Wochenendtipp: Auf den Spuren von Max Frisch
In der ETH-Bibliothek findet sich das Max Frisch-Archiv, das der Architekt und Autor noch selbst initiiert hatte. Seit 1980 lagern im öffentlich zugänglichen Archiv Frischs Manuskripte, Briefe, Architekturpläne und persönliche Gegenstände. Letzteren widmet sich die Ausstellung «Max Frischs Dinge».

Quelle: Jack Metzger / Bildarchiv der ETH-Bibliothek
Max Frisch (links) und Friedrich Dürrenmatt in der Kronenhalle Zürich im Jahr 1963.
Ein kunstvoll geschnitztes Schachbrett aus Kirgisien, eine analoge Filmkamera, Tabakpfeifen und Brillen sind im kleinen Museumsraum des Max Frisch-Archivs etwa zu finden. Es wird rege besucht von Schulklassen, Fans des Literaten, Studierenden oder einfach Interessierten. Auf Anfrage werden auch Führungen organisiert. Was meine Neugier besonders weckt, ist der Stadtplan «Auf den Spuren von Max Frisch», den das Archiv 2011 anlässlich des 100. Geburtstag des Zürchers herausgegeben hatte. Er enthält drei Stadtspaziergänge und eine Wanderung an Zürcher Orte, die den Architekten und Dramatiker prägten oder vielmehr die dieser liebte. Angesichts des bevorstehenden Sommers eine gute Gelegenheit, Zürich durch Max Frischs Blick neu zu entdecken. Auf geht’s und Badesachen nicht vergessen!
Frühwerk im Wald verbrannt
Die Rämistrasse, die sich vom Bellevue bis zur Universität und zur ETH hochzieht, spielt eine Hauptrolle auf dem Spaziergang Nummer eins durch die Zürcher Altstadt. Denn entlang dieser Verkehrsachse bewegte sich Frisch in seiner Kindheit, Jugend und auch in seiner Erwachsenenzeit. So besuchte er das Kantonale Realgymnasium, später die Universität, wo er zunächst Germanistik studierte, bevor er ins Fach Architektur an die ETH wechselte. Auch das Schauspielhaus liegt an der Rämistrasse, und hier debütierte Max Frisch 1945 mit dem Drama «Nun singen sie wieder». Seit damals wurden fast alle Dramen von Max Frisch dort uraufgeführt. Übrigens hatte er bereits als Gymischüler diverse Theaterstücke geschrieben. Sein ganzes Frühwerk verbrannte Frisch indessen später im Wald.

Quelle: Volker Hage / Max Frisch-Archiv, Zürich.
Im Odeon war Max Frisch Stammgast.
Die legendären Institutionen Odeon und Kronenhalle (zwei weitere
Stationen an der Rämistrasse) waren ein Leben lang Stammlokale des
Zürchers. Hier traf sich Max Frisch mit Friedrich Dürrenmatt während
ihrer jahrzehntelangen Freundschaft ab 1947. Auch mit den
Schauspielerinnen Therese Giehse und Maria Becker oder der
Schrifstellerin Ingeborg Bachmann, mit der Frisch zwischen 1958 bis 1963
liiert war, feierte der Schriftsteller gerne in der Kronenhalle. «Immer
wieder und noch mal –» schrieb Max Frisch 1977 ins Gästebuch der
Kronenhalle.
Abtauchen im Letzigraben
Der zweite Spaziergang durch den Westen von Zürich führt zum Freibad Letzigraben. Neben einem Einfamilienhaus in Bauma ist die beliebte Badeanlage das einzige verbleibende architektonische Vermächtnis von Frisch. Ursprünglich wählte Frisch das Architekturstudium, um sich damit einen Brotjob zu sichern. Nachdem er einige Jahre parallel als Architekt und als Schriftsteller gearbeitet hatte, trat er sein Architekturbüro 1955 an einen Mitarbeiter ab. Der Grund lag auf der Hand: Er hatte mit seinen Romanen, allen voran «Stiller» im Jahr 1954, den Durchbruch geschafft und konnte sich fortan mit der Schriftstellerei sein Einkommen sichern. Noch während der Bauarbeiten des Freibads Letzigraben, die aufgrund des Zweiten Weltkrieges von 1943 auf 1947 verschoben werden mussten, wurde im Schauspielhaus Zürich gleichzeitig sein Theaterstück «Als der Krieg zu Ende war» aufgeführt.

Quelle: Michael Wolgensinger, Baugeschichtliches Archiv
Als 1967 dieses Foto aufgenommen wurde, wohnte Max Frisch hier.
Der Spaziergang führt auch an der
Überbauung Lochergut vorbei, wo Frisch mit seiner zweiten Ehefrau
Marianne Frisch-Oellers als eine der ersten Mieter zwischen 1966 und
1968 im obersten Stockwerk wohnten. Auch der Friedhof Sihlfeld an der
Aemtlerstrasse ist eine Station auf dieser Stadtwanderung. Der
traditionsreiche Friedhof war Schauplatz des düsteren Filmprojekts
«Zürich-Transit», welches auf einer Episode in Max Frischs Roman «Mein
Name sei Gantenbein» basierte: Durch eine Verwechslung wird der
Geschäftsmann Theo Ehrismann für tot gehalten; er entscheidet sich,
dieses Missverständnis nicht aufzuklären, sondern seinen offiziellen Tod
als Chance zu sehen und nicht in sein altes Leben zurückzukehren.
«Am Wasser fühle ich mich frei»
Die dritte Route auf der Karte führt zum Geburtshaus von Max Frisch und zum Zürichsee, der eine wichtige Bedeutung im Leben des Schriftstellers hatte. Im Tagebuch 1946–1949 (Suhrkamp) ist unter der Überschrift «Am See» nachzulesen: «Oft am Morgen, wenn ich an die Arbeit fahre, steige ich vom Rad, erlaube mir eine Zigarette (…) man denkt an die Hunderttausend, die jetzt an ihren Pültchen sitzen, und das schlechte Gewissen, ich weiss, es wird mich erfassen, sobald ich das Rad wieder besteige. Am Wasser aber fühle ich mich frei, und alles, was auf dem Land sich tut, liegt hinter mir und nicht auf meinem Weg (…)».

Quelle: Lea Wolgensinger / Max Frisch-Archiv, Zürich
Pavillon im Freibad Letzigraben, das 1949 fertiggestellt und eröffnet wurde.

Quelle: Lea Wolgensinger / Max Frisch-Archiv, Zürich
Freibad Letzigraben 1949 mit Blick auf die Umkleidekabinen für Frauen, von Michael Wolgensinger aufgenommen.
Neben den drei Stadtspaziergängen findet sich eine Wanderung auf der Karte «Auf den Spuren von Max Frisch». Diese geht über den Pfannenstiel, wo Frisch gerne wanderte – allein oder mit Freunden – und über die Menschen, die Politik, die Welt nachdachte. Er und seine Werke beschäftigten sich intensiv mit Themen wie gesellschaftliche Verantwortung, Vorurteile, politische Passivität oder Überfremdungsängste. Themen, die heute aktueller sind denn je. Und was gibt es Besseres, als bei Spaziergängen oder einer Wanderung über das Heute, die Welt und unser Handeln nachzudenken?
Weiterführende Links und Infos
Die Karte «Auf
den Spuren von Max Frisch» kann im Max Frisch-Archiv bezogen werden. Es
gibt auch eine interaktive Online-Version auf http://app.mfa.ethz.ch
Die
Ausstellung «Max Frischs Dinge» ist noch bis zum 27. Juni zu sehen im
Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek. Mehr dazu hier: https://mfa.ethz.ch
Online im Max-Frisch-Archiv der ETH stöbern auf https://mfa.e-pics.ethz.ch/#