstaben symbolisieren das Gehirn.
Für diese Kreationen wurde eine Firma hinzugezogen mit Spezialisierung auf Museumsinstallationen für Kinder. Anfangs war die ungewohnte Zusammenarbeit nicht einfach. «Die Firma war vor allem auf animierte Bildschirme spezialisiert. Wir aber wollten begehbare, interaktive, ästhetisch ansprechende Skulpturen mit ihnen schaffen. Mit der Zeit haben wir uns dann aber zusammengefunden», merkt Pinto Estrada an.
Tatsächlich erinnert die Eingangshalle nicht im Geringsten an eine typische Spitalumgebung. Eher an eine moderne, interaktive Kunstinstallation, die Kinder sofort loslaufen und ausprobieren lässt, während die Eltern geduldig die Formalitäten erledigen. Bereits im Eingangsbereich wirkt sich die Atmosphäre auf Eltern, Patienten, deren besuchende Geschwister und das Personal gleichermassen wohltuend aus. Und immer wieder sorgen Überraschungen für ein Schmunzeln.
Quelle: Art Sanchez
Jedes Kind, das zwischen den beiden Säulen hindurch rennt löst einen Bewegungssensor aus der das Gebläse mit den Bällen in Betrieb setzt. Die interaktive Skulptur soll auf spielerische Art die Lungen symbolisieren.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Der Zugang zum Operationstrakt. Häufig sind den Silhouetten wie hier noch kleine Tafeln mit Wissenswerten zur Tierart beigefügt.
Quelle: Borja Ballbé
Für die Kardiologie wurden Oktopusse als Motiv gewählt, weil diese ja gleich drei Herzen haben. Dieser spezielle hier weist besonders deutlich auf den Zusammenhang hin und besteht aus gar nichts anderem mehr als Herzen.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Alles passt zueinander – auch die Putzwagen und die Uniformen des Personals gingen nicht vergessen.
Videopräsentation des Projekts. (Video: Rai Pinto Studio)