Bundesarchiv-Neubau in Zollikofen: Archivlandschaft in Bahnhofsnähe
Das Schweizerische Bundesarchiv braucht mehr Platz für sein Archivgut. Abhilfe schaffen soll ein Neubau in Zollikofen BE. Mittels Wettbewerb wurde eine ansprechende Lösung gesucht. Das Siegerprojekt überzeugte die Jury durch seine ortsbauliche Setzung und die rationale Verteilung der geforderten Funktionen.
Quelle: NEUME GmbH x WV Architektur GmbH; Basel
Das Archiv ist in die Parzelle zwischen einem neuen Administrativgebäude und der Zufahrtsstrasse eingepasst. Ein Sickerstreifen trennt es vom Trottoir.
Das Schweizerische Bundesarchiv ist älter als die Eidgenossenschaft selbst: 1798 wurde es als «Zentralarchiv der Helvetischen Republik» in Bern gegründet. Seither sammelt das später umgetaufte BAR historische und zeitgenössische Quellen, welche die Entstehung und den Betrieb des schweizerischen Staatswesens dokumentieren. Eine grosse Rolle spiele dabei die «Entwicklung der Beziehungen zwischen Bürgern und Staat, dessen Behörden und der Verwaltung», steht auf der Website der Institution. Manche sprechen vom «Gedächtnis des Bundesstaates».
Dementsprechend fällt über die Jahrhunderte viel Material an, das, sachgerecht archiviert, vor chemischen oder physischen Gefahren, vielleicht auch vor Zerstörungswut bewahrt werden und gleichzeitig für Interessierte zugänglich sein muss. Zu den einstigen und den weiterhin betriebenen Standorten des BAR gehören das Bundeshaus West und der erste eigene Bau im Stadtberner Quartier Kirchenfeld. Regelmässig musste zusätzlicher Raum geschaffen werden. Jetzt ist es wieder soweit: Derzeit werden vom Bundesarchiv knapp 80 Laufkilometer Akten verwaltet. Das BAR nutzt dafür auch temporär angemietete Lagerkapazitäten, die künftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Zudem muss das Magazin im Kirchenfeld in absehbarer Zeit saniert werden.
Die Kapazitäten der heute für die Archivierung genutzten Bestandsbauten werden bis voraussichtlich 2026 ausgeschöpft sein. Auch wenn ab 2028 aufgrund der Digitalisierung eine Stabilisierung der Lagerhaltung erwartet wird, müssen für die Sicherstellung des gesetzlichen Auftrags zusätzliche Archivflächen geschaffen werden. Dies, um Papierunterlagen, die noch in den verschiedenen Bundesstellen anfallen, verstauen zu können.
Neben dem einstigen Kartoffellager
Die Wahl des Standorts fiel auf das Gebiet Meielen Nord in der Gemeinde Zollikofen, östlich der Stadt Bern. Das Gebiet ist Teil eines kantonalen Entwicklungsschwerpunkts (ESP), der koordiniert bebaut respektive verdichtet wird. Meielen Nord liegt zwischen der Bahntrasse von Bahn 2000 sowie RBS und einem grösseren Waldstück. Das nach Norden hin sanft ansteigende Gelände wird schon lange als Gewerbegebiet und Lagerstätte genutzt. Bis in die 1990er-Jahre stand an den Gleisen noch ein Grosstanklager für Kraftstoffe, ganz in der Nähe betrieb die Agrargenossenschaft Fenaco ein Kartoffellager.
Quelle: NEUME GmbH x WV Architektur GmbH, Basel
Die Regale sind in Nord-Südrichtung angeordnet. Die Erschliessungskorridore sind von der Raumschicht im Norden einsehbar.
Quelle: NEUME GmbH x WV Architektur GmbH, Basel
Der Längsschnitt zeigt, wie die zweigeschossige Raumschicht mit der Verwaltung oben und unten von Archivräumlichkeiten umschlossen wird.
Seit einigen Jahren geht die Entwicklung aber in Richtung Verwaltung und nun auch Archivierung. Der Bund erstand in Meielen Nord einen beachtlichen Teil des Landes, 2023 und 2024 konnten das Bundesamt für Informatik BIT, die bundeseigenen Informatik Service Center ISC-EJPD und WBF ISCeco sowie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA drei würfelartige Verwaltungsbauten mit Innenhöfen entlang der Bahnline in Betrieb nehmen.
Die BAR-Parzelle befindet sich hinter dem südlichsten dieser Neubauten. Sie folgt im Süden und Osten der langgezogenen, ansteigenden Kurve des Eichenwegs, welcher das nördliche Gebiet Meielen beim Bahnhof Zollikofen von Westen her erschliesst. Unmittelbar nördlich der Parzelle steht das ehemalige Kartoffellager. Für den Neubau schrieb das Bundesamt für Bauten und Logistik BBL einen offenen einstufigen Projektwettbewerb aus. Das Ziel des Neubauprojekts ist die Bereitstellung von rund 150 Laufkilometern neuer Archivfläche. Das BAR beansprucht rund 50 von ihnen, der Rest soll Rochaden und einer Drittnutzung dienen.
Nachhaltig und sicher
Die Ansprüche an das Projekt waren sehr hoch: Über den eigentlichen Zweck hinaus soll es auch die Nachhaltigkeitsstrategie des BBL mit Zielsetzungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt spür- und erkennbar machen. Zu den Vorgaben zählten die Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Produktion von Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien durch die Nutzung von geeigneten Dach- und Fassadenflächen und die Planung sowie möglicherweise die Zertifizierung gemäss SNBS-Standard.
Ausserdem äusserte die Auftraggeberin die Erwartung, dass sich der Bau mit ressourcenschonenden Materialien und geringer Umweltbelastung erstellen lässt. Materialvielfalt und -menge waren auf ein Minimum zu beschränken, möglichst einheimische, regenerierbare und recycelbare Baustoffe zu bevorzugen.
Ein komplexes Funktionsdiagramm stellte den Entwurfsteams die Zusammenhänge rund um das grosse Hochregallager dar, unter anderem mit Anlieferung, «Quarantäne» und 25 Arbeitsplätzen für die Digitalisierung. Die Zugänglichkeit des Archivguts scheint, so der Eindruck beim Studium der Unterlagen, künftig ausschliesslich auf dem digitalen Weg oder anderswo, also nicht vor Ort in Zollikofen, zu erfolgen.
Zahlreich waren auch die Anforderungen betreffend Sicherheit und Kulturgüterschutz. Im erwähnten Diagramm wird das mit «Härtung» des Areals und des Gebäudes umschrieben. Für die Tragstruktur war Stahlbeton vorgeschrieben. Berücksichtigt werden mussten Sicherheitsmassnahmen wie Videoüberwachung nach Bedarf, eine Schleusenfunktion im Empfangs-, sowie im Anlieferungsbereich oder Personenvereinzelung bei den Personaleingängen. Der Kulturgüterschutz umfasst hohe Anforderungen in Sachen Wasserdichtigkeit, Erdbeben- und Brandschutz, Zutritt und Klimabedingungen.
Quelle: NEUME GmbH x WV Architektur GmbH, Basel
In dieser Visualisierung fehlen die Regale. Dafür ist erkennbar, dass die beiden Verwaltungsgeschosse zum Archiv hin vollständig verglast sind.
Ein Diagramm zur Form gemacht
Das Beurteilungsgremium hatte 23 Projekte zu prüfen. Die Jury konnte sich mit einer sehr breiten Palette von Projektvorschlägen mit oft grosser Bearbeitungstiefe auseinandersetzen. Sie empfahl der Auftraggeberin am Ende des Verfahrens einstimmig, die Verfassenden der Projekteingabe R2D2, NEUME GmbH x WV Architektur GmbH, Basel, mit der Weiterbearbeitung des erstrangierten Projekts zu beauftragen.
Der Projektname R2D2 bezieht sich auf jenen Roboter-Filmstar, der durch die Hollywood-Serie «Star Wars» berühmt wurde. Er setzte sich in der Science-Fiction-Saga als Teamplayer in Szene, der Informationen empfangen, speichern und den anderen Teammitgliedern übermitteln konnte. Einer analogen Charakterisierung möchte auch der knapp 20 Meter hohe Archivneubau in Meielen Nord entsprechen. Zudem geht er subtil auf den Bauplatz ein und ergänzt das bestehende Ensemble der Bundesbauten elegant. Nach Westen bildet er mit dem etwas höheren südlichen Verwaltungsneubau eine ansteigende Gasse, die ins Erschliessungssystem für Fahrzeuge eingebunden ist. Entlang dem Eichenweg folgt er hinter einem schmalen, abgetreppten Grüngürtel der Strassenkrümmung. Gegenüber dem ehemaligen Kartoffellager befinden sich der Eingang und die Anlieferung an einer geräumigen Platzfläche.
Im Grundriss bildet das Projekt annähernd einen Viertelkreis. Die rostrote Fassade ist rundum mit vortretenden Metall-Lisenen rhythmisiert. Die vertikalen Lisenen gliedern die Rundung. Sie verleihen der Grossform Struktur und tragen dazu bei, dass sich das Gebäude formal und im Massstab stimmiger in den Kontext einfügt. Die Zwischenräume in der Fassade sind weitgehend geschlossen, denn Tageslicht ist ein Feind von Archivgut. Ein beträchtlicher Teil der Gebäudehülle könnte dennoch aus Glas bestehen, wird das Gebäude in einer Option doch mit Photovoltaikmodulen verkleidet. Die Module, oder alternativ oxidierte Metallelemente, sind zwischen den Lisenen von oben nach unten zurückgestuft, was der Fassade eine anregende Dynamik verleiht.
Quelle: Keller-Logistik
Die Organisation des Archives wurde den Wettbewerbsteams in einem Bubble-Diagramm nähergebracht.
Der Inhalt des Gebäudes besteht primär aus einem Hochregalllager, das bis zur Decke reicht. Dessen Boden befindet sich in der Südwestecke auf Strassenniveau und erstreckt sich nach Norden und Osten ins Erdreich. Eingeschoben in diese «Säulenhalle» ist ein zweigeschossiger Aufenthalts- und Archivgüter-Umschlagbereich, der sich der Nordfassade entlang zieht. Er ist oben wie unten von Lagerfläche umschlossen. Das untere Geschoss mit der Anlieferung und dem Zwischenlager befindet sich auf dem Niveau der Vorfahrt im Norden, das obere Geschoss umfasst Arbeitsplätze. Die Architektur ist funktional, auf Repräsentation wird verzichtet. Doch die Räume im Einschub zum Hochregallager hin sind grossflächig verglast. Dies gewährt eine freie Sicht in die riesige Halle, in welcher die Erschliessungskorridore zwischen den Regalen senkrecht zu dieser Fassade in die Tiefe des Gebäudes reichen.
Nachhaltiges Passstück
Das geplante Archiv ist für Meielen Nord ein Passstück, welches die anderen Bundesbauten ergänzt. Es grenzt das Areal zur Erschliessungsstrasse hin beinahe wie eine Bastion ab. Am siegreichen Entwurf überzeugten die Jury auch die Massnahmen, welche das Archiv zu einem nachhaltigen Gebäude machen sollen. Beim Projekt wird weitgehend auf eine unterirdische Bebauung verzichtet, um den Aushub zu minimieren. Das Prinzip der Wiederverwendbarkeit steht hinter vielen Entwurfsentscheidungen. So soll Modularität es ermöglichen, Gebäudeelemente je nach Verwendungszweck zu demontieren und neu zusammenzusetzen, sprich wiederzuverwenden. Dies erlaubt laut der Wettbewerbsjury einfache Erweiterungen oder Umgestaltungen zu einem späteren Zeitpunkt. Die Stützenstruktur des Gebäudes ist auf maximale Flexibilität ausgelegt. Die am Bau verwendeten Materialien sollen mit grosser Sorgfalt im Hinblick auf ihre Qualität und ihre Umweltverträglichkeit ausgewählt werden. Beton wird im Projekt nur dort verwendet, wo es zwingend notwendig ist. Der Betonabbruch des Vorgängerbaus soll recycelt werden.
Auch der Betrieb soll Ressourcen schonen. Das Entwurfsteam schlägt für das Archiv einen Anlagenbau ohne Einsatz von Fördertechnik vor. Das dürfte sich positiv auf Betriebskosten und Funktionssicherheit auswirken. Der Anlagenbau könne mit der Fokussierung auf die Vermeidung von Single Points of Failure und zusätzlicher Verdichtung weiterentwickelt werden, hoffen die Verantwortlichen.
Quelle: NEUME GmbH x WV Architektur GmbH, Basel
An der Nordfassade befindet sich die zweigeschossige Raumschicht, in welcher der Betrieb sichergestellt wird.
Nachgefragt… bei Hanspeter Winkler
Quelle: BBL
Hanspeter Winkler ist Architekt und Leiter Projektmanagement beim BBL.
Archivkapazitäten im reellen Raum werden in Laufkilometern angegeben. Die bisherige Kapazität des BAR beträgt rund 80 Laufkilometer, der Neubau in Zollikofen soll 150 Laufkilometer aufnehmen können. Wird wirklich noch so viel mehr Papier erwartet?
Das Neubauprojekt in Zollikofen deckt mit 150 Laufkilometern
den Bedarf des BAR vollständig und bietet zusätzliche Reserven für Rochaden
oder Drittnutzungen.
Wie soll der Archivbestand in Zollikofen der Allgemeinheit
zugänglich sein?
Alles Archivgut ist unter Berücksichtigung der Schutzfristen
für alle Interessierten zugänglich. Dank der Digitalisierung «on demand» können
Unterlagen orts- und zeitunabhängig zur Verfügung gestellt werden.
Die Einsichtnahme in Archiven lässt sich als feierlicher Akt
stilisieren. Man kennt das aus Filmen wie «Citizen Kane». Gibt es in Zollikofen
einen solchen feierlichen Rahmen? Oder werden Bürgerinnen und Bürger dort
überhaupt nicht mehr an das Original-Archivgut herangelassen?
Bürgerinnen und Bürger haben unter Berücksichtigung der
Schutzfristen jederzeit Zugang zu den archivierten Unterlagen. Der Zugang
erfolgt in erster Linie digital. Interessierte Personen werden das
Archivgebäude in Zollikofenbesuchen können. Für das Archivgebäude im
Kirchenfeld bietet das Bundesarchiv Führungen für das Publikum an.
Wie funktioniert bei diesem Gebäude, das quasi
Ewigkeitsansprüche erfüllen muss, der Erdbebenschutz?
Die Tragsicherheit des Regalsystems ist unabhängig von der
Tragsicherheit des Gebäudes gelöst. Beide Systeme erfüllen jeweils unabhängig
voneinander die Anforderungen für den Erdbebenfall.
Apropos Langlebigkeit: Für welche Nutzungsdauer wird dieses
Projekt geplant? Welche Gedanken machte sich die Bauherrschaft in diesem
Zusammenhang zur Entwicklung der Archivierungstechnik und zur
Archivierungstradition ganz allgemein?
Das Gebäude ist auf eine 100-jährige Lebenszeit ausgelegt.
Mit dem neuen Archivgebäude ist ein automatisiertes Hochregal geplant. Das BAR
setzt damit seine Strategie der Digitalisierung in allen Bereichen weiter um.
Welches ist der aktuelle Stand der Planung? Kann man schon
abschätzen, wann die Bauarbeiten beginnen?
Das Projekt befindet sich aktuell in der Vorprojektphase. Der Baubeginn ist unter Vorbehalt der Kreditbewilligung durch die eidgenössischen Räte und der fristgerechten Erteilung der Baufreigabe durch die örtliche Baubehörde ab Mitte 2027 vorgesehen.(Interview: Manuel Pestalozzi)